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169.

Neuenbürg, Freitag de» 23. Oktober 1914.

72. Jahrgang.

Der Krieg.

Aus Berlin wird beuchtet, daß der Reichslag nach der Rückkehr des Staatsminifters Delbrück aus dem Hauplquartiere wahrscheinlich auf einige Tage einberufen wird, um notwendige Vorlagen zu er» ledigen. Die Budgetberatungen sollen erst im nächsten Jahre ftatlfinden.

Aus den Londoner Zeitungen geht hervor, daß die Stimmung in England über den Verlauf des Krieges jeden Tag erregter wird. Während anfänglich die Engländer die Eroberung Antwerpens durch die Deutschen als eine Nebensache hinstellten, wird jetzt von vielen englischen Zeitungen zugegeben, daß die Deutschen durch die Eroberung Antwerpens und durch ihr Vordringen an der Meeresküste für ihren Krieg gegen England eine ganz neue Basis errungen hätten. Dabei wird auch die Möglichkeit des Angriffes der englischen Küste durch deutsche Luftschiffe und Flugzeuge und sogar durch die schweren deutschen Kanonen erörtert. Schwere An­griffe werden auch gegen den Marineminister Chur­chill erhoben, weil die englische Flotte bisher so gut wie nichts geleistet habe. In der öffentlichen Mei­nung Englands wird zur Beruhigung des Landes die Aufstellung eines Heeres von 1200 000 Soldaten erörtert und von diesem Zukunftsheere die Wieder­eroberung Belgiens und die Niederwerfung der Deutschen verlangt. Auch wollen die Engländer den Krieg mindestens noch ein Jahr führen. Es gibt aber auch in England eine sehr große Partei, welcher die Vertreter der Baumwollindustrie und des See­handels und ferner auch die nach Millionen Mit­gliedern zählenden Arbeiterparteien angehören, die den Frieden und eine Aussöhnung mit Deutschland so bald wie möglich wünscht.

Es scheint fast, als wenn Rußland die Durch­fahrt seiner Schwarzen Meer-Flotte durch die Dardanellen erzwingen wollte und soll es dabei schon zu Kämpfen zwischen der russischen und tür­kischen Flotte gekommen sein. Im Hafen von Varna will man am 16. und 17. Oktober den Donner schwerer Schiffskanonen gehört haben. Man erfährt dazu aus Konstantinopel, daß das Archiv der russi­schen Botschaft in Konstantinopel nach Odessa ge­bracht wurde, und daß die Stimmung der Türken gegen Rußland so erregt geworden ist, daß dis Russenfreunde in der Türkei die Hauptstadt Kon­stantinopel in aller Eile verlassen haben. Aus russischen Meldungen erfährt man, daß das Heer Rußlands eine neue Aufstellung vom Narew bis Warschau und von dort bis Galizien bezogen habe.

Berlin. 82. Okt. (WTB.) Zu den Land- u»d Seekämpfen an der belgischen Küste und ins­besondere zu dem Kampf um die Straße nach Calais sagt dieKreuzztg.": Von der größten Bedeutung sind die Kämpfe westlich von Lille. Dort wollen anscheinend die Kerntruppen des Feindes uns den Eieg streitig machen. Wir dürfen aber dem Aus­gang des Kampfes zuversichtlich entgegensehen, denn unsere Truppen haben die Offensive ergriffen und den Feind bereits an mehreren Stellen zurückgeworfen. In diese Ueberzeugung setzt uns auch die große Zahl der Gefangenen.

Berlin, 22. Okt. (GKG.) Der Rotterdamer Courant meldet das Ueberschreiten des Aserkanals durch die deutschen Truppen nach Zurückwerfung des belgisch-englischen Korps und die Eroberung von Armentieres und Bailleul westlich von Lille durch die Deutschen.

Berlin, 22. Okt. (WTB.)Corriere della Sera" erfährt aus Paris: Die Deutschen hätten Zwischen Arras und Roye eine Kanalanlage vor­gefunden, die sie zu einer Verschanzung benutzen konnten.

Berlin, 22. Okt. (WB.) Nach demBerl. Lokalanzeiger" aus Rotterdam meldet dieTimes":

Der englische Minister des Innern hat bestimmt, daß keine belgischen Flüchtlinge mehr an der Ostküste Englands gelandet werden dürfen, weil man be­fürchtet, daß sich unter ihnen deutsche Spione befinden. Nach Plymouth dürfen Flüchtlinge auch nicht mehr kommen. Es ist ganz klar, daß es nicht blos die Spionenfurcht ist, die England aus weitere Besuche von Belgien her verzichten läßt; eher wird anzu­nehmen sein, daß die belgische Invasion den Eng­ländern bereits unbequem zu werden beginnt.

Berlin, 22 Okt. (WTB.) Aus verschiedenen Mitteilungen geht hervor, daß London zur Zeit stark befestigt wird.

Berlin, 22. Okt. (WTB.) Der englische Finanzminister Lloyd George soll sich in Bordeaux befinden und mit Briand eine längere Unterredung gehabt haben.

Amsterdam, 21. Okt. (WB.)Telsgraas" meldet aus Bergen op Zoom von gestern: Die Rückkehr der Belgier nimmt einen riesigen Umfang an. Gestern reisten über 8000 Flüchtlinge ab. Die ersten vier Züge, die heute früh abgingen, nahmen weitere 8000 mit.

Amsterdam, 22. Okt. (WB.)Nieuwe van den Dag" meldet aus Maastricht: Zwei Zeppeline flogen heute über Lüttich in der Richtung nach Antwerpen.

Holländische Grenze, 21. Okt. Aus Per- pignan wird demTemps" berichtet, daß dort 600 Spanier angekornmen seien, um in die fran­zösische Fremdenlegion als Kriegsfreiwillige einzutreten. Es werden noch weitere erwartet. (Dann wäre das Sammelsurium unserer Gegner fast vollständig!)

Berlin, 22. Okt. Einzelheiten über die Be­festigung von Belfort finden sich in italienischen Blättern. Darnach sind außer den eigentlichen Forts alle Dörfer der Umgebung in kleine Festungen verwandelt. Außerdem seien Kanäle vorhanden, wodurch die ohnehin unwegsame Gegend in wenigen Minuten überschwemmt werden könne.

Wien, 21. Okt. (WTB.) Zu den Ereignissen auf dem galizischen Kriegsschauplatz schreibt der militärische Mitarbeiter desNeuen Wiener Tage­blatts": Das feindliche Oberkommando wollte Przemysl mit allen Mitteln nehmen, damit möglichst viele Kräfte für den nördlichen Kriegsschauplatz bei Warschau frei würden. Aber der Sieger von Kirkkilisse, General Dimitriew, erlitt bei Przemysl eine furchtbare Niederlage, deren Folgen sich in dem rastlosen Vorwärtsdrängen unserer Truppen bemerk­bar machten. Nach Einnahme von Myziniec, des Mittelpunktes der feindlichen Stellung, werden die Russen überall, auch nördlich der Karpathen, aus einer Feldbefestigung zu der anderen geworfen. Jetzt hat sich eine zusammenhängende, äußerst erbitterte Hauptschlacht auf einer 150 Kilometer breiten Front entwickelt, die alle russischen Kräfte in Galizien fesseln.

Wien, 22. Okt. (WTB. Nicht amtlich.) Der Kriegskorrespondent derNeuen Freien Presse" meldet: Die Kämpfe bei Przemysl und Hermanowice dauern mit ungeminderter Heftigkeit fort. Die Russen scheinen von Lemberg Verstärk­ungen bekommen zu haben. Sie haben verzweifelte, aber vergebliche Versuche gemacht, sich der Höhe Nagiera, die ihnen am 17. 10. entrissen worden war, wieder zu bemächtigen. In der vergangenen Nacht und heute um 6 und 8 Uhr morgens griffen unsere Artillerietruppen ein. Auch die schweren Geschütze der südöstlichen Zwischenbatterien feuerten heftig. Die Bozener Landesschützen stürmten mit einer Bravour ohnegleichen und leisteten allein diesAufgabe, die drei Regimentern zugeleilt war. Man sieht dem Ende der Kämpfe zuversichtlich entgegen.

Wien, 22. Okt. Wie dieReichspost" meldet, wurden bei den Kämpfen südlich vom Przemysl 2 russische Regimenter gefangen genommen.

London, Id. Okt. (WTB.) DerManchester Quardian" schreibt: Im August hielt man den Krieg für ein Wettrennen zwischen dem Vormarsch der Deutschen gegen Paris und dem Vormarsch der Russen gegen Berlin und, als wir unsere Leser warnten, den Druck in der Richtung auf Berlin nicht vor Ende Oktober zu erwarten, hielt man uns für über­triebene Pessimisten. Das Blatt fährt fort: Im Osten fanden zwei entscheidende Schlachten statt. Die Niederlage Samsonoffs in Ostpreußen war eine größere Affäre als selbst die Schlacht bei Mukden. Die Russen verloren bei Mukden etwa über 100000 Mann, verloren aber bei Tannenberg dieselbe Zahl allein an Gefangenen. Zwei andere ernsthafte Nieder­lagen folgten bei Insterburg und bei Lyck. Die an Zahl stärkste Armee kann Niederlagen von-solcher Größe nicht ertragen, ohne erschüttert zu werden. Ein Wunder ist nicht, daß die Russen Gelände ver­loren. sondern, daß sie imstande waren, es so schnell zurückzugewinnen, aber der Preis für die Verstärkung des russischen Flügels in Ostpreußen war der Verlust der Früchte der Siege über Oesterreich in Galizien. Die Russen verloren in den letzten 10 Tagen fast allen Boden, den sie durch die zerschmetternden Siege (!) über den österreichischen linken Flügel ge­wonnen hatten. Das Blatt hält die russischen Aus- sichten auf Sieg an der Weichsel für gut. sagt aber, es müsse die Tatsache anerkennen, daß die Russen zurückgehen und daß gegenwärtig eine Invasion in Schlesien nicht in Frage komme.

Berlin, 22. Okt. (WTB.) Durch amtliche Ermittelungen ist die Nachricht bestätigt worden, daß - 14 Deutsche in Casablanca wegen angeblicher Ver­schwörung gegen das französische Protektorat vor ein . Kriegsgericht gestellt worden sind. Die amerikanischen l und die italienischen Behörden treten nachdrücklich für unsere bedrohten Landsleute ein. Die deutsche ! Regierung hat der französischen Regierung Mitteilen ! lassen, daß sie für jedes widerrechtliche Vorgehen > gegen die angeschuldigten Deutschen in der rücksichts- ^ losesten Weise Rechenschaft fordern werde.

! London, 22. Okt. (WTB.) Der Agent von ! Lloyds in Colombo telegraphiert an die Admiralität: s Der deutsche KreuzerEmden" hat die britischen ! DampferChilka",Troilus",Benmohr",Clan ! Grant" und den für Tasmanien bestimmten Bagger lPonrabbel" versenkt und den DampferOrford"

! gekapert.

s London. 22. Okt. Der DampferCormoran" ist auf eine Mine gestoßen und gesunken. Die Mann- schaft wurde gerettet.

London, 22. Oktbr. (WTB. Nicht amtlich.) Das Reutersche Büro meldet aus Konstantin opel vom 19. Okt.: Auf die britische Vorstellung über die fortgesetzte Anwesenheit deutscher Mann- schäften auf türkischen Kriegsschiffen hat die Pforte endgültig erwidert, daß dies eins innere Angelegen­heit sei.

Schneller als es wohl selbst Lord Curzon er- leben wollten, gelangten indische Truppen in das Herz Deutschlands, freilich als Kriegsgefangene. Wie nämlich dieKölnische Volksztg." mitteilt, sind in Köln in einem großen Gefangenenzuge bereits mehrere Wagen mit Indern eingelroffen, die in ihrer weißen Kleidung trotz Einhüllung in Decken und Mäntel jämmerlich gefroren hätten. Das nord­europäische Klima scheint auch diesen Herrschaften schlecht zu bekommen.

Mülhausen i. E.. 21. Okt. (WTB.) Der beim Bürgermeister B. in Sennheim beschäftigte Arbeiter Gey wurde heute vom hiesigen Kriegsgericht zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er einer französischer Patrouille den Standort deutscher Vor- Posten verraten hatte.