verlernt" ist für mich ein Beweis des Gegenteils, denn das tatsächlich erfolgte Freiwerden von Gefühlsregungen würde man nicht erwähnen. Wer sagt „ich bin ein wilder Mann" ist es nicht.
Das größte Gewicht legte er auf das folgende Vorkommnis. Vor etwa acht Wochen fiel infolge Absturzes ein bekannter englischer Flieger dicht hinter den englischen Reihen nieder. Wenige Tage später warf ein deutscher Flieger, der möglicherweise den englischen ahgeschofsen hatte, einen Kranz mit einer Widmung in englischer Sprache an der Stelle des Absturzes nieder. Als dann Jmmel- mann von einem Engländer abgeschossen wurde und sein Tod gleichfalls sofort bekannt wurde, verbreitete die deutsche Presse die Nachricht, ein englischer Flieger hätte über den deutschen Reihen einen Kranz für Jmmelmann mit einer Widmung abgeworfen und zitierte diese Widmung. Aus ihrem angeblichen Wortlaut konnte jeder, der englisch kannte, ersehen, daß es sich um eine Schwindelnachricht handeln mußte. In den englischen Zeitungen wurde unter einer entsprechenden Ueber- schrist, die entweder „Weitere deutsche Beschimpfung" oder „Deutsche Unverschämtheit" oder „Widerliche Anbiederungsversuche" hieß, etwa folgendes gesagt: die Deutschen hätten den durch ein Aussetzen seines Motors oder einen ähnlichen Unglückssall zu Tod gekommenen englischen Flieger noch nach seinem Tod beschimpft, indem sie einen Kranz über den englischen Linien abgeworfen hätten, an dem eine Karte geheftet gewesen sei, auf der sich in miserablem Englisch neben der falschen Behauptung, daß ein Deutscher das Flugzeug abgeschossen habe, eins Widmung befunden habe. Die Engländer hätten den Kranz samt Widmung in einen ungelöschten Kalkhausen geworfen, in dem sonst seucheverdächtiges Ungeziefer vernichtet wurde. Die Darstellung der Angelegenheit in den deutschen Zeitungen geschah aber in durchaus anerkennender Weise. In einzelnen deutschen Zeitungen lautete die Ueberschrift: „Englische Ritterlichkeit" usw. „Hieraus kann und muß ich entnehmen, daß man in Deutschland auch heute noch bereit ist, den Engländer herzlich zu lieben, wenn er es nur zuläßt. Wir werden daraus unsere Vorteile ziehen, da wir Gefühlsregungen im Völkerkamps nicht kennen: das verbürgt uns aber den Sieg."
Eine freie Schweizer Stimme.
Den zahlreichen Deutsch-Schweizern, die kein Verständnis dafür haben, daß auch ihr Schicksal vom Lose des deutschen Reiches abhängt und die erbärmlicherweise ihre Herkunft vom deutschen Stamm verleugnen, hat der Züricher Pfarrer Dr. Bollinger am letzten Bettag eine Predigt gehalten, um deretwillen er von der schweizerischen sozialdemokratischen Presse aufs heftigste geschmäht, u. a. mit der Bezeichnung „blutrünstiger Mitraillensen-
Psaffe" bedacht wurde. Wir heben aus der Predigt, die die „Nenen Züricher Nachrichten" im Wortlaut veröffentlichen, das Mittelstück heraus: Unsere lieben welschen Miteidqenossen sympathisieren leidenschaftlich, wenn nicht mit dem Vierverband, doch mit den Franzosen, mit denen sie eines Stammes und Blutes sind. Das ist menschlich, allzu menschlich. Sie fühlen: Wenn Frankreich in Versenkung verschwände, sinken wir mit. Sie fühlen, daß Frankreich und seine große, alte, reiche Kultur sie trägt. Da müssen sie dort sympathisieren, und weil sie nicht kaltblütige Amphibien sind, juckt es ihnen in den Händen, und die papierne Neutralität erscheint ihnen wie eine große Nichtigkeit: sie möchten mithelfen und mitkämpsen. Ich weiß aber weit Schlimmeres im Schweizerland. Viel schlimmer noch als die Welschen sind diejenigen Deutschschweizer und die dentschschweizerischen Zeitungen, die gegen ihr Fleisch und Blut so schlechthin kühl sind, die kühl bis ans Herz hinan den Gedanken erörtern, ob vielleicht Deutschland in dieser Weltnot in Blut und Jammer und Schrecken untergeht — ja die diesen Gedanken recht plausibel, annehmbar, ja angenehm finden. Wißt ihr auch, was ihr tut? Es ist eure einzige Entschuldigung, daß ihr's nicht wißt. Ich will eurem Wissen ein wenig nachhelfen: Erstlich: Ihr seid Deutsche, so deutsch wie die Schwaben, die Bayern und die Sachsen — und es ist nicht sein, das eigene Fleisch und Blut in seiner Not zu vergesse» und zu verleugnen. Zweitens: Wir waren bis zum westfälischen Frieden ein Teil dieses jetzt so schwer angefochtenen deutschen Reichs: wir sind damals politisch von demselben abgetrennt worden, wahrlich nicht durch Verdienst und Beredsamkeit des schweizerischen Delegierten, des Bürgermeisters Wettstein von Basel, sondern durch Frankreichs Mißgunst. Es wollte Deutschland so weit wie möglich schwächen und schwach erhalten. Drittens: Die politische Abtrennung hat eine gemeinsame Geistesgeschichte nicht gehemmt: Wir. haben das größte Erlebnis des letzten Jahrtausend miterlebt, die deutsche Reformation. Luther ist trotz Zwingli mit seinem Kamps mit Zwingli auch unser Luther. Seine Bibelübersetzung ist auch unsere. Die von ihm geschaffene bezw. durchgesetzte Sprache ist, Gott sei Dank auch unsere Schriftsprache geworden. Die ganze Herrlichkeit, die in jenem Gefäß der neuhochdeutschen Sprache zum Ausdruck kam, ist auch unser Welt geworden. Die deutschen Dichter sind unsere Dichter. Ein deutscher Dichter hat das Sturm- und Siegeslied unserer Freiheit in seinen mächtig hinströmenden und hinreißenden Versen gesungen, und neunundneunzig von hundert aller Eidgenossen kennen die Gründung unserer Eidgenossenschaft nur aus seinen Versen. — Gott sei Dank haben die Schweizer auch Mitarbeiten dürfen: Gottfried Keller und C. F. Meyer haben nicht züri- dütsch geschrieben, sondern ein feines „Schrifthoch
deutsch" und so sind ihre Werke, die ste klugerweise
Oed Spion.
Alles fürs 'Vaterlancl.
Erzählung von Hanns Kurd.
ISj (Nachdruck verboten.)
„Wollen Sie mich begleiten, Herr Binder?"
„Aber gern." Er bestieg den Wagen und rollte mit ihr durch die Straßen.
Getreulich berichtete er auf ihre Fragen von seinem Dienst und seinen Studien.
„Gestern lernte ich Herrn Danielowitsch kennen. Sie haben recht, man muß ihn fürchten."
Bianka biß die Zähne aufeinander.
„Ja, man muß ihn fürchten," wiederholte sie
leise.
Plötzlich beugte sie sich vor und sah ihn angstvoll ins Gesicht.
„Ach, Herr Binder, helfen Sie mir!" flüsterte sie erregt.
Binder erschrak über den verstörten Blick ihrer Augen.
„Aber, Gnädigste, wie könnte ich?"
„Ich will Ihnen erzählen," meinte sie.
Und leise erzählte sie ihm, wie Danielowitsch ihr eines Abends seine Liebe gestanden hätte, und wie sie immer mehr in den Bann dieses Mannes geraten sei. Von ihrem Vater sprach sie, erzählte von seinen heimlichen Plänen, die Pläne von Kriegsvorbereitungen anderer Länder in seine Hand zu bekommen, wie er überall Spione unterhielt, und wie gerade Danielowitsch ihm so unersetzlich sei. Sie sprach schnell, und ihre Gedanken sprangen bald auf dieses, bald auf jenes Thema. Der Preis sollte sie selbst sein.
„Und er zwang mich, zu ihm zu kommen. Ich kam, einmal, zweimal, dreimal, mehr nicht. Er wollte . . sie brach ab und weinte.
„Aber ich blieb doch standhaft, wahrhaftig, Herr Binder, ich vergaß mich nicht, glauben Sie
mir! Aber ich siand so in seinem Banne, ich konnte mich nicht losmachen und litt enrsetziich. Da bat ich meinen Vater, er möchte ihm einen anderen Posten geben. Er tat's und engagierte Sie. Ich hab's ihm gesagt, dem Dimitri, und habe ihn gebeten, mich freizngeben. Helfen Sie mir, ich bin ja so unglücklich!"
Bianka schluchzte heftig und barg ihr Gesicht in den Händen.
„Armes Hascherl!"
Leise fuhr Binder über ihre Hände.
„Ich möchte Ihnen helfen, gern. Aber Sie müssen mir sagen, wie ich das machen soll."
Bianka war ratlos.
„Er wird sich rächen, das weiß ich. O Gott, mein armer Vater!"
„Sie müssen es ihm sagen und ihn warnen."
„Das kann ich nicht. Ich war doch bei ihm da draußen. Mein Vater schlägt mich nur. . ." sie brach ab.
„Gut, Gnädigste, ich helfe Ihnen."
„Sie sollen mit Danielowitsch nächsten Monat nach Rußland, erzählte mir Vater heut. Ich habe solche Angst!"
„Um mich ?"
Bianka nickte.
„Ich bin ja gewarnt und dann ...» er griff in die Tasche und holte einen Browning hervor. „Das Ding ist gut, gnädiges Fräulein. Aber, eine andere Frage! Wenn ich dadurch, daß ich Ihnen helfe, doch auch eine egoistische Absicht dabei habe ?"
Sie sah ihn verständnislos an.
„Ja, eine Absicht," wiederholte er. langsam und nahm ihre Hand.
„Bianka, ich liebe Sie, darum will ich Ihnen helfen. Bianka, wenn ich diese kleine Hand nun festhalten möchte für immer! . . "
Sie schwieg und blickte in ihren Schoß.
„Bianka," schmeichelte Binder „darfich hoffen?"
„Ja." sagt sie einfach.
reichsdeutschen Verlegern anvertrauten, ein lebendiger Teil des deutschen Schriftwerks und der deutschen Geisteswelt geworden. Und nun ist ganz klar: Wenn das deutsche Reich durch die Fülle seiner durch viele Niederlagen zu höchster Wut gereizten zerschlagen würde müßte das auch unser Niedergang sein. Man sollte es doch der Vernunft und der Ehrlichkeit zuliebe einsehen, daß die deutschen Helden an der Weichsel und am Dniestr und an anderen Orten auch für uns kämpfen, bluten und sterben. Drum ist mir die Kälte vieler Deutschschweizer und die Ententefreundlichen Zeitungen weit anstößiger als der Chauvinismus unserer welschschweizerischen Eidgenossen. Diese haben doch Wärme und Pathos und Raffe. Wer Wärme und Pathos hat, reißt die lauen Leimsieder immer mit: drum sind wir jetzt so weit, daß die größere deutsche Schweiz mehr und mehr unter die Leitung der kleineren welschen Schweiz kommt. -- Wenn man vom Stamm zur Raffe erweitert, so könnte man dieselben Mahnworte auch an unsere germanische Brüder an der Nord- und Ostsee richten, denn die meisten wissen dort nicht, daß der Kampf Deutschlands gegen seine Feinde auch um ihre Kultur und Eigenart geführt wird.
Württemberg.
Stuttgart, 7. Nov. Ueber den lebendigen Handersatz durch Schaffung eines neuen Gelenks, der Obermedizinalrat Dr. Walcher- Stuttgart, zur Zeit Oberstabsarzt und Chefarzt des Stuttgarter Reserve-Lazaretts 8, auf Grund einer geschickten Operation an einem Soldaten, dem die rechte Hund amputiert worden war, gelungen ist, berichtet die Württ. Presse-Korrespondenz weiter: Die Art des neuen Handersatzes unterscheidet sich von jedem anderen künstlichen Handersatz vor allem dadurch, daß der Operierte volles natürliches Gefühl besitzt: er hat ein fühlendes Greisorgan, das ihn in den Stand setzt, beispielsweise eine Streichholzschachtel aus der Tasche herauszuholen, was niemals möglich wäre, wenn er eine Hand ohne Gefühl besäße. Um die Pronation (Vornüberdrehung) und Supination (Rücküberdrehung) zu ermöglichen, hat Obermedizinalrat Dr. Walcher durch die sinnreiche Konstruktion einer bis zum Oberam hinmis- reichenden Schiene eine Vorrichtung geschaffen, die dem Arm in allen seinen Bewegungen folgt. Ein an der Schiene angebrachtes Widerlager mit zwei verschiedenen Ansätzen ermöglicht es, auch größere und schwerere Gegenstände, wie Schaufel und Besen anzufaffen oder, ohne einzuhacken, einen Stuhl frei aufzuhebeu. Durch Biegung des neuen Daumens können aber auch kleinste Gegenstände, wie Zündhölzer ausgenommen und mit großer Kraft festgehalten werden. Seit der Operation ist über ein halbes Jahr verflossen und sie Beweglichkeit und Kraft des neuen Glieds hat sich immer mehr ge-
„Liebste!" Uno er nahm ihren Kopf zwischen die Hände und küßte sie.
„Sei vorsichtig, Liebster, ich bitte dich! Und Vater, niemano darf es wissen bis ich weiß, daß Danielowitsch fort ist."
» *
«-
Dimitri Danielowitsch saß an seinem Schreibtisch, über den, mit dichter, grüner Seide überspannt, eine elektrische Lampe herunterhing.
Um seinen Kopf und die Lampe herum zogen dichte, graue Schwaden von Zigarettenrauch.
Vor ihm lagen Briefe, und er war im Begriff, selbst eine Antwort zu schreiben, als er mit energischem Ruck alles beiseite schob.
Er war nicht aufgelegt zur Arbeit. Andere Gedanken beschäftigten sein Hirn und jagten fieberhaft einander, schwere, tückische Gedanken, ränkevoll — rachedurstig.
Gestern hatte er noch einmal versucht, eine Zusammenkunft mit Bianka Baumgart herbeizuführen, aber das Mädchen wies seine Bitte kurz ab. Und eine halbe Stunde später hatte er Binder in die Villa treten sehen. Er hatte gegenüber in einem Hausflur gestanden, eigentlich mehr, um Bianka stellen zu können, falls sie etwa doch noa> ausgehen sollte. Und er hatte es gesehen, wie das schöne Mädchen dem Oberleutnant entgegengekommen war, hatte das Lächeln gesehen, mit dem sie den schlanken Gegner empfing . . und das wurmte in ihm, das ließ ihm keine Ruhe. mußte sich rächen, ganz gleich', ob noch auoere außer ihr, der Treulosen, etwa Schaden dam» nähmen, unbekümmert selbst um sein eigenes Geschick.
(Fortsetzung folgt.)