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VollziehungSverorvliung vom 14. Oktober 1887 zu den Bundesgesetzen über polizeiliche Maß­regeln gegen Viehseuchen haben sinngemäß auch Anwendung zu finden hinsichtlich der für den Verkehr mit Kälbern, Schafen, Ziegen und Schweinen erforderlichen Gesundheitsscheine.

Art. 3. Dieser Beschluß tritt am 1. Mai 1905 in Kraft.

Stuttgart, 19. Mai 1905.

Pischek.

Tagesuerngkeiten.

^Amtliches aus dem Staatsanzeiger.f Bei der am 12. April und an den folgenden Tagen vorgenommenen ersten mittleren Post- und Tele­graphendienstprüfung wurde für befähigt erkannt: Mönch, HanS, von Calw.

Die diesjährige besondere Prüfung im Wasser­baufache hat bestanden: Rents chler, Christian, von Oberhaugstett OA. Calw.

Stuttgart, 26. Mai. Die Kammer der Abgeordneten hat heute Kap. 121, Boden- seedampfschiffahrt, erledigt. Im Lauf der Debatte wurde von dem Berichterstatter Dr. v. Kiene und dem Abg. Locher der Wunsch ver­treten, daß die Kapitäne und Steuermänner der Bodenseeflottille nicht den Maritimgeschulten ent­nommen werden, wie dies von dem Inspektor der Bodenseedampfschiffahrt befürwortet wird, sondern unseren von der Picke auf gedienten und mit den Verhältnissen des Bodeusees genau vertrauten Leuten. Auch die Matrosenstellen sollten nicht durch sogen. «Marinierte", sondern durch unsere Hilfsmatrosen besetzt werden. Letzteres wurde von Staatsrat v. Balz zugesagt, doch die Besetzung neuer Kopitän- uud Steuerleutestellen durch seemännisch Gebildete als wünschenswert bezeichnet. Hierauf begann das Haus die Beratung des Gesetzentwurfs betreffend die Lehrergehaltsaufbesserung und die Ab­änderung einiger anderer Bestimmungen des Gesetzes über das Volksschulwesen. Von dem Berichterstatter Dr. Hieber wurde in längerer Rede namens der Kommission folgende Gehaltsskala für die ständigen Lehrer empfohlen. Mit der ständigen Anstellung 1200 nach dem 3. Dieustjahr 1300 nach dem 6. 1400 nach dem 9. 1500 nach dem nach dem 12. 1650 nach dem 15. 1800 nach dem 18. 1900 nach dem 21. 2000 ^!L,

nach dem 24. 2200 und nach dem 27. 2400

Mark, während in der Regierungsvorlage ein Ma­ximalgehalt von 2300 vorgesehen war. Auch der Mitberichterstatter, Domkapitular Berg, trat dem Kommissionsantrag bei, mit dem den Lehrern das geboten werde, was nach Lage der Finanzen möglich sei. Abg. Schmidt empfahl eine Reso­

lution dahin gehend, das Ministerium des Kirchen- u. Schulwesens möge gemeinsam mit dem Ministerium des Innern Instruktionen für die gemeinschaftlichen Oberämter und für dte Ortsschulbehörden erlassen betr. die Aufsicht über die ökonomischen Verhältnisse der Volksschulen ; weiterhin trat er, wie auch später­hin der Abgeordnete Vogt, für die Aufhebung der in Artikel 21 vorgesehenen Differenzierung der Lehrer auf dem Lande und in den Städten ein unter dem Hinweis darauf, daß die Lebens­haltung auf dem Lande eine keineswegs billige sei und auch der Schuldienst der Landlehrer schwie­riger sei, als der in der Stadt. Dies berechtigt nicht dazu, «ur den Lehrern in den Städten ein Gehaltsmoximum von 2800 zu gewähren. Mi­nister von Weizsäcker bestätigte eine Mitteilung des Berichterstatters zur Beseitigung von Befürcht­ungen der Lehrer, daß nämlich diejenigen Städte, die Ortszulagen gewähren, auch nach dem Zustande­kommen des Gesetzes verpflichtet sein werden, die Zulagen in vollem Umfang weiterzugewähren und daß die Ortszulagen penfionsberechtigt seien. Der Minister sprach seine Freude darüber aus, daß die Kommission ein Hinausgehcn über den Vorschlag der Regierung im Gesamtbetrag von 129000 was sich mit der Finanzlage vereinbaren lasse, be­schlossen habe. Eine weitere Aufbesserung sei zur Zeit nicht möglich und sollte nur pari xassu, d. h. mit einer allgemeinen Aufbesserung auch für die anderen Beamten erfolgen; es sei jcht ein gewisser Gleichstand eingetreten. Die vom Abg. Schmidt angeregte Streichung des Art. 2, der die Gehälter in den Städten regelt, würde für die Lehrer schäd­lich wirken. Auch der Abg. Liesching trat der An­regung Schmidts lebhaft entgegen. Ein Beschluß wurde heute noch nicht gefaßt. Morgen Fortsetzung.

Tübingen, 26. Mai. Infolge Denunziation des Lehrers wurde der seit Herbst in Wurmlingen angestellte Vikar Albert Schmid von Wißgoldingen wegen Mißhandlung von 12 Kindern vor die Straf­kammer gestellt, von dieser aber in allen Fällen freigesprochen, da das Gericht von der Schuld des angeklagten Religionslehrers sich nicht zu überzeugen vermochte. Der Lehrer, welcher sich bet Erstattung der Anzeige in der Form vergriffen hatte, wurde von der Vorgesetzten Behörde wegen Ungebühr an­gesehen.

Oßweil, 26. Mai. Heute vormittag er­eignete sich lt. Lud. Ztg. ein schwerer Automobil­unfall. Der mit seinem leeren Fuhrwerk von Ludwtgsburg zurückkehrende, etwa 25 Jahre alte Bauer Wilhelm Schrx vom Bölleubodenhof bet Bittenfeld begegnete am Ortseingang einem in scharfem Tempo heranfahrenden Automobil. Er

stieg rasch ab um sein Pferd zu führe», wurde hiebei vom Automobil erfaßt und tätlich verletzt. Der Bedauernswerte wurde sofort ins Bezirks- krankenhaus verbracht. Der Lenker des Automobils soll ein Ingenieur der Firma Daimler in Unter- türkheim sein; er ist zunächst hier geblieben. Die Untersuchung des traurigen Vorfalls wurde sofort eingeleitet.

Tuttlingen, 25. Mat. Zum zehnten württ. Schw arzwaldgausän gerfest, das hier in den Tagen vom 1.3. Juli stattfindet, haben sich außer den hiesigen Vereinen schon über 30 Vereine angemeldet, deren größerer Teil sich am Wettgesange beteiligt.

Schorndorf, 25. Mai. Die Nacht zum 24. brachte uns sehr starken Reif; nicht nur die Kartoffeln und sonstige Küchengcwächse, sondern iu einigen Lagekk auch die schon schön stehenden Reben haben erheblich gelitten. Die Hoffnungen unserer Weingärtner find daher sehr hcrabgesttmmt.

Mergentheim, 25. Mai. Gestern früh zeigte das Thermometer 2° unter Null. Es war bei Hellem Himmel und steifem Nordost starker Reif gefallen. In den Weinbergen ist der entstandene Schaden bedeutend. So viel sich bis jetzt übersehen läßt, dürfte der dritte Teil des Herbsterträgnisses verloren sein. Die naheliegenden badischen Wein­orte Königshofen, Beckstein haben mit Erfolg ge­räuchert.

Berlin, 26. Mai. Wie dieGermania" aus zuverlässiger Quelle erfährt, wird sich auf An­ordnung des Papstes eine eigene Gesandtschaft von Rom nach Berlin begeben, um dem kaiserlichen Hofe die Glückwünsche des Pap­stes zur Hochzeit des Kronprinzen dar­zubringen.

Berlin, 26. Mai. Das Berliner Tageblatt meldet aus Warschau: Nach den gestrigen Exzessen mußten 46 neue Opfer in die überfüllten Spitäler gebracht werden. Tie Metzeleien dauern fort.

Warschau, 26. Mai. Die kleinen Kaffee­häuser und Hotels in der Zielnastrvtze, wo vor­gestern die Ausschreitungen gegen die Zuhälter ihren Anfang nahmen, find bis gestern mittag gänz­lich verwüstet worden. Arbeitermassen durchzogen 30 Straßen und stürmten 13 Bordelle, drangen in die Wohnungen der Zuhälter ein und zerschlugen dte Einrichtungen; einige Kaffees und Bierstuben, Treffpunkte allerlei Gesindels, wurden ausgeplündert. Personen, welche Widerstand leisteten, wurden durch Messerstiche und Revolverschüsse verwundet oder getötet. 46 neue Opfer mußten alle in die Spitäler gebracht werden. Die Exzesse sollen dadurch her-

Der Spion.

Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Grosse.

(Fortsetzung.)

Da plötzlich raffeln die Schlüssel in der Tür. ES tritt jemand in meine Zell«. Der alte General Diebitsch in eigener Person. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen.

Sie sind frei," sagte er.

Frei! und warum hielt man mich gefangen?"

Da» wird der Kaiser wissen; vielleicht um sie zu schützen."

Vor wem? Vor dem Minister Araktschejef?"

Nein, der hat aufgehört, Minister zu sein. Der Kaiser hat ihm seine Brutalität nicht vergebe», wie man sagt. Ec ist abgereist. Ihnen aber kann man Glück wünschen."

.Wozu?"

Zum Fähnrichkpatent, und da die» zurückdatiert ist, find Sie heute zum Kapitän avanciert."

Und jene Vierzig sollten sterben. Ich danke dem Kaiser; aber ich brauche kein Patent, Herr General, ich brauche bald nicht» mehr."

Tollkopf," sagte Diebitsch,können Eie nicht» abwarten? Der Kaiser hat nur fünf Todesurteile bestätigt, Jener, die selbst Blut vergossen. Die Anderen find zur Verschickung begnadigt. Da» läßt Ihnen der Kaiser sagen. Mafien ein« merkwürdige Sprache geführt haben, junger Mann, können eine schöne Zu­kunft vor sich haben, wenn Sie klug find."

Und so sprach er noch weiter mit gezwungener Höflichkeit, mit ironischer Herablosiang; aber ich hörte nicht» mehr davon, ich hörte nur da» Gnadenwort, nur da» eine erlösende, da» mir selbst da» Leben zurückgab. Ich glaube, ich bin damals auf di» Kniee gesunken und habe gebetet für Kaiser Nikolau»!

Dann habe ich mich fortführen kaffen, ich weiß nicht wohin. Von der

Exekution habe ich nicht» gesehen, noch sehen wollen. Noch im selben Monat brachte man mir da» Adelsdiplom und den neuen Ehrennamen, jetzt bin ich zum Stab versetzt worden.

Der Kaiser hat mich seit jenem Tage nicht wieder rufen lassen, aber er k nnt mein ganzes Leben; dem General Diebitsch mußte ich Alle» ausführlich mittsilen. Auf kaiserlichen Befehl mußte ich endlich hierher reisen, und nun läßt er mich zur Krönung entbieten nach Moskau. Oberst, wenn ich Ihne» sagen könnte, wa» mir da» bedeutet. Wie im Fluge werde ich von Höhen zu Höhen emporgetragen. Bisher wagte ich nicht daran zu denken, aber wenn e» Wahrheit wäre, wenn mein Mort in des Kaisers Seele gefallen, wenn mein Flehen Erhörung gefunden, wenn für Rußland ein neuer Tag, eine neue Zeit begänne, dann wäre auch meine Schuld gesühnt, dann hätte niemand mehr ein Recht, mir zu fluchcn; dann wird vielleicht mein Name gesegnet sein. Und seit gestern glaube ich daran. Mit Nadja Alle», ohne sie nichts. Dies Vollgefühl, dieser Rausch auf de» Leben» Höhe nach de» Leben» Tiefen wie soll ich e» tragen allein. Oberst, gestalten Sie mir, daß ich Sie meinen Freund nenne, meinen Vater und Bruder? Wir sind Ihnen so viel Dank schuldig geworden. Sie haben mich au» dem Elend emporgezogen, nun helfen Sie un» auch da» Glück zusammen tragen!" Und der Erregte sank an meine Brust, ja, der wetter­feste Mann brach in ein L chluchzeu au», daß ich selbst Mühe hatte, meine Fassung zu behaupten.

Ich will nicht leugnen, daß ich seine Kühnheit, seinen Freimut und seinen Edelsinn bewunderte. Er hatte es also durchgesetzt, eine große Anzahl Unglücklicher vom schimpflichen Tode durch des Henkers Hand zu erretten. Im Nebligen gab er sich aber doch Illusionen hin, die beinahe Mitleid ver­dienten. Es war ja sonnenklar, man hatte das gefügige Werkzeug mit vollen Ehren, mit glänzenden Verheißungen gelohnt, aber damit war er abgefunden. Nur ein Phantast, dem unsere russischen Verhältnisse fremd, hätte auf Weiteres hoffen können.

(Fortsetzung folgt.)