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Zweites Vlatl.
Zweites Vlatt.
2SS.
SüNstag des is. Dezember M8.
86. Jahrgang.
Politische Wochenrundschau.
Die Gem-einderatswahlen in Württemberg find vorüber. Die Wahlbeteiligung war sehr ungleich und betrug etwa 15 bis 91 Prozent. Gegenüber den letzten Gemeinderats- wahlen vor 3 Jahren, bei der die Wahlbeteiligung nur 16 Prozent betragen hatte, ist es immerhin besser geworden, ein Zeichen, das; die Wähler zunehmend auch für die Kommunalpolitik sich interessieren. Der voransgegangene Wahlkampf war ziemlich flau und äußerlich kaum in die Erscheinung getreten. Die Partcikasien hatten nicht viel Geld und waren nicht in der Lage, eine kostspielige Reklame in der Oeffentlichkeit zu machen, wie man es von den Reichstags- und Landtagswahlen her gewöhnt ist. Der Wahltag selbst verlief überall ruhig. Im Gegensatz zu den Parlamentswahlen des Reiches und des Landes, deren Ergebnisse immer noch in der gleichen Nacht zusammengestellt und bekannt gegeben werden, ließ die Feststellung des Ergebnisses der Gcmeinderatswahlen ein bis zwei Tage auf sich warten, was mit dem umständlichen Wahlversah- ren, dem Kumulieren und Panaschieren, zusammenhängt, das das Zählen erschwert. Das Ergebnis der Wahlen ist so ziemlich in: ganzen Lande ein weiterer Ruck nach links, also eine Bestätigung des Wahlersolgs der Sozialdemokratie bei den letzten Reichstags- und Landtaaswahlen im Mai d. I. Bon den bürgerlichen Parteien hat in Stuttgart, dessen Ergebnis das Land besonders interessiert, nur das Zentrum einen Erfolg zu buchen, während die anderen bürgerlichen Parteien, Deutschnationale, Demokraten, Deutsche Volkspartei, zum Teil erhebliche Stimm- und Sitzverluste hatten. Das Endergebnis ist eine Stärkung der Linken und eine Schwächung der bürgerlichen Seite. Die Zersplitterung aus Seiten der bürgerlichen Parteien und vor allem die größere Wahlflauheit bei den bürgerlichen Wühlern sind, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, der Hauptgrund für dieses unerfreuliche Ergebnis.
Das Plenum des württ. Landtags wird Mitte, nächster Woche zum letztenmal in diesem Jahr nochmal zusammen- trcten, um vor Weihnacksten, soweit cs reicht, reinen Tisch zu machen. In dieser Woche tagten nur einzelne Ausscknisse, um die Plenumsarveit vvrznbereiten. Der Verwaltungs- und Wirtschaftsausschuß setzte die Beratung der Gemcindeordnung fort. Bis Weihnachten wird er allerdings kaum mit seiner Arbeit fertig werden, sondern noch ein gut Teil des Januar dazu benötigen. Der Finanzausschuß befaßte sich außer mit verschiedenen Eingaben vor allem mit dem zweiten Nachtragsplan für 1929. Es handelt sich hier u. a. hauptsächlich um die Förderung des Luftverkehrs durch Ausbau des Lust- flughasens Böblingen, dann uni den Bau der Landcshebam- mcnschule. Außerdem fordert die Regierung die Erhöhung des allgemeinen Versügungsbetrags für die Regierung, der für 1928 mit 100000 Mark bewilligt worden war, aus 160000 Mark. Bei der Mehrforderung von 60 000 Mark handelt es sich um die anläßlich der Feier des 100jährigen Bestehens des Bistuncs Rottenbnrg im Juni dieses Jahres mit vorläufiger durch die Parteienvertreter erteilter Zustimknung des Landtags dem Bischof Dr. Sproll übergebene Staats- spende von 50 000 Mark, für die jetzt nachträglich die Genehmigung des Landtags eingeholt wird. Man darf gespannt sein, wie sich die einzelnen Parteien jetzt dazu stellen, zumal aus die Angriffe von kommunistischer Seite hin die Sozialdemokraten schon damals erklärt hatten, von dieser Spende überhaupt nichts gewußt zu haben. Der 2. Nachtragsplan dürfte noch vor Weihnachten erledigt werden.
Zu Beginn dieser Woche nahm die 53. Ratstagung des Völkerbundes ihren Anfang, diesmal nicht in Genf) sondern in Lugano, das wegen seines milderen Klimas bevorzugt wurde. Die Außenminister Frankreichs. Englands und Deutschlands sind wieder beisammen und können jetzt über den Sckaden sich aussprechen, den die Locarnopolitik durch die unverständlichen Reden Briands und Chamberlains in der letzten Zeit erlitten hat. lieber die einzelnen Unterredungen zwisckfen den Staatsmännern ist bis jetzt wenig bekannt geworden, aber es steht doch fest, daß S-tresemanu seine beiden Kollegen über
den peinlichen Eindruck ihrer Reden, in denen sie den Rechtsanspruch Deutschlands aus eine vorzeitige Rheinlandräumung bestritten hatten, aufgeklärt hat. Einen Erfolg hat Strese- maun bis jetzt nicht erreicht, da er sich in dieser Frage einer Einheitsfront der Alliierten gegenübersah. Die Abstckst der Alliierten geht einfach dahin, die Rheinlandräumung zu einem Tauschgeschäft zu machen. England lehnt ebenso wie Frankreich einen Reclstsanspruch von Deutschland aus eine vorzeitige Räumung vor der vollen Bezahlung der Gesamtreparationsschuld, deren Höhe man aber jetzt erst festseyen will, ab. Andererseits hält England eine vorzeitige Räumung politisch für wünschenswert, wobei es aber das französische Begehren nach einer deutschen Gegenleistung als berechtigt halt. Die deutsche Gegenleistung soll in der Errichtung eines Feststellungskomt- tees zur ständigen Kontrolle des Rheinlands bestehen. Der deutsche Standpunkt ist dem direkt entgegengesetzt. Deutschland erklärst einen Rechtsanspruch zu haben und weigert sich, die vorzeitige Räumung mit neuen Belastungen zu erkaufen. Namentlich lehnt Deutschland, wie das am letzten Dienstag in der Sitzung des Reichstagsausschusses für die besetzten Gebiete deutlich zum Ausdruck kam, die französische Forderung aus Errichtung eines Feststellungskomitees als Eingriff in die Souveränität des Reiches ab. Bei diesen gegensätzlichen Auffassungen ist von den gegenwärtigen Verhandlungen in Lugano eine Klärung nicht zu erwarten.
Württemberg.
Stuttgart, Ist. Dez. (Durch hohe Ladeumiete in den Tod getrieben.) Am Dienstag früh wurde in einem Hause der Büchsensträße eine 52 Jahre alte Frau in der Küche ihrer Wohnung tot ausgesunden. Der Ehemann wurde vergeblich in der Wohnung gesucht. Er blieb verschwunden. Auch er dürfte kaum mehr lebend angetroffen werden. Das Ehepaar hatte ein Geschäft für Emaillewaren und Küchenartikel in der Friedrichstraße. Es lebte äußerst einfach und bescheiden. Die geschäftlichen Sorgen, die das Paar in den Tod getrieben, hatten, so schreibt die „Schwäbische Tagwacht", ihre Ursache in der ungeheuren Ladenmiete von etwa 20 000 Mark im Jahre, die einfach nicht aufzubringen war. Es ist noch gar nicht lange her, daß aus dem gleichen Grunde ein Ehepaar, das ein Geschäft in der Eharlottenstraßc wegen Mietsteigerungen ausgeben mußte, freiwillig aus dem Leben schied. Schon seit einiger Zeit kann mau an den Schaufenstern eines sehr bekannten Geschäfts in. der Königstraße lesen: Räumung wegen untragbarer Ladenmiete! Das Blatt wendet sich gegen das Streben nach Aufhebung des Mietcrschutzgesetzes und hebt rühmend die Haltung des Bezirkrats hervor, der in, besonders krassen Fällen die Erteilung von Wirtschaftskonzessionen bei allzuhohen Pachtftlmmen verweigert, da bei solcher Belastung keine solide Wirkschastsftihrung gewährleistet ist.
Stuttgart, 11. Dez. (Tödliches Autounglück.) Großfuhr- halter Max Kurtz wollte heute vormittag in der Rotenwald- straße einen Kraftwagen, als ihm ein anderer entgegenkam, bremsen. Der Wagen kam dabei ins Schleudern, rannte gegen einen Baum und wurde zertrümmert. Jur Wagen saß der Jagdaufseher Kühlbreh aus Markgröningen, der im Wagen so cingekleumrt wurde, daß er von der Feuerwehr aus seiner Lage befreit werden mußte. Inzwischen war Kühlbrey infolge eines Sebädelbruchs gestorben.
Rottenburg, I I. Dez. (Vom Freibier witü geworden.) Am letzten Montag morgen gegen 9 Uhr wurden Radfahrer und ein Fuhrwerk von Frommcnhausen ca. l50 Meter vor Schwalldorf von einer Schar betrunkener Schwalldorser Burschen mit Bierflaschen wie von Wilde» bestürmt and wüst beschimpft. Auch der Postbote, der im Dienst war, wurde belästigt. Das Fuhrwerk wurde angehalten und das Pferd in den Straßengraben gezogen; das Pferd war aber gescheiter als diese Buben und biß einen in den Arm. Daraus zogen sie nach Frvmmen- pausen und gaben sich als Arbeitslose aus und bekamen auch einige Pfennige zum Weiterzechen.
Wakdhausen, OA. Geislingen, 11. Dez. (Todesfall.) Im
Alter von 90^ Jahren ist hier der frühere Reichstags- und
Landtagsabgeordnete Oekononnerat Äantleon gestorben. Er gehörte der Nationalliberalen Partei an und war einer verführenden Landwirte in Württemberg. In allen Kreisen, insbesondere auch im Landtag ohne Unterschied der Parteien hoch geschätzt und diese Hochschätzung wurde ihm in besonderem Maße, auch nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hatte, im Bezirk Geislingen zuteil. 1882—1991 vertrat er im Landtag den Bezirk Heidenheim, später den Bezirk Geislingen bis 1906, dann den südlichen Landcswahlkrcis. Im Reichstag war er nur kurze Zeit. Im Landtag entfaltete er namentlich in landwirtschaftlichen Fragen eine ersprießliche Tätigkeit. Um die Erbauung der Bahn Amstetten—Gerstetten har er sich sehr verdient gemacht und Waldhausen ernannte ihn wegen dieser Verdienste zum Ehrenbürger. Bon 1906—1912 war er im Landtag Alterspräsident.
Nlm, 11. Dez. (Urkundenfälschung — Betrug). Zwei ältere Fraueu aus Neu-Ulm hatten sich in den letzten Tagen in Ulm unter Vorzeigung einer Sammelliste, aus die der Name des Oberbürgermeisters von Neu-Ulm fälschlich gesetzt war, Geld und Waren gesammelt unter dem Vorgehen, eS handle sich um eine amtliche Hilfsmaßnahme für alte Leute. Die Betrügerinnen wurden ermittelt und in polizeiliche Behandlung genommen.
Oberkirchbcrg, OA. Lauptheim, I I. Dez. (Ein cLympathie- doktor.) Sympathiedoktor Friedrich Wirth von hier, der sog. „Balthes", hat im patriarchalischen Alter von 81 Jahren nach längerer Krankheit das Zeitliche gesegnet. Friedrich Wirth entstammte der schon längst hier eingesessenen Familie Wirth. deren Glieder sich mit Hilfe der hiesigen Pfarrbücher bis zum Fahre 1687 zurück verfolgen lassen, auch soll die Heilkunde in dieser Familie stets ausübende Vertreter ihr eigen genannt haben. Alt und jung, reich und arm, groß uitd klein, ja hoch und nieder bat den Oberkirchberger Balthes in der ganzen Gegend gekannt von Ulm bis nach Memmingen hinaus, hinein bis nach Augsburg, hinüber bis nach Ehingen. Er hatte einen großen Zulauf von weither, ja sogar mit Autos, Fahrrädern, Chaisen und Bernerwägelchen sind die verschiedenartigsten Patienten zu ihm gekommen.
Besigheim, II. Dez. (Tragischer Tod.) Auf tragische Weise kam ein hiesiger Landwirt ums Leben. Er hatte sich in der Futterschneidmaschine einen Finger verletzt und der Wunde nickst die nötige Beachtung geschenkt. Es trat Starrkrampf hinzu und nach wenigen Tagen starb der etwa 50jährige Mann in einem Stuttgarter Krankenhaus.
Friedrichshofen, 11. Dez. (Schließung der Luftschiffhallc.) Nach einer Mitteilung des Luftschiffbau Zeppelin bleibt die Lustschisshalle ab kommenden Montag, den 17. Dezember, sür die öffentliche Besichtigngn wegen Vornahme von Versuchen geschlagen, Der Zeitpunkt der Wiedereröffnung für die allgemeine, Besichtigung wird bekannt gegeben werden.
Neckarsukm, 11. Dez. (Von den NSU-Werken.) Stadt- schultheiß Häüßler-Neckarsulm ist nicht, wie irrtümlich gemeldet wurde. Mitglied des Ausstchtsrats der NSU-Werke. Der Aui- sichtsrat ist paritätisch aus 3 italienischen und 3 deutschen Beteiligten zusammengesetzt. Die NSU-Werke haben die Kurzarbeit aufgehoben und sind wieder voll beschäftigt. Dies ist eine Auswirkung der Saniernngsmaßnahmcn.
Niederstetten, TA. Gerabronn, 11. Dez. (Erfroren aui- gejunden.) Ein in den 90er Jahren stehender Mann von Oberstetten fuhr abends mit dem Zug von hier nach Oberstetten. Er scheint von dem Wegb von der Haltestelle zum Ort abgekommen zu sein und wurde morgens erfroren ani freiem Feld ausgefflnden.
Wolfsbuch, OA. Mergentheim, I I. Dez. (Wahlmüdigkeit.) Anläßlich der Gemeinderatswahl vom 9. Dezember haben von 358 Wahlberechtigten 26 abgestimntten, das sind 7,2 Prozent. Fast wäre ein Uebcrrumpelnngsversuch einer Anzahl lediger Burschen, die erst in der letzten Viertelstunde zur Wahl schritten, gelungen, doch waren sie sich anscheiireitd nicht ganz einig, was eine sehr starke Zersplitterung der Stimmen zur Folge hatte.
Der Liebe Bitternis.
Familienroman von B. Riedel-Ahr.ens.
bzc (Meiner L 60 ., Berlin klIV 8
(Nachdruck verboten.)
10. Fortsetzung.
Auch sein Aeußercs gefiel der von den glatten Gesellschaftsformen verwöhn len Frau nicht; seine nur wenig nbermittelgrotze, breitschulterige Gestalt hatte etwas Derbes, eigentlich nichts von einem Künstler, und wären die tiefen, von Zeit zu Zeit aufblitzenden Augen nicht gewesen, würde ihn sicherlich niemand dafür gehalten haben. Alle Aufmerksamkeiten widmete er nur Maria, gegen die er den herzlichen, etwas überlegenen Ton eines Mannes anschlug, dessen erster Rausch einer ruhigen LiebeSsreund- schaft gewichen. Dabei schien Simona kaum für ihn zu existieren.
Großartig fand sie es, mit welcher souveränen Miene der Herr Holger Storni später beim Abendessen an der Seite Marias thronte, alle Verbindlichkeiten der Verwandten, die ihn sämtlich anznbeten schienen, als schuldigen Tribut empfangend, und ihre, Simonas, gelegentliche Bemerkungen hinnehmend, als sei sie ein unbedeutendes Frauchen, dem man nur aus Höflichkeit die erforderliche Beachtung schenkt. Empörend!
Und doch war sie überzeugt, inmitten der schwarzgekleideten Mädchen wie ein glänzender Stern sich abznhcben in ihrem nach griechischer Art den schlanken Körper umschließenden Gewand aus blaßlila Seide.
Schließlich verstummte Simona, sie fühlte sich gekränkt, ohne es gestehen zu wollen. Es gab doch nichts Langweiligeres, als die Gesellschaft eines verliebten Brautpaares, dem jedermann huldigen zu müssen glaubte. Und was kümmerte sic auch schließlich dieser Künstler, der keine Ahnung davon zu haben schien, wie man eine Dame behandelte !
Oder — täuschte sie sich über ihn? .Künstler und große Menschen dürften es sich leisten, keine Maske zu tragen und die Salvnmenschen, zu denen er sie natürlich rechnete, zu verachten; nun, es mußte sich ja bald Heraus
stellen, ob er wirklich ein beüeulenüer Mensch war oder einer der Alltäglichen, die ihr dutzendweise zu Füßen gelegen hatten. — Zwei Tage 'nach seiner Ankunft -brachte Holger Storm eine Tour nach dem Schlosse Zrvingshurg zum Vorschlag, das er im Aufträge eines Bekannten besichtigen wollte: zwischen Tannenwald und Strand der Elmsbecker Bucht romantisch- gelegen, wurde dieses sitztum vor Jahren von einem Engländer erbaut, seit kurzem zum Verkaufe ausgeboten, und ein Kollege Holzers hatte nicht übel Lust, es zu erwerben.
„Du gehst doch mit uns ?" fragte Maria, die fürchtete, daß sich Simona langweile, bittend, „das Wetter scheint heute klar zu bleiben, und wir gehen den hübschen Weg nach Elmsbeck durch den Wald."
„Bin icb nicht überflüssig, so lange du Holger St»rm hast. Maria?" entgegnete Simona, ein Gähnen unter- drückend. '
„Wie magst du nur so sprechen! Es tut mir zu leid, dich hier allein zu wissen, weil ich weiß, wie verlassen du dich fühlst. Komnr nur mit uns. Schloß Jrvingsbnrg ist wunderschön, du wirst es nicht bereuen."
„Gut, so gehe ich mit euch."
Lässig stand sie aus, befahl Franzeska, Hut und Mantel zu bringen, und wühlte, da es noch kalt'war, ein pelz- besetztes, dunkles Sommerkomplet und dazu passendes Mätzchen. Während sic sich vor dem Spiegel anzog, ruhte Manas Blick bewundernd ans der glänzenden Erscheinung voll Grazie, vornehmer Weiblichkeit und dem undefinierbaren Zauber der Weltdame von vollendeten! Geschmack. Und dann gleitete ihr Blick über die eigene, schlichte Ge- statt. Und wieder durchzog sie ein Gefühl schmerzlicher Bangigkeit, das sie jedoch sich selbst scheltend, zu verbannen suchte.
Auch Anneliese und Angela gingen, der blinde Vater hatte, daraus bestanden und erklärte ausnahmsweise sich mit dev Gesellschaft der alten Leute begnügen zu wollen, da die ewig arbeitenden Mädchen schließlich doch auch mal ein „Vergnügen" haben mußten.
Znm ersten Male seit Erichs Tode herrschte in dem kleinen Kreise wieder eine frohere Stimmung, zu der das Seine beizutragen jeder sich bemühte: denn Drut Geertz freute sich der Anwesenheit Holzers, den er hochschätzte,
auch um der Nichte willen, die die langen Jahre'des Wartens aus den Bräutigam mit immer heiterer Geduld ertragen hatte.
Als die kleine Gesellschaft ins Freie getreten und gleich danach den nahen, bis nach Elmsbeck sich hinziehenden Wald erreichte, 'Maria an Holgers Arm voranschreitend, die Schwester mit Simona folgend, lag auf Simonas Gesicht ein leises, spöttisches Lächeln. Als sie beim Verlassen des Hauses unerwartet vor dem Künstler erschienen, !>atte er sich rasch mit dem Ausdruck des Unwillens ans dem kühlen Gesichte abgewandt, und diese fast an Schroffheit streifende Gebärde verriet ihr unendlich viel; der schein- bar so unverwundbare, selbstbewußte Mann fürchtete sie und triumphierend fühlte Simona ihre Männerverachtung auch ihm gegenüber begründet.
Nun war ihr klar, daß. sie einander befehden würden und die bisherigen Gespräche nur kurze Scharmützel ge- wesen, die den beginnenden Kampf einleiten: sie haßte, wo er fürchtete!
Und Simona irrte sich nicht.
Holger Storms im Grunde schweigsame Natur verriet ungern und wenig von dem, was in seinem Innern vorging: seinem rastlosen Erkennungsstreben verband sich die Sehnsucht, alle Duellen des Lebens auszuschöpfen, er fühlte eine Unsumme von Kraft, ein gigantisches, auf das Ideale gerichtetes Wollen in sich, und eine schrankenlose Liebes- fahigkeit.
Wie jeder werdende, bedeutende Mann hatte auch er einst alle Ingen dideale im Weibe verkörpert zu finden geglaubt, bis in der folgenden Sturm- und Drangperiode durch die grausame Wirklichkeit, in deren Strudel er sich kopfüber gestürzt, unausbleiblich, die Ernüchterung folgte. Aber trotzdem war sein Glaube an das Weib nicht gänzlich erschüttert, und als er später in Kiel Maria kenncnlernte, war er überzeugt, das erträumte Ideal nun doch gesunden zu haben, und dem kurzen, stürmischen Werben folgte die Verlobung mit der Einzigen, die er seiner Ueberzeugung nach ewig lieben würde, weil er sie als das Vollkommene, die znm Engel der Liebe gewordene Franen- natur verehrte.
(Fortsetzung folgt.)
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