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8.V. Calw, 11. Dcz. Noch selten hat wohl der freundlich gelegene Hof Dicke so viel Fremde auf einmal gesehen wie gestern, wo eine stattliche Anzahl hiesiger Schwarzwaldvereinler durch sein Gebiet marschierte. Ein wunderschöner Weg führt vorthin; durchweg gehtS im Stadt- und Staatswald vorbei an prächtigen Tannen, die in allen Altersstufen vertreten find. Es scheint aber, daß diese Tour nur selten gemacht wird, und wir möchten hiemit die Anregung geben, daß diese genußreiche Strecke künftig öfter begangen wird. Auch der Abstieg auf dem Glattsteigle vorbei an der wunderbaren Kugeltonne ist ein schöner zu nennen. Wer dann noch mehr Interessantes sehen will, der kann beim einsam gelegenen Hof Wolbeck die Nagold überschreiten und jenseits die herrliche Raine Waldeck besuchen. Aber auch die Tolwanderung über Station Teinach, Kentheim, Tauncneck herein nach Calw bietet des Schönen mehr als genug, sei eS, daß man beim Sonnenschein wandelt, oder daß sich wie gestern abend ganz unverhofft der Vollmond als stummer Begleiter einstellt.
2 . Wildberg, 8. Dez. Gestern ereignete sich hier ein schwerer Unglückrfall. Dem im Ge- msiudewold gegenwärtig mit Holzmachen beschäftigten ca. 60jährigen Taglöhner Kempf wurde von einem Ast das rechte Bein, das er früher schon gebrochen, doppelt abgeschlagen und kompliziert zersplittert, so dvß die Amputation des Fußes nötig werden wird.
Stuttgart, 9. Drz. Za der gestern von vorm. 11 Uhr bis abends 7 Uhr vorgenommenen Wahl von 8 Mitgliedern zum Gemetnderat war die Stadtgemeinde (umfassend die Altstadt, Cannstatt, Berg, Gablenberg, Heslach, Ostheim, Gaisburg, Untertürkheim und Wangen) in 21 Bezirke eingeteilt. Wahlvorschläge lagen vor: 1) Vereinigte bürgerliche Parteien und wirtschaftliche Vereinigungen, 2) Vereinigte Bürgervereine von Stuttgart, Cannstatt, Uatertürkheim und Wangen, 3) Volke Partei, 4) Sozialdemokr. Partei, 5) Groß- Stuttgart, 6) Freier Wahlzettel, 7) Freier bürgerlicher Wahlzsttel des neutralen WahlkomiteeS. Das Gesamtergebnis ist folgendes: Gewählt auf die nächsten 6 Jahre find folgende 8 Kandidaten:
1) Stapf, Karl Heinrich, Weingärtner, ssith.
Gemeindcrat (V.P.). 9631
2) Dietrich, Wilh., vr., Oberbaurat »nd
Professor an der Kgl. technischen Hochschule (V.P) .9549
3) Schramm, Fr., Restaurateur, früh.
Bürgerausschußmitglied (V.P.) . . 9326
4) Mezger, Karl, Oberingenieur a. D.,seith.
Gemeinderat (V P ).9196
5) Tauscher, Leonhard,LandtagSabg.(Soz) 8904
6) Baitinger, Wilh, Kaufmann in Cann
statt, früh. Gemetnderat (Soz.) . . 8863
7) WaSner, Otto, Parteisekretär (Soz ) . 8697
8) Schulz, Gust., Krarckeukassenbeamter,
(Soz.). 8694
DaS Gemeiuderatskollegium setzt sich nun aus 14 Demokraten, 9 Sozialdemokraten, 3 Mitgliedern der Deuischen Partei, 1 Konservativen, 1 Nationalsozialen zusammen.
Stuttgart, 7. Dez. Baronin Bertha v. Suttner, die auf einer Vortragsreise durch Deutschland begriffen ist, sprach hier gestern Abend im Bürgeimuslum vor einer zahlreichen Zuhörerschaft über daS Thema: „Die Lehren des ostastatischen Krieges und die russische Revolution." Der ostofiatische Krieg sei der erste moderne Krieg großen Stils gewesen und es sei erklärlich, daß die Leiter der großen Militärstaaten die Lehren daraus studieren. Die Friedensfreunde nehmen sich aber gleichfalls das Recht, an diesem Krieg ihre Studien zu machen. Sie ziehen daraus die Lehre, daß der Krieg infolge der Entwicklung der moderueu Technik immer schrecklicher wird und dvß er selbst auf entlegenen Kampf- schauplätzen die ganze Welt in Mitleidenschaft zieht. Um so notwendiger ist es, daß in den Beziehungen zwischen den Völkern das Faustrecht aufgehoben uud ein internationaler Rechiszustand geschaffen werde. Dem Präsidenten Roosevelt hat seine Friedensvermittlung im ostafiatischen Krieg internationalen Ruhm eingetragen; hoffentlich wird solcher Rahm der Gegenstand des ZuknnftSrhrgeizeS sein. Neu ist auch die Revolution, die an diesen Krieg sich au- geschloffen hat, die Revolution, die neben der Bombe als fürchterlichere Waffe den Streik gebraucht und
den ganzen Staat zu ruinieren droht. Eine gleiche Folge wäre auch bei einem europäischen Krieg zu befürchten. Darum sollen die Regierungen lernen, Freiheiten zu geben, ohne daß die Verzweiflung erst sie sich holt. Die Interessen der Menschheit find so solidarisch geworden, daß sie uur durch Zusammenarbeiten gefördert werden können. — Nach dem Vortrag fand noch eine gesellige Bereinigung zu Ehren der Fron v. Suttner im Restaurant des Bürgermuseums statt.
Cannstatt, 7. Dez. Seit einigen Tagen erhalten bedürftige Schulkinder im Kaffeehaus« des evang. Vereins ein warmes Mittagessen. Au drei Tagen in der Woche werden Knaben, an den drei übrigen Togen Mädchen gespeist und zwar gegen geringe Entschädigung. Einige Kinder erhalten das Essen auch ganz umsonst.
Berlin, 9. Dez. (Reichstag.) Die Generaldebatte über den Etat, Reichsfinanzreform nebst Steuervorlagen sowie das Flottenges etz wird fortgks.tzt. Abg. Bassermann (natl.) rechnet mit der Möglichk-i!, daß Deutschland einmal auf sich selber gestellt sein werde und darnach müßten wir unsere Rüstungen einrichteu. Unsere Politik sei eine friedliche, was avch unser Kaiser zu wiederholten Malen ausgesprochen habe. Jedes Schiff sei ein weiteres Friedenspfand für uns. Deutschland müsse gerüstet sein für alle Eventualitäten ebensowohl zu Wasser wie zu Lande. Die Politik der Regierung in der marokkanischen Angelegenheit hielten seine Freunde für eine verständige. Mit der Marinevorlage seien seine Freunde durchaus einverstanden. Auch mit der onderweiten Organisation der Kolonialverwaltung stimmten seine Freunde zu. Bezüglich der Finauzreform stimmten seine Freunde dem zu, dcß eine gewisse Einheitlichkeit in dem gesamten Budget an neuen Stenern aufrecht erhalten werde. Schwer annehmbar denke er sich die Verkehrssteuer und die Fahlkartensteuer, auch die Tabaksteuer mit Ausnahme der Zigarettensteuer sei ihm unsympathisch. Dagegen sei er mit der Reichserbschaftssteuer einverstanden, die vielleicht noch stärker vusgebildet werden könnte. Redner erörtert noch die Arbeiter-Verhältnisse, verlangt freiheitlichere Ausg, stallung unserer Konstitutionen in vielen deutschen Einzelstaaten und kritisiert die Rechtsprechung, die zu oberflächlich geworden sei infolge der Ueberlastung der Gerichte. Reichskanzler Fürst Bülow geht zunächst auf die Lage in Südwest- afrika ein. Lindeqnist stehe vor einer schwierigen Aufgabe, eS sei aber zu hoffen, daß er ihr gewachsen sein werde. Unsere Mannschaften dort, an welche die höchsten Anforderungen gestellt würden, hätten sich des deutschen Namens würdig gezeigt. DaS deutsche Volk sei schon heute weniger als je geneigt, unsere Kolonien aufzugeben. (Beifall.) Wollen wir sie aber halten, so müssen wir auch dafür sorgen, daß die Kolonieen in rascherem Tempo vorwärts kommen. Er gebe zu, Fehler seien tu den Kolonieen gemacht worden, aber vor Allem müßten wir auch aus den Dingen in Afrika die Lehre ziehen, wie teuer uns nnzeitige Sparsamkeit zu stehen komme. (Beifall rechts.) Durch eine schleunige Erledigung der südwestafrikenischen Eisenbahnvorlage würde sich der Reichstag den Dank aller unserer Landsleute in den Kolonieen verdienen. Der Kanzler verbreitet sich dann über das kolonialpolitische Programm näher. Unter anderem betont er, daß auch die Selbstverwaltung in den Kolonieen in Aussicht genommen sei und daß die Zentralstelle für das Koloniolwesen in der schon bekannten Weise umgestaltet werden müsse. Dem bisherigen Kolonialamtsdirektor dar ke er für seine bewährte Pflichttreue. Auch der j-tzige neue Leiter des Kolonialwesens werde, wie er hoffe, der rechte Mann sein. Er werde hoffenttlich von den Kolonieen Bureaukratis- mnS und Eifersüchteleien fern halten. Den ausgezeichneten Führer Trotha müsse er gegen die Angriffe, die vor acht Tagen gegen ihn erhoben worden seien, in Schutz nehmen. (Beifall) Trotha sei telegraphisch aus Anlaß seines Erlasses angewiesen worden, möglichst müde vorzugehen. Noch niemals, das sei seine Ueberzeugung, sei ein Kolonialkrieg mit so geduldiger Menschlichkeit geführt worden, wie der iu Südwestafrika von unseren Leuten. (Lebhafter Beifall während aller dieser Ausführungen.) Weiter drückt der Kanzler seine Genugtuung aus über die Zustimmung dreier Redner aus dem Hanse zu den Forderungen für die Flotte, wobei er Bezug
nimmt namentlich auch auf Aeußerungen seines verehrten Freundes Fortis sowie des Präsidenten Roosevelt. Ja einer ausgezeichneten Rede sei gestern der preuß. Finanzminister für die Steuervorlagen eingetrcten. Er könne dem nur noch hin- zusügen: Ohne Finanzen keine Wehrkraft, ohne Wehrkraft kein Friede, ohne Friede keine Wohlfahrt des Landes. Um Mißverständnissen vorzubeuge«, betone er ausdrücklich, dvß er den Besuch des Kaisers in Tanger, der schon im Februar in Erwägung gezogen war, mit seiner vollen politischen Verantwortlichkeit decke. Dieser Besuch habe dadurch, daß er den internationalen politischen Charckter der Morolkofrage zum allgemeinen Bewußtsein brachte, nur nützlich gewirkt. Der Kaiser habe sich daher durch diese Reise sehr verdient gemacht. Die Sozialisten wünschten offenbar den Besuch James für ihre inneren politischen Ziele auszuschlachten. Die Sozialdemokraten hätten den Eindruck erwecken wollen, als ob die Regierung kriegerische Absichten hätte und als ob der Krieg nur durch die Sozialdemokraten verhindert worden sei. Die Sozialdemokraten wollten sich als die Retter des Kopitcls aufspielen. (Heiterkeit) Diesem Eindruck mußte vorgebengt werden. Die Entscheidung über Krieg und Frieden liege bei uns nicht in den Händen berufsmäßiger Agitatoren, sondern in den Hände« der maßgebenden Faktoren. Weun wir solchen sozialistischen Tendenzen Einfluß kinräumten auf unsere auswärtige Politik, so wäre das nationaler Selbstmord. Der Reichskanzler schließt: Wir werden, meine Herren, stets nur einen urS anfgedrungenen Krieg führen und wenn da die Sozialdemokraten erst entscheiden wollen, ob der Krieg berechtigt ist, also ob sie Landesverrat üben wollen oder nicht (lebhafte Bravos) so kann ich Ihnen nur raten, solche Tendenzen nicht etwa an Stellen an den Tag zu legen, wo Sie nicht unter dem Schutz der Immunität stehen und wollten die Sozialdemokraten etwa wie in Rußland, zu Meutereien und Plünderungen schreiten, so würde dieser Versuch zerschellen an der Festigkeit unserer Institution und der Entschlossenheit der Regierung und des deutschen Volkes, das sich nicht unter das Joch der Sozialdemokratie würde beugen wollen. (Lebhafter Beifall) Abg. Müller-Sagau (frs. Vp) bemängelt die Diätenlofigkeit des Reichstages, bekämpft lebhaft die Verkehrssteuer, Fahrkarten- und QuittungSstcuer sowie auch die Bier- und Tabaksteuer-Erhöhung. Bezüglich der Flottenvermehrung sei die Begründung derselben, soweit es sich um die Anslandskreuzer handle, eine ganz hinfällige. Abg. v. Kardorff (Rp.) polemisiert gegen die äußerste Linke und bezeichnet die Zustände in Deutschland als die denkbar besten und hofft, daß das deutsche Reich sich unter dem Kaiser und dem Fürsten Bülow weiter segensreich entwickeln möge. Hierauf erfolgt Vertagung. Moutag 1 Uhr Fortsetzung. Vorher Handelsvertrag mit Bulgarien und Handelsabkommen mit England.
Altona, 9. Dez. Generalleutnant von Trotha wird voraussichtlich am 12. ds. aus Süd- westafrika iu Homburg eintreffen. Zu seinem Empfange werden vom Generalkommando größere Festlichkeiten geplant. Der kommandierende General von Bock und Polach werden den Heimkehrenden bei s einer Landung begrüßen und abends wird zu seinen Ehren ein Festessen im Kaiserhofe zu Altona stattfinden.
Moskau, 9. Dez. Den Offizieren der Mandschurei-Armee wurde verboten in die Heimat zurückzukehren wegen der in der Armee ausgcbrochenen Meuterei.
Warschau, 10. Dez. Wieaus Moskau berichtet wird, sind die Truppen in Moskau in zwei Lager geteilt, von denen der eine Teil loyal und der andere bedeutendere revolutionär gesinnt ist. Die Offiziere iu dem revolutionären Lager begeben sich in Uniform nach den Versammlungen, wo sie Reden halten. — Zwei neue Kompagnien haben in Kex« Holm gemeutert, wo bereits ein Bataillon der Garde isoliert in der Kaserne eingeschlosseu ist. Die revolutionären Ideen werden durch Offiziere unter de« Truppen verbreitet.
London, 9. Dez. Aus Petersburg wird gemeldet: Di- Postverwaltuug habe gestern eine Summe von 100000 Francs beschlagnahmt, welche gestern aus Frankreich als Unterstützung für die streikenden Postbeamten etngetroffen sei.