Samstag
Ksttags zu Ur. 2 V.
18. Jebruar 1905.
Der Spion.
Nachdruck verboten.
Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands Non Julius Grosse.
(Fortsetzung.)
Sherwood war von diesem Beweis meines Wohlwollens sichtlich überrascht. Es tat ihm wohl, endlich einmal frei reden zu können.
Er besann sich eine Weile, dann begann er zu erzählen. Seine Befangenheit schwand mit jedem Wort mehr und mehr, und ich will versuchen, seinen Bericht in aller Kürze mitzuteilen.
(Sherwood's Bericht.)
„Mein Vater, ein Engländer, war ein ebenso ausgezeichneter als renom- mirter Mechaniker. Unter Kaiser Paul wurde er zu Anfang des Jahrhunderts nach Rußland berufen, um die Kupawinskffchen Tuchfabriken einzurichten und zu dirigieren. Er verließ England mit drei Söhnen, von denen ich der jüngste bin. Als trchnischer Direkter der Fabriken erwarb sich mein Vater ein bedeutendes Vermögen, kaufte mehrere Häuser in Moskau und wandte alles an, um uns, ich kann wohl sagen, eine glänzende Erziehung zu geben. In seiner Lieblingswiffen- schaft, der Mechanik, unterrichtete er uns selbst.
„Mit einem Wort: ich habe eine sonnenhelle Jugend verlebt und damals mein neues Vaterland lieb?» gelernt. Rußland schien mir und uns allen das Land des Glücks und der Zukunft. Wir lebten im Wohlstand, ja im Ueberfluß. Wer hätte denken können, daß das alles im Abgrund enden würde. Ich war schon erwachsen, ols da» Unglück b-riivtlack, plötzl'ch und unwiderstehlich wie dis Sturmfluten von Petersburg. Schon lange fehlt-: eS uns weder an Neidern noch an Feinden. Und eS tut mir leid, Herr Oberst, dasselbe Rußland, das ich licbgewonnen, ankiagen zu müsi n. Sein Haß gegen die Fremden möchte entschuldbar sein, aber dis tiefe Korruption in allen Schichten lieg: wie ein Fluch auf diesem Volke und setzt es moralisch unter die Asiaten.
„Mein Vater bemerkte schon lange eins gewisse Animosität der Vsrwal- tungsbeamten der Fabrik, er entdeckte auch wiederholt Unterschleisr; die Leute hielten eS gleichsam für ihr Recht, bei vollen Krippen zulangen zu dürfen. Ein« Zeit lang drückte mein Vater die Augen zu. aber das Usbel wurde ärger. Bei seinem schroffen Charakter kam es zu heftigen Auftritten, und schließlich jagte er die Treulosen davon. Dis Folgen waren Fahrlässigkeiten im Betriebe der Fabrik und Verwirrungen im Geschäftsgang.
„Man beginn die fertigen Fabrikate für AnSschvß zu erklären und sie zurück zumeist«. Endlich sandte uns die Regierung aus Antrag meines VaterS einen neuen Konlrollb. amten zur Untersuchuug, einen sogenannten Intendanten, ich will seinen Namen nicht nennen; aber dieser Biedermann erhob gleich anfangs die maßlosesten Ansprüche. Mein Vaier hätte sich immer noch retten können, wenn er einige tausend Rubel hätte opfern wollen; die Andeutungen jenes Menschen waren unverhohlen genug. Ec aber pochte auf sein Recht und wies jene Forderungen rundweg ab.
„Nun kam eS zu schriftlichen Erklärungen Endlich wurden oll? Tuchvor- ?äte in den Speichern versiegelt, und da sie vom langen Lagern verdarben, so wurden alle daraus hervorgchrndm Verluste meinem Vater angerechnet, sein bewegliches und unbewegliches Vermögen konfisziert und auf alle seine Kapitalien Beschlag gelegt. Kurz, gestern noch ein Millionär, war mein Vater heute zum Bettler geworden. Das brach seinen Lebensmut auf immer, und der Schein eines ehrenrührigen Bankerotts traf ihn ins Herz. Eines Tages — ach, erlassen Sie mir das Einzelne — fanden wir ihn mit zerschmettertem Schädel, einige Wochen darauf begruben wir auch die Mutter.
„Damals. Herr Oberst, habe ich Ihre Nation Haffen lernen, und an den Gräbern meiner Eltern habe ich einen heiligen Racheschwur getan, gegen jene:» Intendanten und gegen all«, die ihm gleichen. Gebe Gott, daß ich dem Schurken memals mehr begegne!
„Ich würde ins Ausland gegangen sein wie meine Brüder, die nach England zurüäkchrten und dort als Mechaniker Stellen in Privatfabriken fanden. Mir fehlten jedoch teils die Mittel zur Reise, teils hielt wich jener Rachsschwur zurück, jetzt schon Rußland zu verlosten. Meine Absicht war damals schon, in Mlilärdier.ste zu treten, aber ohne Protektion konnte ich keinen Erfolg erwarten, und so trieb ich mich sine Zeit lang in Moskau ohne Beschäftigung und fast ohne alle Subsistenzmittel herum, angewiesen auf die Unterstützung meiner Landsleute, bei denen ich auch Aufnahme und Unterkunft fand.
„Daß ich damals kein Verbrecher geworden, dankte ich nur unserer strengen Erziehung und, wenn Sie wolle», einer Art von Aberglauben, daß ich noch zu großen und ungewöhnlichen Dingen bestimmt sei. Nicht wahr, höchst lächerlich, Herr Oberst, und doch kann es auch rin Wahn von moralischer Wirkung sein. Damals erwartete ich dos Glück vom Himmel herab und von einem Wunder, als wenn dieses Leben ein phantastisches Märchen sei. Vielleicht ist eS ein Vorrecht der Jugend und des Elends, sich mit Träumen zu trösten. Und mich hat jener Traum doch nicht ganz betrogen.
„Eines Morgens befand ich mich im Hause eines meiner Landsleuie, eines bekannten Fabrikanten in Ledsrwaren — der Mann brauchte mich hie und da zu seinen Korrespondenzen. Plötzlich hielt ein Wagen vor dem H mse und gleich darauf trat ein ältlicher Herr ins Magazin. Auf den ersten Blick erkannte man den Landedelman».
„Er wünschte zwei Damenftsftl für seine Töchter, fand auch dergleichen nach seinem Begehr und schloß ds» Handel ab. Schon wandte er sich, um da» Magazin zu verlassen, als er in der Tür wie nachsinnend stehen blieb und wieder zurückkam.
„Sie sind ein Engländer, Herr Cockburn," sagte er. „Kennen Sie vielleicht einen Ihrer Landsleute, der im Stande wäre, im Englischen Unterricht zu geben? Meine Töchter wünschen den Unterricht in dieser Sprache fortzusetzen. Wenn Sie jemand finden, der dazu befähigt ist, so schicken Sie ihn »«verweilt zu mir, damit ich ihn morgen gleich mit auf das Land nehme."
(Fortsetzung folgt.)
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