Samstag
Beilage zu Ur. 23.
11. Jebruar 1905.
Schmücke.
Roman von Helene Lang-Anton.
(Fortsetzung und Schluß.)
In der Zeitung stand wörtlich zu lesen:
Monaco, 20. April. Gestern verlor am grünen Tisch ein Deutscher namens Reimer, früherer Tenorist der großen Oper, den Rest seines großen Vermögens. Er und seine schöne junge Frau waren in den Spielsälen bekannte Erscheinungen und man Halle mit Erstaunen seit langer Zeit die Beiden ungeheure Summen verlieren sehen.
Die Leidenschaft des Mannes fürs Spiel hatte sich auch der Frau bemächtigt, die oft noch kühnere Einsätze wagte als der Mann. Heute Morgen, als Reimer nach unerhörten Verlusten verstört aus dem Spielsaal wankte, hatte man das Bewußtsein, einen verlorenen Menschen vor sich zu sehen. Nach der Mitteilung ihres ManncS von dem vollständigen Ruin mußte die Frau die Verzweiflung gepackt haben. Sie ging ins Nebenzimmer, nahm den geladenen Revolver aus der Schublade ihres Nachttisches und erschoß sich. Als Reimer, erschreckt über den Schuß, ins Nebenzimmer eilte, fand er die Frau schon sterbend. Er nahm ihr den Revolver aus der Hand. Sie schlug noch einmal die Augen auf. „Es ist noch ein Schuß darin." Das waren ihre letzten Worte. Er nahm die Sache weniger tragisch und zog es vor, statt ihren Rat zu befolgen, ihre Juwelen und andere Schmuckgegenstände einzupacken und mit der geringen Barschaft, die noch da war, spurlos zu verschwinden."
„Der feige Lump," knirschte Alfred zwischen den Zähnen. Erregt stand er auf, reichte Frida die Zeitung hin und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Frida hatte die Nachricht gelesen und war bis in die Lippen erblaßt. Nie hätte sie dieser eiteln, vergnügungssüchtigen Frau djesen persönlichen Mut zugetraut, und auch Fred nicht, das sah sie aus seiner Erregung. Für die Lebende hatte sie nichts als Verachtung gehabt, die Dahingeschiedene hätte durch ihren heroischen Tod ihr fast Achtung abgezwungen, wenn nicht eben eine verwerfliche Leidenschaft für das Spiel die Frau in den Tod getrieben hätte. Beide Gallen sprachen kein Wort, und jedes von beiden empfand die Pause drückend.
Zum ersten Male nach seiner Verheiratung mit Olga dachte Fred mit milderer Regung an sie. Er war doch der Einzige, den sie geliebt hatte, und wenn es auch keine edle und aufopfernde Frauenliebe war, so hatte sie ihn doch geliebt auf ihre Art, soweit es ihre egoistische, kalte Natur zuließ.
Die vornehme Frau, die Olga immerhin war, hatte an der Seite Reimers gewiß viel Schweres durchgemacht, und wenngleich es eine Vergeltung war, so berührte ihn der jähe Tod der jungen und reizvollen Frau doch mehr, als er geglaubt hätte. Er erkannte ihren persönlichen Mut an, der es ihr möglich machte, die todbringende Waffe auf sich selbst abzudrücken, und verzieh ihrer Tat wegen alles Leid, das sie über ihn gebracht hatte.
Weniger weich gestimmt war Frida. Wenn sie auch, ehrlich wie sie war, den Mut der Verstorbenen anerkannte, so war doch das ganze Leben dieser Frau mit all ihrem Denken, Empfinden und Handeln bis zur Todesursache hinab so verächtlich und unsauber, daß sich die reine und edel empfindende Frau nicht so leicht zum Vergeben geneigt fühlte. Sie hatte mit der Härte der tadellosen Frau keine Entschuldigung für die Dahingegangene.
Sie beobachtete Fred- und wußte, daß er ein Wort des Mitgefühls für Olga erwartete, aber sie konnte nicht. Es wäre eine Lüge gewesen, und sie wollte ihre Lippen nicht mit einer solchen beflecken. Sie wich seinem vorwurfsvollen Blick aus, und nur, als er sagte: „Die Arme ist arg bestraft worden," antwortete sie bestätigend: „Ja."
Dies war ihre Ueberzeugung und dies konnte sie, ohne unwahr und nachgiebig zu sein, zugeben. Er drang nicht weiter in sie, denn er kannte ihren festen und entschlossenen Charakter, und er wußte, so selbstlos und aufopfernd sie in der Liebe zu ihm war, so scharf verurteilte sie alles Unrecht. Sie Halls, da sie stets streng und unnachsichtig gegen sich selbst gewesen war, auch ein Recht dazu.
Er zerriß die Zeitung und warf sie in den Kasten. Wozu sollte sich der Schatten der toten Frau zwischen sie stellen, da es der Lebenden nicht gelungen war, sie zu trennen. Dieser stumme Vorgang, dessen Bedeutung sie erkannte, entwaffnet« Frida mehr, als alle Vorstellungen vermocht hätten. Sie trat an Fred heran, und ihm tief in die Augen sehend, sagte sie, ihn umarmend, mit leiser Stimme: „Ich will nicht mehr im Groll an sie denken."
* *
Auf Schmollinghausen war alles in größter und freudigster Erregung. Die Fahnen wehten von dem Turme und von dem mit Blumen und Tannemeis ge
schmückten Portale. Frau von Schmolling lief, wie in jungen Jahren, die Treppe hinauf, um in den für das junge Paar hergerichteten Zimmern selbst nachzusehen, ob es auch an nichts fehle. Auf den Tisch Halle sie einen großen Strauß von Orchideen gestellt, sie hatte von Paula erfahren, daß diese Fridas Lieblingsblumen waren. Herr von Schmolling konnte seinen Vorsatz, ihr die Ankunft Freds und Fridas zu verheimlichen, nicht ausführen, da eine so große, plötzliche Freude der zarten, schwächlichen Frau gefährlich hätte werden können. Er hatte trotzdem die Freude gehabt, ihr liebes Gesicht im vollsten Glücksgefühl erstrahlen zu sehen, und es rührte ihn tief, als sie die Hände wie zum Dankgebet schloß und dann die seinen herzlich drückte. Eie beaufsichtigte selbst alle Besorgungen, und es siel ihr immer noch eine Annehmlichkeit und kleine Freude ein, die sie ihrem Herzmsliebling, ihrem unaussprechlich geliebten, einzigen Sohne bereiten konnte.
Endlich war dis Stunde gekommen, und der Wagen mit den teuren Gästen hielt vor dem Parktor.
Paula und Gusiel begrüßten sie daselbst. Paula war ganz außer Rand und Band vor Freude, ihre teure Frieda wieder zu haben, und während sie sie tüchtig abküßte, rief sie unter Lachen und Weinen:
„Jetzt soll i wohl ,gnä' Frau" zu dir sagen; aber i tu'S nit, du bist und bleibst meine liebe Frida, und wenn dir dös nit paßt, geh i los; gelt, Gustel wir gehen los."
Ihr Mann nickte lachend und Frida beruhigte liebkosend die aufgeregte Frau und versicherte ihr, daß sie die Alte geblieben sei. Am Schloßtor angelangt, trat ihnen der Vater entgegen. Er umarmte Fred, und reichte Frida seine Hand hin, in welche diese nach leichtem, kaum bemerkbarem Zögern die ihre legte.
Ehrerbietig, seiner Stellung wohl bewußt, entfernte sich der Inspektor. Paula jedoch trat, ohne die Erlaubnis zu erbitten, mit dem jungen Paar ein. Es war ihr unmöglich, Frida jetzt schon loSzulaffen.
Das Wiedersehen mit der alten Frau war überaus zärtlich. Sie konnte sich gar nicht entschließen, ihren lange entbehrten Sohn auS den Armen zu lasse». Paula rührte dies so sehr, daß sie heulte, wie eine Surrliese in der Weihnachtswoche. So erzählte sie später ihrem Manne. Auch nach Frida hatte Frau v. Schmolling ihre zitternden Arme ausgestreckt; da überkam es die junge, stolze Frau mächtig und sie schmiegte sich demütig und liebevoll an die Brust der alten Dame.
„Mutter," hauchte sie leise, und „mein liebes, gutes Kind", tönte es
zurück.
Herr v. Schmolling hatte sich von dieser rührenden Szene abgewandt, um seine Bewegung niederzukämpfen. Ganz Herr seiner selbst wieder, trat er später auf Frida zu. Er reichte ihr nochmals die Hand und schaute sie schweigend an. Es lag etwas in den Blicken des allen Mannes, welches sie mehr rührte, als alle Bitten es vermocht hätten. Sie legte ihre beiden Hände in die dargebotene Rechte, und es war nichts von Schroffheit mehr in ihrem Gesichte zu lesen.
„Wie soll ich Ihnen danken," begann er, „daß dieses Schloß heute noch unser ist-"
Erschreckt unterbrach ihn Frida, mit den Augen nach Fred zeigend, der mit der Mutter plauderte.
„Nie darf er's erfahren," flüsterte sie.
„Er weiß es nicht," stammelte überrascht der alte Mann.
Er konnte nicht gleich Worte finden. Die Größe dieser Frau imponirte ihm. Er neigte sich und ehe es Frida verhindern konnte, küßte er ihr die Hand.
„Sie sind die edelst« Frau, die ich im Leben je gekannt habe und ich habe viel an Ihnen gutzumachen."
Er hatte diese Worte mit erhobener Stimme gesprochen, so daß alle sie hören konnten. Frau v. Schmolling nickte lächelnd. Sie war nicht eifersüchtig auf diese Anerkennung, die sie gerne unterschrieb. In Freds Augen leuchtete es triumphierend auf, er hatte allen Grund, auf diese Frau stolz zu sein. Da geschah etwas Unerwartetes.
Paula war oorzestürzt, schob Frida beiseite, und mit den Worten: „Ver- zeihenS, gnä Frau, aber i kann nit anders, i muß ihrem Herrn Gemahl a Busserl geben," fiel sie dem alten Mann aufschluchzsnd um den Hals und bot ihm ihren hübschen Mund zum Küssen. Alle lachten, aber es war ein verschleiertes Lachen, ein tiefbewegtes Lachen, durch welches Tränen klangen. Schmolling küßte dre junge Frau herzlich und feine Hand auf ihr welliges Haar legend sagte er mit warmem Tone: „Ich danke Ihnen, Sie find eine kleine, brave, tapfere Frau".
Sie blinzelte ihn schelmisch an und sagte nach einem Augenblick: „Ja, so find wir Komödianten, wir von der Schminke!"
(End e.)