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Pfarrer Kämpf von Finthen wurde nach dem Mainzer Journal vorgestern in der Kirche ein Attentatrversuch verübt. Der dem Trünke er» gebene Jakob Schottler drang Nachmittags in die Kirche ein. Mit einem feststehenden Dolchmesier stieß er blindlings durch den am Beichstuhl des Pfarrers befindlichen Vorhang, der ganz zerfetzt wurde. Der Pfarrer blieb völlig unversehrt. Ein der Kirche anwesender Kaplan suchte den wütenden Menschen abzuwehren. Durch herbei­gerufene Polizei wurde er schließlich überwältigt und abgeführt.

Frankfurt a. M. (Raubmord.) Sonn, tag nacht wurde in der sogenannten Schnacken, mühle bei Ober-Ramstadt (Darmstadt) ein Raub, mord verübt. Während der Müller Neuroth verreist war, drang ein Unbekannter in die Wohnung ein und überfiel die Müllerin mit ihren beiden Töchtern. Ein Kind wurde durch Beilhiebe sofort getötet, während eine 13jährige Tochter und die Mutter durch Beilhiebe derart verletzt wurden, daß an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. Der Täter scheint ein Knecht zu sein, der durch ein Frankfurter Vermittelungsbureau dorthin ver. dingt worden ist.

Frankfurt a. M. 17. Sept. Der Raubmörder von Ober-Ramstadt, Tagelöhner Martin, wurde heute früh in Bockenheim ver­haftet. Er nannte sich Mohr und will von der Tat selbst nichts wissen. In seinem Besitz be. fanden sich noch über 150 ^ Bargeld. Nach seiner Eirlieferung in das Polizeigefängnis wurde er sofort einem Verhör unterzogen.

Frankfurt a. M. 17. Sept. Zu der Verhaftung des Raubmörders Martin ist noch zu berichten: Während seiner Abführung meinte er cynisch: Na, den Kopf können Sie mir doch nicht runter machen, denn ich bin zweimal in der Irrenanstalt gewesen. Tatsächlich sollen sich auch schon viele Mitglieder seiner Familie längere Zeit im Jrrenhause befunden haben, sodaß anzunehmen ist, daß Martin erblich belastet ist. Aus dem Geständnis, das Martin vor dem Poli- zei-Kommiffär ablegte, ist hervorzuheben, daß er vor der Tat eine ganze Flasche Schnaps ausge- trunken hatte. Hierauf sei er in das Zimmer der Frau Neuroth gegangen, habe ohne Weiteres auf sie mit der stumpfen Seite des Beils einge­schlagen und wie er geglaubt habe, ste sei tot, sei er über die Kinder hergefallen und habe so lange auf sie losgeschlagen, bis er annahm, daß auch diese tot seien. Er sei in einer solchen Wut gewesen, daß es ihm ganz egal gewesen wäre, wenn er 50 Personen getötet hätte. Tann habe er das Geld aus der Kommode genommen und sei seiner Wege gegangen. Heute Nacht hat Martin in Frankfurt übernachtet, morgen wird er nach Darmstadt transportiert. Inzwischen ist auch die 13 jährige Tochter Maria des Müllers Neuroth ihren Verletzungen erlegen. In dem Befinden der schwer verletzten Frau des Müllers ist keine Besserung eingetreten.

Köln 17. Sept. In dem BeleidigungS- Prozeß des Oberlandesgerichtsrats a. D. Roeren in Köln gegen den Bezirksamtmann a. D. Geo Schmidt in Berlin, der heute vor dem hiesigen Schöffengericht seinen Anfang nahm, ist gegen Schmidt Anklage erhoben wegen eines im Dez. 1906 in derNational-Ztg." und derTägl. Rundschau" unter der Überschrift:Offener Brief an den Oberlandesgerichtsrat Roeren" ver- össentlichten beleidigenden Artikel. Der Angeklagte hat gegen den Privatkläger Widerklage er- hoben auf Grund einer von diesem gehaltenen Rede. Wegen der Broschüre:Schmidt contra Roeren" ist nicht Anklage erhoben worden. Der Angeklagte bestreitet die beleidigende Absicht; er sei zur Veröffentlichung der Artikel gezwungen gewesen, weil Roeren im Reichstag so schwere Beschuldigungen gegen ihn erhoben und trotz Auf­forderung durch seinen (Schmidt») Rechtsanwalt einen öffentlichen Widerruf unter den verschie­densten Ausflüchten verweigert habe. Er, der Angeklagte, habe um seine Existenz und seine Ehre gekämpft und freiwillig seinen Abschied aus dem Staatsdienst genommen. Darauf gelangen diei-Reichrtagsreden des Privatklägers und dann die de» Staatssekretärs Dernburg zur Verlesung.

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Berlin 17. Sept. Der um 9.34 vom schlesischen Bahnhof abgehende Berlin-Kölner Schnellzug hatte kurz hinter Hannover einen eigentümlichen Unfall. Die Reisenden wurden durch einen plötzlichen Ruck durcheinander ge- warfen. Als der Zug hielt, stellte sich heraus, daß man die Hälfte des Zuges verloren hatte: die Harmonikaverbindung war zerrissen.

Berlin 17. Sept. Dr. Karl Peter« sendet denHamburger Nachrichten" eine Mit-, teilung zu der jetzt beginnenden Periode des Peterrprozesses, in der er unter anderem sagt:Ich verlange jetzt öffentliche Aufdeckung sämtlicher Akten und Dokumente, die auf meine kurze Amts­tätigkeit in Deutsch-Ostafrika Bezug haben. Die Insinuationen, bei den Geheimakten läge dies oder das gegen mich vor, halte ich als das Aller­infamste im ganzen Vorgehen gegen mich."

Berlin 17. Sept. DieNorddeutsche Allgemeine Zeitung" bezeichnet heute die durch die Presse gegangenen Geschichten für erfunden, wonach der Kaiser dem König von Siam Dackeln geschenkt habe und der Kronprinz große Streich­hölzer für ihn habe anfertigen lassen.

Paris 16. Sept. General Drude er­hielt vorgestern in seinem Lagerzelt den Besuch des von mehreren städtischen Würdenträgern be­gleiteten Civil-Gouverneurs von Casablanca. Das Gespräch hielt sich im Rahmen allgemeiner Höf­lichkeit. Der Gouverneur versprach, wiederzu­kommen, um in Gegenwart des Generals mit dem erwarteten Bevollmächtigten des Stammes der Chaujas und Dukkalas zu sprechen.

Paris 17. Sept. Die Bedingungen, welche Frankreich den Stämmen um Casablanca gestellt hat, lauten: voll­ständige Unterwerfung und Zahlung einer Entschädigung, deren Höhe zwischen Frankreich und der marok­kanischen Regierung festgestellt wird. Die französische Regierung will in dieser Ange­legenheit im Sinne der Akte von Algcciras handeln.

Warschau 17. Sept. Nach zweitägiger Verhandlung verurteilte das Kriegsgericht von 24 Personen, die wegen Bildung eines Kampf- Komitcs der polnischen Sozialistenpartei in dem Fabrikorte Starachowics, Gouvernement Radow angeklagt waren, 9 Arbeiter zum Tode durch den Strang, 2 zu achtjähriger Zwangsarbeit. 13 Angeklagte, darunter ein sehr bekannter Arzt und 2 Frauen wurden freigesprochen. Das Kriegsgericht sandte an den Generalgouverneur ein Gesuch um Milderung des Urteils.

Petersburg 16. Sept. Es bleibt un­verständlich, wie die russische Kaiseryacht Standart" in die gefährlichen Gewässer von Hangoe geführt worden ist. Das Fahrwasser ist derart gefahrvoll, daß Handelsschiffe dort nicht verkehren dürfen. Wie verlautet, soll es der Wunsch des Zaren gewesen sein, jene Gegend aufzusuchen. Der Lootse, ein 70jähriger Mann, hat schon mehr als 20 mal die kaiserliche D^cht durch die Schären gelöstst. Ihn soll keine Schuld treffen. Der Direktor der Revaler Bergungs- Gesellschaft, der die Bergung übertragen wurde, ist in Hangoe eingetroffen. Er hofft, die Standart flott machen zu können. Das Wasser in der Dacht ist bereits über Keffelhöhe gestiegen. 10 Pumpen arbeiten ununterbrochen im Maschinenraum. Die Mitte des Schiffes ist durchschlagen und ein Bruch desselben nicht ausgeschloffen.

London 16. Sept. Zu der Eisen, bahn-Katastrophe bei Canaan wird noch gemeldet: Ueber 50 Paffagiere des Eilzuges wurden sofort getötet und viele furchtbar verletzt. Der erste Wagen, in dem 90 Paffagiere saßen, wurde vom Gepäckwagen vollständig zerdrückt. Ueberlebende berichten, daß sie den Gepäckwagen deutlich sich durch den Personenwagen zwängen und die darin sitzenden hilflosen Opfer gräßlich zermalmen sahen. Die Lokomotiven und Wagen stürzten um und ihr Feuer erleuchtete im Morgen­grauen die entsetzlichen Szenen. Das Geschrei der Verletzten war herzzerreißend. 16 Personen wurden furchtbar verstümmelt, aber noch lebend aus dem ersten Wagen gezogen. Drei waren bei dem Zusammenstoß herausgeschleudert worden.

Sie sind die einzigen Jnsaßen des Wagens, die lebend entkamen. Es heißt, die Katastrophe sei dadurch veranlaßt worden, daß der Güterzug der Vorschrift zuwider auf falsche Geleise Canaan durch besondere Eile zu erreichen suchte, ehe der Eilzug kam.

Casablanca 17. Sept. Die Kabylen- stämme sind immer noch von dem Wunsche beseelt, die Franzosen aus der Stadt zu vertreiben und wollen von einem Friedensvorschlag, welchen verschiedene Stämme gemacht haben, nichts wissen. Man glaubt sogar, daß es zwischen den friedfertigen und den kriegerischen Stämmen zu einem Konflikt kommen wird. Muley Hafid beabsichtigt, nach Rabat zu reisen, wohin Abdul Asis bereits abge­gangen ist.

Vermischtes.

Ein italienischer Offizier über deutsche Paraden. Eine italienischer Offizier schildert in der ZeitungPenfiero Militärs" unter der UeberschriftSedan" die Eindrücke, die die an diesem vaterländischen Gedenktage auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin abgehaltene Kaiserparade auf ihn gemacht hat. Nach der Kreuzzeitung" heißt es in dem Bericht unter anderem:Ueberall blitzt es in der Luft von Bewaffneten. Alles scheint wie in einer phanta­stischen Vision wild durcheinander zu laufen. Ein menschlicher Ameisenhaufen, der gar kein Ende, gar keine Grenzen hat! Auf ein allen sofort sichtbares Zeichen ordnen sich in überraschend kurzer Zeit die Massen, das ganze Armeekorps steht in den vorbezeichneten zwei Linien da, ohne daß unser Beobachter ein Hornfignal oder ein Kommandowort vernommen, ohne daß er die Offiziere gleich Signaltürmen mit den Armen wedeln sah, ohne daß er das Vorwärts und Zurück beobachtet hätte, Dinge, wie man sie anderswo zu sehen gewohnt sei. Wie ist das möglich? Nun, jeder weiß eben ganz genau, wohin er zu gehen hat, jeder, vom General bis zum letzten soläatino (Soldätchen) oder bester soläatouc (Riesensoldat), kennt seinen Platz. Um 8^/« Uhr erscheint der Kaiser... die Truppen präsentieren die Ge­wehre, aus den Hörnern erklingen schneidende, von Kriegslust erbebende Noten, den Kehlen der Soldateska entringt sich ein wuchtiges Hurra! gleich einem grollenden Donner, während der Lux maximus (höchste Führer) stolz und voll Würde, hoheitsvoll mit dem Zepter grüßend, an den Truppen, von immer neuen Hurras begrüßt, vorüberreitet. Dann folgt die Parade, der auch die Schulen als Zuschauer beiwohnen. Drei Stunden hindurch verharrt der Kaiser, eingehendes Reiter­standbild, unbeweglich auf einer einzigen Stelle. Ich spreche es mit lauter Stimme aus, daß ich in meinem Leben niemals etwas ent­fernt Aehnliches gesehen habe, und ich wünschte nur, vaß es möglichst vielen meiner Kameraden beschicken sein möchte, einmal dieses unbeschreibliche Schauspiel zu bewun­dern. Die gewaltige Zahl der Bewaffneten, die Ordnung und Disziplin, die Präzision und Haltung, die Genauigkeit der Be, wegungen, die scheinbar den deutschen Sol­daten jede Individualität verlieren läßt, um ihn im gewollten Augenblick in eine des geringsten Winkes des Vorgesetzten, sei dieser auch nur ein Korporal, gewärtige Maschine zu verwandeln. Ich bin gewiß der letzte, der eine Truppe nach der Art beurteilt, wie sie am General vorbeimarschiert, allein eine Parade lehrt unzweifelhaft viel dem, der nicht oberflächlich urteilt und der die vielen Rätsel und Schwierigkeiten kennt. Und ich muß gestehen: alles war vollendet, «irgend­ein Mißklang, nirgends ein Fehler. Und der berühmte Paradeschritt, indi­viduell genommen vielleicht töricht, wirkt, von einer Kompanie oder einem ganzen Regiment ausgeführt, nicht nur martialisch, son­dern majestätisch."

Wahres Geschichtchen. Die Ehre des Polizeidieners von Lheim ist schwer verletzt, man hat ihm nachgesagt, er lasse beim Feierabend­bieten nicht die gleiche Gerechtigkeit walten gegen­über allen Wirtshäusern. Der schnöde Verleumder kommt vors Schöffengericht. Der Zeuge Huber,