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Eatmer WolllMÜlLlt.

Samstag K-ilage?« Ur. 105. 10. Dezember 1904.

Asulüstzoss» Nachdruck »rrdoten.

Gisa's Antwort.

Eine lustige Pensionsgeschichte von Alwin Römer.

(Fortsetzung.)

»Ich kenne gar keinen Herrn von Elisen!* sagte sie daher mit einer ge­wissen Würde, die durch die Wahrheit dieses diplomatischen Satzes an Kraft gewann, auf die mißtrauisch veranlagte und vor allen Dingen viel erfahrene Vorsteherin aber leider gar keinen Eindruck machte.

Ich habe ja das Porträt in Ihrem Medaillon, von dem Sie behaupten, es stelle ihren Onkel vor. Das wird mir schon einen Fingerzeig geben!* ent­gegnet« sie kurz und keuchte nun hinter der leichtfüßig hinaufhüpfenden Sünderin die zwei Treppen zum Atelier des Doktors Eilert hinan.

Therese,* rief sie halblaut außer Atem, als diese schon ziemlich oben war,ich verbiete Ihnen ausdrücklich, vor mir ins Wartezimmer zu gehen!*

Wie Sie wünschen. Madame!" antwortete ihr Zögling, dessen Umsicht mit der Nähe der Gefahr wuchs. Denn obgleich das Mädchen die Absicht gehabt hatte, den Jüngling »och schnell vor dem Eintritt Madame- durch ein paar Worte oder Zeichen zu verständigen, so war sie durch diesen Befehl schnell zu einem anderen Plane gedrängt worden, den sie auch sofort ausführte, als, ihr Cerberus* die oberste Stufe erreicht hatte. Ehe ihre Mr dame weitere Ver­haltungsmaßregeln geben konnte, hatte sie schon die Tür zum Wartezimmer ge­öffnet und sagte nun, laut genug für jeden, der drinnen sein mochte:

Bitte, Madame Kießling, hier ist das Wartezimmer!*

Gehen Sie jetzt nur voran, Therese!" zischelte diese ärgerlich und schnappte noch immer nach Luft, da sie Treppen sonst nie so hastig steigen pflegte. Aber Therese nahm sie sanft um die Hüfte und schob die Entkräftete energisch über die Schwelle, wobei sie heuchlerisch erklärte:

Ich werde doch meiner geehrten Vorsteherin den Vortritt lassen!"

Und im Anschluß daran legte sie für einen flüchtigen Moment den Zeige­finger der freien Hand auf die Lippen, als ihre Augen denen des Herrn In­genieurs Gablenz, begegneten, der sich zu ihrer unaussprechlich m Wonne einen hübschen französischen Spitzbart zugelegt hatte und dadurch nach der Photographie in ihrem Medaillon mit Sicherheit kaum erkannt werden konnte.

Ingenieur Gablenz war zwar schon einmal durch irgend ein Examen, aber deswegen durchaus nicht auf den Kopf gefallen, zumal nicht in Liebesangelegen- heiten, nach denen allerdings von den vertrockneten Examinatoren niemals oder doch nur in sehr bedauerlicher Weise gefragt wird. Er quittierte das empfangene Zeichen mit einem unmerklichsn Lächeln und blätterte ruhig in dem Bande der Lustigen Blätter* weiter, mit dem er sich bisher die Zeit vertrieben. Außer ihm war noch ein alter Herr und ein Dienstmädch en im Wartezimmer, die beide für Madame nicht in Betracht kamen. Sie nahm dem einzig Verdächtigen gegen­über Platz und zog Therese an ihrer Seite nieder.

Ist er daS nicht?* tuschelte sie jetzt herrisch.

Wer?" fragte lakonisch das Mädchen.

Der Herr von Äüsen!"

Weiß ich doch nicht! Wo ich ihn gar nicht kenne?*

Sie wollen also weiter leugnen? Gut! So w rds ich auf andere Weise dahinter kommen!"

Von da ab hüllte sie sich in Schweigen und beobachtete nur. Aber die beiden waren auf ihrer Hut. Flüchtige, ausdruckslose Blicke, die gelegentlich an­einander vorüberglitts», sonst konnte sie nichts entdecken. Inzwischen war der alte Herr sowohl, als der pausenlos jammernde Küchendragoner im Atelier ge­wesen und Doktor Eilert erschien nun selbst auf der Schwelle mit der Frage:

Wer von den Herrschaften ist jetzt an der Reihe?*

Der junge Mann erhob sich, obgleich er gar nicht die Absicht hatte, dem Wurzelgräber in die Hände zu fallen.

Wenn die Damen vielleicht vor mir" murmelte er mit einem höflichen Lächeln.

Gestatten Sie?" fragte darauf hastig Fräulein Kießling.

Bitte, bitte!" entgegnete er und dachte nun, die alte Dame würde zu­nächst verschwinden und er mit dieser ebenso hübschen, wie lustigen Theres e auf etliche Minuten allein im Wartezimmer bleiben. Aber darin hatte er sich bitter getäuscht.

Dann gehen Sie hinein, Therese!* hörte er es beinahe triumphierend aus Madames Munde klingen.Ich warte hier draußen. Beim Zusehen wird mir immer schwach.*

Sowie sich aber die Tür hinter ihrem Schützling geschloffen hatte, ging sie direkt auf ihr Ziel loS. Denn wenn auch der kurze, spitzgeschnittene Voll bart sie verwirrt hatte, konnte dieser Herr von Gissen ihn nicht in China haben wachsen lassen? Er mußte eS sein.

Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr von Gissen,* begann sie, sich zu ihrem Opfer wendend,daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, mit Ihnen ein Wort unter vier Augen zu reden"

Verzechen Sie, gnädige Frau; aber ich bin nicht der, für den Sie mich halten. Ich heiße hm"

Er überlegte, ob eL nicht eigentlich eine Dummheit sei, seinen wirklichen Namen preiszugeben, während sie glaubte, er besinne sich auf irgend ein unge­fährliches Pseudonym.

Müller!* lächelte sie impertinent.Oder vielleicht Schulze?*

Durchaus nicht, sondern Gablenz,* erklärte dieser, darauf rot werdend.

Gut, ,ch werde Sie also Herr von Gablenz nennen!"

Pardon, ich bin nicht adelig!"

Wirklich nicht?" fragte sie spitz.Nun, Herr Leutnant, man kann sich jedenfalls in China ganz außerordentlich verändern, wie mir scheint*

Wie wie meinen Sie das? In China?" fragte er verständnislos Hier muß wirklich ein Irrtum obwalten; ich erfreue mich nämlich auch nicht des Vorzugs, Leutnant zu sein. Ich bin ein simpler Ingenieur und auS Deutsch­land noch nicht herausgekommen!*

Ah, in der Tat! Und Sie haben auch hier kein Rendezvous?* fragte sie höhnisch.

Ein Rendezvous?" lachte er auf.Wie man'S nimmt!"

Ah, also doch!"

Mit Ihnen, meine Gnädigste! Aber ich kann nicht behaupten, daß ich di« Veranlassung dazu gegeben hätte!"

Herr Leutnant, diese Malicen verbitte ich mir!"

Und ich mir diese Anrede. Ich erkläre nochmals, ich heiße Jngomar Gablenz und bin Ingenieur!"

So? Und den Brief, wo ich alsHöllenhund* hing «stellt werde, haben Sie nätürlich auch nicht geschrieben?* schrie sie zornig.

Zeigen Sie mir den Brief I* erklärte er diplomatisch.

Aber, meine Herrschaften, ich bin ganz konsterniert!* klang Doktor EllertS Stimme jetzt in den Dialog.Was ist denn geschehen?"

O, Herr Doktor, vielleicht können Sie mir beistehen !* rief Madame Kieß­ling empört.

Immer zu Ihren Diensten, gnädiges Fräulein, soweit hm*

Sie sollen mir nur sagen, wenn Sie es wissen, ist das der Herr Leut­nant von Güsen oder nicht? erklärte sie aufgeregt.

Ich kenne einen Herrn Kurt von Güsen," antwortete nachdenklich der Zahnarzt,der voriges Jahr mit nach China gegangen ist!"

Richtig, den gerade mein' ich!"

Nun, das ist dieser Herr nicht! Wenn ich mich nicht täusche, habe ich Sie aber auch schon in Behandlung gehabt, mein Herr!"

Ganz recht, vor einem guten Vierteljahre habe ich mir ein paar Zähne bei Ihnen plombieren lassen!" erklärte gelassen der Ingenieur.

Herr Gablenz, wenn ich mich recht besinne?"

Ihr Gedächtnis freut mich, denn die Dame wird jetzt endlich glauben*

Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein lieber Herr Gablenz," rief halblaut und ganz geknickt die Vorsteherin.

Also auf Wiedersehen nachher!" warf der Doktor lächelnd dazwischen und schloß die Tür wieder.

O bitte, Jrrtümer können schon Vorkommen!" meinte gnädig der ent­wischte Sünder.

Ich hätte darauf schwören mögen, daß aber ich sehe ja, wie man sich täuschen kann!" murmelte Madame.Dieses junge Mädchen nämlich ich hatte begründenden Verdacht, daß sie mit diesem Herrn von Güsen hier zusammen- treffen würde! Zweifellos hat er gemerkt, daß ich Kunde davon hatte, und ist deshalb ausgeblieben! Aber ich werde ihn trotzdem zu fassen wissen!"

Ja, diese Herren Leutnants!" entrüstete sich scheinheilig der Taugenichts.

Indessen erschien Therese wieder in der Tür.

Ich bin fertig!" erklärte sie unsicher, da sie nicht klar darüber war, was sich inzwischen ereignet hatte.

Dann warten Sie hier auf mich. Ich will nur mit dem Herrn Doktor ein paar Worte sprechen! Nicht wahr, Herr Herr Gablenz, das gestatten Sie doch noch-?"

Mit dem größte» Vergnügen, gnädige« Fräulein!" beschiel» sie der In­genieur höflich.

Eine Viertelminute später waren die jungen Leute allein.

Haben Sie Verdruß gehabt, Herr Ingenieur?" wisperte aufgeregt Therese.

Und wie!" gab er kühl zurück.

So weiß sie wirklich*

Nichts weiß sie! Sie hielt mich für einen Ihrer anderen Verehrer, für einen Leutnant von Güsen, mein Fräulein! Durch mich hat sie nichts erfahren, waS ihr nicht etwa schon bekannt war." (Schluß folgt.)