Dienstag

Beilage zu Nr. 4S

26. März 1SV7

Var Zischermädcheil von der Bretagne.

Von B. W. Howard.

(Fortsetzung.)

Es waren freilich liebenswürdige, angenehme Leute darunter, aber man würde sich besonnen haben, ihnen seine Tochter oder seine silbernen Teelöffel anzuvertrauen. Wenn auch hier mancher Knabe davon träumte, Zirkusreiter, Seemann oder Künstler zu werden, so hatte man doch noch jeden, bei richtiger Behandlung, zu einem würdigen Mitglied seiner Familie aufgezogen. Daher kam es, daß Hamor, als er heranwuchs, sich sehr vernünftig sagte, die Malerei sei wohl kein für ihn ganz paffender Lebens­berus; er beschloß daher, sich einem andern Erwerbszweig zuzuwenden. Freilich hatte er diese Entschlüße gefaßt, ohne den innern Kern seiner Natur zu kennen. Nach Beendigung seiner Studien war er noch ebenso unklar über die Wahl eines Berufes, wie beim Beginn derselben. Heiter, lebenslustig und mit einem glücklichen Leichtsinn begabt, nahm er sich vor, einstweilen alles dem Schicksal anheimzustellen, und vorerst daran zu gehen, seinen Charakter, der ihm schwankend und unbeständig erschien, zu stählen und zu festigen. Er beschloß also, fortan selbst für seinen Unterhalt zu sorgen und zog westwärts, wo er Arbeit, Abenteuer, Entbehrungen und Gefahen im reichsten Maße fand. Einmal war er Ladengehilfe, eine Stellung, die er Zeit seines Lebens verwünschte, dann wiederum hielt er Schule in einer Hinterwäldler Niederlassung, wobei ihm sein angeerbtes, pädagogisches Talent sehr zu statten kam. Er erweiterte seine Kenntnis der menschlichen Natur durch die nahe Berührung mit den Gewohnheiten von Indianern, Chinesen, Abenteurern und allerlei Vagabunden. Er lernte auf ungesattelten Pferden reiten, den Lasso werfen, das Gewehr und seine Fäuste gebrauchen. Wenn schon zwei solche Nomadenjahre für einen Mann von Hamors Temperament nicht in jedem Sinne zuträglich sein konnten, io hatte er doch sein Ziel erreicht: er wußte nun was er wollte, und sein Charakter war gestählt.

In den Bergen und in den endlosen Wäldern hatte ihm die Natur und sein eigenes Herz über seine wahre Bestimmung aufgeklärt; jetzt endlich fühlte er, daß er für die Kunst geboren, daß der Malerberuf der glühende Wunsch seiner Seele sei, der einzige, in dem er auf Glück und Befriedigung hoffen durfte. Er fühlte aber auch, daß er keine Zeit mehr zu verlieren habe; nachdem er die notwendigsten Angelegenheiten geordnet hatte, schiffte er sich nach Frankreich ein.

Nun folgte auf sein Hinterwäldlerdasein das Pariser Leben; das stete, unausgesetzte Studium, auf die große Mannigfaltigkeit seiner bisherigen Beschäftigungen; aber es war eine Arbeit, die ihn mit der reinsten Freude und Begeisterung erfüllte. Seine technische Ausbildung, das Treiben in den großen Ateliers unter seinen ehrgeizigen, eifrigen Genossen, das kurze, schwerwiegende Wort der Kritik aus dem Munde großer Meister, das den jungen Künstler so hoch beglücken kann, das waren jetzt für Hamor die wertvollen Güter, nach denen er strebte. Man betrachtete ihn allgemein als einen vielversprechenden Künstler, seine Kameraden hielten große Stücke auf ihn, aber weit größer noch als ihre Hoffnungen war Hamors Glaube an sich selbst.

Nach zwei Bildungsjahren in Paris war er jedoch noch nicht ganz so berühmt und bekannt, als er erwartet hatte und hielt es für angemessen, sich einige Zeit nach dem kleinen Fischerdorf in der Bretagne zurückzuziehen, um hier in ungestörter Ruhe Farben, und Landschaftsstudien zu machen.

Wie die meisten wirklichen und mutmaßlichen Genies, besaß auch Hamor ein gutes Teil innerer Widersprüche. Güte spießbürgerliche Re- miniscenzen aus der Heimat und leichtlebige Künstleranschauungen suchten sich in ihm auf selstsamste zu vereinigen. Bald war er rauh und unfreundlich, bald heiter und liebenswürdig, abwechselnd eingebildet und bescheiden, hart­herzig und weichmütig; zu Zeiten selbstsüchtig und leichtlebig, dann wieder tief und groß denkend. Jedenfalls zog er stets vor, die Dinge nur vom malerischen Standpunkt aus zu betrachten und jeder Anspruch auf seine Teilnahme war ihm unbequem. So entsprang auch wirklich seine große Leutseligkeit den ärmeren Klaffen gegenüber, weniger seiner Güte, als dem Wunsch, sich diesen Menschen, die ihm in künstlerischer Beziehung zu so reichen Fundgruben wurden, auf irgend welche Art erkenntlich zu erweisen. Den Anschauungen und Liebhabereien seiner Freunde gegenüber zeigte Hamor nicht allzuviel Rücksicht. Er war ein schlechter Zuhörer, da es ihn meist sehr wenig interessierte, was andere Leute zu sagen hatten; jede irgendwie ernsthafte Verhandlung langweilte ihn und er hatte nicht immer genug guten Willen, sich zu freundlichem Interesse zu zwingen.

Auch besaß er die etwas phantastische Schwäche, seine eigene Persön­lichkeit von verschiedenartigem Hintergrund in den möglichst malerischen Stellungen abzuheben; es war dies ein kleiner Kunstgriff, den er allerdings nur sehr jungen Mädchen gegenüber ausführte und dessen er sich in den freilich seltenen Momenten von Selbstbeschauung aufrichtig schämte.

Im großen und ganzen hatte er viele Eigentümlichkeiten, die ihm alsgenial" verziehen werden konnten, falls es ihm gelang, ein berühmter

Mann zum werden, die aber, im Falle dies ihm nicht glückte, mit einem weniger schmeichelhaften Namen belehnt worden wären.

War aber Hamor in Nebendingen leichtsinnig und oberflächlich, so war er doch auch ein Mann von Grundsätzen, sobald es sich um wirklich ernste Lebensführung handelte. Seine Taten waren fast immer besser als seine Worte.

Sein Aeußeres machte ihn zu einer anziehenden Erscheinung. Die überschlanke, echt amerikanische Figur schien ihm bei seiner Gewandtheit und Meisterschaft in allen körperlichen Uebungen niemals hinderlich zu sein. Eine gewisse künstlerische Nachlässigkeit im Tragen seiner Kleidungsstücke fiel nicht unangenehm auf. Sein stolzer Kopf und selten reines Profil erregten allein schon Bewunderung und sein charaktervoller Mund, um dessen Winkel es oftmals spöttisch zuckte, verstand ein so sonniges, warmes Lächeln hervorzuzaubern, daß die wilden kleinen Bretagnerinnen gar bald ihre Scheu vor dem Fremdling verloren und ihm unter ihren weißen Häubchen freundlich zulächelten. Sehr eng zusammenstehende Augen von eigentümlich veränder­licher Farbe schauten unter einer schmalen, feierlichen Predigerstirn hervor, so daß er einem reizenden Faun hinter der Maske eines ernsten Puri­taners glich.

Hamors Wesen war vieldeutig und schwankend, niemand wußte so recht, wie er mit ihm daran war.

3. Kapitel.

Einige Tage nach dem großen Sardinenfang ging Guenn Rodellec zum Fluß hinab. Die Wäsche am Fluß war ein Ereignis, das sich drei- bis viermal wöchentlich in Plouvenec abspielte, aber das verminderte nicht den Reiz, den es für Guenn hatte. Wie hätte sie es aber auch nicht ge­nießen sollen? Alle Frauen beisammen am Ufer mit dem Waschen ihrer Linnen beschäftigt und dazu die allerspannendsten Berichte über sämtliche Vorkommnisse der verflossenen Woche! Guenn war früher als andere Mädchen mit hinab an den Fluß gegangen, sie war auch sehr stolz, so jung schon ein Mitglied der großen Schwesternschaft zu sein, die dort eifrig ihre Wäsche säuberte, aber noch weit eifriger den guten Ruf ihrer Mitmenschen befleckte. Mädchen, die noch eine Mutter besaßen, wurden selten so jung mitgenommen, denn hier, wo man gewiß kein allzu wachsames Auge auf die Jugend hatte, herrschte doch die Ansicht, daß es ein entscheidender Wendepunkt im Leben eines Mädchens sei, wenn sie zuerst mit an den Fluß ging, sin ebenso wichtiges Ereignis, wie der erste Ball einer jungen Weltdame.

Guenn aber, die keine Mutter mehr hatte, begann schon in ihrem neunten Jahre ihre Familie bei den großen Waschfesten zu vertreten. Sie war jetzt im stände, ihren Part im allgemeinen Gespräch tapfer zu führen, ja es darin mit dem boshaftesten, alten Fischweibe aufzunehmen. Zu Hause war es jedenfalls trüber und langweiliger. Nannic, ihr kleiner verkrüppelter Bruder» war fast nie daheim, sondern lungerte auf den Werften umher, den Erzählungen der Seeleute zu lauschen, oder in den Wirtshäusern, um von den Fremden Sous und Zuckerstückchen zu erbetteln.

Wenn ihr Vater die Folgen einer durchtrunkenen Nacht ausschlief, hütete sich Guenn ihm beim Erwachen in den Weg zu kommen, wozu sie ihren guten Gründe hatte. Sie sowohl als Rodellec und der kleine Nannic betrachteten ihr Heim nur als Schlafstätte. Auch war sie zu häufig in Louis Morots Fischversandtgeschäft zu finden, wo sie mit zu den besten Arbeiterinnen zählte und durch ihre Gewandtheit und Klugheit oftmals die vorteilhaftesten Einkäufe vermittelte.

An diesem Spätseptembermorgen waren die Fischerboote alle weit draußen hinter den lEulons ,au larxs", wie die Fischer zu sagen pflegten. Die warme Sonne suchte die frische Herbstluft zu erwärmen, und sandte ihre Strahlen auf ganze Strecken purpurroter Heide und blühenden Ginsters, auf wogende Buchweizenfelder, auf die granitenen Felsen, die reich mit Moos, Farnkräuter und wildem Wein bewachsen waren und die alten Eichstämme auf der Mauer, die ihrer Kronen und Aeste beraubt, doch ihr spärliches Laubwerk stolz gen Himmel streckten. Und der Sonnenschein fand auch den Weg in Guenn Rodellecs düsteres, seltsamer, kleines Bretagner Heim, aus uralten dunklen Felsblöcken errichtet. Ein einziges schmale» Fensterchen ließ nur spärliche Strahlen des goldenen Himmelslichtes ein- dringen, so daß man den Lehmboden, den geräumigen Herd und fast verborgen in der Ecke die große, ehrwürdige Walnußbettstatt mit ihren hochaufgetürmten Betten erblicken konnte, in der Hervö Rodellec soeben seinen Rausch ausschlief. In der einen Ecke sah man einen alten eichenen Schrank mit silbemen Beschlägen und Verzierungen, in der andem stand der schwere Eichentisch mit einer Bank auf jeder Seite. Auch neben dem Bett befand sich die in jedem Hause der Bretagne übliche Bank, mit der ein so wesentlicher Teil der einfachen Vorgänge des Bretagner Familien­lebens verknüpft ist. Die Gediegenheit dieser wenigen schweren Holzgerät­schaften mit den einfachen aber guten Schnitzereien stach auffällig von der sonstigen ärmlichen Einrichtung des ungastlichen Raumes ab. So öde das Haus aber auch war, doch boten seine dicken, festen Mauern mit den winzigen Gucklöchern, Schutz gegen jeden Feind von außen, gegen Hitze, Kälte oder menschlichen Angriff. (Fortsetzung folgt.)