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zur Erbauung eines neuen AmtsgerichLsgebäudeS in Riedlingen 100 000 ^ debattelos genehmigt. Ein Antrag des Prälaten v. Sandberger in Form eines Gesetzes, in Zukunft nicht mehr von einem Gesetze über die Zwangserziehung, sondern von einem solchen über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger zu sprechen, wurde nach kurzer Erörterung in erster und zweiter Lesung angenommen. Nachdem noch der Rechenschaftsbericht des ständischen Ausschusses vom 29. März 1905 anstandslos genehmigt und der Bericht über die Prüfung der ständischen Kasscn- rechnungen für 1903 für justifiziert erklärt worden war, konnte die Sitzung nach fünfviertelstündiger Dauer geschlossen werden. Bot so die Tages­ordnung recht wenig Interesse, so gewann die Sitzung an Bedeutung doch recht wesentlich durch die Er­klärung, mit der der Ministerpräsident vr. von Breitling der Kammer der Abgeordneten die Ent­würfe eines Verfassungsgesetzes betr. Abänderung des 9. Kapitels der Verfassungsm künde, sowie eines Gesetzes betr. Abänderung und Ergänzung des Landtagswahlgesetzes zur Beschlußfassung übergab. Nach einer geschichtlichen Darlegung der an die Frage der Verfassungsreviston sich knüpfenden Ver­handlungen betonte der Minister, die Grundzüge des Entwurfs seien durch die Thronrede vom 4. November v. I. vorgezeichnet. Sie bestehen in der Beibehaltung des Zweikammersystems, der Um­wandlung der 2. Kammer in eine ausschließlich aus gewählten durch das allgemeine Stimmrecht zusammengesetzte Volkskammer, sowie in der zeit­gemäßen Erneuerung und Stärkung der 1. Kammer. In dem Zweikammersystem erblicke die Regierung ein unerläßliches Erfordernis für das Zustande­kommen der Reform. AuS der 2. Kammer scheiden aus die Vertreter der Ritterschaft, der Kirche und der Universität. Im übrigen sehe der Entwurf eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten Stuttgarts vor, nehme aber von einem weiteren Ersatz für die ausscheidenden Privilegierten Umgang. Das Land- standschoftsrecht der guten Städte lasse der Ent­wurf im allgemeinen unberührt und schlage eine Vermehrung der Abgeordneten für Stuttgart auf 6 vor. Nach diesem Vorschlag werde die 2. Kam­mer 75 Abgeordnete haben, wodurch das Ueber- gewicht gegenüber der 1. Kammer gesichert bleibt. Der Entwurf schlage vor, die Beseitigung des Grundsatzes der absoluten Mehrheit und der Stich­wahlen unter Einführung des sogenannten roma­nischen Wahlsystems. Die Vertreter Stuttgarts sollen durch Verhältniswahl gewählt werden. Die Novelle zum Landtagsgesetz enthalte die erforder­lichen Bestimmungen. Die erste Kammer soll ihren Charakter als Vertretung des hohen Adels verlieren. Zu den Prinzen und Standesherren sollen hinzutreten die Vertreter des ritterschoftlichen Adels, der Kirche und Hochschulen sowie von Handel, Gewerbe und Landwirtschaft. Die Zahl der lebenslänglichen Mit­glieder soll auf 6 beschränkt werden. Die gleiche Zahl sei für die Ritterschaft und Kirche vorgesehen. Die Vertreter der verschiedenen Berufe, je zwei für Handel und Gewerbe, sowie für Landwirtschaft, zusammen vier, sollen auf die Dauer einer Wahlperiode vom König ernannt werden. Im Ganzen werde die Kammer nach den derzeitigen Verhältnissen 47 Mit­glieder zählen. Für die EtandeSherren wird der Wohnsitz im Lande gefordert. Die Stimmüber­tragung wird aufgehoben, doch wird für die Standes- henen und den Landesbischof unter gewissen Vor­aussetzungen eine Stellvertretung zugestanden. Be­züglich des Budgetrechts wird die Berechtigung der ersten Kammer zur selbständigen Beschlußfassung anerkannt. Durchzählung ist vorgesehen. Im übrigen beschränkt sich der Entwurf auf die jetzt schon bestehende Gleichberechtigung beider Kam­mern bei der Beschlußfassung. Der sonstige Inhalt des Entwurfs schließt sich im wesentlichen an den Vorgang von 1897 an und bedarf deshalb keiner besonderen Erwähnung. Mit dem Entwurf, so schloß der Minister, bietet die Regierung noch ein­mal die Hand zu einer den vorgeschrittenen Zeit­anschauungen wie staatlichen Interessen in gleicher Weise entsprechenden Verständigung über die Ver­fassungsfrage. Sie ist sich der Schwierigkeiten be­wußt, die zu überwinden find, um das vorgekeckte Ziel zu erreichen, aber sie hegt auch das Vertrauen, daß auf der vorgeschlagenen Grundlage eine Eini­gung herbeizuführen sein wird. (Sehr vereinzelte Bravorufe!) Der Minister übergab sodann die Entwürfe dem Präsidenten, der sie in Druck geben wird.

Stuttgart, 15. Juni. Am Montag setzte sich in der Küche eines Hauses der Marienstraße ein 4 Jahre altes Mädchen auf den Rand eines am Boden stehenden, mit heißem Wasser gefüllten Eimers. Dieser fiel um und das Kind zog sich durch Verbrühung so schwere Verletzungen zu, daß e» an deren Folgen gestern gestorben ist. In letzter Nacht ist in einem HauS am Charlottenplatz in der Dachkammer eines Dienstmädchens durch

deren Unachtsamkeit Feuer ausgebrochen, das durch die Hauptfeuerwache gelöscht wurde. Heute früh hat sich in seiner Wohnung in der Karlsvorstadt ei» Mann einen Revolverschuß in die Schläfe bei­gebracht und mußte, tödlich verletzt, ins Katharinen- Hospital verbracht werden.

Stuttgart, 15. Juni. Gestern abend wurde in der Nähe von Birkach die 70jährige Johanna Rapp von Birkach mit eingeschlagenem Schädel im Straßengraben tot aufgefunden. Der Mörder, ein 24jähriger Bursche, namens Belz von Birkach, ist in vergangener Nacht von der Landjägermannschaft in einer Scheune verhaftet worden. Belz hat gestern außerdem ein 20jähriges Mädchen von Heumoden, Sophie Häfner, in der Nähe der Pumpstation bei Riedenberg in unsitt­licher Weise belästigt und durch mehrere Schläge auf den Kopf erheblich verletzt. Die Staatsanwalt­schaft hat sich heute früh zur Aufnahme des Tat­bestands an Ort und Stelle begeben.

Birkach, 15. Juni. Der gestern unter dem Verdacht der Täterschaft verhaftete Gustav Belz hat noch bei seiner Verhaftung den Ueberfall auf das Kirschenmädchen Sophie Häfner ton Heu­maden eingestonden. Heute Vormittag um 10 Uhr wurde er an den Ort der Mordtat geführt, wo man seinen Stock gesunden hatte und an die Leiche der Johanna Ropp gebracht. Er gestand zu, daß er in dem Garten, wo die Tat geschah, mit der Frau Johanna Rapp zusammen gewesen sei. Den Mord gibt er noch nicht zu. Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.

Tübingen, 15. Juni. In der Nacht zum Mittwoch wurde an der Lustnauer Haltestelle bei Posten Nr. 50 der 62jährige Bahnwärter Friedrich Walker aus Kusterdingen von dem Stuttgarter Schnellzuge überfahren. Er hotte die eine Schranke des Bahnübergangs bereits geschlossen und wollte vermutlich über das Geleise springen, um auch die andere zu schließen, wurde dabei aber vom Zug erfaßt und etwa 21 Meter weit fortgcschleudert. Die schweren Verletzungen, die ver Mann erlitt, hatten, lt. Tüb. Ehr., seinen Tod zur Folge.

Eßlingen, 14. Juni. Bei der heutigen Landtagsersatzwahl im hiesigen Wahlkreis haben von 10691 Wahlberechtigten 7779 abgestimmt und zwar haben erhalten: Mühlenbcfitzer Mayer (ver. bürgerl. Part.) 2938, Reichstagsabg. Schlegel (Soz.) 4544 und Reichstagsabg. Gröber (Z.) 297 Stimmen; Schlegel ist somit mit einer Majorität von 1309 Stimmen gewählt.

Neckargartach, 15. Juni. Die Sczierung der Leichen der Bullinger'schen Familie wurde gestern, lt. Heilbrunner Generalanz., in der Wohnung vorgenommen; dieselbe nahm mit der Protokollauf­nahme 8 Stunden in Anspruch. Die Leichen wurden alsbald nach der Sezterung in die Särge gelegt und diese verschlossen. Die Beerdigung der so ruchlos dahingemordeten Familie fand heute vormittag um 9 Uhr statt. Schon in früher Morgenstunde strömten lt. Neckarztg. die Leute zusammen, um der Beerdigung beizuwohnen und eine ungeheure Menschenmenge gab den Opfern das letzte Geleite. Erdrückend war die Menge der gespendeten Blumen und Kränze. Schulkinder und Vereine gingen den 3 Särgen voraus. Dann folgten die nächstin Anverwandten der Verstorbenen. Die hochbetagtcn Eltern Bulltngers konnten zum Begräb­nis nicht erscheinen. Die Särge wurden in ein ge­meinschaftliches Grab gelegt. Pfarrer Günzler hielt eine tiefergreifende Grabrede. Der Mörder ist lt. Neckarztg. in Frankfurt a. M. gesehen und erkannt worden, wo er einen Anzug kaufte und den alten verkaufte; dabei äußerte er, er wolle nach Breslau reisen. Die Frankfurter Koufleute erkennen auf Grund der ihnen vorgezeigten Photographie Moglers diesen mit aller Bestimmtheit wieder. Seit Mog­lers Anwesenheit in Frankfurt a. M. find bereits zwei Tage verstrichen.

Wangen, 14. Juni. Bei der Landtags­ersatzwahl im hiesigen Wahlkreis haben von 4781 Wahlberechtigten 2771 abgestimmt; davon haben erhalten Schultheiß Speth (Zentr.) 1503 Stimmen, Landgerichtsrat Mezler (Zentr.) 1245 und Kammerpräsident Payer (Vp.) 23 Stimmen; zersplittert und ungiltig waren 11 Stimmen. Speth ist somit gewählt.

Sigmaringen. 14. Juni. Heute mittag um '/'I Uhr kaf von Tuttlingen her mittelst Sonder­zugs die Leiche deS Fürsten Leopold hier ein. Mit demselben Zug kamen Fürst Wilhelm von Hohenzollern, Prinz Ferdinand von Hohevzolleru, Thronfolger von Rumänien, Prinzessin Marie, Gräfin von Flandern, die Schwester des Fürsten Leopold und deren Sohn, Prinz Albert, der belgische Thronfolger, nebst Gemahlin. Vor dem Bahnhof hatten sich die zum Leichenzug Geladenen auf­

gestellt. 8 Mitglieder des Magistrats hoben den Sarg aus dem Eisenbahnwagen und trugen ihn zu dem mit 6 Pferden bespannten Leichenwagen, der mit herrlichen Kränzen und Palmzweigen geschmückt war. Auf dem Sarg lagen die militärischen Insignien deS erlauchten Toten. Den Zug «öffnete die Ehren­kompagnie des 6. badischen Jnf.-Regmts.Kaiser Friedrich" Nr. 114 mit Fahne und Regimemsmnsik. Dem Leichenwagen schritten voraus ein Hofoffiziant, Fahnenträger, der Stadtmagistrat, die kath. und kvang. Geistlichkeit, die dienstfreie Dienerschaft, der persönliche Dienst des Fürsten und der Leibarzt. 4 Offiziere trugen die Orden des Verblichenen. Die Enden des Bahrtuchs des Leichenwagens hielten der k. Regierungspräsident Graf Brühl, der fürstl. Hofkammerprästdent, Stadtbürgermeister Dr. Reiser, ein Kammerhcrr. Hinter dem Leichenwagen schritten König Karl von Rumänien, Fürst Wilhelm von Hohenzollern, Prinz Ferdinand von Rumänien, Prinz Albert von Belgien. Hieran schlossen sich die persönlichen Gefolge an, sodann die Spitzen der Behörden, sowie die fürstl. und königl. Beamten. Die Königin von Rumänien, die Gräfin von Flan­dern, die Kronprinzessin von Rumänien, Prinzessin Albert von Belgien, Freifrau Geyr v. Schweppen- burg, Enkelin der noch lebenden Schwester deS Fürsten Karl Anton, Prinzessin Frida u. a. mit Gefolgen hatten sich schon zu Wagen nach der Erlöserkirche begeben. Die Straßen, durch welche sich der ernste Zug bewegte, waren finnig geschmückt. Tannenbäume in dichter Reihe, unterbrochen durch umflorte Mastbäume, alle unter einander verbunden durch schwarzen Flor, rahmten den Weg vom Bahn­hof bis zur Erlöserkirche ein. Die hohenzollernschen Kriegerveretne bildeten die ganze Wegstrecke Spalier. In der Erlöserkirche angekommen, trugen die Magistratspersonen unter Gesang des Kirchenchors den Sarg auf die im Chor befindliche Estrade, di« sogleich in einen Berg von Blumen verwandelt war. Hierauf erfolgte die Einsegnung der Leiche und ein Schlvßgesang beendete die ernste Vorfeier. Nun begaben sich die Leidtragenden zur Fürstin-Witwe, welche ihre Kinder noch nicht gesehen. Die Fürstin- Witwe fuhr sodann mit dem Fürsten Wilhelm zur Erlöserktrche, um am Sarg des Toten, den sie nach seiner Emser Kur an Gesundheit gestärkt wieder- zusehen hoffte, zu beten.

Berlin, 14. Juni. Außer sehr wertvollen Geschenken ließ der Negus von Abessinien dem deutschen Kaiser den höchsten Orden seines Landes, den Stern von Asthiopien in Gold mit Brillanten überreichen. Menelik hat dem Kaiser überdies noch vier Elefantevzähne von besonderer Größe gesandt, die aber in Berlin noch nicht ein- getroffen sind.

Berlin, 14. Juni. Das Kronprinzen­paar wird, wie jetzt endgültig feststeht, schon am nächsten Dienstag vom Jagdschloß Hubertusstock zurückkehren und an diesem Tage seinen Einzug in Potsdam halten.

London, 14. Juni. Wie die Times aus Tanger berichtet, hat der Sultan die Konzession zum Ausbau deS Hafens von Tanger einer deutschen Firma verliehen. Die Zahlungen für die Arbeiten sollen ohne Zinszuschlag auf einen Zeitraum von 10 Jahren verteilt werden.

Km jxpmsch-nlsßschm Krieg.

Petersburg, 15. Juni. Hier legt man große Unruhe an den Tag. nachdem die Frist von 48 Stunden, in welcher Japan auf die VermitteluugS- vm sckläge Roosivclts antworten sollte, abgelaufen ist, ohne taß irzwischen die je panische Entscheidung von Petersburg nach Washington übermittelt worden wäre. Man befürchtet, daß von japanischer Seite Schwierigkeiten evtsiehen könnten. Sollte jedoch Japan zustimmen, so glaubt man, daß die Unter­handlungen in einem Orte zwischen Charbin und Mukdcn stattfinden würden.

London, 15. Juni. Wie Daily Telegraph aus Tokio meldet, betragen die Gesomtverluste der Japaner zur See während des Krieges au Toten 221 Offiziere und 1782 Manu und an Verwundeten 170 Offiziere und 14 997 Mann.

Areieiuigkett-seft, 18. Juni. Vom Turm: 36. Predigt­lied : 37. Hallelujah, Lob. Preis und Ehr rc. 9 Uhr: Vormitt.-Predigt, Herr Dekan Roos. 1 Uhr: Christenlehre mit den Söhnen. 2 Uhr- Nach­mitt.-Predigt, Herr Stadtpfarrer Schund.

Aon«,»tag, 22. Juni. 8 Uhr abends; Bibelstunde im Vereinshaus, Herr Dekan Ro o S.

Keierta, de, Häuser,, 24. Juni. S Uhr:

Predigt, Herr Stadtpfarrer Schmid.