Donnerstag
Beilage zu Nr. 197.
12. Dezember 1907
Der verlorene Hohn.
Ronum vonElSbeth Borchart.
(Fortsetzung.)
Also Williams blieb noch länger in Buchenau; er kehrte vorläufig nicht mehr nach Amerika zurück! Inge blickte sekundenlang sinnend vor sich hin. Hatte sie nicht einst mit diesem Zeitpunkt gerechnet, wie mit dem Abschnitt einer inneren Qual? Torheit! Mochte er immer bleiben. Sie getraute sich, ihm jetzt mit ganz gleichgiltigen Gefühlen gegenüberzutreten. In der langen Zeit, bis er wiederkehrts — seine Abwesenheit mußte sich auf drei bis vier Monate belaufen, schrieb die Mutter — konnte schon viel Freudiges für sie eingetreten sein, und das würde ihr Leben fortan so aussüllen, daß es für andere Gedanken keinen Raum mehr gab.
So dachte Inge voll froher Zuversicht. Sie merkte nicht, daß Wolken an ihrem Horizont aufzogen.
Grunows gute Laune schwand allmählich wieder. Es war etwas Unruhiges, Unstätes über ihn gekommen. In seiner Miene und in seinem Blick lag etwas Lauerndes, Horchendes. Bei dem geringsten Geräusch fuhr er zusammen und starrte darauf sekundenlang ins Leere.
Inge ängstigte sich und fragte heimlich den Arzt, da Hans von einer ärztlichen Konsultation nichts wissen wollte. „Er ist überarbeitet, strengt sich zu sehr an, doch die Sommerreise und Ausspannung wird ihn wieder Herstellen," tröstete der Arzt.
Warum sich Susi nur selten in der letzten Zeit hatte sehen lassen? Neulich war sie ihr auf der Straße begegnet und hatte ihr deshalb Vorwürfe gemacht. Sie habe so viel zu tun, sie könne nicht fortkommen, hatte Susi fast verlegen erwidert. Inge war befremdet; sie merkte es, daß die Entschuldigung mit vieler Arbeit nur ein Vorwand war, obgleich sie sich den wahren Grund nicht erklären konnte. Hatte die Freundin ihr villsicht etwas übel genommen? Sie wußte sich nicht zu besinnen, je Anlaß dazu gegeben zu haben. Aber auch der Amtsrichter kam seltener, überhaupt schien es ihr, als wenn alle Menschen ihr scheu auswichen.
13.
Der März neigte sich seinem Ende zu. Kommerzienrat Helmbrecht und seine Frau waren in Berlin eingetroffen. Inge hatte die Eltern von der Bahn abgeholt und war bann mit ihnen sogleich zum Professor gefahren. Erst gegen Abend, nachdem Grunow gekommen und den Schwiegervater begrüßt hatte, waren sie drei gemeinsam nach der Rathenowerstraße zurückgekehrt.
Grunow hieß seine Schwiegermutter, die für einige Wochen sein Gast sein sollte, mit Liebenswürdigkeit willkommen und Inge jubelte, daß es endlich soweit war und sie die Mutter jetzt bei sich hatte. Das Abendessen verlief in der besten Stimmung. Inge hatte nur Augen und Ohren für die Mutter, der sie alles so bequem und angenehm wie möglich zu machen suchte, der sie so viel zu erzählen hatte. Dabei entging ihr das sonderbare Wesen, die erzwungene, fast überlaute Heiterkeit ihres Mannes. Doch Frau Helmbrecht, die stets genau beobachtete, entging sie nicht. Angst und Sorge befiel sie.
„Dein Mann überarbeitet sich wohl — er sieht angegriffen aus", sagte sie zu Inge, als diese sie abends in das Fremdenstübchen zur Nachtruhe geführt hatte.
„Ach, Mutti, hast du das auch schon gesehen?" fragte sie betroffen. „Du glaubst nicht, wie ich mich ängstige."
„Habt ihr keinen Arzt gefragt?"
„Der meinte, Hans wäre, wie du auch richtig annahmst, überarbeitet und nervös; im Sommer sollten wir eine Reise machen, dann würde wieder alles gut werden. Nun — er wird wohl allein reisen müssen, denn ich — ich komme zu euch nach Misdroy — ich —"
Sie stockte und verbarg plötzlich ihr erglühendes Gesicht an der Mutter Brust.
Mutter und Tochter saßen noch eine Weile zusammen, ehe sie sich für die Nacht trennten. Ihre Sorge um Hans vergaßen beide über dem,
was die Zukunft ihnen Erfreuliches zeigte.
* *
*
Die Operation war, soweit der Professor bis jetzt ermessen konnte, geglückt.
Mit der Binde über den Augen, im ganz dunklen Zimmer der Klinik lag Hclmbrecht ergebungsvoll still.
Mit seliger Hoffnung im Herzen ertrug er cs, wochenlang tatenlos im dunklen Zimmer zubringen und für die ersten Tags selbst die liebe Stimme seiner Frau entbehren zu müssen. Vier Wochen so still zu liegen, war wohl eine harte Geduldsprobe, aber wie verschwindend zu den furchtbaren Jahren, die er in tiefster Nacht verbracht hatte!
Eines Abends saßen Inge und ihre Mutter plaudernd im Wohnzimmer, als Grunow hastig eintrctt. Er war zum AuSgehen gekleidet. In seinen bleichen Zügen lag eine innere Unruhe ausgeprägt.
„Ich muß einen nötigen Gang machen — erwartet mich zum Abendbrot nicht zurück."
Er trat zu seiner Schwiegermutter, der er die Hand küßte und darauf zu Inge an die andere Seite des Tisches. Er legte seinen Arm um ihre Schultern, zog sie fast stürmisch an sich und preßte seine Lippen auf die ihren.
„Hans — willst du mich erdrücken?" Sie lachte und suchte sich zu befreien, er aber hielt sie fest.
„Inge, mein Lieb — lebe wohl."
„Du nimmst einen Abschied, wie wenn du mindestens über das Meer gingest", scherzte Frau Helmbrecht.
Ein seltsam schrilles Lachen antwortete ihr. „Lebt wohl — adieu."
Noch ein langer Blick auf Inge — ein kurzes Zögern an der Tür, und hinaus war er.
„Hans hat machmal so sonderbare Einfälle", sagte Inge.
„Ja —", gab Frau Helmbrecht zu, „er scheint in der Tat außer- ordentlich nervös zu sein. Gottlob, daß sein Benehmen dir gegenüber nicht darunter zu leiden hat. Er ist eigentlich immer zärtlich und gut zu dir und war es jedenfalls stets, nicht wahr, Kind?"
Inge errötete und sah zu Boden.
„Du hast recht, Mutti — besonders in der ersten Zeit unserer Ehe und-jetzt in der letzten."
„Und in der Zwischenzeit nicht?"
„Ach, die Sorge um das Geld verstimmte ihn da manchmal. Glücklicherweise ist die Zeit überstanden."
„Du meinst also, er hätte alle seine Schulden geregelt? — Da» wäre in der Tat ein Glück. Die Fabrik wäre auch außer Stande gewesen, sie zu schaffen. Es mußte viel Rohmaterial an Eisen und anderen Metallen angeschafft werden."
„Und wann meinst du, daß die neue Maschine Gewinn bringen wird?"
„In einem Jahre gewiß, meint Mr. Williams. Schon jetzt find verschiedene Bestellungen eingelaufen."
„Hat — Mister Williams einen Anteil an dem Gewinn?"
„Natürlich — warum fragst du das, Kind?"
„Weil — nun weil er da den Verlust der Zinsen seines Kapitals leichter wird verschmerzen können."
„Was heißt das? Ich verstehe dich nicht."
Sie wurde ganz blaß.
„Ich meine die Summe, die er Hans lieh und die er .ohne jede Zinsberechnung zurückhaben wollte."
„Welche Summe? Wovon sprichst du, Inge? Mister Williams hat deinem Gatten doch nicht etwa jene Summe geliehen, die —"
„Die der Vater ihm nicht geben konnte — ja, Mutti," fiel Inge ein.
„Aber davon wußten wir ja gar nichts."
„Er wird nicht darüber gesprochen haben, Mutti."
„Und-hat Williams sein Geld zurück?"
„Hans versicherte es mir."
„Dann wird es wohl so sein, und da er jetzt auch nie in Geldverlegenheit ist, im Gegenteil immer einen Ueberfluß davon zu haben scheint, glaube ich es auch."
Inge seufzte leise, und Frau Helmbrecht lenkte das Gespräch schnell auf ein anderes Thema. Sie sprach von dem Gatten, von dem Glück, das sie bei dem Gedanken, er werde sein Augenlicht wieder erlangen, erfüllte. So lebhaft Inge dieses Glück teilte, so vermochte sie sich heute
nicht so recht hineinzuversetzen. Eine seltsame Unruhe und innere Angst
hatte sie befallen. Hans war in letzter Zeit so selten abends fort und wenn doch, wenigstens schon um 11 Uhr wieder zu Hause gewesen. Als die Uhr jetzt Elf schlug und er noch nicht daheim war, beschlossen die beiden Damen, nicht länger auf ihn zu warten.
Inge lag lange wach, ehe sie endlich einschlief. Es war jedoch nur ein banger, von schweren Träumen geängstigter Halbschlaf.
Erst gegen sieben Uhr morgens raffte sie sich gewaltsam aus dem bleiernen Schlaf auf. Ein Blick auf das noch immer unberührte Bett Grunows ließ sie mit einem Satz aufspringen.
Was war geschehen? Hans war nicht zurückgekehrt!-
Mit fliegender Hast kleidete sie sich an und eilte hinaus. Dar
Stubenmädchen, das ihr im Korridor begegnete, hatte nicht gehört, ob der Herr wiedergekommen war, vielleicht wäre er in seinem Büro, meinte es. Als Inge das Büro betrat, räumte der Bürodiener gerade dort auf. Auf Inger Befragen antwortete er erstaunt, daß er den Herrn Rechtsanwalt heute noch nicht gesehen hätte.
Gefoltert von Angst und der Ahnung von etwas Schrecklichem eilt« sie in das Schlafzimmer der Mutter.
Frau Helmbrecht war schon auf und soeben mit dem Anziehen beschäftigt.
„Mein Gott, Inge, was fehlt dir ? Du stehst so bleich und verstört au»."
„Mutter — Hans ist nicht wiedergekommen!"
Sie brach an der Mutter Hals laut aufschluchzend zusammen.
Frau Helmbrecht, die bei dieser Nachricht sichtlich erschrocken war, versuchte ihre Tochter zu trösten. Sie malte allerhand Möglichkeiten au», aber Inge schüttelte nur den Kopf.
(Fortsetzung folgt).