Ealmer Koisimlilatt.
Jamstag Beilage M Ue. 78. 20. Mai 1905.
Der Spion.
Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Grosse.
(Fortsetzung.)
Frau Nadjeschda hatte sich inzwischen meinen Armen entwunden und blickte starr bald auf ihren Gatten, bald auf mich und den Geistlichen. Dann strich sie mit beiden Händen über die Stirn, atmete tief auf und blickte um sich, als müsse sie sich besinnen, wo sie sei und was mit ihr vorgegangen.
„DaS war ein häßlicher Auftritt, James,* sagte sie. „Wie du mich erschrecken konntest mit deinen böse» Worten. Tue das nicht wieder, ich bitt' dich darum. Gottlob, daß Sie da sind, Herr Oberst. Sie verstehe» ihn als alter Freund. Sie haben immer gut von ihm gedacht. Wie viel Dank sind wir beide Ihnen schon schuldig geworden.* Und in herzlichsten Worten bewillkomm- nete sie mich, als wenn der vorige Auftritt nur ein Traum gewesen wäre.
Ich nahm das Gespräch mit der schönen Frau sofort auf, erwähnte meine Reise über Charkow, meine Absicht, nach Moskau zu gehen, und hüteie mich wohl, auf die Ursache ihres Erschreckens zmückzukommen. Selbstverständlich gratulierte ich zu der glücklichen Wiedervereinigung mit ihrem Gatten, lobte sei» stattliches Aeußere, seine brave Haltung im Dienst, die Ausdauer seiner langen Selbstverleugnung und schließlich sein besonderes Glück, das die Augen des Kaisers auf ihn gelenkt, so daß er in kurzer Zeit den Gipfel der Ehre» und Würden erklommen.
„Lassen Sie das, Oberst,* unterbrach mich Sherwood heftig- „DaS verdunkelt die Sache nur. Ich will keine Rechtfertigung noch Verteidigung, eS sei denn durch einen Mann der Kirche. Die verstehen sich auf Gewiss enSsachen — allen Respekt vor ihnen — ob sie es verdienen, weiß ich nicht."
Und als der würdige Geistliche ernsthafte Einwendungen ob solcher Bemerkung machte, sagte er:
„Spart Euren Elfer für Besseres, Batjuschka. Euch habe ich nicht beleidigen wollen. Dann und wann gisbt es Fäll;, wo auch das Gewissen sich abnutzt und das feinste am ehesten; und wenn es hinfällig und blind und morsch geworden, dann braucht man eine bessere Bürgschaft. Tun Sie mir die Liebe, Oberst, und teilen Sie Batjuschka alles mit, waS Sie von mir w ssen. Mir will eL schlechterdings nicht von der Zunge. Dann mag er mir sagen, ob er mich freisprechen kann zum ehrlichen Menschen.*
Da aber hatte sich Frau Nadjeschda wieder erhoben; sie war sehr ernst geworden.
„Nein, jetzt begehre ich alles zu wissen, und von Dir selbst James, von keinem Andern."
Eine feierlich« Pause trat sin, dis dadurch vnlängert wurde, daß Frau Ustinja Matuschka eintrat und mit vieler Herzlichkeit einen SakuLka (Imbiß) brachte. Erst als Niemand zulangte und Alles in beklommenem Schweigen blieb, setzt« sie das Präsentirbrett auf den Tisch und entfernte sich scheu wieder.
„Gut mein Kind*, sagte Sherwood, du hast eS gewollt, daß ich rede, und so feige bin ich nicht, vor einer Frau zu zittern, wo ich Männer nicht gefürchtet habe. Also höre mich wohl an: Noch vor einem halben Jahre gab e» eine Menge hochangesehrner junger Leute, elegante Kavaliere, gelehrte, kenntnisreiche Offiziere, charaktervolle Männer, dir Jugendblüte Rußlands, du hast vielleicht ihre Namen gelesen. Fürsten, Grafen, Bojaren, Sprosse» der ältesten Geschlechter. Heute haben sie am Galgen geendet, oder sie fahren mit Ketten belastet ins Land der Nacht und des Elends, von dannen eS keine Wiederkehr giebt.
Und warum sind sie zu diesem furchtbaren Lose verurteilt, lebendig begraben zu werden. Weil sie ihrem Vaterland neue Gesetze geben wollten, weil sie ein verwahrlostes, geknebeltes Volk zu freien Menschen machen wollten, allerdings auf ihre Manier, ohne hohe obrigkeitlich« Erlaubnis, in der Weise alter Römer und Griechen, die ihr Leben einsetzten für die Freiheit. Und warum konnte» Sie es nicht durchführe»? Weil ein Bube sie verraten hat, ein wahnsinnig Verliebter, der um jeden Preis eine Laufbahn machen wollt« — und diesen Elenden, den man jetzt mit Gnaden und Würden abgelohnt hat, dessen Name in der Geschichte fortleben wird, wie der des EphialteS und Herostrat — diesen Schurken nennst du deinen Mann, an ihn sollst du lebenslang gekettet sein, wenn dich nicht Schauder und Grauen aus seinen Armen reißt. Nun weißt du alles!
Nadjeschda hatte den furchtbaren Worten mit Aufmerksamkeit zugehört, ihr Antlitz war farblos wie Marmor geworden, mit weiigeöffneten Augen starrte sie ihren Gatten an, ihr« Lippen bebten, brachten aber keinen Laut hervor.
„Nun, hochwürdiger Herr, was sagen Sie?* fragte Sherwood den alten
Popen.
Der alte Herr erhob die Hand wie beschwörend. „Beruhigen Sie sich, Herr Kapitän. Sie haben mich in ein zerknirschtes Menschenherz schauen lasse», aber ferne sei es von mir, den Stab zu brechen. Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werden. Wer wollte sich so vermessen dünken, mit der Vorsehung zu rechten, die ihre Werkzeuge auSerwählt auS allerlei Sterblichen, und wie sollte ich Unwürdiger urteilen, nachdem Seins Majestät der Kaiser selbst entschieden hat, daß Sie Rußland einen weltgeschichtlichen Dienst erwiesen haben!*
Finster wandte sich Sherwood ab. „Die Vorsehung hat es auch zugelaffen, daß ein JudaS sein Werk trieb. Nun, H:rr Oberst, was sagen Sie?* und er wandte sich zu mir.
Ich sprach ihm offen meine Verwunderung aus über sein« maßlose Ueber- spanntheit und Selbstquälrrei. Immerhin war eS seine gute Absicht, Rußland vor den Greueln einer Revolution zu bewahren und die Verblendeten zugleich zu retten, wenn dies schließlich mißlungen, so liege die Schuld an den Empörern allein; übrigens sei eS kein Geheimnis mehr, daß die Gefahr nicht durch ihn allein verraten worden, und der Gang der Ereignisse wäre genau derselbe gewesen, auch ohne seine Enthüllungen.
(Fortsetzung folgt.)
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