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Forderungen sozialpolitischen Inhalts sowie die gesamten Mittelstandsforderungen und verlangt eine Abwälzung der sozialpolitischen Lasten auf die leistungsfähigen Schultern. Zum Schluß wendet sich Redner gegen die Konsumvereine und ihre sozialdemokratische Führerschaft. Abg. Or. Mugd an (frs. Vp.) bemerkt, die Vorbedingung jeder Sozial­reform sei freies Koalitionsrecht. Der mißbräuch­lichen Erschwerung des Koalitionsrechtes der Arbeiter seitens der Arbeitgeber müsse jedenfalls gesteuert werden. Alle nur erdenkliche Förderung verdienten die Tarifverträge, doch dürsten hierüber die Mittel eines ausgiebigen Arbeiterschutzes nicht vernachlässigt werden. Nötig ist u. a. auch eine Anzeigepflicht bei gewerblichen Vergiftungen. Abg. Naumann (frs. Vg.): Ich stelle fest, daß ebenso wie in dem vorigen Reichstage eine große Anzahl sozialpolitischer Aufgaben eine feste Mehrheit findet. Die heutige großkapitalistische Entwicklung in der Industrie, Bergwerken, Rhederei u. s. w. bringe es mit sich, daß das wirtschaftliche Grundrecht der Arbeiter, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, versagt. Das elementarische Recht freier Organisation der Arbeiter muß gesetzlich fixiert werden, sodaß strafbar ist, wer einem Arbeiter dieses Recht kürzt. Solange nicht diese Strafbarkeit statuiert ist, ist das Recht zur Koalition ein unfertiges. Ich wiederhole: Vor­handen ist eine Majorität im Reichstage die eine kräftige Sozialpolitik verlangt, was aber nicht vorhanden ist, das ist die Mitwirkung deS anderen Faktors, der Gesetzgebung. Staatssekre­tär Posadowsky betont, der Vorredner habe theoretisch gesprochen und keine Vorschläge ge­macht, wie im Einzelnen vorgegangen werden soll. Gegenüber solchen philosophischen Erörternngen handelt es sich für die verbündeten Regierungen nur darum Schritt für Schritt auf dem Wege der Ge­setzgebung vorzugehen. Der Staatssekretär gibt so­dann ein Bild von all den Gesetzen, die in der nächsten oder demnöchstigen Session zu bewältigen seien. Er nannte tt. a. Hilfskassennovelle, Arbeiterunterstützungs­wohnsitz, Hausarbeit in der Tabakindustrie, desgleichen in derSpielwarenindustrie.derkleine Befähigungsnach­weis im Handwerk. Mit den Vorlagen hierüber sei er zu dreiviertel fertig. Er hoffe, daß die Vorlagen im nächsten Herbst eingebracht werden könnten. Weiter sei er beschäftigt mit der Ausarbeitung eines Gesetzes über das Vereins- und Versammlungsrecht und zwar sei er jetzt dM Ansicht, daß es praktisch sei, das Vereins- und Versammlungsrecht erst zu regeln vor demjenigen über die Berufsvereine. Das jetzige Vereins- und Versammlungsrecht habe sich tatsächlich überlebt. Zwei Gesichtspunkte müßten entscheidend bleiben bei dem Vereinsgesetz; zu allen Zeiten und unter allen Umständen müssen bürgerliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gewährleistet sein und zweitens dürften die Vereine nicht Vereine sein zur Vorbereitung verbrecherischer Handlungen. Weiter erinnert der Staatssekretär an die Aufgaben der Zusammenlegung der drei sozialen Versicherungs­gesetze, um die Schwierigkeiten dieser Aufgaben zu betonen sowie die großen finanziellen Gefahren, die in der zunehmenden Sucht nach Erlangung von Renten liegen. Weiter legt er die Aufgaben dar, die noch vorliegen auf dem Gebiete des eigentlichen Arbeiterschubes. Auch ein Apothekengesetz stehe auf der Tagesordnung. Eine Novelle zum Gesetz über unlauteren Wettbewerb werde, wie er hoffe, bald vorgelegt werden können. Nach weiteren Bemerkungen des Abg. Hoch (Soz.) und einer Erwiderung des Staatssekretärs Posadowsky vertagt sich das HauS auf morgen 1 Uhr.

Au? der Schweiz 9. Aprsi. Beim Bau des Rickentunnels im Kt. St. Gallen treten Grubengase sehr störend auf. Laut einer Mit- teilung derSchweiz. Bauzeitung" wurde auf der Nordseite, wo der Stollen bis 4023 in vom Portal vorgerückt ist. bereits am 9. März eine große Gasspalte angeschnitten. Dar hier aus­strömende Gas brennt seither als eine ungefähr 1 in lange, 30 bis 40 em breite und einige Zentimeter dicke Flamme und verbreitet einen unangenehmen Geruch. Die dadurch eingetretene Temperaturerhöhung erreicht einige Meter vor der Gasaustrittsftelle 55° C. Am 28. März abends traf man auch aus der Südseite, 3799 m vom Südportal entfernt, plötzlich aus viel Gruben, gas, das seither mit mächtiger Flamme verbrennt. Die Temperatur beträgt hier bei guter Ventilation 50 m vor Ort 49° C. Daß unter diesen Um­ständen die Arbeiten im Tunnel, namentlich die Bohrung bedei klich erschwert werden, ist begreiflich und es wird daher von dem auf Ende Juni er­hofften Turff schlag des Tunnels keine Rede sein können. Das Auftreten dieser großen Quantitäten von Grubengas läßt obre Zweifel aus Koblen- lager im Innern der Rickenbergs schließen.

Petersburg 11. April- Auf den kaiserlichen Hofzug, in dem die Großfürsten Nikolai und Peter von Petersburg nach Zarskoje Selo fuhren, wurde gestern Abend ein Attentat verübt, das durch die Wachsam- keit der längs des Gleises ausgestellten Wachen vereitelt wurde. Die Posten bemerkten mehrere Gestalten, die in der Dunkelheit auf den Schienen eine verdächtige Geschäftigkeit entwickelten. Die Schildwachen eilten herbei, worauf die Verdächtigen die Flucht ergriffen. Ein Posten gab Feuer und verwundete, wie die Blutspuren erwiesen, einen der Attentäter. Doch konnten sämtliche Attentäter den schützenden Wald erreichen. Auf den Schienen wurden kurz vor der Ankunft des Zuges Tynamitpatronen gefunden, die geeignet gewesen wären, den Zug in die Luft zu sprengen In Zarskoje Selo und Petersburg wurden sofort umfassende Razzias vorgenommen und zahlreiche Personen verhaftet. Man glaubt einer großen Verschwörung auf die Spur gekommen zu sein, die während der demnächst stattfindenden Kaiser- Manöver ihren Hauptschlag beabsichtigt.

Warschau 11. April. Nach Meldungen aus Lodz wurden dort beute Nacht 4 Personen, darunter 1 Jude erschossen, 4 Arbeiter verletzt. In der Baluty-Vorstadt wurden alle Läden aus Furckt vor Plünderungen geschlossen. Auf der Petrikauer Hauptstraße durchsuchten Militär- Patrouillen alle Passanten.

In Lodz hat sich die Situation be­deutend verschlimmert. Nach viermonatlicher Dauer der von den dortigen Fabrikanten ver­hängten Aussperrung haben die Arbeiter fick ent­schlossen, die von den Fabriken gestellten Be- dingungen anzunehmen. Infolgedessen gab eine große Baumwollfabrik durch Anschlag bekannt, daß die Arbeitswilligen sich melden sollten. 4000 Arbeiter kamen dieser Aufforderung noch, die streikluflige Mehrheit dagegen begann mir Mord und Totschlag gegen die Arbeitswilligen vorzu­gehen Bewaffnete Banden durchziehen das Arbeiterviertel der Stadt, dringen in Wohnungen und Läden ein und terrorisieren die Einwohner. Gestern wurden durch sie 33 Personen ge­tötet und 10 schwer verletzt. Die Be- drohten schließet! sich gleichfalls zu bewaffneter Abwehr zusammen. Jetzt befinden sich bereits fünf Kampforganisationen verschiedener Partei- richtungen im Kampfe miteinander. Militär und Polizei verhalten sich passiv. Tie Behörden be- schloffen, alle Spiritnsläden zu schließen. Die Lokalbehörden dulden absichtlich diesen anarchistischen Zustand, um den Kriegszustand über Polen weiter au'recht zu erhalten. In den letzten zwei Tagen richtete sich der Kampf besonders gegen die jüdischen Arbeiter. In der jüdischen Bevölkerung ist infolgedessen die Panik allgemein. Man be­fürchtet, daß diese Streikexzesse in Pogrome aus­arten.

Vermischtes.

Die Taten eines vielgenannten Hochstaplers Georg Manolescu, Llia8 Fürst Lahovary, beschäftigten das Landgericht in Kempten im Allgäu. Es handelte sich um eine Ehescheidungs­klage, die von der Gattin des Hochstaplers, einer Gräfin aus einer sächsischen standesherrlichen Familie, eingereicht war. Die Verhandlung ergab folgendes: Als Manolescu für einen Hoteldiebstahl 8 Monate abgesessen hatte, begab er sich nach Italien. Im Expreßzug lernte er die sächsische Gräfin von E. kennen, die damals 27 Jahre alt war und mit ihrer Mutter eine Reise machte, Manolescu schwindelte den Damen vor, daß er ein rumänischer Großgrund­besitzer und vr. jur>8 sei und eine Jahresrente von 20 000 Fr. zu verzehren habe. Wenige Tage später fand die Verlobung statt und bald darauf auch die kirchliche Trauung, welche der Erzbischof von Genua am 17. Dezember 1898 vollzog. Als Trauzeugen hatte der Hochstapler den rumänischen Konsul in Genua, einen Marchese Landi und den Herzog Roberto Berlingert beigebracht, die auf seine Schwin­deleien ebenfalls hereingefallen waren. Die gräfliche Braut brachte eine kostbare Ausstattung und eine entsprechende Summe in Bar mit in die Ehe, die jedoch Manolescu bereits auf der Hochzeitsreise in Italien verjubelte. Schon auf dieser Hochzeitsreise mußte die junge Frau erkennen, daß sie einem höchst zweifelhaften Menschen in die Hände gefallen war. Der Beklagte hat sie nachts wiederholt eingesperrt und ist auf Abenteuer ausgegangen. Im März 1899

landete das Paar in Bad Schachen bei Lindau, wo noch nachttäglich die Zivilttauung erfolgte und wo im August ein Kind zur Welt kam. Inzwischen hatte Manolescu die Bekanntschaft einer andern Dame gemacht und die Folge war ein Duell mit dem Bruder derselben in Leipzig. Nun legten sich die Verwandten der sächsischen Gräfin ins Mittel, worauf Manolescu verschwand. Seine Gattin hörte erst wieder von ihm durch einen Brief, den er im Oktober desselben Jahres aus dem Polizeigefängnis in Frankfurt a. M. an sie schrieb. Angeblich hatte er die Absicht gehabt, nach Kairo zu gehen, um dort die Stelle eines Hoteldirektors anzunehmen. Auf dem Weg dorthin hatte er jedoch in Luzern einen Hoteldiebstahl imSchweizerhof" verübt, wo­bei ihm Schmucksachen im Wert von 20000 Fr., belgische Banknoten in Höhe von 10000 Fr. und Pariser Stadtobligationen im Nominalwert von 8000 Franken in die Hände gefallen waren. Mit diesem Raub versuchte er nach England zu ent­kommen. Er machte in Baden-Baden Station, stahl dorr imHotel Stephanie" Schmucksachen im Werte von 7300 Franken und wurde, als in Frank­furt a. M. imFrankfurter Hof" abgestiegen war, verhaftet. Man transportierte ihn zunächst nach Luzern, wo er zu 6 Monaten Zuchthaus verurteilt wurde. In der Verhandlung spielte er denwilden Mann", so daß ihmmildernde Umstände" zu­gebilligt wurden. Nach seiner Entlassung ging Manolescu nach Amerika, wo er in Philadelphia einen Juwelendiebstahl in Höhe von 800000 ^ verübte und dann mit dem Erlös über Bremen nach Paris zur Weltausstellung ging. Hier trat er zum erstenmal alsFürst Lahovary" auf und begab sich, nachdem ihm dort sowie in Spaa das Spielglück hold gewesen war, Anfang 1900 nach Berlin. Auch hier ist er alsFürst Lahovary" aufgetreten. Im Hotel Bristol verlobte er sich mit einer Amerikanerin und plünderte, als man von ihm den Nachweis eines standesgemäßen Einkommens verlangte, am 24. Dez. 1900 in diesem Hotel 5 Zimmer der ersten Etage, wobei er für 60 000 Schmucksachen und viel bares Geld er­beutete. Fünf Tage später ging er in derselben Weise im Hotel Kaiserhoi vor, wo ihm Brillanten im Wert von ca. 100 000 , L in die Hände fielen. Er wurde später in Genna festgenommen und aus­geliefert. Ende Mai 1802 wurde er in Berlin vor die Strafkammer gestellt, aber von den psychiatrischen Kapazitäten Berlins für geisteskrank erklärt und daher freigesprochen. Man brachte ihn dann nach der Irrenanstalt Herzberge, wo er jedoch in der Nacht vom 9. zum 10. Juli ausbrach. In Inns­bruck wurde der Verbrecher von der österreichischen Polizei ergriffen und nach Wien transportiert, wo er wegen eines Betrugs vor Gericht gestellt, jedoch ebenfalls wegen Geisteskrankheit freigesprochen wurde. Manolescu wurde von Oesterreich ausgewiesen und nach Rumänien geschafft. Von hier aus ging er abermals nach Italien, heiratete in Mailand eine reiche Erbin Pauline Tollet und begab sich mit dieser zweiten Gattin nach Amerika, wo er inzwischen abermals Vater geworden ist undMemoiren" verfaßt hat. In dem gegenwärtigen Ehescheidungs­prozeß seiner ersten Gattin, der Freifrau v. E., machte diese alle die hier aufgeführten Vorgänge geltend und forderte, daß die Ehe für ungültig er­klärt werde. Das Gericht erließ das Urteil im Sinne des Klageantrags.

Von dem pfälzischen Weinkontrolleur Weiser erzählen pfälzische Blätter folgendes Geschichtchen: Auf einer Besichtigungsreise kommt der Weinkortrolleu: in ein Weindorf, und die Kunde von dem Eintreffen des Gefürchteten durch­eilt den ganzen Ort. Ein Winzer läßt sofort alle seine Fässer cmslaufen. Als der Beamte kommt und die viele Flüssigkeit im Keller sieht, fragt er:Na, was ist denn hier los?" Der Winzer erwidert:Ja, Herr Kontrolleur, denken Sie bloß das Unglück: mein ganzer Keller steht voll Grundwafler." Dem Kontrolleur kommt die Sache nicht geheuer vor, er taucht den Finger in dasGrundwasser" und sagt in strengem Ton: Aber, das ist ja Wein!" Der Winzer macht ein möglichst dummes Gesicht und antwortet:Herr Kontrolleur, wenn ich gewußt hätte, daß Sie da­für Wein halten würden, dann hätte ich ihn gewiß nicht laufen lassen!"

Gottesdienste.

Koimtag ülljsvrivoräi»«, 14. April. Vom Turm: 245. Kirchenchor: Ich bin Dein »c. Predigtlied: 383. 9 Uhr: Vormitt.-Predigt Stadtpfarrer Sch mit». Konfirmation. V-3 Uhr: Unterredung mit den Neukonfirmierten, Dekan RooS.

A«»«r»tag, 18. April. 8 Uhr abends: Bibelstunde im Vereinshans, Dekan Roos.

I>r«tt«g, 19. April. 10 Uhr: Vorbereitung-predigt und Beichte, Stadtpfarrer Schmid.