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Fall, allerdings etwas anderer Art, wurde unter Billigung dieser Momente Recht gesprochen und eine fahrlässige Körperverletzung im Amt durch einen Gemeindebeamten daraus konstruiert, obschon die Hantierung im Angesicht des Rathauses (der Polizei) vor sich ging (siehe Boschers Zeitschrift von 1894 S. 275). In Nagold scheint nicht einmal abgeschrankt worden zu sein. Die polizeilichen Vorschriften sind, das ist eine Binsenwahrheit, aus Gründen des allgemeinen Wohls und im Interesse des ungestörten Zusammenlebens der Bevölkerung gegeben; jedermann hat daher ein Recht darauf, daß sie ohne sein Dazutun von Amtswegen zum Vollzug gebracht werden.
Eßlingen, 11. April. Bei der gestrigen landwirtschaftlichen Bezirksrindviehschau waren 10 Farren und 17 Kühe zugeführt. Im ganzen kamen 5 Preise im Betrage von 460 ^ und bei Kühen 6 Preise im Betrag von 320^ zur Verteilung. Die Schaukommission bestand aus den Herren Landwirtschastsinspektor Wacker- Leonberg, Wunderlich-Heilbronn, Oekonomierat Fecht-Stuttgart und Oekonom Geiger.
Ulm, 11. April. Ein Wachmann der Wach- und Schließgesellschaft fand vorgestern Nacht in einem engen Gäßchen einen durch 4 tiefe Messerstiche und Hiebe mit einem Schlagring verletzten Mann, den er zur Polizeiwache schaffte. Die Täter, die der Wachmann davonspringen sah, sind noch nicht ermittelt.
Berlin, 11. April. Reichskanzler Fürst Bülow, dessen Kräftigung soweit vorgeschritten ist, daß er die Dienstgeschäfte wieder übernehmen möchte, ist vom Geheimrat von Renvers noch Bettruhe verordnet, obwohl der behandelnde Arzt erklärt, der Kanzler könne ohne Schaden an Gesundheit zu nehmen, aufstehen und bei dem prächtigen Wetter kurze Spaziergänge im Park unternehmen, bleibt er dennoch bei seiner Verordnung, weil er mit Recht befürchtet, der Fürst werde sofort viele Dienstangelegenheiten, die ihn beschäftigen, erledigen und vor allen Dingen eine große Reihe von Persönlichkeiten empfangen wollen, die er ihrem Range nach, sobald er sich außerhalb des Bettes bewegt, persönlich empfangen müßte. Vor den hiemit verbundenen Anstrengungen, wünsche Geheimrat von Renvers den Kanzler noch einige Tage zurückzuhalten.
Berlin, 11. April. In der letzten Nacht wütete in der alten Jakobstraße ein gewaltiger Brand, gegen den die Feuerwehr stundenlang ankämpfte. Sämtliche Vorräte und Rohstoffe der bekannten Theater-Dekorationsfirma Hugo Baruch und Co. wurden vollständig vernichtet. Durch den Brand sind einige hundert Arbeiter auf Wochen hinaus brotlos geworden. Der Schaden wird auf eine Million Mark geschätzt.
Prag, 11. April. Der König von Württemberg ist gestern Nachmittag von Nachod hier eingetroffen. Er besichtigte die Stadt
und die Kunstausstellung und trat um 8 Uhr abends die Rückreise nach Stuttgart an.
Der Ausbruch des Vesuv.
— Dem Bureau Reuter geht eine Beschreibung des Untergangs des Ortes Bos- cotrecase durch die Lava des Vesuv zu. Ein italienischer Leutnant des Absperrungskommandos beobachtete das schaurige Bild. Die Stadt lag vollständig ruhig da und die Einwohner glaubten, vor dem Lavastrom sicher zu sein. Kurz nach Mitternacht hörte man plötzlich gewaltiges unterirdisches Rollen, dem ein Erdstoß folgte, der sämtliche Fenster in der Stadt zerbrach. Unmittelbar darauf begann aus einer neuen Spalte Lava zu fließen. Die bisher so ruhigen Einwohner^ wurden von Entsetzen gepackt. Der neue Krater schleuderte glühende Massen in die Luft und zwei brennende Flüsse, von denen der eine 200 rn breit war, wälzten sich mit gewaltiger Geschwindigkeit auf den unglücklichen Ort zu. Tie von Furcht ergriffene Bevölkerung flüchtete in der Richtung auf Torre Annunziata, während die Soldaten jedes einzelne Haus durchsuchten, um sich davon zu überzeugen, daß alles geflüchtet sei. Sie retteten auf diese Weise einige bettlägerige alte Leute. Das Militär hatte den Ort kaum verlassen, als der feurige Strom die ersten Häuser erreichte, aus denen sofort die Flammen emporschlugen. Wenige Minuten später war Boscotrecase ein Flammenmeer. Nachdem die beiden Lavaströme ihr Zerstörungswerk verrichtet hatten, vereinigten sie sich und setzten ihren Weg auf Torre Annunziata hin fort. Flüchtlinge, die in Neapel eintrafen, erzählten, daß bei der Ausfahrt des letzten Zugs aus Boscotrecase ein neuer Krater in der Nähe der Station entstand. Die Arbeiten an der Bahn und an den Telegraphenlinien werden trotz des Aschenregens unermüdlich fortgesetzt. Die Straße zwischen Cercola und Ottajano ist zerstört. Sie ist mit brennenden Mafien bedeckt. Flüchtlinge aus Ottajano meldeten, daß 10 Häuser und 5 Kirchen eingestürzt seien, darunter die berühmte Kirche San Michele, die reich war an Kunstschätzen und die sich auf derselben Stelle erhob, auf der im Altertum der Tempel von Castor und Pollux stand.
Neapel, 11. April. Die Tätigkeit des Vesuv beginnt wieder zuzunehmen, die Ortschaft Cercola scheint bedroht. Der Ort Ottajana ist völlig zerstört. 200 Menschen sind unter den Trümmern begraben. Zwischen Ottajana und San Giuseppe sind 500 Menschen ums Leben gekommen.
Neapel, 11. April. Heute früh sind alle Schulen und Gerichtshöfe geschlossen und den Flüchtlingen angewiesen worden, die noch immer zu Tausenden nach Neapel strömen. Allein in Ca stell« mare weilen 25000. Die letzten Nachrichten von den Vesuvorten lauten höchst traurig. In Torre del Greco ist eine Anzahl von Beamten und Soldaten ringsum von glühender
Lava blockiert, so daß man ihnen bisher keine Lebensmittel und Wasser zuführen konnte. Der Unterstaatssekretär Donavo, der die Unglücksorte im Automobil besuchte, geriet durch den Aschenregen in ernste Lebensgefahr. In Porti ci und Resina veranstalteten die wenigen Zurückgebliebenen neue Prozessionen. Eine große Anzahl Militär ist in Neapel eingetroffen. Während der ganzen Nacht dauerte der furchtbare Aschenregen in Neapel an. Der Wagenverkehr ist wieder gänzlich eingestellt. In Torre del Greco sind eine Anzahl Personen erstickt. Auch in Neapel ist die Lage bedenklich. Die Straßen sind unpassierbar. Der Finanzminister war bei Torre del Greco in Gefahr umzukommen. Er bestieg einen kleinen Dampfer, der in Torre del Greco landen sollte. In der Dämmerung wurde der Dampfer an ein Riff getrieben, doch rettete ein Schiff sämtliche Passagiere. In Neapel beginnt das Volk in die Verzweiflung und Lethargie zurück zu verfallen. Der König hat sein großes Schloß den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Pompeji ist heute gefährdet. Das Dorf Poggio Marino unweit Pompeji ist bereits verschüttet. Die letzten Fremden fliehen scharenweise. In Neapel besteht die Gefahr, daß der Lava-Niederschlag die Dächer eindrückt. Auch in Capri ist ein gewaltiger Aschenregen niedergegangen. Sogar die Bevölkerung von Neapel beginnt zu fliehen. Der Bahnhof ist belagert. Die Züge nach Nom, die heute früh abgehen sollten, sind noch nicht abgegangen. Neapel macht den Eindruck, als ob es vor dem Untergang stünde. Die Situation wird immer beängstigender und grausiger.
Neapel, 11. April. In San Giuseppe erreichte die Asche die 2. und 3. Stockwerke, so daß die große Anzahl der Opfer eines qualvollen Erstickungstodes starb. In Ottajana liegen noch Sterbende und Verwundete unter den Trümmern. In vielen Fällen erscheint es unmöglich, die Verschütteten zu retten. In mehreren Fällen kamen die Retter selbst ums Leben. Ottajana ist jetzt vollständig zerstört und unter einer haushohen Lavaschicht ganz verschwunden.
Rom, 11. April Den letzten Nachrichten aus Neapel zufolge erneuern sich die Natur- Ereignisse fortwährend. Die Zusammenstöße von Eisenbahnzügen infolge Aschenregens häufen sich. Die Zahl der Umgekommenen schwankt zwischen 500 und 1000.
Rom, 11. April. Die letzten Meldungen aus Neapel bestätigen, daß der gestrige Tag verhängnisvoller war als der vorhergehende. In Neapel ist durch den Druck der Aiche und Steinmasse auch eine Kirche eingestürzt. Gestern Abend hat die Tätigkeit des Vesuv wieder zugenommen. Es regnet schmutzig-warmes Wasser. Bis jetzt sind 287 Leichen aufgefunden wo'rden und ebensoviel sind noch unter den Trümmern. Torre del Greco ist unnahbar. Es herrscht dort eine giftige Luft.
„Ich weiß nicht, ob du recht daran tust, Katharina noch ferner für das wenige Gute zu opfern, das du zu tun vermagst," sagte Paul. „Du bist in deinem Werke derart gehemmt, daß das Resultat sehr gering ist, während die Leiden, die du deiner Tochter bereitest, ungeheuer groß sind."
„Ist das wahr, Pawel? Ist mein ^ind unglücklich?"
„Ich fürchte es," antwortete Paul ernst. „Sie hat mit ihrer Mutter nicht viel gemein, das wirst du verstehen."
»Ja, ja."
„Du hast bereits genug gekämpft," fuhr Paul fort. „Du hast den Arm für das Land erhoben, hast die Saat gesäet, aber die Ernte ist noch nicht reif. Jetzt ist es Zeit, an deine eigene Sicherheit, an das Glück deines einzigen Kindes zu denken."
Stephan Lanowitsch wandte sich um und ließ sich schwer auf einen Stuhl nieder. Er legte beide Arme auf den Tisch und das Kinn auf seine gewaltigen Fäuste.
„Warum willst du nicht das Land verlassen, wenigstens für ein paar Jahre?" fuhr Paul fort. „Du kannst Katharina mitnehmen und sicherst damit ihr Glück, das auf jeden Fall etwas Greifbares, eine sofortige Ernte ist. Ich werde sofort nach Thors hinüberfahren und sie hieher bringen. Ihr könnt noch heute nacht die Reise nach Amerika antreten."
Stephan Lanowitsch hob den Kopf und schaute Paul fest ins Gesicht.
„Ist das dein Wunsch?"
„Ich glaube, es ist für Katharinas Glück notwendig," antwortete Paul ruhig.
Da stand Lanowitsch auf und ergriff mit seinen abgearbeiteten Fingern Pauls Hand.
„Geh, mein Sohn, ich werde hier warten. Es wird ein großes Glück für mich sein," sagte er.
Paul ging sofort zur Tür; Steinmetz folgte ihm auf den Gang hinaus und ergriff ihn beim Arm.
„Sie können das nicht tun," sagte er.
„Doch, ich kann's," sagte Paul. „Ich werde meinen Weg durch den Wald schon finden.' Niemand wird wagen, mir im Dunkeln zu folgen."
Steinmetz zögerte, zuckte die Achseln und ging ins Zimmer zurück. —
Die Damen in Thors hatten sich eben zum Diner angekleidet, als Paul erschien. Er nahm sich nicht die Zeit, den Pelz abzulegen, sondern ging direkt in das lange, niedrige Zimmer, indem er unterwegs mühsam die Pelzhandschuhe auszog; denn es fror so stark, wie es nur im März frieren kann.
Die Gräfin belagerte ihn mit vielen mehr oder weniger vernünftigen Fragen, die er geduldig ertrug, bis der Diener das Zimmer verlassen hatte.
Katharina blickte ihn mit geröteten Wangen an, sprach jedoch kein Wort.
Paul zog die Handschuhe aus und ergab sich darein, daß die Gräfin fortwährend vergeblich an seinem Pelzrock zupfte, um ihn zum Ablegen zu bewegen.
„Baron Chauxville hat uns verlassen," sagte Katharina plötzlich, ohne eigentlich zu wissen, warum.
Paul hatte die Existenz des Barons im Augenblick ganz vergessen.
„Ich habe ihnen eine Nachricht mitzuteilen," sagte er, indem er die schwatzende Gräfin sanft beiseite nahm. „Lanowitsch ist in Osterno, er kam heute abend."
(Fortsetzung folgt.)