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verrauscht seien. Bezüglich der Haager Kon- ferenz glaube man in Rom, daß alles ruhig verlaufen werde nach dem italienischen Sprich, wort: „Viel Rauch und wenig Braten." Die Mächte werden in schönen Redensarten einander überbieten, aber an ein praktisches Ergebnis sei nicht zu denken. Es sei bedauerlich, daß Deutschland nicht gleich von mmcherein auf den eng- lischen Vorschlag platonsich einging; es wäre damit viel Hetzerei erspart worden. — Der Pariser „Temps" führt aus, daß Italiens Stel- lung im Dreibund noch viel angenehmer werden könne, wenn zwischen Frankreich undDeutsch- land die vielseitig als erwünscht bezeichnete Verständigung über Marokko einerseits und über Bagdad andererseits zustande käme. Es sei müßig, über Kolonialfragen im allgemeinen zu sprechen; die Erörterung sei vielmehr auf jenes streng umschriebene Gebiet, hie Marokko, hie Bagdad, zu beschränken. Als Preis für Deutschlands loyale Zustimmung zu den französisch englischen Abmachungen über Nordafrika vom April 1904 würden ihm die erwünschten Zugeständnisse in der Bagdadsache geboten. Der „Temps" gibt zu verstehen, daß um diesen Preis auch England bereit wäre, Deutschlands kleinasiatische Interessen zu achten, da in Europa eine starke Strömung zugunsten Deutschlands herrsche.
Paris 5. April. Santos Dumont unternahm gestern bei St. Cyr mit seinem Flugapparat einen neuen Versuch, den großen Preis für Flugmaschinen zu gewinnen. Der Apparat erhob sich zwar und durchmaß auch etwa 60 w, doch neigte er sich seitlich und stieß auf den Boden, wodurch der linke Flügel zertrümmert wurde. Santos Dumont blieb unverletzt.
London 5. April. Die wieder aufgenommenen Verhandlungen zwischen Deutschland und der Kap-Kolonie, für welche die Anwesenheit des Kap-PremierministerS Jameson in London erwünscht war, beziehen sich auf die Ver- pflegungskosten für die aus Deutsch-Südwestafrika während des Aufstandes über- getretenen und dort internierten schwarzen Rebellen. Die Kap-Kolonie verlangt eine ziemlich bedeutende Summe an Verpflegungskosten, die Deutschland aus völkerrechtlichen Gründen zu zahlen sich weigert, wogegen die Kapkolonie geltend macht, daß die Internierung auf besonderen Wunsch Deutschlands erfolgt sei. Es heißt, auch der Gouverneuer von Südwestafrika, von Linde- quist, würde zu diesen Verhandlungen in London erwartet.
London 5. April. Die Kaiserin-Mutter von Rußland verläßt heute London und begibt sich nach Baden-Baden. Gestern machte die Kaiserin dem Prinzenpaar von Wales einen Abschiedsbesuch. Umfassende Vorsichtsmaßregeln zum Schutze der Kaiserin werden in London getroffen.
Riga 5. April. Das hiesige Feldgericht verurteilte gestern 5 Revolutionäre zum Tode.
Das Urteil sollte bereits während der Nacht voll- zogen werden. Dagegen hat der Generalgouverneur das Todesurteil des Revaler Kriegsgerichts über 4 Revolutionäre aufgehoben und in Zwangsarbeit umgewandelt.
Vermischtes.
— Wieder einmal ist davon die Rede, daß in das Dunkel des Konitzer Mordes Licht kommen soll, und zwar durch die Entdeckung einer anderen Mordtat, die mit jener eine gewisse Aehn- lichkeit aufweist. Am 3. April v I wurde in Beuthen (Oberschlesien) in der Nähe des Heumarktes die zerstückelte Leiche eines jungen Mannes gesunden. In einem Sack befand sich der Rumpf mit den Armen, in einem zweiten Sack der Kopf und die Beine, Ober- und Unterschenkel waren getrennt. Nach der Art der Zerstückelung mußte diese von einem Fleischer ausgeführt sein. Der Umstand, daß der Fund an einem Wochenmarkttag gemacht wurde, an dem jüdische Heuhändler aus Galizien nach Beuthen kommen, die ihren Standort bei der Fundstelle haben, ließ dieselben Gerüchte aufkommen, wie einst in Könitz Die Nachforschungen blieben ergebnislos, bis im März d. I. der bei dem Roßschlächter Liberka beschäftigte Haushälter Kioltyka der Polizei anzeigte, der Tote sei der Arbeiter Josef Bronner aus Charley und sein Mörder der Brotgeber des Kioltyka, der Roßschlächter und Speisewirt Liberka. Dieser hat den Bronner aus Rachsucht erschlagen und dann mit Kioltyka zusammen in die Abortgrube geworfen. Nach Verlauf von vierzehn Tagen haben beide die Leiche wieder herausgeholt, zerstückelt und in zwei Säcken nach der Fundstelle geschafft. Der Mord selbst und die Auffindung der Leichenteile ähnelten in Beuthen wie in Könitz einander so sehr, daß jetzt der Gedanke aufgetaucht ist, der Täter sei hier wie dort ein und dieselbe Person. Es soll, lt. „Berl. Tagbl." ermittelt sein, daß Liberka in den Jahren 1900 bis 1901 zurzeit des Mordes an dem Gymnasisten Winter in Könitz bei einem Roßschlächter am Mönchranger beschäftigt gewesen sei. Er wohnte bei einer jüdischen Familie namens Berger. Der Mönchsanger beginnt am Mönchsee, in dem Teile von der Leiche Winters gefunden wurden. Es wird vermutet, daß Liberka den Winter, der viel mit jungen Mädchen verkehrte, aus Rache und Eifersucht ermordet hat.
— Das finanzielle Resultat der Mailänder Ausstellung liegt nunmehr ziemlich vollständig vor. Abgesehen von einigen noch strittigen Forderungen mehrerer Lieferanten belaufen sich die Unkosten des Komitees auf etwa 12 Millionen Lire, ein ausnehmend geringer Betrag, wenn man bedenkt, daß die Ausstellung eine Ausdehnung hatte, die wenig hinter der von 1900 in Paris zurückstand. Diese hatte 120 Millionen Francs gekostet. Dabei war nach dem Urteil der Fachmänner beispielsweise die Eisenbahnabteilung
von einer bisher nirgends erreichten Bedeutung. Die Einnahmen betragen ungefähr 10'/-- Millionen Lire, so daß ein Defizit von etwa 1V- Millionen Lire durch die freiwilligen Garanten, die etwa 3 Millionen Lire gezeichnet haben, zu decken bleibt. Die Garanten werden 4 — 5 Zehntel aus die von ihnen gezeichneten Beträge zu zahlen haben.
— Ueber ein neues Verfahren der Obstkultur die „Mulchmethode" wird aus Amerika belichtet. Dieses Verfahren besteht darin, daß die Obstgärten mit Gras eingesäet, das Gras aber nicht als Heu abgefahren, sondern nach dem jährlich mehrmals vorgenommenen Schnitt um die Bäume gelegt wird. Hier bildet cs mit der Zeit eine dicke Humusdecke. Die Bäume strotzen vor Gesundheit, die Ernten sind reichlicher und besser als im offenen Boden. Das war das Ergebnis genauer Vergleichskulturen über die ein in Amerika lebender deutscher Gärtner im praktischen Ratgeber ausführlich berichtet. Er knüpft daran die Mahnung, daß man auch in Deutschland mit der neuen Methode Versuche machen möchte. — Obstbaut: eibende, die sich für diese neue Sache interessieren, erhalten auf Anfrage den betreffenden Aussatz vom Geschäftsamt des praktischen Ratgebers in Frankfurt a. O, kosten- frei zugeschickt.
Standesamt Calw.
Geborene.
19. März. Maria Katharina, T. d. Ludwig Hiller, Schiffwirts hier.
27. „ Karl, Sohn des Philipp Rohleder,
Steinhauers hier.
29. „ Hermann Karl, Sohn des Karl Louis
Dingler, Bäckers hier.
31. „ Else Luise, Tochter des Michael Friedrich
Großmann, Zigarrenmachers hier.
2. April. Maria Agnes und Klara Anna, Zwil
lingstöchter des Wilhelm Johannes Barth, Stellwerkschlossers hier.
3. „ Georg Friedrich, Sohn des Daniel
Friedrich Lorch, Gärtners hier. Getraute.
1. April. Maximilian Heck, Schlossergehilfe in Tübingen mit Rosa Berta Jetter von hier. 1. „ Wilhelm Walz, Schreinergehilfe in
Wildbad mit Emma Weis von hier. Gestorbene.
26. März. Luise Friedrike geb. Palm, Witwe des Fabrikanten Gustav Friedrich Wagner hier- 80 Jahre alt.
28. „ Johann Georg Todt, Fabrikarbeiter,
Witwer hier, 76 Jahre alt.
4. April. Traugott Schweizer, Kaufmann, 65
Jahre alt.
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ihre zerlumpten Kleider das Mitleid des Menschenfreundes erregen, die kostspielige Neigungen haben und die Ansprüche eines gebildeten Mannes, und doch zu wenig besitzen, um ihr höchstes Gut, ihre Freiheit, stets zu bewahren? —
Selbst in bedrängten Umständen trugen diese Leute jedoch fast immer heitere Menen zur Schau. Tagsüber waren sie fleißig bei der Arbeit und am Abend die behaglichsten Gesellschafter der Welt. In ihre Arbeit vertieft, fühlten sie sich glücklich trotz aller Schatten der Vergangenheit, trotz dem Dunkel der Zukunst und der Ungewißheit ihrer Lebenslage — denn solche Arbeit ist an sich schon Freude. Everett Hamor war derjenige unter ihnen, den die Götter wohl am meisten in jeder Hinsicht begünstigt hatten.
Er kannte fast alle hier weilenden Künstler wenigstens dem Namen nach, mit Staunton und Douglas hatte er in Pari« häufig verkehrt. Douglas war ein langbeiniger rotbärtiger Schotte, der gelegentlich in die Ateliers seiner Freunde hereingeschritten kam, schweigend aber mit wohlgefälligem Ausdruck bei ihren Bildern verweilte, und ebenso gemessen und schweigsam wie er gekommen, das Atelier wieder verließ. Er war wortkarg, zurückhaltend in seinem Urteil — dann wieder plötzlich von heftigen Vorurteilen befallen, gütig, ehrlich und eigensinnig. Sr hörte gern eine lustige Geschichte erzählen, und wenn die Pointe klar und leichtfaßlich war, so konnte man am Schluß sicher sein melodischer, leiser Lachen vernehmen. Häufig jedoch machte es seinen Freunden den größten Spaß, wenn er einen Witz oder Scherz durchaus nicht verstehen konnte. Vorsichtig, gewissenhaft und seiner Geschicklichkeit halber von allen geschätzt, war er doch innerlich überzeugt, daß sein Talent seiner Hingebung für die Kunst nicht gleich kam.
Dieses Mißverhältnis bedrückte ihn häufig und ließ ihn dann noch schweigsamer als sonst in sich versinken.
Staunton war seines Zeichens ein tüchtiger Landschafter, im übrigen ein liebenswürdiger junger Engländer von sehr einnehmendem Aeußern, der weitverzweigte aristokratische Verbindungen besaß und mit den Sitten und Gebräuchen der großen Welt vollständig vertraut war.
Er hatte seinen glatten, geebneten Lebenspfad stets in der allerbesten Gesellschaft zurückgelegt. Nebenwege waren niemals nach seinem Geschmack. Sein ganzes Wesen atmete Milde und Selbstbeherrschung. Die Weichheit seines Organs blieb sich stets gleich und ward nie durch Zorn oder Erregung gestört. Wie sich die Freundschaft zwischen Staunton und Hamor gebildet hatte, war eigentlich Beiden ein Rätsel. Im großen und ganzen fühlten sie sich behaglich miteinander und darin liegt vielleicht das Geheimnis der meisten Freundschaftsverhältnisse unter Männern. In ihrer Kunst gaben sie sich ohne Vorbehalt, ließen alles geschraubte Wesen, alle Uebertreibung bei- feite, um einfach und wahr zu einander zu halten. Jeder fühlte innere Hochachtung vor dem Talent des andern und war stolz aus die Erfolge des Freundes.
Hamor war ungefähr eine Woche in Plouvenec, als er eines Morgens beim Frühstück zu seinen Freunden sagte: „Wenn Ihr eine halbe Stunde freie Zeit habt, so kommt mit mir, mein Atelier zu besichtigen."
„Dein Atelier? Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß in Plouvenec noch ein brauchbarer Raum zu entdecken sei. Uebrigens habe ich Dich doch aufgefordert, das meine zu teilen," entgegnete Staunton.
„Kommt nur mit, Ihr werdet ja sehen."
„Aber lieber Schatz, glaubst Du wirklich uns alten Eingeborenen noch die Honneurs von Plouvenec machen zu können?" (Fortsetz, folgt.)