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öffentliche Gegner sondern auch sehr viele geheime, weil es Erscheinungen gezeitigt habe, die Kürst Bismarck nicht erwartet habe. Die RetchSverfaffrmg beruhe auf dem Bunde, den die Fürsten geschloffen haben. Nicht die Bundesstaaten seien geschaffen von der Reichsinstanz sondern umgekehrt und zwar unter dem Schutz des geltenden Rechts. Der Staatssekretär übt noch Kritik an den Straßrn- demonstratiouen. Die Regierungen ständen fest auf dem Boden der Verfassung und würden sich durch keine Demonstration von diesem Boden abbringen lassen. Abg. Arendt und Graf Reventlow find gegen den Antrag. Abg. Schräder und KulerSky (Pole) sprechen sich dafür aus. Morgen 1 Uhr Etats-Beratung.

Berlin, 8. Febr. (Reichstag.) Ginge» gangen ist eine erneute sozialdemokratische Inter­pellation wegen des Grubenunglücks im Juni 1905 auf der Zeche Borussia. Das HouS fährt in der Beratung des Etats des ReichSamteS deS Innern, Titel Staatssekretär fort. Abg. Lehmann (uatl.) glaubt nicht, daß die Sozialdemokratie ernsthaft eine erfolgreiche Sozialpolitik wünsche. Es liege ihr wehr als au der Sozialpolitik an einer systematischen Re- volutionierung der Massen. Auch die Ausstände würden von der Sozialdemokratie nicht aus wirt­schaftlichen Rücksichten provoziert, sondern zu poli­tischen Zwecken. Wie wenig den Arbeitern am Frieden gelegen sei, lasse sich auch daraus erkennen, daß im sächsisch-thüringischen Textilbezirk das An­erbieten eines Tarifvertrages von der sozialdemo­kratischen Arbeiterorganisation abgelehnt worden sei. Wie überall, so sei auch in diesem Falle der sozial­demokratische Terrorismus die Hauptursache des KorfltkteS gewesen. Die StaatSregterung sollte mehr Fühlung nehmen mit den Unternehmern. Genügten die Gesetze nicht, so müßten sie geändert werden, genügten sie aber, dann habe mau im Volke den Eindruck, daß sie nicht genügend angeweudet werden. Abg. Schack (wirtsch. Vg.) weist hin auf die Vor­züge der Tarifverträge. Grade da, wo solche Ver­träge abgeschlossen worden seien, hätte sich erwiesen, daß die Auffassung der Sozialdemokraten von dem grundsätzlichen Gegensatz der Interessen der Unter­nehmer und der Arbeiter durchaus irrig sei. Auf solche Verträge hinzuwirkeu werde hauptsächlich Sache der Arbeiterkammern sein. Was der Staats­sekretär über die Frage der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe gesagt habe, werde in Kreisen der Handlungsgehilfen eine schwere Enttäuschung be­reiten. Daß der Staatssekretär die Einführung der Handels-Inspektoren abgelehut habe, sei zu bedauern. Weiter geht Redner auf die Lehrlings- frage ein und fordert eine Beschränkung der LehrltngShaltung, in welcher Forderung Sozial­demokraten und Gewerkschaften neben einander gingen. Abg. Pauli- Potsdam (kons.) polemisiert gegen den Abgeordneten Mugdan wegen dessen Aeußerung zu Gunsten der Handwerks-Genossen­schaften sowie gegen den sogenannten kleinen Be­fähigungsnachweis. Weiter rechtfertigt er sich gegenüber dem Abgeordneten Bruhn wegen seines Verzichtes auf den allgemeinen Befähigungsnachweis. Wie der Vorredner, so holte auch er eine totale SountagSruhe im Handelsgewerbe für angezeigt und durchführbar. Abg. Eickhoff (frs. Vg.) nimmt den Abgeordneten Mugdan gegen die An­griffe seitens des Abg. Stückle« in Schutz und wendet sich hierauf im Allgemeinen gegen die Sozialdemokratie. Schließlich tritt Redner noch gegenüber von Kardorff für die Berufsvereine ein. Abg. v. Gerlach (frs. Vg.) verficht, was er neu- lich gegen die Lohnverhältnisse der ländlichen Arbeiter gesagt hat. Abg. Sachse (Soz.) tritt den Klagen über sozialdemokratischen Terrorismus entgegen, indem er eine Reihe von Fällen ausführt, in denen von Behörden und namentlich auch von klerikaler Sette gegen sozialdemokratische Arbeiter Terrorismus geübt wurde. Weiter klagt Redner über Polizeichikaneu gegen einzelne Leute und be­sonders gegen Arbeiter-Versammlungen. Zum Schluß legt Redner an einzelnen Fällen dar, daß das neue preußische Berggesetz den Arbeitern gar nichts geholfen habe. Die ArbeiterauSschüsse seien ganz rechtlos. Abg. Bergmann (frs. Vp.) wünscht noch verstärkten Vogelschutz. Hierauf er­folgt Vertagung. Morgen 1 Uhr Fortsetzung, vor- her Novelle betr. freiwillige Gerichtsbarkeit. Schluß 6 Uhr.

London, 8. Febr. Die Tribüne veröffent­licht eine MitteUung, welche angeblich aus Tschifu stammt, aber offenbar aus europäischer, diplomatischer Quelle geschöpft ist. Nach dieser Mitteilung soll der Kaiser von Korea sich an die europäischen Mächte sowie au die vereinigten Staaten von Amerika mtt der Bitte gewandt haben, die gemeinsame Kon­trolle über koreanische Angelegenheiten zu übernehmen. Der Kaiser von Korea erklärt, daß die Japaner seine Minister gezwungen hätten, den Vertrag zu unterzeichnen, welcher Japan die Kontrolle der

koreanischen auswärtigen Beziehungen einräumt. Dieser Vertrag erhielt niemals seine, des Kaisers Unterschrift. Der Vertrag sei zwar mtt seinem kaiserlichen Siegel versehe», aber das Siegel wurde von japanischen Geheimagenten aus seinem Palais gestohlen und sei ohne seine Einwilligung und ohne seine Kenntnis dem Vertrage aufgedrückt worden. Der Kaiser beklagt sich, daß er ein Gefangener in seinem eigenen Palast sei. Japanische Truppen überwachten ihn aufs strengste.

Aus Südwestafrika. Am 31. Januar raubte eine aus den kleinen KaraSbergen ge­kommene Hottentottenbande von etwa 3040 Ge­wehren westlich KeetmanSboop Vieh. Hauptmann Salzer, GeneralstabSoffizter beim Hauptquartier, nahm sofort mit 15 Gewehren die Verfolgung auf uud erreichte den Feind bei GopaS, 10 Kilometer südwestlich KeetmanSboop; nach kurzem Gefecht, wobei diesseits ein Retter und ein eingeborener Soldat verwundet wurden, entflohen die Hottentotten nacki dem Löwenfluß, einem Nebenfluß des Fisch. flusieS (etwa 35 km südlich KeetmauShoop). Von hier aus setzte jedoch Hauptmann Wo bring, Generalstabsosfizier der Süd-Etappe, mit 70 Ge­wehren die Verfolgung fort und holte den Feind am 1. d. M. abends in den kleinen KaraSbergen ein. Nach einstündigem Gefecht floh der Gegner unter Verlust von 5 Toten und Zurücklassung der größeren Hälfte des geraubten Viehs. Diesseits wurde je ein Offizier und Unteroffizier verwundet. Cornelius hat seine Leute anscheinend in mehrere Bauden geteilt. Hauptmann Bolkmanu steht mit der 4. Kompagnie Regiments 2 und Teilen der 4. Ersatzkowpagnie bei KuvjaS und hat die 5. Kompagnie Regiments 2 nach Sinelaiw-Mine vorgeschoben zur Aufklärung der Gegend westlich Gabis, wohin anscheinend die Werften des Cornelius zurückgegangeu find. Verfügbare Teile der 1. Kom­pagnie und der 4. Etappenkompagnie find aus dem Nord-Etappenbereich und die 2. Ersatz-Komp, vom Tsub zur Unterstützung Volkmanns nach Grotfoutein herangezogen worden. Die 7. Komp, des Regiments 1 durchstreift von Rietkühl (13 km westlich Gibeon am Leber fluß) aus den Schwarzrand. Wil- helm Maharero. ein Sohn des Herero-Ober- kapitänS Samuel Maharero, ist, wie erst jetzt bekannt wird, am 25. November 1905 in Tsau, südlich des Ngami-Sees, in british Betchuanalaud- Protektorat, gestorben.

Berlin. 8. Febr. Der Nachfolger Hendrik WitboiS, Jsak Witboi, hat sich mit 21 Männern freiwillig der deutschen Herrschaft unterworfen.

Berlin, 8. Febr. Aus Sebastopol meldet der Lokalavzeiger unter dem 5. Febr.: Heute begann hier unter dem Vorfitz des Generals Andrejew der Prozeß gegen die Aufrührer des Panzers Potemktn". Angeklagt find 110 Mann. Einige davon waren durch Leutnant Schmidt während des Aufstandes im November auS der Haft befreit worden. Die Hauptangeklagteu sind: Leutnant Al-x jew, der damalige Kommandant desPotemkin", uud Dr. Galenko. Alle Angeklagten werden be­schuldigt, an einem offenen Aufstand teilgeuommen und den Versuch gemacht zu haben, die bestehende Staatsordnung Umstürzen, ein Verbrechen, das mit Todesstrafe bedroht ist. Die Hauptanführer bei der Revolte befinden sich in Rumänien.

Hamburg. 8. Febr. Die Bürgerschaft beschäftigte sich gestern Abend mit dem Anträge, den Senat um Schadenersatz ans Staatsmitteln für die bei den Exzessen in der Straße Schoppeustehl Geschädigten zu ersuchen. Dabei kam es zu scharfen, durch viele Ordnungsrufe unterbrochene Auseinander­setzungen zwischen den Vertretern der Sozialdemokratie, die die Polizei für die Schädigungen verantwortlich mochten und den bürgerlichen Abgeordneten, die betonten, daß die Sozialdemokratie für die Exzesse moralisch verantwortlich sei. Nach längerer Debatte wurde beschlossen, den Senat um Bewilligung der erforderlichen Mittel zu ersuchen.

Paris, 8. Febr. Präsident Lo « bet hielt gestern Abend anläßlich des Empfanges der Londoner GemctnderatS-Mitglieder eine Ansprache, worin er erklärte, daß er mit allen Kräften an einer An­näherung zwischen England und Frankreich gearbeitet habe. Der Vorsitzende deS Londoner GemeinderatS sagte seinerseits, daß er uud seine Kollegen als Friedensapostel gekommen seien. Eine Annäherung Frankreichs an England sei die sicherste Garantie für den Frieden.

Paris, 8. Febr. DerGauloiS" meldet ans AlgeciraS, die Besprechungen über die Vor­fragen scheinen unterbrochen zu sein in Erwartung der Instruktionen, welche die deutschen Delegierten ans Berlin verlangt haben. Man glaubt, daß die Instruktionen bald eintreffen werden. Der Kor­respondent desEclair" in AlgeciraS bestätigt die Aendernng, die sich in der Haltung der deutschen

Regierung vollzogen hat. Die deutschen Delegierten zeigten sich jetzt bereit, Unterredungen anzuknüpfen, die sie bisher zu vermeiden trachteten. Die. Lang­samkeit der Beratungen über die Zoll- und Polizei­srage sei voraussichtlich ganz zweckmäßig, wttl als­dann die endgültigen Verhandlungen umso schneller von statten gehen würden, sobald ein allgemeines Einvernehmen zwischen Frankreich und Deutschland erzielt ist.

Paris, 8. Febr. DerEclair" veröffent­licht einen Brief des Kommandanten Cnignet vom 108. Infanterie-Regiment, den dieser an de« Justizmiuister gerichtet hat. Der Kommandant beschuldigt in diesem Briefe den früheren KriegS- mtnifter Andrö der Fälschung und des Gebrauchs der Fälschung in der DreyfuS-Angelegeuheit. ES heißt der Kriegsminister habe den Kommandanten zu 30 Tagen Arrest verurteilt.

Rom, 8. Febr. DerPopolo Romano" läßt sich aus Berlin melden, daß die italienischen Berichte aus AlgeciraS in Berlin einen sehr un­günstigen Eindruck gemacht hätten. Diese Bericht­erstattung sei geeignet, in der öffentlichen Meinung Italiens eine feindselige Strömung gegen die be­rechtigten Forderungen Deutschlands hervorznrnfen.

Neapel, 7. Febr. Der Ausbruch des Vesuvs dauert fort. Die Eisenbahnlinie ist bereits an drei Punkten durch die Lava zerstört. Die Eisenbahnstationen, die ebenfalls bedroht waren, scheinen jetzt außer Gefahr zu sein. Ueber Palermo wurde gestern eine eigentümliche Natur­erscheinung beobachtet. Im Laufe des Tages ging eine starker Sandregen nieder, der anscheinend aus der Sahara stammt. Der Bevölkerung bemächtigte sich ein großer Schrecken.

Wien, 8. Febr. König Eduard wird, wie verlautet, aus Gesundheitsrücksichten einen Teil des Frühjahrs in Dalmatien zubriugen, wo bereits Vorbereitungen für seinen Aufenthalt getroffen werden. Im Frühjahr wird auch Erzherzog Franz Ferdinand mit Familie eine Dalmatienretse uuter- uehmen und es soll bei dieser Gelegenheit eine Begegnung mit König Eduard stattfinden.

London, 7. Febr. Vor einiger Zeü wurde eine alte wegen Mords verurteilte Frau der Heilsarmee überwiesen. Der Gouverneur des Ge­fängnisses AyleSbmy teilte im Auftrag des Home- sekretary der Heilsarmee mit, daß die Regierung bereit sei, ihr die wettere Fürsorge für eine MrS. MeSken zu überlassen, die vor 12 Jahren wegen Mordes, begangen in einem Anfall von Eifersucht, verurteilt worden war. Die Regierung teilte gleichzeitig mit, daß sie der Heilsarmee keine Ver­gütung für die Aufnahme der Frau gewähren könne. Die Heilsarmee entschloß sich trotzdem sofort, die Frau aufzunehmeu. Sie wird in eine der Heim­stätten, die die Heilsarmee in den Provinzen besitzt, geschafft werden. Man glaubt, in dem Verfahren der Regierung eine Aenderung der Ansicht über die Behandlung von Verbrechern zu entdecken. Die Heilsarmee macht nunmehr bekannt, daß sie bereit ist, Verbrecher aller Art aufzunehmen.

London, 7. Febr. Nach einer Meldung des Daily Telegraph aus New-Iork ereignete sich im Rocky-Gebirge eine schwere Etienbahukalastrophe. Ein Güterzug fuhr in der Nähe von Helena im Staate Montana, wo die Bahn bergab geht, in einen Passagierzug hinein, der aus einem Geleise stand, die Wucht des Zusammenstoßes war ungeheuer. Fast sämtliche Passagiere wurden gelötet oder ver­wundet. Glücklicherweise war der Zug nur schwach besetzt. 6 Reisende wurden gelötet, 20 schwer ver­wundet. Der ganze Zug war in einen Trümmer­haufen verwandelt. Ein Teil der Trümmer fing au zu brennen.

London, 7. Febr. In einem hiesigen Zirkus hat sich ein schweres Unglück ereignet. Eine französische Artistin, eine bildschöne, junge Dame, fiel bet der Fahrt durch den Todesring aus der Höhe herab uud wurde mit zerschmetterten Gliedern tot vom Platze getragen. Unter den Zuschauern entstand eine Panik.

Tanger, 7. Febr. Nach Meldungen aus Fez will der Sultan selber, um den Beschwerde« der auswärtigen Mächte gerecht zu werde«, eine Polizei im ganzen Reiche ohne mittelbaren Eingriff Europas schaffen. Allein um dies erfolgreich zn können, müßten ihm die Mächte die geeigneten Mittel liefern.

Tanger, 8. Febr. Mau erwartet binnen kurzem einen Angriff de» AndjerastammS auf R ais nli, der sich in seinem, in eine Fettung um­gestalteten Haus verschanzt hat. Die Andjeraleute haben geschworen, Raisuli in ihre Hand zu bekomm« und ihn gefangen nach Tanger zu führen.