Samstag

Beilage z« Nr. 11.

19. Januar 1907.

Das Doktor-Fräulein

Novelle von Alwin Römer.

Und was ich Dir wünsche, Mutting, zu Deinem Geburtstage, wünsche ich eigentlich mir: bleib frisch und rege, wie Du's immer warst, damit auch weiterhin alles am Schnürchen geht bei uns!" schloß Hubert Erdmann der rührige Besitzer von Klein-Selkow, die kleine Ansprache, die er, halb feierlich, halb humoristisch, seiner bejahrten, aber noch überaus rüstigen Mutter an diesem Morgen hielt. Er wollte nämlich, gleich nach dem ersten Frühstück nach Busebach hinaus, wo seine Leute die letzten Kartoffeln ausbuddelten, was des langen regnerischen Wetters wegen in diesem Jahre weit später als sonst geschehen konnte.

Das sagst Du so: frisch und rege!" entgegnete die Greisin und hielt mit ihren sehnigen Fingern seine breiten Schultern umspannt.Aber ich bin nun zweiundsiebzig, da läßt alles sachte nach: Augen und Ohren. Und auch die Füße! Die Füße vor allen Dingen! Eh' ich hinkomme, wo vielleicht gerade etwas Verkehrtes geschieht, ist längst alles wiederver­wuschelt", und sie gucken mich an wie die weiß gewaschenen Lämmer und machen Männchen hinter mir her!"

Das bildest Du Dir nur ein, Mutting!" versuchte er sie lächelnd zu begütigen.

Ich weiß, was ich weiß, Hubert! Da, an dem Napfkuchen ist mir's klar geworden, den Du mir zum Geburtstag hast backen lassen. Ein halbes Pfund Rosinen haben sie dazu gebraucht, und wenn Du sie alle zusammen­suchst, die drin sind, hast Du noch keine hundertfünfzig Gramm.

Er zuckte gleichmütig die Achseln:

Das geschah eben, weil es ohne Deine Aufsicht gehen mußte. Du solltest doch nichts merken davon, Mutting!"

Ich merke aber doch alles!" erklärte sie.

Das sag' ich ja auch. Du bist so frisch und munter, wie es drei Wirtschaftsmamsellen zusammen nicht fertig kriegen!"

O ja, Wirtschaftsmamsellen!" bemerkte sie fast verächtlich.Ich wollt' sie nur nicht blamieren vor den anderen. Aber ich will Gift nehmen, wenn sie nicht auch von den Rosinen in der Tasche gehabt hat!"

Junge Mädchen naschen nun einmal gern!" warf er dazwischen, um sich vielleicht noch vor dem Kommenden zu retten. Denn er wußte ganz genau, wo hinaus seine Mutter steuerte.

Die meisten wenigstens!" bestätigte Frau Erdmann.Aber, Gott sei Dank, doch nicht alle! Und darum sage ich: hol' Dir nun endlich eine Frau ins Haus, Hubert, eine, die flink ist und offene Augen hat"

Und nicht nascht!" scherzte er.

Meinetwegen darf sie sogar ein wenig naschen. Aber dafür muß sie Dich natürlich lieb haben, so recht von Herzen lieb haben! ' Damit redete sich die Mutter ihren Lieblingswunsch endlich einmal wieder von der Seele.

Sehr gut, Mutting. Nun brauchst Du mir bloß noch die Adresse zu geben, und ich sehe mir das Wundermädchen einmal an. Aber nicht schon heute und morgen. Meine Kartoffelernte geht mir nämlich vor. Davon kommt der Zentner sicher auf 3 Mark dieses Jahr !" sagte er und hob leise ihre Hände von seinen Schultern, um der Mutter zu entwischen. Aber sie hatte es sich anscheinend fest vorgenommen, ihm diesmal eine Zusage abzuringen. Denn nun hielt sie ihn an seinen Jagdjoppenknöpfen, dicken Hirschhornscheiben, die sie selbst angenäht hatte, fest und bat ein­dringlich:

Siehst Du, Hubert, so machst Du es immer! Und wirst schließlich ein alter Hagestolz! Fünfunddreißig bist Du nun schon. Bloß noch ein paar Jahre so hin und Du denkst gar nicht mehr daran, Dir eine Herrin für Klein-Selkow zu suchen! Eines Tages aber stirbt Deine Mutter, solange sie sich auch dagegen wehren wird na, und dann"

Mutting, hör' auf!" unterbrach er sie innig.Du weißt, daß ich so etwas nicht hören kann!"

Dann versprich mir, morgen abend zu dem Fest zu fahren, das Schillbachs geben, und Dir dort mal die Kusine der jungen Frau Schill­bach anzusehen, die da seit vierzehn Tagen zu Besuch ist"

Ich habe sie aber schon gesehen, Mutting!" erklärte er mißmutig.

So? Und sie hat Dir nicht gefallen, Hubert?"

Ach Gott, daraufhin habe ich sie mir natürlich nicht angesehen! Was sieht man denn von einem jungen Mädchen, wenn man als Nachbar zu einer Taffe Tee oder Kaffee in den Hof reitet? Das putzt sich flink heraus und strahlt einen an, als ob man der selige Lohengrin wäre, und schwärmt für die Landwirtschaft! Ist natürlich alles Flunkerei! Zu Hause müßte man sie sehen können, in ihren vier Pfählen, wo sie sich gehen lassen und ihre wahren Neigungen zeigen! Ob sie die Eltern gut behandeln und die Dienstboten nicht drangsalieren; ob sie das Hauswesen regieren oder alles gehen und stehen lassen! Da ist sicher nicht eine, die sich von Anfang an ehrlich gibt und einem sagt: ich mag mit deiner Wirtschaft nicht viel zu tun haben, aber wenn du ein hübsches Spielzeug für den Feierabend brauchst, dann nimm mich! Und wäre so eine nicht am Ende

zehnmal mehr wert als eine von den Scheinheiligen, die einen mit lauter Tüchtigkeit und Betulichkeit einwickeln, und erst nachher, wenn man nicht mehr zurück kann, ihr wahres Gesicht und ihre Krallen zeigen?" Hast's ja gesehen bei Zeplin's. Dem armen Jungen wäre auch wohler, wenn er noch einspännig durch's Leben traben könnte!"

Hast nicht unrecht, Hubert, aber bist doch alt genug, um echt und unecht unterscheiden zu können! Vor allem: sei nicht so entsetzlich miß- trauisch. Wenn Dich ein Mädel mag, darf es Dir doch wohl auch ein freundliches Gesicht zeigen. Und weshalb soll ein frisches, unverdorbenes Mädel Dich nicht mögen?"

Fang' Du auch noch an, zu lohengrinen!" lachte er halb ärgerlich, halb belustigt auf.

Ach Unsinn, Junge. Aber sag' mal im Ernst: halt sie sich nett gezeigt Dir gegenüber?"

Wer?" '

Die Kusine von Schillbachs Frau!"

Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls war sie nicht stacheldrähtig. Aber sie interessiert mich nicht im mindesten."

Soll aber sehr wirtschaftlich sein!"

Natürlich!" spottete er.Wie Dora Zeplin es auch war!"

Darüber habe ich zuverlässige Nachrichten. Nur ob sie verträglich ist, weiß ich noch nicht recht. Eine Herrische könntest Du nicht gebrauchen, Hubert. Aber das wollten wir bald heraus haben. Brauchtest sie nur morgen abend beim Tanz einmalpurzeln" zu lassen: da zeigt sich sogleich der wahre Charakter eines Mädchens. Das ist ein probates Mittel, wenn Du auch darüber lachst!"

Du hast ja wundervolle Rezepte, Mutting! Aber die Hauptsache ist doch wohl, daß ich sie lieb haben müßte und sie mich auch."

Gewiß, Hubert. Aber sie soll ja ein sehr hübsches und lebendiges Ding sein, das vorzüglich für Dich passen würde! Weshalb sollst Du die nicht lieb haben können? Na, und wie sie über Dich denkt, das merkst Du beim Tanzen, wenn Du meinen Rat befolgst! Wird sie unangenehm, dann weißt Du Bescheid. Dann laß sie ruhig laufen. Bleibt sie aber freundlich oder hat sie gar ein herzliches Wort für Dich, dann stimmt'«: dann hat sie Dich wirklich gern!"

Was doch so liebe, alte Frauen manchmal für heimtückische Mause­fallen aufstellen möchten!" lachte Hubert Erdmann und streichelte seiner Mlltter zärtlich über die Wangen.Aber ich werde mich hüten und morgen abend eine Vorstellung geben. Ich verlasse mich auf mein Gefühl!"

Das ist mitunter recht trügerisch, Hubert! Geh' mir zuliebe und versuch's mal morgen! Am Ende bin ich ja auch noch da und habe ge­sunde Augen im Kopfe, wenn sie auch schon alt sind. Leichte Ware lasse ich nicht passieren!" sagte Frau Erdmann kopfnickend.

Das ist es vielleicht, wovor ich mich am meisten fürchte, Mutter!" sagte er zögernd und sah an ihr vorüber in den sonnig-kühlen Oktobertag hinaus. Denn wer kann gutstehen dafür, daß Dir gefällt, was mir ein­mal das Herz aufgehen läßt? Wieder aufgehen läßt!" fügte er nach einer kleinen Pause etwas leiser hinzu.

Auch darin kannst Du recht haben, Hubert!" antwortete die alte Frau.Obgleich ich damals, wenn auch nur heimlich, auf Deiner Seite war. Aber Vater hatte doch wohl die bessere Einsicht als wir beide. Du hättest Klein-Selkow nicht halten können mit einer solchen Frau. Und auf der Bühne hättest Du sie doch nicht gelassen, nicht wahr? Oder wäre es Dir angenehm gewesen, mit ihr von einem Theater zum andern zu reisen und ihren Sekretär und Kassierer zu spielen? Hubert das war wirk­lich Torheit damals, und Du kannst es dem Vater im Grabe danken, daß er Dich straff genommen und Dir reinen Wein eingeschenkt hat über alles!"

Ich habe es ihm auch gedankt, Mutter! Sie wäre entschieden un­glücklich geworden in den Verhältnissen damals, während sie so"

Frau Gräfin ist auch was Besseres als Frau Erdmann!" meinte die Greisin, leise pikiert.

So mußt Du von ihr nicht denken. Das war wohl mehr Euret­wegen, damit ihr sehen solltet, daß sie Klein-Selkow nicht nöttg hatte! Aber sie ist wirklich glücklich geworden. Acht Kinder hat sie schon, Mutting acht Kinder!"

Gott sei Dank!" erklärte Frau Erdmann, und es kam ihr so recht aus Herzensgrud. Denn über diesen Punkt aus Huberts Vergangenheit hatte sie bis auf den heutigen Tag keine Silbe wieder verloren, seit er damals als Vierundzwanzigjähriger seiner leidenschaftlichen Neigungen zu einer schönen, jungen Sängerin entsagt hatte.Das ist für Euch beide doch sehr tröstlich!"

Hubert zuckte in einer humoristischen Anwandlung die Achseln, verschluckte aber die Bemerkung, die ihm auf der Zunge geschwebt hatte. Ihn beherrschte die Scheu guter Söhne, von solchen Dingen der Mutter gegenüber so knapp wie möglich zu reden.

Adieu, Mutting, zu Mittag bin ich wieder da!" damit verabschiedete er sich und drückte ihr einen Kuß auf die gefurchte Stirn.Wirst viel Besuch haben unterdessen. An Unterhaltung wird's Dir also nicht fehlen. Grüße nur die Nachbarn und Freunde alle!" (Fortsetzung folgt.)