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,123.
Neuenbürg, Freitag,, den 3V. Mai 1919.
77. Jahrgangs
Deutschland.
Stuttgart, 28. Mai. Nachfolger des Ministers des Innern Dr. Lindemann, welcher einem Rufe des Instituts für soziale Forschung in Köln Folge leistet, wird der bisherige Oberbürgermeister von Göppingen Dr. Keck, der seit einiger Zeit als Ministerialdirektor im Arbeitsministerium Mg ist. Die 8 Ministerfitze verteilen sich nunmehr auf folgende Parteien: 4 Sozialdemokraten, nämlich Blos als Staatspräsident und Minister des Aeußern und der Verkehrsanstalten, Heymann Kultminister, Herrmann Kriegs- minister und Schlicke Arbeitsminister; 3 Demokraten, nämlich Liesching Finanzminister, Baumann Ernährungsminister md Keck Minister des Innern; 1 Zentrum, nämlich Kiene Justizminister. Damit kommt in dem Koalitionsministerium die Vertretung der Parteien nach ihrem Stärkeverhältnis in der Landesversammlung immer noch nicht richtig zum Ausdruck, namentlich bezüglich des Zentrums. Die Bürgerpartei gehört der Koalition überhaupt nicht an.
Berlin, 28. Mai. Am heutigen Mittwoch findet, wie die „Deutsche Allgem. Ztg." mitteilt, eine Konferenz des Kabinetts mit den süddeutschen Regierungen statt. — Wie verlautet, ist die Veröffentlichung der deutschen Geheimakten zur Vorgeschichte- des Krieges soweit vorbereitet, daß ihr Erscheinen in den Juliwochen zu erwarten ist. — Seit gestern hat die Reichsbank den Preis für das Kilo Feingold, das im Frieden rund 2800 Mark kostete, auf rund 9000 Mark erhöht.
Me Schraube ohne Ende.
Berlin, 27. Mai. Die in der Tarifgemeinschaft der deutschen Buchdrucker vereinigte Prinzipalität und Gehilfenschaft hat sich über Gewährung einer neuen Teuerungszulage und über Feriengewährung in dem dafür zuständigen Tarif Ausschuß der Deutschen Buchdrucker nicht verständigen können, und ist auf Anruf des Reichsarbeitsministeriums ein Schiedsgericht mit der Entscheidung über die strittigen Fragen betraut worden.
Dasselbe hat einen Schiedsspruch gefällt und soll nach demselben ab 5. Mai in Orten ohne und mit Lokalzuschlag bis zu 5 Prozent den Buchdruckergehilfen eine wöchentliche neue Teuerungszulage von 15 Mark, in Orten mit über 5—10 Prozent Lokalzuschlag 18 Mark und in Orten über 10 Prozent Lokalzuschlag eine solche von 20 Mark gewährt werden, zahlbar ab 5. Mai, gültig vorerst bis 31. August. An Ferien soll gewährt werden bei einer Beschäfligungsdauer von 9 Monaten im Betriebe, für jedes weitere Beschäftigungsjahr 1 Tag mehr bis zur Höchstgrenze von 15 Arbeitstagen.
Beide Tarifparteien haben dem Reichsarbeitsministerium innerhalb der festgesetzten Frist mitgeteilt, das sie den Schiedsspruch anerkennen.
(Wie unter solchen Umständen die Hoffnung auf einen Abbau der Preise aufrecht erhalten werden kann, ist schwer verständlich. Die fortwährenden, geradezu unerhörten Lohn- treiberen werden sich früher oder später als ein zweischneidiges Schwert gegen ihre Urheber selbst erweisen. Schriftl.)
8ege« die Bestrebungen auf Gründung eines Souderstaats Rheinland demonstrierten am Montag in Köln 10000 Arbeiter und Angestellte durch Umzüge und Reden. Am Dienstag fand ein eintägiger Generalstreik als Demonstration gegen den Landesverrat statt. Diese Gegenkundgebung ging von den freien Gewerkschaften aus, aber auch die christlichen Gewerkschaften haben sich angeschloffen. Die Führer mahnen zur Ruhe und Besonnenheit. In der Mehrheit der Bevölkerung verurteilt man einstimmig das Koblenzer Vorgehen in dem gegenwärtigen Augenblick, wo die Annahme oder Ablehnung der Friedensbedingungen zur Entscheidung steht.
Berlin, 28. Mai. Die Reichsregierung erläßt folgende Warnung: „Nach zuverlässigen Nachrichten besteht der verbrecherische Plan, die preußischen Rheinlands zu einer selbständigen Republik auszurufen. Verfaffungsgemäß bildet die Provinz Rheinland einen Bestandteil des preußischen Staates. Wer es unternimmt, diesen verfassungsmäßigen Zustand durch Losreißung der Provinz Rheinland vom preußischen Staatsgebiete zu ändern, macht sich des Hochverrats schuldig, der nach 8 81 R. S. B. mit lebenslänglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungsstrafe bestraft wird. Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, gegen jeden an den hochverräterischen Umtrieben Beteiligten mit aller Schärfe de§ Gesetzes einzuschreiten."
Frankfurt a. M., 28. Mai. Aus vertrauenswürdiger Ouelle wird mitgeteilt, daß trotz wiederholter Ableugnungen die Ausrufung der rheinischen Republik in Aachen und Wiesbaden für den morgigen Himmelfahrstag geplant ist.
Berlin, 28. Mai. Die „Rheinische Zeitung" ist wegen «er Veröffentlichungder Unterhaltung des französischen Generals Mangin mit dem Redakteur der Köln. Velksztg. Krshberger,
Zentrumsabg. Kastert und Kuckhoff auf acht Tage von der I britischen Besatzungsbehörde verboten worden. Die sozialdemokratische Partei in Köln habe für die nächsten Tage große Protestversammlungen gegen den hochverräterischen Plan einberufen, Rheinland von Deutschland zu trennen. Das Kabinett habe sich gestern abend mit den Vorkommnissen in Mainz, Koblenz und Köln befaßt. Dabei sei der Gedanke der Ernennung eines Staatskommiffars ventiliert worden, da diese Einrichtung sich in Schleswig und Oberschlesien bewährt habe.
Ausland.
Wien, 27. Mai. Ein aus Budapest nach Wien übermittelter Funkspruch aus Szegedin besagt: 400 französische Soldaten mußten wegen bolschewistischer Gesinnung durch Kolonialtruppen entwaffnet und isoliert werden.
Bern, 28. Mai. Der Bundesrat hat am Dienstag von einem Entwurf der Antwortnote auf die Blockadenote der Entente Kentnis genommen und den Entwurf an die Delegation für auswärtige Angelegenheiten verwiesen. Die Antwort bewegt sich in ablehnendem Sinne.
Amsterdam, 28. Mai. Am 23. Mai ist in Amerika die Sammlung für eine Nationalspende eröffnet worden. Der Zweck her Sammlung ist, neun Millionen Dollar zusammenzubringen, um mit diesem Gelbe in Washington ein nationales Siegesmonument in Gestalt eines riesigen, sieben tausend Personen fastenden Gebäudes zu bauen zur Abhaltung von nationalen und internationalen Kongressen. — Die amerikanische „Siegesanlcihe". Reuter meldet aus Washington, daß die Zeichnung für die Siegesanleihe 5250 Millionen Dollars betragen hat, wodurch der Betrag um dreiviertel Milliarden überzeichnet worden ist. Der überzeichnete^Be- trag soll nicht angenommen werden.
Zu den Verhandlungen in Versailles.
Berlin, 28. Mai. Die „Deutsche Mg. Ztg." schreibt: „Nach der französischen Presse zu schließen, dürfte es sich die Pariser Konferenz überhaupt versagen, sich eingehend mit dem deutschen Gegenentwurf zu befassen und ihn ebenso höhnisch zurückweisen, wie die deutschen Noten. Mit diesem Gang der Dinge müssen wir uns abfinden, d. h. wir müssen damit rechnen, daß die in der Zahl noch verbleibenden Mitglieder der Delegation in einigen Tagen unverrichteter Dinge ihre Rückreise nach Berlin antreten werden. Die Verbands- preffe hat bereits versucht, uns die Folgen einer abgelehnten Unterzeichnung vor Augen zu führen und uns klar zu machen, welcher Art die Vergeltungen dafür sein werden. Das deutsche Volk wird, wenn es nicht anders zu machen ist, auch diese Prüfung ertragen, wird versuchen müssen, sie zu tragen."
Der „Matin" meldet: Man kann in Paris die in Deutschland gedruckte vollständige Ausgabe des Friedensvertrages kaufen.
Paris, 28. Mai. Den italienischen Pressevertretern wurde die Information gegeben, daß sich der Abschluß der Verhandlungen mit Deutschland nicht schnell vollziehen werde. Die Form eines Ultimatums werde in keinem Falle gesetzt werden. — Es verlautet, daß Italien sich weigern wird, den Friedensvertrag zu unterzeichnen. Es sei denn, daß die schwebenden Fragen, an erster Stelle das adriatische Problem, in italienischem Sinne gelöst würden.
Paris, 28. Mai. Die englischen Delegierten glauben, daß die Schwierigkeiten in der Friedensnote bis zum 3. Juni behoben sein könnten, und daß das englische Unterhaus am 18. Juni den Friedensvertrag in Empfang nehmen könne. Möglicherweise würden die Verhandlungen bis kurz nach Pfingsten dauern.
Paris, 28. Mai. Insgesamt 25 Mitglieder der amerikanischen Sachverständigenkommission haben aus Unzufriedenheit mit dem Friedensentwurf ihre Aemter zur Verfügung gestellt.
Paris, 28. Mai. Die Militärbehörden, die den Nachschub für die Besatzungsarmee leiten, erhielten Befehl, daß im Falle einer weiteren Besetzung Deutschlands die Besatzungszone 80 km weit auf der rechten Rheinseite auszudehnen sei. Die englischen Truppen werden das gesamte Industriegebiet und Kohlenrevier der Ruhrgegend besetzen; zu diesem Zwecke wurden bereits 600 englische Ingenieure und Techniker nach Köln berufen.
Aus Stadt. Bezirk und Umgebung.
Neuenbürg, 30. Mai. Eine stattliche Zahl von Mitgliedern nebsk Angehörigen war es, welche der Einladung des Liederkrawzes zum Himmelfahrtsausflug Folge leistet«. Vor dem Abgang wurde in einem Männerchor die „wunderschöne Frühlingszeit" besungen, dann gings geschlossen mit einem strammen Marschlieb durch bie Straßen des
Städtchens hinaus in Gottes freie Natur, wo bald der deutsche Wald die frohe Wanderschar aufnahm. Gar prächtige Landschaflsbilder entrollten sich vor den Ausflüglern, leichter wurde ihnen ums Herz, wenn auch nicht zu verkennen war, daß ein dumpfer Druck ob des Kommenden auf den Gemütern der Aelteren lastete. Bergauf und bergab gings durch Laub- und Tannenwald, die ungestüme Jugend voraus; bald war das erste Ziel, die Schwärmer Warte, erreicht, von wo aus das Auge in die Ferne schweifte und sich satt sehen konnte, an der schönen Gottesnatur und dem herrlichen Landschaftsbild. Im „Waldhorn" in Schwann wurde kurze Rast gehalten und nach eingenommener Stärkung und frohem Gesang unter Dank an den Gastgeber die Wanderung über Arnbach und Gräfenhausen fortgesetzt. Der gastliche „Bären" nahm bie frohe Wanderschar auf. Hier entwickelte sich bald ein lustiges Sängerleben, Klavierstücke wechselten mit Männerchören und Einzelvorträgen ab. Vorstand Hagmayer nahm Veranlassung, bei dieser Gelegenheit zweier Mitglieder zu gedenken, welche vor nicht gar langer Zeit den Ehebund schlossen, davon ein Mitglied aus schwerer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Die guten Wünsche für die Neuvermählten klangen aus in einem freudig aufgenommenen Hoch. Sein Appell an die jüngeren Teilnehmer am Ausflug, sich dem „Liederkranz" als aktive Sänger zur Verfügung zu stellen, hatte unerwarteten Erfolg, meldeten sich doch in kurzem eine erfreuliche Zahl neuer Sauger, ja zu allseitiger Ueberraschung auch Sängerinnen, so daß, wenn diese in der ersten Begeisterung gemachten Anmeldungen der Damen aufrecht gehalten werden, bald mit einem „gemischte» Chor" gerechnet werden darf, der gestern schon verschiedene Proben zum Besten gab. Unter Liederklang und frohem Scherz entschwand die vorgesehene Zeit nur zu rasch und zeigte, daß alles, sei es auch noch so schön, einmal ein Ende haben muß. Die Rückkehr erfolgte kurz nach 2 Uhr, hochbefriedigt darüber, was der Ausflug allen Teilnehmern bot.
Birkenfeld, 28. Mai. Bei der am 25. Mai stattgefundenen Gemeinderatswahl stimmten von 1783 Wahlberechtigten 68 Prozent ab. Gewählt wurden: Vollmer Joh. 1359, Seufer Hugo 1106, Hüll Ernst 1082, Frey Andreas 979. Vollmer Karl 931, Oelschläger Wilh. 856, Roth Karl 838, Kübler Gottlob 812, Müller Theodor 735, Oelschläger Friedr. 684, Hirsch Wilh., Hauptlehrer, 453, Munk Karl 660, Müller Friedr. 620, Weßinger Karl 520 Stimmen. Von den 14 Sitzen entfallen auf die gemeinsame Liste des Sozialdemokratischen Vereins und des Bürgeroereins 11, auf die freie Bürgerschaft 2 Sitze, die Unabhängigen erhalten einen Sitz. An Stimmen erhielten Sozialdemokratischer Verein und Bürgerverein 10995, freie Bürgerschaft 2953, Unabhängige 1831.
Loffenau, 26. Mai. (Eingesandt) Gestern sprach hier im Gemeindehaus Apotheker Bozenhardl als Kandidat zur Landeskirchenversammlung. Nach seinen einfachen, verständlichen gemäßigt liberalen Ausführungen dürfte er bei den leider nicht zu zahlreichen Hörern wohl angesprochen haben. Der Pfarrer versicherte den Kandidaten des Dankes der Anwesenden und sprach noch über das Technische der Wahl und über H 19—22 der Verfafsungsurkunde. Wir sahen den Kandidaten gestern zum erstenmal, glauben aber schon deshalb an ihn empfehlend denken zu dürfen, weil bei den doch weitsichtig gelagerten Problemen, um die es sich handeln wird, die Diözese womöglich einen Mann schicken sollte, der geistig auf eigenen Füßen steht und Verständnis für die verschiedenen religiös-kirchlichen Fragen und Schattierungen hat.
Württemberg.
Vaihingen a. E., 27. Mai. Bei der Gemeinderatswahl wurde in einem Wahlumschlag folgendes Gedicht vorgefunden:
Wählt heute Eure 16 Besten Trinkt auf ihr Wohl vom Allerbesten,
Wir erwarten vom 16er Rat Manch klugen Rat und gute Tat.
Ein Jeder, der oben wes spricht,
Tu's frank und frei jedem ins Gesicht,
Sprecht, bald hält' ich's vergessen.
Der Stadt zum Wohl, nicht aus Geschäftsinteressen.
Freudenstadt, 28. Mai. Seit November treibt eine aus 6 Personen geschätzte Einbrecherbande hier ihr Wesen und hat eine Reihe von Landhäusern, so die »on Händler, Schiedmayer, Trapp, Duverno,, Gentnew samt dem Kaffee Friedrichshöhe mehr oder weniger ausgeraubt. Nun bemerkte Polizeiwachtmeister Ansel im Händler'schen Handhaus nachts Lichtspuren, umstellte es zusammen mit dem Hilfsschutzmann Haug und signalisierte um Hilfe. Es befand sich nur ein Einbrecher im Haus, dessen wiederholte Fluchtversuche durch Schüsse vereitelt wurden. Gr bekam dabei