Zweites

Blatt.

Der EnztSler.

Zweiter

Blatt.

80.

Neuenbürg, Mittwoch de« 20. Mai M4.

>72. Jahrgang.

RunSschau.

Das Landgericht in Lemberg erhob gegen die Vertreter. Leiter und Agenten der Austro- Anglo-Linie. des Norddeutschen Lloyd und anderer Gesellschaften die Anklage wegen strafrecht­lichen Vergehens gegen das Auswanderergesetz, ver­botener Verleitung von Wehrpflichtigen zur Aus­wanderung und Vergehen gegen das Wehrgesetz. Insgesamt sind 1043 Personen in Anklagezustand versetzt. Die Verhandlungen beginnen in der eisten Juniwoche. Nach Angaben der Rekrutierungsbehör­den sind durch die Vertreter der genannten Gesell­schaften im Jahre 1913 zusammen 16 980 stell­ungspflichtige Staatsangehörige der Wehr­pflicht entzogen worden.

Ein Straßburger Kaufmann, der vor einigen Tagen eine Geschäftsreise nach Rußland zu machen hatte, wurde, als er über die russische Grenze kam. verhaftet und in ein russisches Regiment gesteckt, um dort seiner Dienstpflicht zu genügen. Es stellte sich heraus, daß der Kaufmann, dessen Vater seit 1870 in Straßburg ansässig ist, russischer Staatsangehöriger ist. Er muß nun wahrscheinlich seiner Dienstpflicht in Rußland genügen, trotzdem er kein Wort Russisch versteht und vorher überhaupt noch nicht in Rußland war.

Zu dem Unfall von Oberleutnant Fellinger und Leutnant Wiegandt ist noch nachzutragen: Halberstadt. 16. Mai. Ueber Halberstadt erschien heute nachmittag gegen 5 Uhr eine Albatrostaube, die aus der Richtung von Magdeburg kam und sich in einer Höhe von etwa 1000 m befand. Der Führer des Flugzeugs, Leutnant Wiegandt, hatte vermutlich die Absicht, auf dem Flugplatz von Halberftadt zu landen. Er stellte die Maschm, zum Gleit flug ein, der aber zu steil ausgeführt wurde und schließlich in einen Kopfsturz überging. In etwa 700 m Höhe gab der Führer wieder Vollgas, aber es gelang ihm nicht mehr, das Flugzeug wieder auf­zurichten. Gleichzeitig brach auch noch ein Flügel, und der Apparat stürzte infolgedessen mit großer Gewalt zu Boden. Er wurde bei dem Aufprall vollständig zertrümmert. Leutnant Wiegandt und Oberleutnant Fellinger blieben beide tot zwischen den Trümmern liegen. Leutnant Wiegandt. seit 1905 Leutnant im 4. Württ. Infanterie-Regiment Nr. 122 in Heilbronn, war zur Kriegsakademie und seit kurzem zu der Fliegertruppe kommandiert. Er ist ein Sohn des Oberamtmanns Regierungsrat Wiegandt, früher in Herrenberg und Freudenstadt, jetzt in Riedlingen.

Frankfurt a. M., 19. Mai. Auf dem Hoch­ofenwerk des Hasper Eisen- und Stahlwerks sind durch den Zusammenbruch eines Gerüstes 8 Ar­beiter in die Tiefe gestürzt. Einer war sofort tot, drei andere wurden lebensgefährlich, die übrigen weniger schwer verletzt.

Carl Evers Wwe. Der Zufall will es, daß uns gerade in diesen Tagen, da der Kaiser im Reichslande weilte, ein Brief vorgelegt wird, den die Frau Evers in Zabern an einen Cannstatter Besteller geschrieben hat; Frau Evers, die zu ihrem bescheidenen Teile auch als eine gute Vertreterin des Reichsgedankens im Reichslande sich bewährt, die das Verbrechen begangen hat, als Zivilistin bei den Zaberner Unruhen zu hören und zu sehen, was es zu hören und zu sehen gab, und darüber als Zeugin vor Gericht die Wahrheit zu sagen; und der es des­halb nach Ausweis ihres Briefes also ergangen ist: Für Ihre gütige Nachbestellung herzlichen Dank. Ende Juni geben wir unser Geschäft ab, da es keinen Wert hat. länger zuzusetzen. Die Zaberner sind mit ihrem Boykott konsequent, und beim Militär sind auch sehr viele Elsässer, da wird nun auch gegen mich gehetzt. Das geht langsam über die Nerven- kraft. Wir behalten vorläufig die Privatwohnung hier und versenden von hier noch weiter, das Saar­burger Geschäft muß noch in die Höhe gebracht werden. Sobald ich das hier abgegeben habe, fahre ich auf 3 Tage nach Ulm. Werde auch in Cann­statt eine alte Freundin besuchen. Das schlimmste ist hier, daß dir Deutschen sich vor den Elsässern fürchten und mich deshalb auch meiden. Wir haben

noch ca. 8 Herren hier, die den Mut haben, in unser Geschäft zu kommen, außer den Fremden und Offi­zieren. Ist es nicht traurig? Es heißt. Oberst v. Reutter wäre in einer Anstalt, daran ist kein wahres Wort, er hat gestern Zigarren bestellt nach Frank­furt. Die Zeitungsnachricht kam aus Frankreich. Der Gedanke, über den Rhein zu kommen, macht mich glücklich." Für die Schreiberin möchten wir bei unseren Freunden noch ein gutes Wort einlegen. Wir meinen, daß jeder gute Deutsche eine moralische Verpflichtung gegenüber dieser braven Frau hat. Helft ihr doch! Bestellt doch einmal 100 Zigarren bei ihr anstatt bei eurem gewöhnlichen Händler! Wenn das alle tun, die es angeht, so wird nieman­den geschadet und der Frau über Schlimmes und Bitteres hinweggeholfen. (Anm. d. Red. Wir wissen zufällig von befreundeter Seite, daß mehrere deutschgesinnten Kaufleute in Straßburg (bad. und württ. Landsmannschaft) der bedrängten Frau Evers dadurch werktätige Hilfe geleistet haben, daß sie sich selbst und teilweise mit ihrem kaufmännischen Per­sonal des öfteren nach Zabern begeben haben und der Frau Evers bei dem umfangreichen Zigarren­versand tatkräftige Hilfe zuteil werden ließen. Wir gehen aber gleichfalls damit einig, daß Frau Evers in vorstehendem Sinne noch weiter unterstützt zu werden verdient.)

Der Inspektor der französischen Staatsbahn, Pechard, wurde am letzten Freitag in einem Schnellzug bei Caen in dem Augenblick verhaftet, als er die Handtasche und den Regenschirm eines im Speisewagen weilenden Reisenden stahl. In der Pariser Wohnung Pechards wurden zahlreiche von solchen Diebstählen herrührende Gegenstände gefunden.

Das Murgwerk,

welches gegenwärtig im Entstehen begriffen ist, gibt das größte süddeutsche Kraftwerk. In Karlsruhe hielt kürzlich Herr Oberbaurat Stahl im elektro­technischen Verein einen hochinteressanten Vortrag über dasselbe. Die sehr bedeutenden Kraftwerke von Rheinfelden, Augst-Wyhlen und Laufenburg werden durch das Murgwerk noch wesentlich über­troffen. Das Murgwerk wird als Hochdruckwerk arbeiten und zwar mit Gefällen von 150 bezw. 350 w; die Oberrheinwerke dagegen sind als Niederdruckwerke gebaut. Während eine Turbine des Laufenburger Werkes in der Sekunde 50 cbm Wasser schluckt, braucht eine solche des Murgwerks bei noch größerer Leistung nur 44 obw. Gewaltig sind die Maße der Bauwerke, der Stollenleitungen, der Maschinen und der Fernleitungen des Murgwerks. Von den Staubecken, die zur Ansammlung der Wassermaffen gebaut werden, faßt das im Schwarzenbachtal 10,5 Millionen Kubikmeter, das im Raumünzachtal 15 Millionen Kubikmeter, und das für später vor­gesehene. auf württembergischem Gebiete gelegene Staubecken bei Obertal 70 Millionen Kubikmeter. Die Größe und Stärke der dafür zu errichtenden Sperrmauern ist daraus zu ersehen, daß die Höhe einer dieser Mauern 50 m, die Länge 350 m und die Dicke am Fuße etwa 45 w beträgt. Ebenso gewaltig sind die Maße der 6 km langen Stollen, durch die das Wasser nach dem Wasserschloß geführt wird. Wie bei der Erstellung des Krafthauses, wo die Umwandlung der Energie von der Generatoren­spannung von 10 000 Volt auf die Betriebsspannung von 100 000 Volt erfolgt, so wird auch bei Herstell­ung der Hochspannungsleitung das Höchste geleistet, was bisher auf diesem Gebiete erreicht worden ist. Von Forbach aus führen 2 Leitungen auf verschie­denen Wegen nach einem Schalthaus bei Karlsruhe; von da wird die Leitung als einfache Leitung über Bruchsal nach einem bei Rheinau erstellten Schallhaus weitergeführt. Für die Leitung wird hartgezogener Kupferdraht von 70 qmm Querschnitt verwendet. Die Masten, die sehr stark sein müssen, werden in Abständen von 220 w errichtet. Bei diesen Mast­abständen beträgt der größte Durchhang der Leitungen 7.4 m. Da als geringste Entfernung der Drähte vom Erdboden 7 m festgelegt wurde, ergibt sich eine Höhe der Masten über dem Erdboden von 20 m. Im Murgwerk werden jährlich 40 Millionen Kilo­wattstunden erzeugt werden, weilen Gebieten werden

durch dasselbe neue Absatzquellen erschlossen und manchem Unternehmen wird es zum Segen gereichen.

Württemberg.

Stuttgart, 17. Mai. Die Landesver­sammlung des Bundes der Landwirte fand heute unter zahlreicher Beteiligung im Festsaal der Liederhalle hier statt. Der Landesvorsitzende, Oekonomierat Schund-Platzhof, gedachte in seiner Begrüßungsansprache der vorausgegangenen Feier am Grabe Friedrich Schrempfs. Er wies dann darauf hin, daß die heutige Landesversammlung die größte sei, die der Bund jemals erlebt. Die Voraussage des letzten Jahres, daß die Landwirte schweren Zeiten entgegengingen, sei leider in Erfüllung gegangen. Die Landwirte blickten auf ein schlechtes Jahr zurück; nicht nur die Getreidepreise seien zurückgegangen, es habe keinen Wein gegeben, sondern auch die Vieh» preise hätten abgeschlagen. Alles sei im Preise ge­sunken. Dagegen seien die Ausgaben ins Endlose gestiegen; er erinnere nur an das Unglücksgesetz, das Krankenversicherungsgesetz. Seit 14 Jahren habe er auf dem Platzhof zum ersten Mal ein Defizit ge­macht. Gott möge den Beamten die nötige Weisheit geben, daß der Bauernstand nicht kaput gemacht werde. Der Redner schloß mit einem Hoch auf den König. Der Bundesoorsitzende, Gutsbesitzer Aus dem Winkel-Logau, sprach dann über das Thema Was einigt Stadt und Land?" Die Land­wirtschaft gehe ernsten Zeilen entgegen, ja sie stehe mitten drin. Unter Hinweis auf die Bewilligung der Wehrvorlage versicherte er, der Bund werde dem Vaterlande immer geben, was es brauche in der Stunde der Gefahr. Durch Deutschland gehe ein ungesunder Zug des Streites zwischen Stadt und Land. Den Nutzen von dem seit der Reichsfinanz­reform einsetzenden Verhetzen der Parteien unter­einander habe nur der Umsturz. Die Allgemeinheit möge sich darüber klar bleiben, welch ungeheuren lebensnotwendigen Wert die Landwirtschaft für das gesamte deutsche Volk habe. Wenn die Landflucht noch weiter zunehme, müsse das Volk auf die Dauer an seiner Gesundheit und seiner Waffenfähigkeit Schaden leiden. Die Reichsregierung habe durch die Aeußerung, daß unsere Handelsverträge sehr gut seien und daß sie nicht daran denke, sie zu ändern, erreicht, daß die Regierungen des Auslandes jetzt dabei seien, die Handelsverträge mit Deutschland zu kündigen. Der Wunsch der Landwirtschaft nach gleichmäßig lohnenden Preisen sei im Interesse des ganzen Volkes gelegen; dann werde das Geschrei über Brotwucher und Fleischnot endlich ein Ende haben. Die Konkurrenz des Auslandes durch zoll­freie Beförderung von Milch und Rahm sei über­haupt nicht mehr erträglich. Bedauerlich sei, daß nichts geschehe gegen die zunehmende Verhetzung der Autorität. Mit einem Hoch auf das deutsche Vater­land schloß die Rede. Der Geschäftsführer des Bundes. Landtagsabgeordneter Körner, gab den Geschäftsbericht, der feststellt, daß die Angriffe gegen den Bund und die bewährte Organisation der württ. Bauern wirkungslos an der treuen und zähen Einigkeit der Bundesmitglieder abgeprallt seien. Die Mitgliederzahl habe einen Zuwachs von 476 zu ver­zeichnen. Das Bundesblatt, derSchwäbische Land­mann". hat eine Auflage von 24000 Exemplaren, der Bundeskalender 33 000 Exemplare. Reichs­und Landtagsabgeordneter Vogt-Gochsen sprach im Namen der Landtagsfraktion und kritisierte in einem Rückblick auf die Landtagsarbeit besonders die Aeußerung des Abg. v. Gauß bei der Beratung des Gebäudebrandversicherungsgesetzes (über die häu­figen Brandstiftungen in den ländlichen Bezirken), für die man nur ein Pfui haben könne. Nach weiteren Ansprachen des badischen Landesvorsitzenden Seitz, des Rechtsanwalts Schott namens der Konservativen Partei, der bemerkte, wenn der größte politische Wetterprophet des Landes. Konrad Hauß- mann, einmal gemeint habe, die Mitglieder des Bundes könnten bald auf einem Nachen den Neckar hinunterfahren, so könne man heute sagen, daß diese jetzt nicht mehr auf dem größten deutschen Dampfer Platz hätten. Landtagsabg. Hiller sprach noch über Praktische Mittelstandspolitik. Gegenüber dem