Donnerstag
Bettage zu Nr. 61
18. April 1907.
Var Mschemädchen von der Bretagne.
Von B W Howard.
(Fortsetzung.)
Hamors Freunde hatten wahrlich Ursache, seine allzugroße Leutseligkeit zu verwünschen.
Auch heute Morgen war er noch einmal vom Strande nach seinem Atelier zurückgelaufen, um sein Skizzenbuch zu holen. Das Weiblein hatte sofort den Fensterplatz verlassen und erwartete ihn, wie schon oft, unter dem großen Torweg. Er war nicht der Mann dazu, einer allezeit zuspruchsbedürftigen kleinen Frau den Morgenschwatz zu versagen. Bereitwillig hörte er ihre historischen und genealogischen Berichte über Quimper und andere Städte an, und während er ab und zu ein verständnisvolles Wort einschaltete, beobachte er mit künstlerischer Befriedigung das plötzliche Aufleuchten der Jugend in ihren schon halb verwelkten Zügen.
Unterdessen marschierten Douglas und Staunton den Quai auf und ab, dann vom Quai nach dem Dorfplatz und zurück, die Hände in den Taschen, den Kragen bis über die Ohren gezogen und die Joppen fest über der Brust zugeknöpft. Der Oktobermorgen dieses milden Landstrichs schien solche Vorkehrungen gegen die Kälte freilich nicht zu rechtfertigen; aber wenn man seinen Freunden Opfer bringt, will man es ihnen doch auch zu verstehen geben!
Die jungen Leute verhielten sich außerordentlich schweigsam, erst nachdem sie wohl zwanztgmal auf- und abgeschritten waren, ermannte sich Staunton zu einem: „Nun, wie findest Du das?" worauf Douglas mit bedeutungsvollem Achselzucken antwortete. Nach dem dreißigsten Rundgang machte Staunton den Vorschlag, sich wenigstens nach einem passenden Boote umzutun. Da tauchten auch schon ein paar mächtig breite Schultern vor ihnen im Morgennebel auf. Der Mann kam auf ihren Zuruf näher; er war kein Jüngling mehr, hatte aber auffallend frische Farben und ein paar durchdringende blaue Augen. Es war Hervö Rodellec, der, heut vollkommen nüchtern, es jedem seinem Gefährten gleichtun konnte und nun sein Boot den Fremden zur Verfügung stellte.
„Es sieht nicht schlecht aus," bemerkte Staunton, „wir wollen nach seinen Bedingungen fragen und mit ihm abschließen."
In diesem Augenblick erschien Hamor auf dem Schauplatz, fröhlich, mit leichten Schritten trat er auf die Gruppe zu. „Da seid Ihr ja, ich komme etwas spät, nicht wahr? aber ich wurde aufgehalten. Was in aller Welt habt ihr denn mit dem alten Raufbold zu tun?" ein gutmütiges Nicken für Rodellec begleitete diese Worte. „Meurice," rief er dann mit schallender Stimme; „Ihr da auf der Mauer, seht doch mal nach, wo Monsieur Meurice steckt!"
Es war erstaunlich, was für Leben und Bewegung Hamor in den stillen Morgen brachte! Die Fischerknaben eilten davon, seinen Auftrag auszuführen, bekannte Seeleute traten aus dem Nebel herzu, und wo er mit seinem offenen Gesicht und dem herzlichen Morgengruß stand, schien es warm und sonnig zu werden, schien die Welt aus ihrem Morgenschlaf zu erwachen.
Hamor bewunderte die Seeleute von Plouvenec und hatte eine sehr glückliche Art und Weise mit ihnen zu verkehren. Er liebte es am Strand herumzuschlendern, und ließ sich gern mit ihnen in sachverständige Gespräche über Küstenleben und Fischerei ein. Nach und nach hatten sie ihre anfängliche Scheu vor ihm verloren; wer so viel vom Fischerleben verstand, war doch entschieden anders zu beurteilen, als gewöhnliche Landratten. Auch behielt er jeden Namen, jedes Gesicht — eine Gabe der Götter, die im Fischerdorf ebenso zu statten kommt, wie am Königshofe. Zudem hatte er sich bei mehreren kleinen Unglücksfällen als Helfer in der Not erwiesen, was ihm die Herzen von Jung und Alt gewann.
Hamor hatte eine ausgesprochene Vorliebe für den Superlativ, und und zwar pflegte er ihn stets auf dasjenige anzuwenden, was ihn zuletzt in Entzücken versetzt hatte. Das letzte hübsche Mädchen, das er gesehen, galt ihm für die nächsten paar Tage als das schönste Geschöpf unter der Sonne. Das letzte interessante Buch war unstreitig das beste Werk, das er jemals gelesen. Auch über die Seeleute von Plouvenec sprach er sich seinen Freunden gegenüber stets im Tone der größten Anerkennung aus. So stand denn Hamor auch jetzt inmitten seiner Bewunderer und hatte es wenig acht, daß Rodellec mit mürrischer Miene beobachtete, wie der langsam herankommende Meurice von Hamor mit sichtlicher Freude begrüßt wurde.
„Es wird ein schöner Tag werden für unsere Fahrt, Monsieur. Der Nebel steigt und das Boot liegt bereit, wenn Sie also fertig find? . . ."
Als Meurice noch so sprach, kam Rodellec an ihn heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Was kümmert's mich," war Meurices kurz angebundene, von einem Achselzucken begleitete Antwort. Rodellec fuhr fort, mit zorniger Miene allerhand in den Bart hinein zu murmeln. „Vorwärts, vorwärts," trieb Hamor zum Aufbruch: ..Laßt uns keine Zeit verliere«!, patron. sans ranerms RoätzUsa!"
„Es ist schon das zweite Mal, daß Sie meinen Weg durchkreuzen und mir zuwider sind," knurrte Hervö mit verbissener Wut, „es wäre
klüger, Sie ließen mich in Frieden. Nehmen Sie sich in acht, Herr I Sie täten besser —"
„Aber wer wird denn um eine solche Kleinigkeit gleich solchen Lärm schlagen? Seid doch still, Rodellec, ein andermal nehmen wir Euer Boot."
Rodellec zog die Mütze über das linke Ohr und ging verdrießlich beiseite. Das Gelächter seiner Kameraden, das ihm nachschallte, bewies ihm daß er den kürzeren gezogen habe und Hamor ihm auch diesmal überlegen sei. „Lache nur, du alberner, junger Geck! Die Reihe wird schon noch an mich kommen," brummte er ingrimmig im Abgehen und warf einen haßerfüllten Blick auf den jungen Maler, der soeben mit freigebiger Hand Cigaretten unter die jubelnden Schiffsjungen verteilte.
Als die jungen Leute Meurice zum Boot hinab folgten, rief Hamor voll Begeisterung: „Was für ein prächtiger Bursche dieser Rodellec ist! ich liebe seine zornigen Augen, sein Patriarchenhaupt und seine wüste Laune. Auf Ehre, die kleine Guenn steht ihm ähnlich und scheint auch einen guten Teil der väterlichen Gemütsart geerbt zu haben. Der Mann muß mir einmal sitzen!"
„Dir fitzen!" rief Douglas mit ungeheucheltem Erstaunen. „Ist es denn möglich, daß Du gar nicht merkst, wie Dich dieser Mensch verabscheut! Ich muß gestehen, ich kann'« ihm nicht verargen und Dir wird die Er- fahrung vielleicht nützlich sein! Es unterliegt keinem Zweifel, dieser Rodellec haßt Dich.mit einem so aufrichtigen, so glühenden Haß —."
Hamor lächelte. „Unsinn! Heutzutage kann gar niemand mehr Haffen"; er blies leichte Rauchwölkchen in die Luft und beobachtete ihr Zerfließen mit dem größten Interesse.
„Ich glaube wirklich," sagte Staunton in seiner ruhigen abgemessenen Sprechweise, „daß Hamor einem Modell gegenüber alle Grundsätze über den Haufen wirst. Es wird sich nicht besinnen, seinen Todfeind zum Modell zu begehren, den Mörder seines Bruders vielleicht, oder den Entführer seiner künftigen Gattin."
Hamor sah ihn erstaunt an, es kam so festen vor, daß Staunton eine entschiedene Meinung äußerte. „Warum denn nicht?" erwiderte er endlich bedächtig, „wenn sie mir gerade zu einem Bilde paßten!"
Nach diesem Bekenntnis entstand eine etwas gewitterschwüle Stimmung; die beiden andern gaben durch ihr Schweigen hinlänglich ihre Mißbilligung zu verstehen und Hamor war der Beifall seiner Freunde doch nicht so gleichgültig, wie er sich gern das Ansehen gegeben hätte.
Glücklicherweise ward die allgemeine Aufmerksamkeit auf Meurice'« Boot gelenkt. „Es riecht ein wenig stark nach Fisch," erklärte Hamor lächelnd, „aber warum sollte es auch nicht. Dar Boot ist ja selbst ein Fisch; paßt nur auf, wenn Ihr es schwimmen seht! M Mrcm?"
Meurice sah sich an seiner schwächsten Seite gepackt; ein verräterisches Zucken um die Mundwinkel zeigte deutlich, wie sehr sich sein Gemüt freute. Lobte man sein Boot oder seine kleine Tochter, so schlug sein Herz höher. Auch jetzt suchte er durch ein verlegenes Hüsteln seine Bewegung zu verbergen, aber dabei funkelten seine Augen vor innerem Vergnügen.
„Es könnte schlechter sein, gewiß, es ist nicht das schlechteste," begann er schüchtern und fuhr dann nach einem forschenden Blick auf die Menen der drei Fremden zuversichtlicher und mit weniger Zurückhaltung fort:
„Es ist das beste Boot in der ganzen Bucht, Messieurs! ich sage nicht, daß es so schön ist, wie das von Monsieur Louis, obwohl ich auch darüber meine eigene Meinung habe. Wissen Sie auch, Messieurs," setzte er, durch die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer geschmeichelt, in vertraulichem Ton hinzu, „daß es mit einem Boot und einem Mädchen so ziemlich die gleiche Bewandtnis hat? Man muß sie bei gutem und bei schlechtem Wetter kennen lernen, sonst weiß man nie, woran man mit ihnen ist. Hören Sie auf meinen Rat, und lassen Sie sich mit keiner ein, bis Sie sie auch bei schlimmem Wetter erprobt haben." Die jungen Leute versprachen ihm lachend rechtzeitig seines Rates eingedenk zu sein.
Sie bezeugten alle keine sonderliche Eile abzusegeln. Die Gegenwart war so schön, daß es schade erschien, ste nicht festzuhalten. Der Nebel er- hob sich, klarer und klarer trat das bunte Gewimmel der Fischerboote zu Tage, immer lauter und lebhafter erklangen die Stimmen der Seeleute.
Meurice ging eifrig hin und her, um Vorkehrungen zur Abfahrt zu treffen. Endlich trat er mit verlegener Miene auf die Herren zu: „Würde es Ihnen unangenehm sein, wenn ich die Mädchen mit an Bord nähme !" er deutete auf eine Gruppe am Ufer. „Es ist nur Nona, die kleine Helene und Marie. Ich habe es ihnen eigentlich versprochen, sie bei Gelegenheit einmal nach den Inseln hinüber zu nehmen. Sie werden auch gewiß nicht stören —" sein fragender Blick war auf Hamor gerichtet.
„Nun natürlich, nehmt sie nur mit. Wir kennen ja Nona schon. Guten Morgen Nona, guten Morgen kleine Helene, und Du bist Marie?" er fixierte die Züge des Mädchens aufmerksam — „gut magst Du sein, hübsch bist Du jedenfalls nicht," setzte er auf englisch zu seinen Freunden gewendet hinzu. Auch Staunton und Douglas begrüßten aufs freundlichste die scheuen rosigen Mädchen, die in ihrem sonntäglichen Putz höchst schmuck ! aussahen; zaghaft kamen sie herbei und kletterten schwerfällig in« Boot.
! (Fortsetzung folgt.)