Dienstag

Beilsge z« Ne« 1N6

1V. Dezember 1907.

Der verlorene Sohn.

Roman vonElSbeth Borchart.

(Fortsetzung.)

Wie du dich nur unnötigerweise wieder erregst! Wer ist es, der sie unglücklich macht? Du allein mit diesem liederlichen Leben, deinem leichtfertigen Spiel."

Ein leiser Schmerzensschrei entfuhr Inges Lippen. Drinnen wurde er wohl kaum vernommen, denn die Stimmen sprachen, ohne sich beirren zu lasten, aufgeregt weiter. Inge aber hörte nicht mehr darauf. Sie hielt die Hand auf ihr Herz, das seinen Schlag ausgesetzt zu haben schien, gepreßt und lehnte den Kopf an den Türpfosten. Vor ihren Augen tanzten flimmernde Lichter.

Mit Mühe schleppte sie sich endlich hinaus in ihr Zimmer und brach hier stöhnend zusammen, wie ein totwundes Reh, dem der Gnadenschuß versagt war. Aus dem Wirrwarr ihrer Gedanken stand nur eins klar vor ihrer Seele:Hans ein Spieler!" Nun wußte sie ja, wozu er das viele Geld brauchte: um seine Spielschulden zu decken.

Zu Mittag kam Grunow zu ihr ins Eßzimmer. Er schlang hastig einige Bisten hinunter und sagte, daß er bald fort müsse. Inge hatte nicht die Kraft, ihn zurückzuhalten, geschweige denn eine Frage zu tun.

Erst nach mehreren Tagen faßte sie Mut- Sein verstörtes bleiches Gesicht flößte ihr Besorgnis ein. Sie wußte nicht, wie geisterhaft bleich sie selbst aussah.

Gerade als er nach Tisch das Zimmer verlassen wollte, ging sie ihm nach und legte ihm die Hand auf den Arm.

Hans!"

Jetzt sah er sie zum ersten Male voll an und ihr bleiches Aussehen mußte ihm wohl auffallen.

Was fehlt dir, Inge? Bist du krank?"

Nein, ich bin gesund, aber du, Hans du bist krank."

Unsinn wie kommst du darauf?"

Du siehst angegriffen aus Hans Hans versprich mir, nicht mehr so oft des Abends auszugehen. Du ruinierst deine Gesundheit."

Pah die Gesundheit. Wenn es die nur wäre."

So verlierst du noch mehr? Mein Gott, Hans, so wäre es doch wahr?"

Was soll wahr sein?"

Daß du daß gespielt hast?"

Wer sagt dir das?" Er fuhr wild und drohend auf.

Niemand ich erriet es nur wo sollten denn die Summen sonst bleiben?"

Du bist außerordentlich klug, mein Schatz, und verstehst sehr richtig zu kombinieren. Nun, ja denn, ich Habs gespielt und eine bedeutende Summe verloren."

Hans gib mir das heilige Versprechen: Spiele nicht mehr nie wieder."

Sie hatte seinen Arm angstvoll umklammert und sah ihn flehend an.

Närrchen!" Er zog sie ein wenig an sich.Warum ängstigst du dich unnötig? Die Schuld werden wir schon los werden."

Wovon!"

Ich schrieb an den Amerikaner und"

Nun und ?" drängte sie mit fieberhafter Spannung.

Er schickte mir die verlangte Summe aus seinem Privatvermögen."

Hans du hast das doch nicht angenommen?" Ein wahres Ent­setzten malte sich in ihren Zügen.

Mein Kind, der Ertrinkende greift nach dem Strohhalm; mir blieb nichts anderes übrig."

Schlaff, wie gelähmt hingen die Arme an ihr herunter; sie vermochte keinen Ton hervorzubringen.

Du nimmst die Geschichte in deinem bekannten Zartgefühl wieder zu tragisch", fuhr er nach einer Pause beschwichtigend fort.Die Summe, die er mir geliehen hat, bekommt er sobald wie möglich wieder."

Wovon?" fragte sie wieder tonlos und gebrochen.

Ich werde Mittel und Wege suchen und sei gewiß, ich finde sie. Und nun komm sieh mich wieder freundlich und heiter an. Ich brauche jetzt eine Aufmunterung so nötig. Inge Schatz"

Er nahm sie in seine Arme und streichelte ihr Haar. Da fand sie nach langer Zeit wieder die befreienden Tränen.

Ich will dir so gern helfen, wenn ich nur könnte."

Du Liebes! Und um das andere gräme dich nicht weiter. In kurzer Zeit ist wieder alles in alter Ordnung."

Er sagte das so zuversichtlich, daß sie wirklich ruhiger wurde. Viel­leicht hatte sie doch zu schwarz gesehen. Hans war gewiß kein notorischer Spieler, sondern hatte sich nur einigemale verleiten lasten und dabei Pech gehabt. Nun würde vielleicht noch alles gut werden, und wenn er ihr auch nicht das Versprechen gegeben hatte, nicht mehr zu spielen, so glaubte sie doch, daß er es selbst lasten würde.

Es wird noch alles wieder gut." Diese frohe sanguinische Hoffnung, mit der sie den Vater so oft getröstet hatte, nahm wieder von ihrem Gemüt Besitz. Sie war ja auch noch noch so jung, warum sollte sie verzagen?

Nur eins drückte sie: daß Mr. Williams ihrem Gatten aus seinem Privatbesitz die Summe vorgestreckt und daß Hans sie angenommen hatte. Dar war eine Demütigung, an der sie schwer zu tragen hatte. Sie wußte von dem Vater, daß Williams nicht reich war, daß er aller, was er be­saß, durch harte, jahrelange Arbeit erspart hatte. Und dieses Ersparte ging darauf, um eines anderen, Fremden Schuld zu decken. Wie kam er dazu was trieb ihn? Die Freundschaft und Anteilnahme für ihren Vater für sie sie allein? War Bruderliebe einer solchen Opfers fähig?

Sie wollte seiner Großmut nichts verdanken nichts und doch sah sie sich verurteilt, sie hinzunehmen.

Wenn es nur in ihrer Macht gelegen hätte, ihm die Summe zurück­zugeben! Sie wollte auf den Gatten einzuwirken suchen, daß die Tilgung dieser Schuld sein erstes sei. Er hatte gesagt, daß in kurzer Zeit alles in Ordnung sein werde. Vielleicht hatte er einen Prozeß in Aussicht, der ihm eine bedeutende Summe versprach. Dieser Gedanke hatte etwas außer­ordentlich Beruhigendes für sie und die Folge der Zeit bewies, daß diese Annahme sich bewahrheitete und daß der Gatte ihr nicht zu viel versprochen hatte. Frau Sorge schien ihren Abzug gehalten zu haben.

Grunows Laune besserte sich mit jedem Tage. Er wurde heiter und gesprächig und so zuvorkommend und zärtlich zu Inge, wie in der ersten Zeit seiner Ehe.Ec habe einen Prozeß gewonnen, der ihm eine glänzende Einnahme gebracht hätte," sagte er zu ihr,er brauche sich keine Sorgen mehr zu machen."

Da faßte Inge eines Tages den Mut, ihn zu fragen, ob er das Geld an Mr. Williams bald zurückzahlen könne. Die Sache wäre erledigt und sie sollte ihn nicht mehr daran erinnern, gab er ihr zur Antwort, und eine UnmutSwolke stand auf seiner Stirn. Sie gab sich damit zufrieden und hütete sich, je wieder die Laune ihres Mannes durch die Erinnerung daran zu trüben.

So vergingen die Wintermonate, das Weihnachtsfest. Es schien alles wieder im alten Geleise zu fahren. Grunow ging viel seltener als früher aus und führte sein junges Weib dafür manchmal in die Oper oder in ein anderes Theater. Auch mit Amtsrichter Volkmanns wurde ein lebhafter Verkehr aufrecht erhalten.

Von Geldsorgen und Geldmangel war nie wieder die Rede und Frau Helmbrecht sprach sich in ihren Briefen an die Tochter sehr «merken- nend aus, daß Grunow in der letzteren Zeit nicht ein einzigesmal um Geld gebeten hatte.

Inge lebte neu auf. Das Gespenst, das sich in den Hinterhalt ge­legt und sie bedroht hatte, zog sich in sein schelmenhaftes Reich zurück und Ruhe und stille Sicherheit kehrten dafür in ihr Herz ein.

Zudem war es Februar und die leuchtende Sonne weckte allerhand Frühlingsahnungen und Frühlingshoffen in ihrer Brust.

Ihr sehnlichster Wunsch und sehnlichstes Hoffen sollte fich ja im Spät­sommer erfüllen: Mutterglück.

So schaltete sie im Hause wie ein frohes Kind, singend und lachend. Noch ein weiterer Umstand trug dazu bei, sie frei aufatmen zu lassen, so wenig sie es fich auch eingestehen mochte. Tante Beate war nach Hamburg gereist, wie sie sagte, zu einer kranken Freundin, und wollte mehrere Monate dort bleiben. Wie wenig Sympathie sie der Tante ihres Gatten entgegengebracht hatte, sah sie jetzt erst, nun sie fort war; denn sie em­pfand dieses Fernsein wie eine Erlösung von drückendem Zwang. Auch auf Grunow übte es eine belebende Wirkung aus.

Von daheim hatte Inge gute Nachrichten. Der Vater befand sich zwar in einer erklärlichen Erregung, in einem Schwanken zwischen Hoffen und zweifeln. Der Star war so weit, daß schon im April die Operation vorgenommen werden konnte.

Also hatte sie die Mutter schon in kurzer Zeit bei fich. Welche herrliche Aussicht! Die Mutter hatte es ihr im letzten Briefe mitgeteilt, daß sie in etwa sechs Wochen die Reifs nach Berlin antreten würden. Auch noch eine andere für sie sehr interessante Neuigkeit hatte sie beigefügt:

Der Urlaub Mr. Williams, den sein Prinzipal, die berühmte New- Imker Firma, ihm bewilligt hatte, lief im Juni ab, die drei Jahre warm um. Eine Bitte um Verlängerung war abschlägig beschieden worden; man wollte dis tüchtige Kraft eben nicht länger misten.

Das war ein Schreckschuß für deinen Vater," schrieb Frau Helm­brecht.Er riet mit Williams hin und her nach einem Ausweg, und Williams fand ihn denn schließlich. Er beschloß, nach Amerika zurückzu­gehen und seine Angelegenheit dort mündlich in Ordnung zu bringen, und sollte man auf die Gewährung eines längeren Urlaubs nicht eingehen, so wolle er seine Beziehungen zu der Neuyorker Firma überhaupt lösen und für die nächsten Jahre in Deutschland bleiben. Da die Sache aber nun Eile hat, will Mr. Williams schon Ende März kurz vor unserer Ueber- siedlung nach Berlin, abretsen. Für eine Vertretung hat er gesorgt, und dein Vater kann seiner Operation mit Ruhe entgegensetzen." (Forts, folgt.)