Samstag
23. Miirz 1907
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Beilage zu Nr. 47.
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Var Kscherinädchrn von der SretaM
Von B. W- Howard.
(Fortsetzung.)
Unter Lachen und Lärmen bildeten sie einen dichten Kreis um eine aus ihrer Mitte, die seinen Augen entzogen blieb; plötzlich, auf ein gegebenes Zeichen, löste sich der Kreis und die Mädchen rannten lachend und schreiend nach allen Seiten auseinander. Ein kleiner Gegenstand aus schwarzem Tuch flog durch die Luft und fiel neben Hamor zu Boden; als er aufblickte, sah er eine vereinzelte Gestalt vor sich stehen ohne den landesüblichen Kopfputz; eine wahre Mähne langen braunen Haares fiel zu beiden Seiten des Kopfes hernieder, aus dem ihm die grimmigsten Augen entgegenleuchteten, die er noch jemals in einem Mädchenantlitz geschaut hatte. Funkelnd vor Zorn und Beschämung starrte sie den harmlosen Fremden an, als ob er der ausschließliche Urheber der ihr zugefügten Unbill sei.
„Gerechter Himmel! was für ein Modell wäre das!" frohlockte Hamor. Sie schien kaum siebzehn Jahre zu zählen. Ein rotes Tuch umgab in reichen Falten ihre feingsformten Schultern bis hinab zu der schlanken Taille, das kurze wollene Röckchen schmiegte sich fest an ihre Gestalt an und zeigte die graziösen Formen derselben. Die ganze kleine Person stand voll kecker Anmut in ihren Holzpantöffelchen vor ihm, in der einen Hand hielt sie krampfhaft ihr Häubchen, die andere hatte sie über den Kopf gelegt und starrte so unter dem Ellbogen hervor auf Hamor, ihr schönes glänzendes Haar hing, bis herab zu den braunroten Enden, aufgelöst vor den Blicken des fremden Mannes. Er bückte sich und hob das schwarze Käppchen zu seinen Füßen auf, das er ernsthaft musterte. Die von fern zuschauenden Frauen brachen bei seinem Tun in maßlose Heiterkeit aus.
„Gehört es dir?" fragte er, sich dem Mädchen nähernd und ihr freundlich ins Gesicht blickend. Er war immer freundlich mit Kindern und sie erschien ihm noch ganz wie ein Kind. Sein Wesen trug das Gepräge des gebildeten Weltmanns. Sie aber wußte nichts von weltmännischen Manieren, sie glaubte nur, daß er sie verhöhnen wolle — grimmig riß sie ihm die Kappe aus der Hand, und warf ihmeinen haß. und zornerfüllten Blick aus ihren trotzigen blauen Augen zu.
„Sie, — kümmern Sie sich um sich selbst!" stieß sie leidenschaftlich, im raschen, undeutlichen bretonischen Dialekt hervor; mit einem scheuen Sprung hatte sie dann ihre Gefährtinnen eingeholt, die ihr so übel mit- gespielt hatten, und überhäufte sie mit einer Flut von Vorwürfen. Hamor, dem ihr Zorn und ihre Aufregung höchst unterhaltend erschien, beobachtete noch eine Weile schweigend, wie sie, noch immer unter den heftigen Aus- brüchen der Entrüstung hastig bemüht war, ihren Kopfputz zu ordnen. Da er aber ihre Erregung durch seine Anwesenheit nicht noch steigern wollte, ging er still den Weg am Ufer entlang weiter und kehrte nach einem Spaziergang durch die dämmernden Wiesen und Felder langsam nach dem Hotel zurück. Außerdem daß der Abend hereingebrochen war, konnte er keine wesentliche Veränderung dort wahrnehmen, es sah alles aus wie am Nachmittage, nur daß die Männer, die vorher Wermut und Absinth vor der Türe getrunken hatten, nun Absinth und Wermut im Cafe drinnen tranken.
Madame trat ihm im Korridor mit ihrem bedeutsamen Lächeln entgegen; es war ein zögerndes Lächeln wie unter Vorbehalt, bedächtig und vieldeutig, Madame lächelte niemand an, nur im stillen für sich.
„Monsieurs Freunde sind noch nicht gekommen; wahrscheinlich erwarten sie Monsieur heute noch nicht."
„Wissen Sie vielleicht, ob Mr. Staunton gestern abend meine Depesche erhalten hat?"
„Hier liegt eine für ihn," antwortete sie gefällig, „sie kam aber erst heut Morgen, als er schon weggegangen war. Die Frau Postmeisterin ist ein wenig zerstreut, darum ist es ganz gut, wenn die Herren Künstler sie manchmal ersuchen, ihre Gedanken zusammen zu nehmen; aber kluge Leute find ja oftmals zerstreut," setzte sie gleichmütig hinzu. — „Hat Monsieur schon den Fischfang besichtigt? Nein? Die Fremden finden es immer so interessant. Es würde Monsieur gewiß Vergnügen machen, an den Hafen hinunter zu gehen."
Ueberzeugt, daß ihm die vortreffliche, kluge Frau sicher nur etwas Sehenswertes empfehlen würde, dankte ihr Hamor für den guten Rat und beschloß, ihn sofort zu befolgen.
Die Straße am Quai, die er noch vor kurzem so verödet gesehen, schien jetzt von Leben und Bewegung erfüllt zu sein. Dort war die Fisch- börse von Plouvenec, die für das Dorf genau so wichtig war, wie die Stockbörse für die Kapitalisten und Spekulanten einer großen Handelsstadt. Schon waren fast alle Boote eingelaufen und die wenigen, die noch anlangten, wurden vom Ufer aus mit Rufen, Fragen und Angeboten bestürmt. Ganz Plouvenec schien auf den Füßen zu sein; außer den Fischern, den Händlern und den in den Packhäusern beschäftigten Männern und Frauen, stand noch ein ganzer Kreis müßiger Zuschauer umher. Soeben sah man die kurze gedrungene Gestalt des Friedensrichters sich mit vieler Wichtig.
keit Bahn durch die Menge brechen. Es war wohl bisweilen ein saures Amt Ruhe und Frieden unter dem leicht erregbaren Volke aufrecht zu erhalten, aber der Richter verstand die schwere Kunst, es allen nach Wunsch zu machen. Wenn er streitende Parteien zu Tätlichkeiten übergehen sah, war er freundlich genug, sich nach der entgegengesetzten Richtung zu begeben, und so alle Erörterungen zu vermeiden.
In der Menge sah Hamor auch die Gestalten mehrerer junger Leute auftauchen, deren braune Sammetröcke und lebhafte, angeregte Mienen und Blicke sie als Maler kennzeichneten. Junge Mädchen, die einander untergefaßt hielten, wie sie allerwärts tun, und unnütze Buben, mit schriller Stimme Gassenhauer singend, vervollständigten die Scene. Auf und ab strömte die wogende Menge, feilschend, zankend, lachend oder auch wohl fluchend, unter wilder Aufregung und betäubendem Stimmengewirr — ein vielgestaltiges, nie rastendes, sich stets neugebärendes Ungetüm. Jenseits des Hafendammes aber wogte und wallte der Ozean in das Geheimnis der Nacht und der Ferne hinaus.
Plötzlich war Hamor, durch ein heftiges Drängen der Menge, in den inneren Kreis gestoßen und sah sich mit einemmale vom unbeteiligten Zuschauer in eine handelnde Person verwandelt.
Dicht vor ihm waren zwei Männer in einer rohen, wüsten Rauferei begriffen. Die Umstehenden folgten dem Vorgang mit Aufmerksamkeit, doch wagte keiner sich hineinzumischen. Der eine der Kämpfer, ein unter- setzter Seemann zwischen 40 und 50 Jahren schlug in sinnlosem Zorn auf seinen Gegner ein, der, obschon jünger und weniger stark, doch wacker das Feld behauptete. Beide waren augenscheinlich stark betrunken. Hamor beobachtete sie mit Widerwillen und Abscheu, nur mühsam unterdrückte er den Wunsch, selbst handelnd einzugreifen. So lange sie sich ihrer natür- lichen Waffe, der Faust, bedienten, hielt er sich indeß zurück, aber als es dem kleineren der Kämpfenden gelungen war, seinen Widersacher zu Boden werfen und er nun anfing, ihn mit dem Sabots zu bearbeiten, fühlte er sich plötzlich von hinten gepackt, eine unnachgibige Hand preßte ihm die Ellbogen kräftig zusammen und hielt ihn trotz seines wütenden Sträubens wie im Schraubstock gefangen. Unterdessen hatte der zu Boden Geworfene wieder festen Fuß gefaßt und holte aus, um seinem jetzt wehrlosen Feind einen Schlag ins Gesicht zu versetzen.
„Zurück du elender Feigling!" rief Hamor mit aufsteigendem Zorn. „Haltet ihn zurück, ihr Leute, hört ihr nicht?" wandte er sich dann an die gaffende Menge. Durch einen drohenden Blick aus dem Auge des Angreifers aufmerksam gemacht, hatte er gerade noch Zeit seinen Gefangenen sowie sich selbst durch eine rasche Wendung vor einem neuen Schlage zu schützen. Zugleich bemerkte er jedoch am Aushören aller weitern Feindseligkeiten, daß ihm von anderer Seite her Hilfe gekommen sein müsse. Schnell wandte er sich um und sah, wie ein großer dunkler Mann im Priesterrock den trunkenen Schiffer, nicht vermöge seiner geistlichen Obergewalt, sondern mittelst seiner außerordentlichen Muskelkraft, an der Fortsetzung des Kampfes verhinderte.
„Hoöl!" sagte der junge Priester, „laß ab vom Streit, du siehst ja, ich bin stärker als du und ich gebe dich erst frei, wenn du ganz ruhig nach Hause gehen willst; du darfst auch nicht sprechen unterwegs, denn wenn du sprichst, fängst du doch wieder an zu streiten, sei ruhig und geh heim." Damit führte er den fast Willenlosen durch die Menge in der Richtung seines Heimwegs. Wie ein echter Seemann mit wiegendem Schritt, kehrte der Priester darauf zu Hamor zurück, der seinen finster dreinblickenden Gefangenen inzwischen freigegeben hatte. „Geh auch du heim, Rodellec!" sagte er in bestimmtem festem Tone, „du hast heut genug gehabt vom Fischfang, vom Trinken und vom Raufen, schlafe deinen Rausch zu Haus aus." Das Licht der nächsten Laterne fiel voll auf sein ernstes, eindruckvolles Antlitz.
Rodellec weigerte sich, unter Flüchen und Drohungen, er wolle Hoöl den Schädel einschlagen, sowie jedem, der es wage, ihm noch einmal in den Weg zu treten. Auf die Arme seiner Freunde gestützt, mit unheildrohender Miene und geballten Fäusten rückte er auf Hamor an.
„Mit Euch lasse ich mich in keinen Kampf ein," sagte der junge Mann ruhig und kalt. „Wir sind ja nicht in Hader mit einander. Sehe ich Euch aber einen Menschen mit dem Sabots im Gesicht herumtrampeln, so werde ich's Euch verwehren, wenn ich kann."
„Verdammter Kerl," rief Rodellec vorwärts dringend.
Der Priester, der kein Auge von den Beiden verwandt hatte, trat jetzt an Hamors Seite.
„Geh heim, Rodellec," wiederholte er streng und gebieterisch, „Du weißt, Dlr darfst nicht trotzen. Ein Priester kämpft nicht, das weißt Du recht gut, wenn Du nüchtern bist, er verwehrt aber andern das Raufen, wenn er die Kraft dazu hat, und zum Glück ist das manchmal der Fall." Er richtete seine stattliche Figur zu ihrer ganzen, stolzen Höhe empor. Heftige Verwünschungen murmelnd, verließ jetzt Rodellec schwankenden Schrittes den Schauplatz seiner Taten.
(Fortsetzung folgt.)