Zweites

Blatt.

Zweiter

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Reuenbürg, Samstag, den 2. August 1924.

82. Jahrgang.

Stuttgart, 1. Aug. (Die Reitpeitsche.) Vor kurzem er­folgte ein Zusammenstotz zwischen einem hiesigen Herrn und Angehörigen der feindlichen Ueberwachungskommisston. Zwei italienische Ueberwachinngsoffiziere, natürlich in Begleitung ^ei­ner Dame, mitzhandeiten einen Deutschen mit -der Reitpeitsche derart, daß seine Arbeitsfähigkeit auf 12 Wochen beschränkt war. Eine Sühne für diese Untat erfolgte nicht, weil die Berliner, aus Ententeofsizieren bestehende Untersuchungskommission ein­fach erklärte, daß keine Schuld nachzuweisen sei. Wir Deutsche haben es wahrlich herrlich weit gebracht!

Stuttgart. 1. Aug. (Gedenkfeiern am 3. August.) Anläß­lich der Totengedenkfeiern am 3. August wird auf Anordnung des Evangelischen Oberkirchenrats in den Kirchen der Kriegs­opfer in Predigt und Kirchengebet gedacht werden. Das Bi­schöfliche Ordinariat in Rottenburg hat eine ähnliche Anord­nung getroffen und außerdem nach den örtlichen Verhältnissen die Abhaltung einer Andacht für die Gefallenen, Gräberbesuch usw. enipfohlen. In den Kirchen beider Konfessionen findet mittags 12 Uhr volles Glockengeläute statt.

Stuttgart, 1. Aug. (Erntebergungskredit für Landwirte.) Von der Landwirtschaftskammer wird uns geschrieben: Die Preußische Staatsbank hat zur Bergung der Ernte der deut­schen Landwirtschaft einen kurzfristigen Kredit im Betrag von 100 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Auch Württem­berg erhält hiervon etwa 4 Millionen, die zur Verteilung der Landw. Genossenschafts-Zentralkasse Stuttgart, der Württ. Girozentrale Stuttgart und der Württ. Landessparkasse Stutt­gart überwiesen werden. Die Zentralkasse wird den Kredit an die Darlehenskassenvereine, die Girozentrale an die Oberamts­sparkassen weitergeben, so daß die Mitglieder dieser Vereini­gungen durch diese ihr Darlehen erhalten können. Um auch anderen Kreisen der Landwirte Kredit zu verschaffen, ist auch der Württ. Landessparkasse ein Betrag überwiesen worden. Der Kredit wird leider nur auf 3 Monate gegeben. Der Zins­fuß beträgt 13 Prozent jährlich. Wenn auch nicht ein sehr hoher Betrag auf die einzelnen Bezirke entfällt, und die Rückzahlung schon nach drei Monaten zu erfolgen hat, so wird diese Hilfe von der Landwirtschaft doch dankbar begrüßt. Wie man hört, sollen womöglich auch den Aufkaufsvereinigungen später Kredite zum Aufkauf der Ernteprodukte zur Verfügung gestellt werden.

Luöwigsburg, 1. Aug. (Notwehr eines Polizeibeamten.) In der Nacht aus Donnerstag suchte der 39 Jahre alte Händ­ler und frühere Fuhrmann Eugen Augenstein von hier in einer Wirtschaft am Kaffeeberg einzubrechen. Die Wirtin schlug Alarm. Ein in der Nähe befindlicher Polizeiwachtmeister drang in den Hof ein, um den Einbrecher festzunehmen. Letzterer schlug auf den Beamten, vermutlich mit einem harten Gegen­stand, ein, worauf der Polizeiwachtmeister von seiner Schuß­waffe Gebrauch machte. Augenstein sank auf den ersten Schuß tot nieder. Amtliche Untersuchung ist eingeleitet.

Tübingen, 1 . Äug. (Neugründung einer Gewerbebank.) Donnerstag abend trafen sich die Vorstände der einzelnen Be­rufsorganisationen, um der Frage der Neugründung einer Ge­werbebank näher zu treten. Beschlüsse wurden nicht gefaßt. Die Innungen und die anderen Berufsorganisationen sollen in den nächsten 14 Tagen zu der Angelegenheft Stellung nehmen. Weitere Schritte Wird eine demnächst einzuberufende Vollver­sammlung des Mittelstandskartells einzuleiten haben.

Ulm, 1. Aug. (Gelegenheit macht Diebe. Ungetreuer Beamter. Ein Rabenvater.) Bei dem letzten großen Brand am Güterbahnhof ließen sich viele Personen verketten, an der Brandstelle Lebensmittel und allerlei andere Gegenstände, die vorübergehend ohne Aussicht geblieben waren, wegzunehmen. Gegen sie ist Diebstahlsanzeige erstattet. Mich Veruntreu­ung erheblicher Geldbeträge ist ein verheirateter, in Ulm stati­oniert gewesener Eisenbahnbeam-ter flüchtig gegangen. Ein äußerst gewalttätiger Bauarbeiter, der seiner Familie keinen

De? Tanz um das goldene Kalb

Unterhalt, dafür aber fortgesetzte Mißhandlungen gewährte,. mußte in Haft genommen werden.

Biberach, 1. Aug. (Wenn die Mutter die Mode studiert.) lieber einen ergötzlichen Vorfall wird -dem Anzeiger vom Ober­land berichtet: Eine Frau ging spazieren und hatte ihr jüng­stes bei sich. Ihr Weg führte auch an Schaufenstern vorbei; besonders solche mit Modewaren sind bekanntlich dazu da, daß man sie ansieht. Die Frau hatte sich in die ausgestellten Sachen so vertieft, Laß ihr Los Sportwägelchen, in dem sich ihr -drei­jähriges Töchterchen befand, ganz außer Acht kam. Dem Kind schien der Aufenthalt zu lange zu dauern, denn es entstieg dem Wägelchen und begab sich in den naheliegenden Hof, wo Kinder spielten. Inzwischen hatte sich aber ein anderes Kind in den Wagen gesetzt. Die Mutter bemerkte von all dem nichts. Sie fuhr mit dem Wogen weiter und erst, als sie an einem neuen Schaufenster ihrer Kleinen die ausgestellten Sachen zeigen wollte, bemerkte sie zu ihrem Entsetzen, daß sich gar nicht ihr Kind im Wagen befand. Schon wollte sie ihrem bangen Herzen Lust machen, als ein Herr ihr den ganzen Vorgang erklärte. Die Kleine hatte sich unterdessen in einen Laden begeben, wo sie sich in -drolliger Weise mit dem Ladenfräulein unterhielt. Ja, ja, die kleinen Mädelchen ....

Hochwasser. Die Rottum ist über die Ufer getreten und hat in Laupheim verschiedene Keller und Wohnräume über­schwemmt. Von Mergentheim wird gleichfalls gemeldet, daß die Drüber über die Ufer trat und daß selbst das neue Flußbett ober- und unterhalb der Wolfgangsbrücke die Wasser­mengen nicht mehr fassen konnte. Die Ueberflutung des Kocher hat auf den Feldern in der Gegend von Künzelsau erheblichen Schaden angerichtet. In Hall hat der Kocher, der nachts um 2 Meter stieg, den Steg im Frauenbad mitgerissen. Die hochgehenden Fluten führen viel Holzwerk und andere ab­getriebene Gegenstände mit sich. Das gleiche wird aus Crailsheim von der Jagst berichtet. Dort mußte der Zu­gang zum Bahnhof durch eine Notbrücke aufrecht erhalten wer­den. Die Landwirte, ohnedies schwer belastet, haben so neue Sorgen zu tragen.

Vermischtes.

Brückeneinsturz. Bei Herford ereignete sich ein schweres Unglück in dem benachbarten Rödinghausen in der Nähe des Rangierbähnhofes der Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke. Ue­ber die etwa 12 bis 13 Meter lange Hoehne-Brücke war ein Anschlußgleis gelegt worden, um Ziegel abzufahren. Als ein mit 3900 Ziegelsteinen beladener Wagen die Brücke Passierte, brachen die Nieten, die die Querträger in der Mitte hielten. Die Brücke brach zusammen und der Wagen stürzte in die Hoehne. Zwei Arbeiter wurden getötet, zwei schwer verletzt; vier Arbeiter kamen mit dem Schrecken davon. Eine Untersu­chung über den Ünglücksfall ist eingeleitet worden.

Kampf mit Wilderern. An der Grenze des Tanner Wald­reviers im Harz traf ein Förster auf mehrere Wilderer, die einen Hirsch erlegt hatten. Es entspann sich ein heftiger Kampf. Der Förster schoß den einen Wilderer nieder, einen anderen verwundete er schwer, die sieben übrigen flüchteten. Der Tote ist ein 7»jähriger Alaun, der als Wilderer öfter im Harz eine Rolle spielte.

Die Hungersnot in Rußland und die deutschen Kolonisten.

Die deutsche Bauernschaft in Rußland, durch den Krieg und die Revolution aus ihrer friedlichen Arbeit herausgerissen und durch die Hungersnot vom Jahre 1920 aufs schwerste betrof­fen, hat in den letzten drei Jahren mit einer Zähigkeit und Hingabe sondergleichen an der Schaffung neuer Lebensmög­lichkeiten gearbeitet. Die Männer spannten sich selbst zusam­men vor den Pflug, um die Saat in die Erde zu bringen. Mitten in den Beginn neuen Lebens hinein kommt nun die neue Hungerkatastrophe. Die Not ist vielfach schon so weit vorgeschritten, daß Tausende rettungslos zugrundegehen müs­

sen, bevor Hilfe gebracht werden kann. Die deutschen Koloni­sten in dem sonst so brotreichen Sibirien treibt der Hunger fort, sie such unterwegs zu ihren Brüdern an der Wolga. Die Unglücklichen ahnen nicht, daß das Wolgagebiet von derselben Not heimgesucht ist und idaß von dort Karawanen unterwegs sind, die in Sibirien Rettung suchen. Andere ziehen vom Transwolgagebiet besonders aus dem Zarigyner Gebiet in den Nordkaukasus, aber auch dort herrscht die gleiche Not. Ebenso kommen aus der Halbinsel Krim, dem Odessaer Gebiet und Kaukasien erschütternde Hilferufe der deutschen Brüder. Viele denken an Auswanderung nach Amerika. Aber Amerika denkt nicht daran, die Hunderttau sende hereinzulassen. Und woher soll das Geld auch zu der Ueberfahrt kommen? Niemand glaubt mehr an Ae Versprechungen der Sowjetregierung. Bei der Hungersnot vor vier Jahren konnten Hunderttausende durch ausländische Hilfe gerettet werden. Auch in der neuen Not dürfen diese Bruderstämme, die sich so tapfer behauptet haben, nicht allein gelassen werden. Es ist höchste Zeit, wirksame Hilfe vorzubereiten.

Die Juwelen in der Strickwolle. Auf eine höchst über­raschende Weise wurde -das Geheimnis eines Juwelendieü- stahls enthüllt, der die Moskauer Polizei seit mehr als 3 Jah­ren beschäftigt hat. Die Juwelen verschwanden im Herbst 1921 aus einer Regierungsabteilung, in derrequirierte" Schmuck­sachen der Bourgeoisie aufbewahrt wurden. Es befand«! sich darunter viele Goldsachen, mehrere Perlenhalsbänder, Sma­ragden und andere Edelsteine. Die erste Spur brachte die Mit­teilung einer adligen 'Dame, die -der Polizei mitteilte, sie habe auf der Straße ein Mädchen gesehen, das ihrerequirierte" Diamantbrosche trug. Weitere Nachforschungen führten zu der Verhaftung zahlreicher Beamten -der Abteilung, und 15 von ihnen wurden verurteilt und hingerichtet. Der hervorragendste der Verurteilten war Direktor -der Juwelenabteilung Lupa- schew, der aber bis zu seinem Tode immer wieder seine Un­schuld beteuerte. Die Sache blieb also unaufgeklärt. Da er­fuhr die Polizei vor kurzem, daß einige kleine Diamanten von der betagten Witwe -des Hingerichteten Lupaschew verkauft wor­den waren. Man hielt sofort Haussuchung ab und fand die alte Dame in einem Lehnstuhl sitzend, wie sie eifrig mit Strik­ten beschäftigt war und auf dem Schoß ein großes Knäuel wei­ßer Wolle liegen hatte. Jeder Winkel -der Wohnung wurde durchsucht, ohne daß man -das Geringste fand. Da griff plötz­lich einer der Detektive nach dem Wollknäueb und mit einem Aufschrei fiel die alte Dame ohnmächtig zurück. In -der Strick­wolle hatte sie die so lange gesuchten Diamanten verborgen.

Muttersprache.

Es klingt kein Klang auf Erden so süß wie Heimatlaut, Kein Ton geht so zu Herzen, wie Muttersprache traut.

Es quillt in ihren Tiefen ein Strom beseelter Kraft,

Ihr wundersamer Zauber hält Herz und Sinn in Haft.

Dem Kindlein wird sie lockend von Mutierlippen kund,

Im frohen Liedergruße schwebt sie von Mund zu Mund.

Es lauscht ihr glückdurchzittert und sehnsuchtsvoll entbrannt, Won das Geschick verschlagen an einen fremden Strand.

Wo immer du magst weilen, in Ost und Süd und West,

Sie knüpft mit taufend Fäden dich an die Heimat fest.

Oh, halte sie in Ehren, von fremden Klängen rein:

Die deutsche Muttersprache, sie soll dir heilig sein!"

^rie6i'. Sreusek, kkvrrdeim,

Ink. -, ftrieclr. Ilotk,

lelekon 985. dlettger-LNssse 7. Mcksl äem dlgrktpwtt.

IW- Zcnsstvavr- unck ÜA^ebe-Kesebäkt. -HM 5periglit3t:

^nkertiAun^ kompletter tt-rsut- uoä IvioflergEtattullgew. lierrenväseke unek Nuss.

Don Erica Grupe-Lörcher

(Nachdruck verboten.)

siam-tt stand hinter der offenen Tür des Nebenzimmers und hörte den Arzt sprechen. Da wußte er Bescheid. Jetzt nahte für ihn die Zeit der Ernte, auch für die Corelli! Er gab sich durchaus das Ansehen, als habe er nichts auf- gefangen, als der Arzt im Nebenzimmer dann Zyria bei Seite nahm und dringend einschärfte, die Neise so bald wie möglich nach Hause anzukreten. Sonst könne man befürch­ten, die alte Dame nicht mehr lebend nach Checkburg zu bringen.

sim Gefühl ihrer zusammenfallenden Kräfte hatte Fräu­lein Werner nun selbst den Wunsch, nach Hause zurückzu­kehren. Und während Zyria mit dem Diener die Neisevor- bereilungen traf, rang sie die noch immer eilte Frage: Welche Stellung wird man mir jetzt in der Gesellschaft ein­räumen ?" in dem dunklen, quälenden Verlangen nieder: Nur nach Hause möchte ich! Nur ins eigene Haus zurück­kehren können!"

Sterbend geleiteten Zyria und James ihre Herrin nach Checkberg zurück. Aber die Kranke selbst war ahnungslos. War voller Hoffnung! Bei der eigenen diätetischen Küche würde sich dieses entsetzlich an ihren Kräften nagende Ma­genübel bessern und heben!

Täglich fragte die Kranke, ob nicht Besuche gekommen seien, ob sich niemand nach ihr erkundigt habe, auch nicht telephonisch! Und fast immer muhte Zyria mit möglichster Schonung verneinen. Zuletzt erfand sie öfters angebliche Telephonanfrage, um die alte Dame zu beruhigen und den wunden Stachel in dem Bewußtsein zu mildern, sie war hier vergessen! Niemand kümmerte sich um sie, wo nicht mehr der Reichtum ihres Bruders den Nimbus um sie wob!

Und wenn Stunden fürchterlicher äußerer Vereinsamung über die Kranke kamen, bat sie Zyria, zu musizieren. Dann mußte das junge Mädchen die Flügeltüren des großen Musik­zimmers weit zum Gange öffnen und alle die Lieder durch­spielen. die einst aus den Hauskonzerten der kunstsinnigen allen Dame hier erklungen waren. Den weißen Kopf mit dem eingesunkenen Gesicht tief in die Kissen zurückgesunken, lag Fraulein Werner dann regungslos mit geschlossenen Augen da. Und vor ihren Gedanken stiegen in lebendigster Deut-

I lichkeit die Erinnerungen an die verflossenen Gesellschafts abends auf. Dann vergaß sie die Umwelt! Es gab keine Zu­kunft für sie, keine jammervoll deprimierende Gegenwart! Sie war glücklich in der Vergangenheit, welch« die Musik­klänge jetzt in ihr wachriefen.

Ach, in der Erinnerung leben können! Sie sah ihren Bruder wieder zwischen den Flügeltüren der Gesellschafts­zimmer stehen, mit seinem behaglich-freundlichen Lächeln. Sah die geschmückten Gäste rings um sich, sah sich selbst mit ihrer wunderbaren Grazie und Elastizität durch ihre Reihen hindurchgehen. Und unter dem Prismenglanz des großen Kronleuchters stand wieder die berühmte Sängerin aus Wien, die man zu diesem Abend hergebeten hatte! Ach, waren das köstliche Stunden gewesen!

Immer weiter mußte Zyria spielen, immer weiter auf Bitten der Kranken! Es ging oft bis spät in den Abend hinein. Und sie wagte nicht, es ihr abzuschlagen, war es doch noch die einzige Freude, die einzige Erquickung für die Kranke, für die Sterbende! Denn wenn Zyria zuletzt ermüdet aufhörte, leise die Töne verklingen ließ und zur Kranken hinüberkam, dann fand sie sie öfters eingeschlummert vor Schwäche. Fand sie sie daliegen wie eine fast Tote: mit ein» gesunkenen Zügen und geschlossenen Lidern, wie tot und leb­los, da die klugen, dunklen Augen, die dem ganzen Gesicht ein schönes Leben verliehen, zugesunken waren.

Ein Grauen durchschüttelt« dann oft Zyria. Ein un­bestimmtes, unerklärliches Grauen. Still und verlassen schien alles im Hause. Kein Laut zu hören. Nur draußen ein leiser, leiser Schritt, und wenn sie fast entsetzt in einer un­bestimmten Angst entschlossen zur Tür eilte, um sie aufzu­reißen und zu sehen, wer dort sei, dann stand plötzlich James vor ihr! James, der so leise ging, um die Herrin nicht zu wecken, wie er ihr flüsternd erklärte.

Zyria begann, sich vor diesem Manne zu grauen! Immer hatte sie die Empfindung, als ob er um sie "und Ae Kranke hsrumstrich mft> sie überwache mit seinem runden, gesunden, satten Gesicht. Bisher hatte sie sich nie viel Gedanken über den Diener gemacht, ihn nie besonders beachtet. Cr tat seineu Dienst, erfüllte seine Pflicht, war kehr zuverlässig und geschickt. Aber jetzt wurde sie auf ihn aufmerksam. Ihr n>ar selbst nicht erklärlich, warum. Aber sie wa- so klug, sich nichts! von ihrem unbestimmten Mißtrauen ihm gegenüber merkei^ zu lassen! -

Immer abends, wenn die Dunkelheit des neu beginnenden Winters einsetzte, wenn die Schauer der Nacht mit ihren un- erflärlichen Stimmungen heraufzogen, bat die Kranke Zyria, zu musizieren. Als sei das ein Schutz gegen ihre eigenen Ge­danken. Am Tage wurde sie lebhafter. Aber sic lebte auch da am liebsten in der Erinnerung. Sie ließ sich ihre einstigen Gesellschaftskleider und Staatsroben herbeitragen und rings auf die Stühle im Krankenzimmer ausbreiten. An jedem wuchsen Erinnerungen auf! In jenem Kleide hatte sie den Prinzen Soundso empfangen! In jenem waren sie auf dem Fest beim Reichsrat von Hellbach gewesen! Jenes war eine Dinertvilette, und in der andern hatte sie nnmer Seine Durch­laucht so bewundert!

Und dann ihr Schmuck! Einmal ließ sie abends, als man die Lichter angesteckt, ihren ganzen kostbaren Schmuck vor sich auf den weißen Bezügen des Bettes ausbreiten. Die alte Lebhaftigkeit schien wieder über sie zu kommen, als sie das Feuer der kostbaren Brillanten blitzen iah, als die Perlen­schnüre und Kolliers und der verschiedene Haarschmuck auf­leuchteten. Ach, die Perlen! Sie schienen nicht mehr in dem köstlichen matten Glanz wie früher, well sie schon so lange nicht mehr getragen wurden, well der warme Hauch der Haut ihnen nicht mehr das eigenartige Leben die eigenartige Schönheit lieh!

Dieses Kollier aus Brillanten war ihr Lieblingsstück ge­wesen! Gin Geschenk ihres. Bruders! Sie hob es aus dem Schmuckkasten und hielt es in ihren zarten, abgemagerten Händen in die Höhe. Zyria stand still neben ihr und sah ihr zu, wi« sie sich über den feinen Glanz freute, der im motten abgeblendeten Schein des Krankenzimmers doppelt sprühte und leuchtete. Plötzlich fuhr Zyria zusammen. Wieder ein leiser,>ämpster Schritt, wie er sie oft abends beim ein­samen Musizieren drüben im großen Salon --rschreckte! Als sie sich herumwandte, war es wieder James, der aus dem Nebenzimmer hereingeglitten war. Und sie sah, wie sein Blick auf dem funkelnden Brillantkollier lag!

Rur Sekunden, nur Augenblicke! Dann schien er sich über die feine Teetasse zu beugen, die er jetzt vorn Nachttisch der Kranken nahm, um sie herauszutragsn. Nur Sekunden! Und doch waren Zyria die Augen aufgegangsn Was stand alles in diesem einzigen, ach so verräterischen Blick des Dieners! Habgier, Ueberlistung, Bewunderung über das kostbare Stück und der Wunsch nach seinem Besitz! (Forttetzun«