Samstag

Krttage zu Us. 90

10. Zum 1905.

Der Spion.

Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Grosse.

(-Schluß.)

Merkwürdigerweise spulte das Glockenspiel, das aus Deutschland stammte, diesmal die Melodie deS Kirchenlieds!:Jesus meine Zuoersicht*, so daß Tatiana unwillkürlich die Hände faltete.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und der würdige Pope Wossili Smirnoff erschien, trat auf uns zu und reichte uns schweigend die Hand.

In seiner ernsten, feierlichen Miene war zu lesen, was geschehen: Sher- wood hatte auSgrlitten.

WaS soll ich sonst noch von jener traurigen Nacht berichten. Nadjeschda war von der alten Sascha zu Bett gebracht worden. Die Totenwache hielt der alte Kuzmin. Von uns dachte Niemand daran, zur Ruhe zu gehen. Wir blieben die ganze Nacht bis zum dämmernden Morgen zusammen.

Auch der alte Uschakoff wurde wieder sichtbar; hohläugig, bleich, über­nächtig, wie ein wandelndes Gespenst; aber er war wenigstens wieder völlig zu sich gekommen. Daß Tatiana wieder zurückzekehrt war, ließ ihn so gleichgiltig, als wenn es sich von selbst verstände. Nach ihrem Gatten fragte er ebensowenig als nach Shcrwood, und doch war rS, als ob er deutlich um alle- wisse, was heute vorgefallen. Sein eisgrauer Kopf nickte fortwährend vor sich hin und seine Lippen murmelten Unverständliches. Nur einmal vernahm ich:Ja, ja, Gottes Mühlen mahl-n langsam, aber sie mahlen fein."

Jetzt hielt ich eS an der Zeit, den Anwesenden es war außer dem Popen noch Tatiana und der alte Uschakoff ausführlich zu erzählt«, wer und waS Sherwood eigentlich gewesen daß er allerdings der erste Angeber, daß aber von ihm zugleich all« jene Warnungen ausgrgangen, weiter, daß es wahr­scheinlich seiner Beredsamkeit allein gelungen, die Umwandlung der Todesurteils für vierzig V-rurteilt- in Verbannung zu bewirken daß somit Bulgari eigentlich seinen Wohltäter gemordet und einen edlen Menschen geopfert, der in ein tragisches Geschick verflochten, weil er seine Pflicht getan, wobei ihm sein feinfühliges Gewissen Marter genug bereitet für das, was er zu tun gezwungen war.

Sichtlich übte diese Aufklärung ihre Wirkung auf Tatiana aus, obschon ihre leidenschaftliche Erbitterung mir cs nicht zugestand.

Sie sind immer sein Verteidiger gewchn!" rief sie im Zorn,aber freilich nur Ihnen, als getreuem Knecht deS Kaisers, kann ein feiger Verräter noch ein Märtyrer sein. Nun hat ihn sein Schicksal ereilt, und wär' eS nicht heut gewesen, wär's morgen so gekommen, oder noch nach Jahren, denn Alle haben ihm den Tod geschworen, Alle ohne Ausnahme. Daß er das Tod-Surteil an­geblich gemildert, dankt ihm Keiner. Sibirien ist mehr als der Tod, und die Helden, die in Petersburg gestorben, sind noch zu beneiden. Bester, sie wären alle gestorben und wir mit ihnen!"

Nach diesen Worten erhob sie sich und schritt davon.

Gleichwohl setzte sie von diesem Augenblick an meinen Anordnungen keinen weiteren Widerstand entgegen. Sie ließ cs »uhig geschehen, daß SherwoodS Leiche am andern Tag im Schloß feierlich aufgebahrt wurde.

Die nähere Untersuchung, welche der alte Kuzmin vornahm, ergab, daß Bulgari» Kugel die Lunge SherwoodS durchbohrt hatte, so daß er an innerer Verblutung gestorben war.

Sein Begräbnis fand seinem Wunsch; gemäß im Park statt. Unter jenen Trauerweiden hinter der Bank aus Baumzweigen wurde er bestattet.

Da die Krönung deS Kaisers Nikolaus schon in den nächsten Tagen an­fangs September stattfand, beschloß ich, lieber sofort meinem Vorhaben zu ent­sagen und die Reise nach Moskau ganz aufzugeben Unumgänglich notwendig war mein« Anwesenheit bei der Krönung um so weniger, als kein bestimmter Befehl vorlag und ohnehin noch andere Off ziere unseres Regiments dazu designiert waren. Ich teilte diesen Entschluß meinem Regimentskommandeur mit und blieb nunmehr in Tarussa, nicht bloß um die in Verwirrung geratene Verwaltung der Güter und des Vermögens zu ordnen, um auch sonst de» beiden Frauen eine Stütze zu sein.

Der ölte Uschakoff war seit jenem Tage noch stumpfsinniger und unzurech­nungsfähiger geworden. Er vegetierte nur noch wie ein greiser Baum, der seine Zweige zu n Lichte streckt.

Nach etwa zwei Wochen kam ein Brief an Tatiana. Er enthielt eine Warnung, daß die Vorgänge in Jaroslawl untersucht und ihr« Teilnahme an der Befreiung konstatiert worden sei. Sie möchte fliehen, sobald als möglich, wenn sie weiterer Verantwortung und Ahndung entgehen wolle. Von wem der Brief kam, war nicht aufzuhellen. Ich vermute, daß ihn der wacker« JSprawnik de, nächsten Kreisstadt selbst geschrieben hatte, um ihr wohlwollend «ine goldene Brücke zu bauen.

Die verhängnisvollste Stelle im Brief war, daß Wadkowski noch in Jaros­lawl seinen Wunden erlegen sei.

Tatania ertrug diesen Schicksalsschlag wie in dumpfer Betäubung, sie nickte vor sich hin:

Ich weiß, er holt mich nach, er holt mich nach, und ich folge ihm gern. Was soll ich auch sonst einsam und verlassen auf Erden." Dann schwieg sie, und weder Klage noch Vorwurf kam von ihren Lippen.

Als am dritten Tage darauf wirklich ein Feldjäger erschien, um sie zu verhaften, war Tatania nirgends aufzufinden. Daß sie nicht abgereist, wußten wir Alle, auch fehlte nichts von ihren Kleidern und Effekten.

Mit bangen Ahnungen suchten wir einen halben Tag lang die Ver­schwundene, aber vergebens. Erst am andern Morgen wurde die Leiche im Schilf des Schloßteichs gefunden, in der Nähe jener Bank, wo sie einst Sher­wood in der Sommernacht erwartet hatte.

Ich übergehe die neuen Szenen des Jammers. Tatania wurde in aller Stille neben Sherwood beigesetzt, und der wackere Smirnoff verrichtete ein stilles Gebet.

Das Trauerspiel der Familie war damit zum Abschluß gelangt, und ich möchte nicht mißverstanden werden, wenn ich sage, es war, als wenn mit dem Dahinschetden Tatauia's eigentlich nichts verändert worden sei. Der alte Papa Uschakoff merkte nicht einmal, daß sie fehlte, so wenig, wie er erstaunt gewesen, als sie plötzlich wieder erschienen war. Als er doch einmal nach ihr fragte, sagte man ihm, sie sei abgereist; er meinte nach Sibirien und kam niemals mehr daraus zurück.

Einige Wochen nachher, als der rauhe Spätherbst den frühzeitigen Winter verkündete, reiste ich nach Novomtrgorod zurück. Damals zuerst fühlte ich mich in dem trostlosen Leben der entlegenen Garnisonsstadt unbehaglich, ja ich wurde sogar mit meinem Lebensberuf zum ersten Male unzufrieden. Tarussa war mir in jenen verhängnisvollen Tagen eine zweite Heimat geworden und alle meine Gedanken kehrten täglich zu dem Orte zurück, wo wir so Schweres erlebt.

Es ist auch nicht das letzte Mal gewesen, daß ich dort war.

Frau Nadjeschda blieb Herrin der Güter, Pflegerin der Gräber und Pflegerin ihres greisen Vaters, der noch manchen Sommer erlebte. In den letzen Zeiten kamen dislichten Augenblicke" häufiger als vorher, und in solcher Stunde war eS, als ich zwei Jahre später um Nadjeschda's Hand anhielt.

Wie es so gekommen, das zu erzählen, würde mehr als ein Buch er- fordern, und der geneigte Leser würde vielleicht doch nicht darin finden, was er erwartet. Blumen, die aus Gräbern erblühen, pflückt man wohl des An­denkens halber, aber nicht um Tafeln zu schmücken.

Und am Grabe Eherwood's war es, wo mir eines Sommertags Frau Nadja das Wort gab, welches mein Lebensglück entschied. Lange Jahre seit­dem ist sie mir durch allen Wechsel der Geschicke eine treue Gefährtin geblieben, von der das Wort des alten Griechen gilt, daß von den besten Frauen am wenigsten gesprochen wird.

Sherwood's Grab unter den Trauerweiden von Tarussa ziert ein auf­rechtstehender Stein mit seinem Namen und dem Tag seines Todes, aber ohne weitere Inschrift.

So wird er heut noch dort ragen, den Nachbarn wie den Nachkommen ein rätselhaftes Denkmal. Fast Niemand hat Sherwood's wahren Charakter gekannt. Der Menge gilt sein Name heute noch als gebrandmarkt und belastet mit dem Abscheu und dem Fluch aller Edeldeukenden. Sie würden milder urteilen, wenn sie ihn ganz gekannt hätten. Ja andere« Verhältnissen würde er viel­leicht ein bedeutender, hochangesHener Mann geworden sein. Hier verwickelte ihn die Kollision seiner Leidenschaft, seines Ehrgeizes und seiner Pflichten. Die Folgen seiner Kühnheit wurden zum tragischen Verhängnis, dem er, wenn auch damals vielleicht, doch nimmermehr später entronnen wäre.

Friede seiner Asche, Ehre seinem Andenken und menschliches Mitleid seiner Schuld. Ec hat sie gebüßt wie ein Held!

(End e).

H u m o r i st i s ch e S.

Gerieben. Chef:Herr Tettel, hier haben Sie 60 000 Kronen; fahren Sie damit hinüber nach Amerika und wenn Sie drüben find, telegraphieren Sie mir!" Teitel:Was werden Sie dann machen, Herr Chef? Chef:Dann mache ich Pleite und komme Ihnen nach!"

Unberechtigter Vorwurf. Tante:So geht's; heute habt Ihr nichts zu essen, aber als Ihr vor drei Monaten Hochzeit feiertet, da mußten 50 Personen im Hotel bewirtet werden; das Geld hättet Ihr sparen sollen!" Neffe:Aber Tante, es ist ja auch noch gar nicht bezahlt!"