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zu gewinnen. Wir kamen durch das weltabgeschie­dene Hünerberg mit seinem wohl wenig frequentierten aber oft genannten Gasthaus; nur wenige Calwer, die nicht dienstlich hieher gerufen werden, sind wohl in diesem stillen Dörflein gewesen. Durch stattliche Wälder, deren Beerenreichtum wir bewunderten, gings auf einer Höhe von nahezu 800 Bieter hinüber nach Aichelberg, wo wir in der gastlichenSonne" bei bester Verpflegung einen Aufenthalt von 3 Stun­den nahmen. Wer hätte es noch vor einigen Jahren gedacht, daß hier oben sich ein solcher Fremden­verkehr entwickeln würde! Ein Viertelhundert Luft­kurgäste beherbergt die Sonne und bald wird der rührige Besitzer Frey noch ein zweites Luftkurhaus erstellt haben. Nachdem sich die Wanderer genügend gestärkt hatten, wurde die letzte Wegstrecke in Angriff genommen. Es bietet einen eigenen Reiz, auf dieser freien Höhe sich zu bewegen; die Luft ist so würzig und rein, der Blick schweift hinüber auf die jenseits der großen Enz gelegenen Höhen, die beherrscht sind von dem Hohloh mit seinem schlanken Aussichtsturm; unter sich hat man das tiefeingeschnittene Kälbertal, das sich bald vereinigt mit dem Tal der großen Enz dort, wo die Pumpstation des weitverzweigten, segensreichen Wasserwerkes zu erblicken ist. Nun senkt sich der Weg allmählich und durch schattige Tannenwälder kamen wir hinunter ins grüne Tal, wo durch ihr Felsenbett die Enz sich rauschend drängt." Ein ganz anderes Bild als droben auf den Waldeshöhen bot sich hier unseren Blicken: das Treiben eines Weltbades in der Hochsaison. Wir wohnten noch dem Konzert der Kurkapelle an, hatten noch eine kurze Frist zu einer Stärkung und bestiegen sodann den Bahnzug der uns um IlL 2 Uhr wohl­behalten in die Heimat zurückbrachte. Nur eine Stimme der Befriedigung hörte man; das war ein schöner Tag, eine, wenn auch anstrengende, dankbare genußreiche Wanderung, die von dem herrlichsten Wetter begünstigt war und die es wert gewesen wäre, daß sich noch weitere Mitglieder des Vereins angeschlossen hätten.

Alzenberg 4. Aug. Wie uns milgeteilt wird, führte ein von Straßburg kommender Luft­ballon beim Windhof ein Landungsmanöver aus und setzte einen Mann daselbst ab. Der Ballon war morgens um 10 Uhr in Straßburg aufgestiegen und landete 12 Uhr 20 Min. beim Windhof. Die Besatzung bestand aus 10berleutnant, 1 Unter, offizier, 1 Gefreiten und 1 Gemeinen. Der zurückgelassene Mann befindet sich zur Zeit noch in Alzenberg.

(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.) Am 3. August ds. Js. ist von der Evangelischen Oberschulbehörde die 1. Schulstelle in Detten­hausen, Bez. Wankheim (Tübingen), dem Schul­lehrer Götz in Hirsau, Bez. Calw, übertragen worden.

Stuttgart 5. Aug. Der Chefredakteur des Staatsanzeigers, Prof. v. Wieland, be­ging gestern das 40jährige Jubiläum in seiner Eigenschaft als Redakteur des Staats­anzeigers, aus welchem Anlaß ihm die verschie­

densten Auszeichnungen und Ehrungen zuteil wur- den. Von Sr. Maj. dem König wurde dem Ju­bilar das Ehrenkreuz des Ordens der Württem- bergischen Krone verliehen. Am Vorabend brachte der Sängerchor des Gutenbergvereins dem Jubilar ein Ständchen, während eine Deputation desselben persönlich ihre Glückwünsche überbrachte. Als Vertreter des Hrn. Staatsministers des Innern erschien am Vormittag Hr. Ministerialrat v. Scheur- len zur Beglückwünschung. Bei einer von den Angestellten des Staatsanzeigers in dem festlich geschmückten Zimmer des Chefredakteurs veran- stalteten Feier beglückwünschte der zweite Redak­teur den Jubilar namens der Anwesenden, wäh­rend der Faktor der Druckerei eine sehr schön ausgestattete Widmung des Druckereipersonals überreichte. Von dem Württ. Journalisten- und Schriftsteller.verein kam eine Glückwunschadresse zur Verlesung und namens der jetzigen und frü­heren Redakteure wurde dem Jubilar ein Pokal überreicht. Prof. v. Wieland dankte für alle diese Kundgebungen in einer längeren Ansprache mit tiefbewegten Worten. Er gab dem ehrfurchts­vollen Danke gegen Seine Majestät für die ver­liehene hohe Auszeichnung und für das ihm von Seiten der K. Regierung durch 4 Jahrzehnte er­wiesene Wohlwollen Ausdruck, dankte allen seinen Mitarbeitern, versicherte sie seiner herzlichen Ge­sinnungen und schloß mit einem freudig aufge­nommenen Hoch auf Se. Maj. den König. Im Lauf des Tags traf von nah und fern eine große Anzahl von telegraphischen und brieflichen Glückwünschen, Blumenspenden u. s. w. ein.

Stuttgart 4. Aug. Zu der großen Jubiläumsausstellung des Württ. Obst­bauvereins, e. V., die im September d. I. in der Gewerbehalle stattfindet, laufen aus allen Gegenden des Landes Anmeldungen ein. Die Bedeutung dieser Ausstellung liegt vor allem darin, daß sie in erster Linie zur praktischen Förderung des einheimischen Obstbaues beitragen soll, insbesondere zur erfolgreichen kaufmännischen Verwendung des Obstbaues, wobei die rationellere Sortierung, sowie der Versand des Obstes in Betracht kommt. Von besonderem Interesse dürfen sodann die Bespritzungsproben sein, die während der Ausstellung vorgeführt werden. Bekanntlich mehren sich von Jahr zu Jahr die Schädlinge unseres Obstbaues und nur noch eine kurze Frage der Zeit dürfte es sein, daß gleich wie bei den Weinbergen auch in den Obstgärten das Bespritzen zur unerläßlichen Aufgabe werden muß. Die Ergebnisse des Bespritzens sollen sodann im Börsensaale der Gewerbehalle den Gegenstand einer Erörterung der Interessenten bilden. Die Händler wie Private sollen also hier auf Bezugs­quellen aufmerksam gemacht, nach Maßgabe des Anbaus und Ertrags in den einzelnen Gegenden,

gleichzeitig sollen dem Obstbau selbst Absatzgebiete erschlossen werden. Von ganz besonderem Inte­resse ist die vom Württ. Obstbauverein auf dem ehemaligen Panoramaplatz angelegte Baumaus­stellung, für welche unter großer Mühe die aus­erlesensten Bäume von württemb. Baumschulen beschafft wurden. Durch diese Baumausstellung werden wirklich fachgemäß gezogene Bäume und die Art ihrer Pflege und Zucht als Muster vor Augen geführt.

Untertürkheim 4. Aug. Vergangene Nacht brach in dem Haus der Eßlingerstraße wiederum Feuer aus. Hiebei wurde der längst gesuchte Brandstifter der letzten Brände, der auch den neuesten veranlaßt hat, in der Person eines Feuer­wehrmannes und Feuerversicherungsagenten ver­haftet. Er wurde an das Amtsgerichtsgefängnis eingeliefert.

Reutlingen 4. Aug. Gestern Nach­mittag gegen 3 Uhr fiel in der Zwirnerei von I. I. Anner in der Lindachstraße eine seit kurzem verheiratete Arbeiterin namens Flora Vall aus Eningen infolge eigener Fahrlässigkeit durch den Transmijsionsschacht, wurde von der Haupttrans- misfion erfaßt und vollständig zerstückelt.

Reutlingen 5. Aug. Auf sehr bedauerliche Weise ist am Samstag nachmittag um 5 Uhr die Ende der 30er Jahre stehende Ehefrau des Mon­teurs Friedrich Jung ein Opfer ihrer mütter­lichen Pflichterfüllung geworden. Sie sah, wie eins ihrer Kinder in der Gefahr schwebte, von einem die Kirchstraße herabkommenden Break überfahren zu werden, sprang hinzu und zog das Kind hervor, geriet aber hiebei selbst unter das Fuhrwerk und erlitt so schwere innere Ver­letzungen, daß an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. Der Kind wurde nur leicht verletzt. Die Verunglückte ist Mutter von 5 Kindern.

Eßlingen 4. Aug. Die Beerdigung des bei einer Nachtübung in Ulm ertrunkenen Pioniers Wilhelm Bäuerle von hier fand heute abend 5 Uhr auf dem hiesigen Friedhof statt. Außerordentlich zahlreich war die Beteiligung am Leichenbegängnis, nicht nur aus der Ein­wohnerschaft, sondern auch seitens der Offiziere und Mannschaften der 2. Kompagnie des Pionier­bataillons; außerdem war auch die vollständige Kapelle genannten Bataillons kommandiert. Die Offiziere, Unteroffiziere, sowie die Kameraden widmeten dem auf so bedauerliche Weise ums Leben Gekommenen Lorbeerkränze, ebenso der Turnverein, je mit entsprechenden Worten der Anerkennung und des Abschieds.

Stetten i.R. 3. Aug. Die Getreide, ernte, die bereits begonnen hat, wird nächste Woche allgemein werden. Man darf trotz des da und dort ausgetretenen Brandes doch auf

Hüttendecks, beobachtete die Leute und zählte sie. Es fehlte kein Mann. Dies war mir eine große Beruhigung, denn nun wußte ich, daß noch keiner im Kielraum war. Wenn ich gut aufpaßte, konnte es mir nunmehr nicht entgehen, sobald sich ein Mann entfernte.

Es war schon sieben Uhr vorbei, als das Langboot zu Wasser geführt wurde. Drei Mann sprangen hinein und nahmen die Kisten und Tonnen in Empfang, die ihnen zugereicht wurden. Einige Mann begaben sich zum Seitenboot, um es auch herunter zu lassen.

In diesem Augenblick vermißte ich den Zimmermann; mir stockte der Atem; ich ließ angstvoll mein Auge überall umherschweifen; er war nirgends zu sehen. Ich horchte nach unten hin in dem Glauben, er möchte in die Kajüte gegangen sein, aber alles war dort still. Kein Schatten eines Zweifels, er, der das Anbohren des Schiffes erdacht hatte, er war nun selbst gegangen, die schwarze Tat auszuführen.

Es war ein furchtbarer Moment. Wenn der Hochbootsmann ihn

tötete-! Großer Gott, fast sämtliche Leute waren noch auf Deck;

wenn er nicht zurückkehrte, gingen sie ihn sicherlich suchen; es war nicht anzunehmen, daß sie das Schiff ohne ihn verlassen würden. Das Haar sträubte sich mir aus dem Kopf, der Schweiß perlte in großen Tropfen auf meinem Gesicht, ich biß mir die Lippen halb durch, um meine Aufregung nicht zu verraten, und wartete auf ich weiß nicht was!

18. Kapitel. Befreit.

Die Leute waren inzwischen fieberhaft geschäftig, den letzten Proviant in das Seitenboot zu verstauen. Sie pfiffen lustige Lieder und lachten und scherzten in bester Laune, als ob sie im Begriff ständen, eine Vergnügungs­reise anzutreten.

Und ich! Mein Gott, welche Folterqualen stand ich aus! Was geschah in diesem Augenblick dort unten oder was war vielleicht schon geschehen? Lag der Elende von der Eisenstange des Hochbootsmanns getroffen, tot im

Kielraum oder hatte er den Hochbootsmann vielleicht im Schlafe überrascht und umgebracht? Jede Minute wurde mir zur Stunde; eine Ewigkeit verging; die Sonne versank allmählich im Wasser; die meisten Leute waren schon in die Boote gestiegen, nur vier sah ich noch auf Deck» sie blickten zuweilen nach mir, zuweilen in die Kajüte, zuweilen nach vorn, aber keiner von ihnen sprach.

Plötzlich ich erschrak, als ob mir ein Geist erschienen sah ich den Zimmermann eilig um die Küche herumkommen und nach der Fallreeps­treppe schreiten.

Macht, daß ihr ins Boot kommt, Jungens!" schrie er.

Wie Ratten, die ein sinkendes Schiff verlassen, sprangen sie einer nach dem andern ins Langboot, zuletzt der Zimmermann; sie warfen die um ein Rußeisen geschlungene Bootsleine los, nahmen das Seitenboot ins Schlepptau und stießen ab. In wenigen Minuten waren beide Boote ungefähr drei Kopellängen entfernt, hier hielten sie an; sämtliche Leute starrten jetzt erwartungsvoll durch das Halbdunkel nach dem Schiff herüber.

Während dies geschah, hatte ich dagestanden wie einer, in dem das Leben plötzlich erloschen ist; das Entsetzen hatte mich komplett gelähmt. Als ich den Zimmermann zurückkehren sah, war ich vollkommen überzeugt, daß er den Hochbootsmann getötet hatte. Allmählich aber fand ich, daß sein Benehmen zu dieser Annahme nicht stimmte. Wenn der Hochboots­mann ihn angegriffen und er diesen dabei totgeschlagen hatte, so würde er sicherlich nicht das Schiff verlassen, ohne noch eine besondere Rache an mir zu nehmen, denn er mußte dann mich als den Urheber der Verschwörung gegen sein Leben erkannt haben.

Was bedeutete denn aber sein ruhiges Wesen bei der Rückkehr, seine völlige Nichtbeachtung meiner Person, als er das Schiff verließ? War der Hochbootsmann in seinem Versteck gestorben? Bei diesem Gedanken erstarrte mir alles Blut in den Adern.

(Fortsetzung folgt.)