Ertradlatt des EnMlers
Ausgegeben: Neuenbürg, den 18. August 1914, mittags 12 Uhr.
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Der Krieg.
Die in den letzten Tagen herrschende Stille in der Berichterstattung von den Kriegsschauplätzen ist dazu angetan, die Voraussicht zu bestätigen, die in dem mehrfach erwähnten Merkblatt des Kriegsminifteriums an die Presse dahin ausgesprochen wurde, daß Ungewißheit und Zweifel gerade jetzt doppelt schwer empfunden werden. Für alle diejenigen insbesondere, deren Väter, Söhne oder Brüder hinaus ins Feld gezogen sind, ist es hart, von deren Schicksal einstweilen nichts erfahren zu dürfen; die Ungewißheit ist aber auch hart genug für alle Zurückgebliebenen überhaupt. In den Berliner Besprechungen des Generalstabs mit Vertretern der Presse ist in Aussicht gestellt worden, daß das strenge Verbot aller militärischen Nachrichten aufgehoben oder doch gemildert werden wird, wenn erst die Zeit der Mobilmachung und des Aufmarsches vorüber ist und die großen Operationen beginnen werden. Wir haben erst den 16. Mobilmachungstag hinter uns, und es ist uns die Genugtuung geworden, schon in dieser kurzen Zeit von größeren und kleineren deutschen Erfolgen, von Lüttich, Mülhausen, Lagarde erfahren dürfen. Die dadurch verstärkte Zuversicht in die Tapferkeit unserer Truppen und die Tüchtigkeit ihrer Führung muß uns dazu dienen, die Ungewißheit und den Zweifel über den weiteren Verlauf der so erfolgreich begonnenen Operationen zu ertragen und über Gerüchte aller Art hinweg die weiteren amtlichen Mitteilungen mit Fassung abzuwarten.
Berlin, 16. Aug. Wie die „Straßburger Post" meldet, sandte der Kaiser an die Truppen, die den Sieg bei Mühlhausen erfochten haben, das folgende Telegramm:
An das Armee-Oberkommando I Dankbar unserem Gott, der mit uns war, danke ich Ihnen und den tapferen Truppen für den ersten Sieg. Sagen Sie allen beteiligten Truppen meinen kaiserlichen Dank, den ihr oberster Kriegsherr ihnen im Namen des Vaterlandes ausspricht.
Wihelm I. U.
Berlin. 17. Aug. (W.B.T.) Die „Tägl. Rundsch." schreibt: Welches Deutschen Wünsche wären nicht mit dem Kaiser auf dem Wege, den er nie zu gehen wünschte und den er nun geht mit der Ruhe und Selbstverständlichkeit, mit der ein treuer Arbeiter an seine Arbeit geht. Nie war er so unser Kaiser. Nie war er so Herz und Hirn seines Volkes.
Berlin. 17. Aug. (W.T.B.) Im „Berl.Tagebl." hebt Theodor Wolf hervor, daß ein Dokument, das man noch nicht genügend brachtet habe, der Ukas des Zaren sei, der das Schicksal der in Rußland lebenden Deutschen und Oesterreicher bestimme. In diesem Ukas werden die Deutschen, darunter Familienväter mit kleinen Kindern, nach Sibirien verschleppt, bis nach Archangelsk am Eismeer. Wäre es nicht angebracht, fragt der Ver- fasser. mit Hilfe neutraler Staaten die Wahrhert ststzustellen?
Den 17. Aug., abends 7'/- Uhr.
Wien. (W.T.B.) Die Kämpfe an derDrina haben M einem entscheidenden Siege der österreichischen Truppen über stark feindliche Kräfte geführt, die in der Richtung auf Waljewo zurückgeworfen wurden. Zahlreiche ^ Gefangene wurden gemacht und viel Kriegsmaterial erbeutet. Die Verfolgung des Feindes ist in vollem Gange.
Berlin. (W.T.B.) Die „Nordd.Allg.Ztg." schreibt unter der Ueberschrift „Deutsche Warnung an Rußland": Durch Vermittelung einer neutralen Macht ist folgendes zur Kenntnis der russischen Regierung gebracht worden: Die Meldungen aus unseren östlichen Grenzgebieten berichten übereinstimmend, daß russische Truppen, wo sie preußisches Gebiet betreten haben, gegen Ortschaften und deren wehrlose Einwohner sengend und plündernd vorgegangen sind. Deutschland erhebt vor der Oeffentlichkeit Einspruch gegen eine solche, dem Völkerrecht zuwiderlaufende Art der Kriegführung. Wenn durch sie die Kampfesweise einen besonders schroffen Charakter annehmen sollte, so trifft Rußland allein die Verantwortung. _
Der Bezirkspräsident desOberelsaß hat unterm 13. August folgende Bekanntmachung erlassen: Auf Befehl des kommandierenden Generals: Infolge einzelnerVorkommnisse auf dem Kriegsschauplatz wird folgendes öffentlich bekannt gemacht: Wenn Einwohner einer Gemeinde sich am Kampf gegen unsere Truppen beteiligen, so werden nicht nur sie, sondern auch der Bürgermeister der betreffenden Gemeinde erschossen, die Ortschaft demoliert. Unsere Truppen haben Befehl erhalten, jeden Hausbesitzer, welcher Angehörigen der französischen Wehrmacht in Uniform oder Zivilkleidung bei sich Aufenthalt gewährt oder von der Anwesenheit französischer Soldaten in seinem Haus Kenntnis erhält, ohne dies den Behörden oder unseren Truppen bei deren Herannahen anzuzeigen, sofort zu erschießen. Wer eine Telegraphen- oder Telephonleitung zerstört, wird verhaftet und mit der härtesten Strafe belegt. Jeder Bürger hat alle in seinem Sitz befindlichen Waffen, auch Jagdgewehre und Munition auf dem Bürgermeisteramt abzuliefern. Ich mache die Herren Bürgermeister für die strengste Durchführung dieser Maßregel persönlich verantwortlich. Alle Waffenscheine werden hiermit aufgehoben. Das Betreten der Schlachtfelder ist auf das strengste untersagt und nur den von den Bürgermeistern hiezu ausdrücklich ermächtigten Personen erlaubt. Das Berauben der Leichen wird mit sofortigem Erschießen geahndet. Ich bedaure auf das tiefste, daß verabscheuungswürdige Verbrechen einzelner Schandbuben zu dieser Bekanntmachung
zwingen und so den guten Namen der Elsässer schänden. (Straßb. P.)
Metz, 12. Aug. Der Militärpolizeimeifter veröffentlicht folgende Bekanntmachung: Auf Befehl Seiner Exzellenz des Herrn Gouverneurs habe ich heute die Häuser Nr. 19 und 93 in St. Julien, in welchen Waffen gefunden worden sind, und aus
welchen auf unsere Truppen geschossen worden ist, zerstören lassen. Die Besitzer und Bewohner der betreffenden Häuser, sowie einige der Mittäterschaft dringend verdächtige Personen, habe ich verhaften lassen. Außerdem ist St. Julien vom Zivilverkehr
gesperrt worden. (Str. P.)
Berlin, 16. Aug. Bei der Zentralstelle des Roten Kreuzes, Abteilung für Kriegswohlfahrtspflege, hat sich ein Ausschuß für Familienfürsorge gebildet, der in einem Aufruf darauf hinweist, daß auch die Liebestätigkeit im Land selbst nicht ruhen darf. Unsere Brüder vor dem Feind müssen die Gewißheit haben, daß ihre Frauen und Kinder vor Hunger und Elend bewahrt bleiben. Es soll deshalb für die Kinderfürsorge, Unterstützung von Volks
küchen, Suppenanstalten usw. gesorgt werden, damit unsere Tapferen bei ihrer Rückkehr die zurückgelassenen Frauen und Kinder in angemessenen Verhältnissen und ihr Heim in Ordnung finden. Nähere Auskunft erteilt die Zenlralmelde- und Auskunftsstelle des Roten Kreuzes, Reichstagsgebäude, Berlin, NW. 7, Portal 4.
Leipzig, 16. Aug. Die Lebensversicherungsgesellschaft (Alte Leipziger) und die Sächsische Waggonfabrik A.-G. in Werdau haben für die Zwecke des Roten Kreuzes je 50 000 Mk. gestiftet.
Aachen, 15. Aug. Die Aachener Kleinbahngesellschaft hat 50 000 Mk. für die Angehörigen der ins Feld berufenen Krieger bewilligt.
Fankfurt, 16. Aug. Das Ergebnis der Zentralsammlung der Kriegsfürsorge hat eine Summe von 900000 Mk. gebracht.
Freiburg, 16. Aug. Hier wurde ein Mann mit 14 Tagen Hast bestraft, weil er in einer Wirtschaft frei erfundene, das Publikum beunruhigende Gerüchte über den Kriegsschauplatz verbreitet hatte.
Letzte Nachrichten u, TelegramWL
Den 18. Aug., mittags 12 Uhr.
Berlin, 18. Aug. (W.T.B.) Das Gefecht bei Mülhausen war ein Gelegenheitsgefecht; anderthalb feindliche Armeekorps waren im Oberelsaß eingedrnngen, während unsere dort befindlichen Truppen noch in der Sammlung begriffen waren. Sie griffen trotzdem den Feind ohne Zaudern an und warfen ihn auf Belfort zurück. Darnach folgten sie ihrer Aufmarsch-Bestimmung; unterdessen hat eine kleine Festungsabteilung aus Straßburg am 14. August eine Schlappe erlitten; 2 Festungsbataillone mit Geschützen und Maschinengewehren aus Festungsbeständen waren an diesem Tage im Bogesenpaß von Schirmeck vorgegangen; sie wurden durch feindliches Artilleriefeuer vom Donon her überfallen. In der engen Paßstraße sind die Geschütze und Maschinengewehre zerschossen und unbrauchbar gemacht liegen geblieben; jedenfalls sind sie vom Feind erbeutet worden, der später auf Schirmeck vorging. Ein unbedeutendes Kriegsereignis, das keinerlei Einfluß auf die Operationen hat, aber den Truppen wegen Tollkühnheit und Unvorsichtigkeit ein warnendes Beispiel sein soll. Die wiedergesammelten Festungstruppen haben den Feftungsbereich unverfolgt erreicht. Sie hatten zwar ihre Geschütze, aber nicht den Mut verloren. Ob bei diesem Vorgang Verrat der Landesbewohner mitgespielt hat, wird noch festgestellt werden.
Berlin, 18. Aug. (W.T.B.) Von einer Fahrt mehrerer Unterseeboote nach der englischen Küste ist das Boot II 15 bisher nicht zurückgekehrt. Englischen Zeitungsnachrichten zufolge soll U 15 im Kampfe mit englischen Streitkräften vernichtet worden sein. Ob und welche Verluste diese dabei erlitten haben, ist nicht zu ersehen.
Druck und Verlag der C. Meeh'schen Buchdruckerei des EnztLlers. — Verantwortlicher Redakteur C. Meeh in Neuenbürg.