Samstag
20. April 1907.
Beilage z« Nr. «S.
Vas Zischemädchen von der Bretagne
Bon B. W. Howard.
(Fortsetzung.)
„Komisch, wie ungeschickt sich diese Mädchen bewegen," bemerkte Hamor; beinahe wie die Kühe, findet Ihr nicht?"
„Sollten nicht ihre Röcke schuld daran sein?" meinte Staunton; „sie tragen eine schauderhafte Masse Falten auf den Hüften, da iffs ja unmöglich, zierlich zu gehen, wer wäre das im Stande?"
„Guenn Rodellec," erwiderte Hamor mit Nachdruck.
„Ja, sie ist ein zierliches kleines Geschöpf," stimmte Staunton bei.
„Sie ist mehr als das, sie ist das einzige wirklich anmutige Weib, das mir je vorgekommen ist," rief Hamor voll Begeisterung.
„Weibl rief Douglas lachend, „nenne sie wie Du willst, nur nicht ein Weib"; sie ist ein Kind, eine wilde Hummel, ein Gassenbube. Sie kann klettern, rennen, springen, ste berührt kaum den Boden."
„Sie ist doch ein wundervolles Weib," beharrte Hamor, „wartet's nur erst ab."
„Bildest Du dir immer noch ein, sie zum Modell zu bekommen?" erkundigte sich Staunton.
„O, daran habe ich noch keinen Augenblick gezweifelt. Wenn ich sie habe, leihe ich sie Dir gelegentlich."
„Sehr verbunden, ungeheuer großmütig von Dir," versetzte Staunton pöttisch.
Meurice kam heran, begleitet von zwei fremden Herren, welche die Künstler schon öfters in den Straßen von Plouvenec gesehen hatten, der eine war ein junger elsäßischer Gelehrter, der im Plouvenecer Aquarium arbeitete, der andere war Professor der Naturgeschichte an einer höheren Lehranstalt des südlichen Frankreichs. Allzuviel Gelehrsamkeit hatte den einen zum kleinmütigen Zweifler, den andern zum sarkastischen Spötter gemacht. Trotzdem ließ sich erwarten, daß sie für einen Tag gute Gesellschafter abgeben würden. Sie hatten gleichfalls die Absicht gehabt, nach den lEiiwus hinüber zu segeln, waren aber von ihrem Schiffer im Stich gelassen worden. Man wies sie mit ihrem Begehren an Meurice, der jetzt herbeieilte, um Hamors Zustimmung einzuholen.
Hamor bezeugte herzliche Freude über diesen Zuwachs zu ihrer Gesellschaft und übernahm aufs liebenswürdigste die Honneurs. „Nur," meinte er lachend, „dürfen wir jetzt den Patron nicht mehr fortlassen, er bringt sonst jedesmal neue Leute mit. Wir sind vollzählig und können in See stechen. Mein Platz ist am Steuer, wenn's Euch recht ist, Meurice!"
Der Wind blähte die Segel auf, der Anker wurde gelichtet und pfeilschnell schoß das kleine Boot dahin, sich kühn einen Weg durch die lange Mastenreihe bahnend; bald war man am Quai hinunter, am Leuchtturm vorüber, in der offenen Bucht angelangt und lustig glitt das muntere Fahrzeug über die weißen Wogenkämme. Die Gesichter der jungen Leute strahlten vor innerer Befriedigung. Es erging ihnen wie jedem Liebhaber von Wasserfahrten: sobald die Segel vom Winde geschwellt werden, fühlt sich das Gemüt erleichtert und Sorgen und Kümmernisse versinken in dem ungeheuren Wogengrab.
Die Matrosen scherzten und lachten mit den jungen Mädchen, der Schiffsjunge verschlang verstohlen in seinen freien Momenten ein Stück des mitgenommenen Backwerks nach dem andern. Die Fremden lagerten sich so bequem als möglich auf den umherliegenden Tauen und Netzen und plauderten oder schwiegen still, wie es der Augenblick gab. Hamor machte sich daran, erst den gefräßigen Schiffsjungen und dann die kleine Helene in sein Skizzenbuch aufzunehmen. Helene war ein sehr gesuchtes kleines Modell, der Liebling aller Maler in Plouvenec. Ihr rundes Gesichtchen unter dem weißen Kopfputz, ihre hellblauen, unschuldigen Kinderaugen und ihr süßer kleiner Mund waren den Pariser Bilderhändlern gar wohl bekannt. Die kleine Helene verstand ihre Sache gut; auch jetzt erhob sie auf Hamors ermunternden Blick sofort ihr Köpfchen und nahm die Stellung an, die er ihr pantomimisch bezeichnete. Sie hatte Monsieur Hamor sehr gern, wie alle Kinder im Dorfe; auch die älteren Mädchen schauten mit neugieriger Teilnahme auf sein Tun und Treiben; er schien sie im höchsten Maße zu interessieren, wie ihr eifriges Flüstern bezeugte und die verstohlenen Blicke, die sie mit miteinander wechselten. Schließlich mußte er selbst bemerken, daß er der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit sei; fragend schaute er auf.
Douglas, der den Mädchen zunächst gesessen hatte, erläuterte ihm, um was es sich handelte :
„Die Mädchen glauben eine sonderbare Aehnlichkeit bei Dir entdeckt zu haben."
„Ja, Monsieur hat dasselbe Gesicht," begann Nona schüchtern und doch voll Eifer, „wie das auf dem großen Bild in der Kirche, wo alle Kinder um unfern Heiland versammelt find und er die Kleinen in seine Arme nimmt. —"
Hamor errötete unwillig, warf sein Skizzenbuch beiseite, stand auf und kehrte der Versammlung der Rücken zu.
Staunton, der die Ursache seines Verdrusses verstand, sagte mit ungewöhnlicher Herzlichkeit: „Laß gut sein, Hamor, wir wissen schon, daß Du an diesem Vergleich nicht Gefallen findest. —"
„Das weiß der liebe Himmel! Man sollte mich wirklich damit verschonen, ich bekomme es nur allzuoft zu hören." —
„Monsieur Hamor!" erscholl hier Meurices kräftige Stimme, „sehen Sie nicht dort die Inseln? Backbord mit dem Steuer, wenn ich bitten darf?"
„Om Patron!" erwiderte Hamor mit wiedergewonnenem Frohsinn. Dann fuhren sie an mehreren jäh vorspringenden Felsgruppen vorüber, den Vorposten der kmnnions, die drohend aus den Wogen emporragten.
„Das find böse Gäste, wenn sie einem unverhofft begegnen," erklärte Meurice; die haben schon in manch wackeres Boot einen Leck gebohrt, und viel dazu beigetragen, den Friedhof auf dem Iioeü zu füllen."
Nun kam der Leuchtturm von Penfret in Sicht, das Fort auf der Cigogne, die Fischerhütten von St. Nicholas und die kunstlose Kapelle des I-oeü. Es waren keine mächtigen Formen, keine malerischen Bilder, die das Auge fesselten. Die Eigenart der Imimions bestand in öden weiten Sandstrichen und ärmlichem Graswuchs, die, obgleich einförmig mit einander abwechselnd, dem Auge doch die wunderbarste Farbenpracht zu offenbaren vermochten. Aus Purpur, Gold und leuchtendem Grün schien dort die ganze Atmosphäre zusammengesetzt, ein hehrer Glanz, eine Majestät der Schönheit lag über diesen stillen Eilanden ausgebreitet, wie ste das Auge nie geschaut. Die gänzliche Abgeschlossenheit von der Welt verlieh den Inseln etwas Unberührtes, Unentweihtes, man fühlte sich auf unbeflecktem, jungfräulichem Boden. Die kühle frische Seeluft schien dort alles Böse, Verderbte hinwegzuwehen; gehörten doch auch die Imuuicms nicht zum Festland, sondern in das unbeschränkte Reich des großen allmächtigen Ozeans. Kein Wunder, wenn die See hier eifersüchtig über ihr Eigentum wachte! Welches Recht hat die armselige, menschliche Kreatur gegenüber der Gewalt der Elemente?
Das Boot ging am I^oeli vor Anker, freilich etwas weit draußen, denn die Ebbe war soeben eingetreten. Ueber die schlüpfrigen, mit Seetang bedeckten Felsblöcke mußten sich die jungen Leute ihren Weg bahnen. „Nun, sehen Sie, wie einförmig die Inseln sind, habe ich Ihnen nicht recht berichtet, flach, öde, so ist das Ganze," bemerkte Meurice in seiner phlegmatischen Weise.
„Ja, ja, es mag einförmig genug sein," gab Hamor zerstreut zur Antwort aber dabei strahlte sein ganzes Gesicht und seine Augen leuchteten vor innerster Befriedigung, entdeckten sie doch mit künstlerischem Scharfblick ringsumher Farbeneffekte, die ihm zu einer Quelle der reinsten Freude werden mußten. Da hörte er hinter sich einen leisen Aufschrei; sich umschauend, sah er, daß die kleine Helene, die sich vergeblich bemüht hatte, mit ihren Füßchen die beschwerlichen Sprünge der andern nachzumachen, ausgeglitten und gefallen war. Jnz nächsten Augenblick schon war er bei ihr, nahm die zitternde Kleine in seine Arme und trug sie sicher ans trockene Land. Meurice schaute ihm von seinem Boot aus wohlgefällig nach: „Der Bursche hat doch Herz," murmelte er, „die andern waren näher bei dem Kinde."
Der steile Weg führte an des Pfarrers einzigem Stückchen Gartenland vorbei, in dem ein paar Suppenkräuter und kümmerliche Salatköpfe ein elendes Dasein fristeten. Hamor eilte leichtfüßig mit dem Professor um die kleine Kapelle herum, blieb aber auf der andern Seite, sprachlos vor Erstaunen, stehen.
9. Kapitel.
Thymert stand an der Tür seiner Kapelle, die hohe Gestalt stolz aufgerichtet, das dunkle Haupt entblößt. Er erhob soeben ein altes Ge- wehr, es ohne Ziel über die Wogen richtend. Ein Blitz, ein Knall, er senkte die Waffe und erblickte erst jetzt die Fremden. Mit warmem Lächeln trat er heran, sie zu begrüßen.
„Ist das ein Kriegssignal, Herr Pfarrer?" fragte Hamor, die dar- gsbotene Hand des Geistlichen herzlich schüttelnd. „Wir sind nur Pilgrime, keine Seeräuber."
„Sie sind mir hochwillkommene Gäste," erwiderte Thymert mit der Huld eines Fürsten. „Ich rief soeben meine Pfarrkinder zur Messe, erläuterte er dann einfach, „unsere Kapelle hat keine Glocke. Manchmal kommen sie unpünktlich, ich muß nochmals feuern."
Mit ernster Miene lud er und feuerte ab, dann stand er still beobachtend am Ufer, bis er einige Boote von den entfernteren Inseln abstoßen sah. „Da sind sie, bald werden sie landen," rief er zufrieden. Dann mit seinem strahlenden Lächeln zu den Fremden gewandt: „Die Herren sind wohl so freundlich der Messe beizuwohnen und dann bei mir zu frühstücken?" Es klang mehr wie die Verkündigung seines Herrscherwillens, als wie eine Einladung. „Es wird mir eine große Freude sein. Aber verzeihen Sie, Sie haben mein Haus noch gar nicht gesehen." Damit schritt er ihnen voran und öffnete zwei Türen an den Seiten des kleinen viereckigen Vorplatzes. (Forts, folgt.)