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Paris, 12. Juli. Das Echo de Paris meldet aus Petersburg: Das Telegramm Wittes, worin die Bedingungen Japans mitgeteilt wurden, traf in der vorigen Nacht beim Zaren ein. Aus einer Unterredung, welche der Korrespondent des genannten Blattes mit einer hochgestellten Persönlichkeit gehabt haben will, geht folgendes hervor. Eine Abtretung Liaoyangs, der ostchinefischeu Eisenbahn. Einräumung des Protektorats über Korea, Verlassen der Mandschurei und Aufrechterhaltung des Prinzips der offenen Tür. Das alles seien Punkte, in denen Rußland bereit sei, das weitgehendste Entgegenkommen zu zeigen. Von einer Kriegsentschädigung könne nicht die Rede sein, jedoch könne man sich vielleicht im Prinzip mit einer Rückerstattung der wirklichen Krtegsausgaben einverstanden erklären. Was Sachalin betreffe, so lehne Rußland eine Abtretung ab, aber es sei bereit, Japan weitgehendste Privilegien zwecks Ausbeutung des natürlichen Reichtums der Insel zu gewähren. Diese Privilegien würden den Japanern tatsächlich den wirtschaftlichen Besitz der Insel sichern. Was die Auslieferung der in den neutralen Häfen liegenden Kriegsschiffe anbelange, so lehne Rußland dies ab, weil es damit auf ein gutes Recht verzichten würde. Dagegen würde man sich eventuell bereit finden, im Einverständnis mit Japan die Grenze der beiderseitigen Rüstungen festzusetzen.
London, 12. Aug. Einer Drahtmeldung aus Tokio zufolge ist in den militärischen Rüstungen kein Nachlassen zu bemerken. Täglich werden mehr Soldaten ausgehoben und Tausende werden täglich nach dem Kriegsschauplatz entsandt. Die Stimmung im Volke weist darauf hin, daß man nur dann den Frieden will, wenn er wirklich als dauernd gewährleistet wird. Sollte es nochmals zu einem Zusammenstoß kommen, so wird es wohl dis blutigste Schlacht werden, die die Weltgeschichte zu verzeichnen hat.
Petersburg, 12. Aug. Der „Ruß" erhielt vom Kriegsschauplatz die Nachricht, daß die Japaner ihre esten Verschauzungen ohne Mützen und Gewehr verließen und den ihnen auf Schußweite entfernten Kosaken zuricfen: Freunde! Friede! Friede! Die Kosaken antworteten darauf mit Flintenschüssen. Die Japaner zogen sich dann in die Verschanzungen zurück, wobei sie von den Kosaken verfolgt wurden.
Petersburg, 12. Aug. Der Finanz- minister hat die für heute projektierte Ausschreibung der neuen bprozentigen inneren Anleihe von 200 Millionen Rubel verschoben. Die Anleihe wird aber wahrscheinlich nächste Woche zur Realisierung gelangen.
Washington, 13. Aug. Ueber die widersprechend lautenden Nachrichten über den Stand der Friedensverhandlungen äußerte sich eine maßgebende Persönlichkeit des Weisen Hauses, cs liege in der Natur der Sache, daß bei so schwie
rigen Verhandlungen die Stimmung noch öfter wechseln dürfte. Man dürfe sich aber nicht dem Pessimismus hingeben, da bisher noch an keinen Abbruch der Verhandlungen gedacht wurde.
Portsmouth, 13. Aug. Der amtliche japanische Wortlaut, welcher am Sonnabend Mittag zugestellt worden ist, beschäftigte die gestrige Morgensitzung und besagt, daß die russischen Friedensvermittler eine geschriebene Antwort auf die von den japanischen Friedensvermittlern verflossenen Donnerstag überreichte Note verfaßt haben. Es wurde beschlossen, daß die Japaner die Antwort prüfen sollen, worauf eine neue Sitzung auf SamStag oder Sonntag Morgen anzuberaumen sei. Diese Mitteilung, von dem japanischen Delegierten Sato verfaßt, scheint darauf hiuzudeuten, daß die Japaner ihre Absicht beibehalten, da sie nur eine sehr kurze Frist für ihre Antwort gegeben haben. Man glaubt, daß die Russen manöverieren, um einen eventuellen Abbruch der Verhandlungen den Japanern in die Schuhe zu schieben. Unter den Personen, die mit Russen und Japanern in Berührung stehen, äußerten sich einige sehr pessimistisch. Man befürchtet, daß die nächste Tagung die letzte sein könnte, obgleich die Antwort Wittes höflich gehalten und für weitere Unterhandlungen die Tür offen gelassen hat, falls es in der Absicht der Japaner liege, weiter zu diskutieren.
Vermischtes.
Die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften im Jahre 1904. Von 46 deutschen Gesellschaften wurden im Jahre 1904 insgesamt 152091 eigentliche Lebensversicherungen über 712977960 ^4 neu abgeschlossen. In Abgang kamen dagegen 77877 Versicherungen über 323 079705 ^4, darunter 25289 über 100107872 durch den Tod und 6538 über 35075967^4 durch Zahlbarwerden bei Lebzeiten der Versicherten. Der Gesawtbestand eigentlicher Lebensversicherungen am Schluffe des letzten Jahres erhöhte sich um 74214 Policen und 389898255 ^4 Summe auf 1753010 Versicherungen über 7725074387 Hieran waren die bedeutendsten Anstalten mit folgenden Summen beteiligt:
Gorha .... (gegr. 1827) mit 865987975^ Stuttgart . . . ( „ 1854) „ 692982177 „
Alte Leipziger . ( „ 1830) „ 678571550 „
Victoria . . . ( „ 1861) „ 654393440 „
Stettiner Germania ( „ 1857) „ 639271882 „ Karlsruhe. . . ( „ 1864) „ 534042161 „
Summa 4065249185 -^4 Auf diese sechs Anstalten entfiel demnach die gute Hälfte (52,6°/°) des gesamten Lebensverstcherungs- bestondes der 46 Gesillschaften. Von letzteren betreiben 23 — darunter besonders Victoria und Friedrich Wilhelm — außerdem die kleine (Volks- und Sterbekaffk-)Verficherung mit geringen Summen, zumeist ohne ärztliche Untersuchung und mit wöchent
licher Prämienzahlung: hierin wurden 765047 Versicherungen über 153 695028 neu abgeschlossen, und am Schluffe des Berichtsjahres bestanden 4812770 Versicherungen über 858536153 ^S4 (durchschnittlich 178 ^). Von den 46 Gesellschaften betreiben sodann 42 auch die Versicherung nur auf den Lebensfall (Alters-, Aussteuer-, Militärdienst- Versicherung): hierin wurden 37189 Versicherungen über 66638409 ^4 abgeschlossen und Ende 1904 bestanden 560182 Versicherungen über 890380976-^4 Der Gesomtbestand an Kopitalverficherungen bezifferte sich somit bei den 46 deutschen Lebensversicherung? avstalten Ende 1904 auf 9473991516 -^4 Summe. Vertreter für Gotha: Fr. Kübler, Calw.
Deutsche Seeschiffahrt und deutsche Industrie. Unsere großen Schiffahrtsgesellschaften haben in den letzten Jahrzehnten eine Ausdehnung gewonnen, die sie zu einem der wichtigsten Faktoren unseres Wirtschaftslebens macht. Welch gewaltige Mengen von Rohstoffen, Halb- und Ganzfabrikaten weiden alljährlich von der deutschen Handelsschiffahrt von oder nach überseeischen Ländern befördert, welche treibende und vermittelnde Kraft übt sie dadurch auf die deutsche Industrie und den deutschen Handel aus. Aber auch ihre unmittelbare Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft ist eine außer- mdemlich große. Nihmen wir als Beispiel die Beziehung des Norddeutschen Lloyd zu der deutschen Industrie. Während noch im Jahre 1892 von seiner Tonnage 74 Prozent in England und nur 26 Prozent in Deutschland gebaut waren, ist das Veihälinis zur Zeit ein völlig anderes geworden da 80 Prozent der jetzt vorhandenen Flotte deutschen Werften seine Entstehung verdankt. Ja, von den seit 1892 in Auftrag gegebenen Neubauten find sogar, nach dem Bauwert gerechnet, mehr als 90 Prozent deutschen Ursprungs, denn der Gesamtwert der von dem Norddeutschen Lloyd seit dem Jahre 1892 deutschen Weiften in Auftrag gegebenen Neubauten beläuft sich auf rund 200 Millionen Mark, während in dem nämlichen Zeitraum nur für 16 Millionen Mark auf ausländischen Werften gebaut wurden. In den letzten 6 Jahren ist vom nord- deruschen Lloyd überhaupt kein Dampfer mehr auf ausländischen Werften in Auftrag gegeben worden. Heute kommt jede Schraube, jede Niete und jede Welle der deutschen Industrie zugute und wenn der Norddeutsche Lloyd auf seinen Fahrten durch die Weltmeere, auf den jährlich fast sechs Millionen Seemeilen umfassenden Reisen, seine Flagge in den entferntesten Landern der Erde zeigt, so tut er es heute fast nur im Dienste deutscher Arbeit. Nehmen wir noch hinzu, daß der Norddeutsche Lloyd jährlich für etwa 21'/- Millionen Mark Kohlen und für etwa 12'/- Millionen Mark Proviant verbraucht, die zum größten Teil aus Deutschland bezogen werden, so leuchtet ein, daß die ganze deutsche Volkswirtschaft, der Norden, Süden, Osten und Westen u nseres Vaterlandes an dem Aufschwung der deutschen Schiffahrt teilnimmt. („Leuchtturm".)
„Ich b.greife!" läckeltr er. „Man weiß ja niemals, wie viel Gewicht der andere auf eine flüchtige Reisebekanntschaft leat, und hütet sich gern, lästig zu werden! So zum Veffpi l wir beide! ES könnte ja sein, daß wir. absichtslos wie wir hier sitzen, g-rrrnnsam 3 uge eines Ereigniff-s, eines Vorfalles würden. Der eine vergißt ihn der andere bewahrt ihn in seiner Erinnerung. Ich vermute, daß Sie auf der Reise sind, wie ich! Sprache» Sie nicht von der Entführung eines jungen Mädchens? So etwas ist immer interessant! Ich stelle mir dasselbe jung und hübsch vor! Und aus einem Hotel entführt! Herr von Wiedenstein wird doch nicht selbst der Schelm gewesen sein?" lachte er auf. „Das wäre noch interessanter! Ich begreife jetzt ihre Diskretion! Man macht Bekanntschaft in dem Hotel einer Familie, entführt die Tochter . - . Alles schon dagew sen!"
Der Unbekannte schüttelte den Kopf.
»Ich sagte das nicht! Gott behüte mich davor! Es ist etwas ganz anderes, was ... ES war damals, ich erinnere mich, die Zeit des CrrnevalS . . ."
„So ganz geeignet zu Entführungen. Unkenntlich hinter der Larve, er als Domino, sie als Zigeunerin maskiert."
„Ich bitte Sie dringend, mein Herr, dieser Vorstellung keinen Namen zu geben, und noch dringender, dem Herrn, Ihrem Freunde, nichts davon zu äußern, denn cS trifft nicht zu. Dürfte ich dagegen Sie um seine Adresse bitten . . ."
„Ich kenne seine Wohnung nicht; er steht mit seinen Hauswirten immer auf schlechtem Fuß!" lachte Blenke achselzuckrnd. „Wi.denstein wohnt übe, Haupt mehr und eigentlicher im Koffeehause, z. B. hier, auch finden Sie ihn nn Restaurant zum weißen Roß, mit einem Wort: so ein bischen überall."
„Ich danke Ihnen!" Lübke erhob sich langsam.
In Blenke konzentriete sich jetzt die ganze Vorstellung von der Wichtigkeit, die dieser Unbekannte für ihn haben oder gewinnen könne.
„Ich wünsche Ihre liebenswürdige Bekanntschaft nicht umsonst gemacht zu
haben, sagte er. ihm die Hand drückend. „Sind Sie fremd hier und brauchen Sie vielleicht einen freilich auch noch nicht allzu kundigen Führer ... Ich habe Verwandt« hier, die mich schnell orientierten."
„Ich danke Ihnen!" Lübk« schien nickt ganz so bereit, sich anzuschließen. „Ich werde die Ehre haben. Sie hier an dieser Stelle wieder aufzusuchen!" Damit empfahl er sich, anscheinend innerlich sehr bischästigt.
„Semlow nannte er sich!" Blenke überlegte eifrig. „Ec war sehr zurückhaltend. Ich darf ihn aber nicht so entkommen lassen, muß wissen, wo ich ihn etwa zu suchen habe!"
Er nahm seinen Hut, warf einen Guldenzettel auf den Tisch und eilt« hinaus. In einer Entfernung von etwa dreißig Schritten sah er im Halbdunkel der Straße seinen Mann unentschlossen dastehen. Auch er hielt inne und drückte sich an eine Hausmauer. Als jener sich entfernte, folgte er ihm vorsichtig bis vor ein Hotel der Leopoldstadt, ließ ihn eintreten, wartete einige Minuten draußen und trat dann an die Portierloge, um zu fragen, ob ein Herr Semlow im Hause wohne.
Der Portier nannte die Nummer. Blenke tat als suche er die Treppe und drückte sich unbemerkt zum Hause hinaus.
„Seltsam, wie sich ganz plötzlich und gerade hier die Fäden zusammenfinden!" Blenke nahm einen Fiaker, um in die innere Stadt zurückzukehren. „Möglich ist es immerhin," sprach er unterwegs, „daß Wiedenstein, nur um sich mir interessant zu machen, eine Geschichte aus der Luft gegriffen hat, die mir, ohne daß er eS ahnt, in meine Angelegenheit paßt; vielleicht gerade, um ein anderes, was er begangen Hot, zu verschleiern. Ich darf unmöglich so ohne weiteres darauf bauen. Aber der alle Herr, der ihn in Berlin gesehen, weiß vielleicht mehr von ihm, als er bekennen will; ihn gilt e« auszuforschen!"
(Fortsetzung folgt.)