Zweites

Blatt.

Der Lnztäler.

Zweite«

Blatt.

^ 64.

Reuen bürg, Mittwoch den 22. April 1914.

>72. Jahrgang

RunSschau.

Das rote Kreuz bei Düppel. Zum ersten Male erschien das Rote Kreuz als Helier auf dem Schlachifelde im Kriege 1864. D. Wichern, der Begründer desRauhen Hauses" in Hamburg-Horn, war zum Kriegsschauplätze geeilt, um sich im Verein mit Johanniter-Rittern der verwundeten und erkrankten Krieger anzunehmen. Mitten im Kugelregen widmete sich die tapfere, zum ersten Mal unter dem Schutze des Roten Kreuzes arbeitende Schar besonders den Verletzten in der heftig beschossenen Vorpoftenlinie. Die Granaten flogen über sie hin, mit jedem Schritt wurde der Weg gefahrvoller. Sie warfen sich nieder und krochen in den Laufgräben dahin, um die Ver­wundeten zu bergen. Ein Hauptmann mit einem Kopfschuß wurde auf die Bahre gelegt, ein Infan­terist, dem der halbe Arm fortgeschossen war, ein durch die Schulter getroffener Däne wurden aufge- lesen. Viele holten sie aus dem Feuer. Immer zu zweien liefen sie mit einer Bahre. Sie versorgten und trösteten die Verwundeten, so gut sie konnten. Mitten in den Kanonendonner hinein erscholl es: Heil dir im Siegerkranz". Auf der letzten Schanze wogte es noch hin und her in blutigem Ringen. Weiter tobte der Kampf. Die Helfer litten entsetz­liche« Durst bei ihrem schweren Dienst, doch den letzten Wasseroorrat sparten sie für die Verwundeten. Erst spät am Abend kehrten sie heim, um noch die Nacht hindurch an der Seite der Leidenden und Sterbenden zu stehen. Vielen braven Kriegern haben sie so an Stelle von Eltern und Geschwistern, Frauen oder Kindern noch die brechenden Augen zugedrückt.

Danzig, 18. April. Wie dieDanziger Ztg." meldet, hat gestern mittag in der Kaminitzamühle der Gutsbesitzer Ludwig Kr afft seinen 7 Jahre alten Sohn und seine 4 Jahre alte Tochter mit einem Beil geköpft. Die Absicht, auch die übrigen 6 Kinder zu ermorden, wurde dadurch vereitelt, daß sich Krafft seine eigene linke Hand mit dem Beile abschlug. Anscheinend handelt es sich um die Tat eines Geisteskranken.

Karlsruhe. 21. April. Im Lande Baden herrscht zurzeit eine wahre Brandepidemie. Nach den bereits gemeldeten Bränden, die teilweise großen Schaden anrichteten, sind auch gestern wieder mehrere Großfeuer zu verzeichnen. So brannte in Stadel­hofen bei Achern die Fabrik für Holzbearbeitung von Wolf, Stähle u. Co., die erst im vorigen Jahre neu errichtet wurde, vollständig nieder. Mit den Maschinen sind große Holzvorräte vernichtet worden.

In Oberschopfheim wurden zwei Wohnhäuser durch Feuer zerstört. In Guttach brannte der 200 Jahre alte Gutshof Wälde mit allem Vieh nieder. Nur die Bewohner konnten das nackte Leben retten. Man vermutet Brandstiftung.

Mannheim. 20. April. Ein unglaublich roher, verbrecherischer Anschlag wurde von der Frau des Bäckers Joseph Henig begangen. Kurz ehe sie mit ihrem Liebhaber, einem jungen Kaufmann, durchging, schloß sie ihre beiden Kinder im Alter von 4 und 6 Jahren, nachdem sie den Gashahn geöffnet hatte, ein und telephonierte alsdann ihrem Mann, sie gehe fort, die Kinder werde er aber nicht mehr lebend antreffen. Der Mann eilte sofort nach Hause und konnte die Kinder retten. Das ältere Kind war allerdings schon betäubt. Der Aufenthalt der ent­menschten Mutter konnte noch nicht ermittelt werden.

Mühlhausen (Elsaß), 21. April. Der große Ueberlandflug. den gestern Oberleutnant Geyer mit einem Begleiter in Königsberg angetreten, endete gestern abend 8 Uhr hier in Mühlhausen. In Johannistal war eine Notlandung vorgenommen worden. Geyer hat also an einem Tage 1200 Kilometer zurückgelegt und ist damit nur um 100 Kilometer hinter dem Rekord Brindejoncs zurück­geblieben.

Weiler im Algäu, 20. April. Eines großen Kindersegens erfreut sich der Hausweber Kölle in Bremenried mit seinen sieben Knaben und sechs Mädchen. Bei dem siebten Knaben, der soeben das Licht der Welt erblickte, wird König Ludwig die Vaterstelle übernehmen. Es dürfte keine alltägliche Erscheinung sein, daß in einer Familie zu gleicher Zeit zwei Kinder zur Taufe, zwei zur ersten hl. Kommunion, zwei zur hl. Firmung kommen, während eines die Verlobung feiern kann.

Triberg, 20. April. Die spanischen Schatz- schwindler treiben seit einiger Zeit wieder ihr Un­wesen. Dieser Tage erhielt ein hiesiger Geschäfts­mann einen der bekannten Lockbriefe, wonach in einem am Bahnhof der spanischen Hauptstadt lagernden Koffer einausreichender Schatz" vorhanden sein soll. Es wäre an der Zeit, daß diesen Herren das Handwerk einmal gelegt würde.

Genf. 21. April. Etwa 1000 Arbeiter, die am Simplontunnel beschäftigt sind, haben gestern abend die Arbeit niedergelegt, da ihre Forder­ungen nicht bewilligt worden sind. Sie nahmen eine so drohende Haltung an, daß sich die Ingenieure gezwungen sahen, ihre Wohnstätten zu verlassen. Die Arbeiter haben etwa 10 000 Kubikmeter Gesteins-

maffen abgesprengt, um die Häuser der Ingenieure zu vernichten. Glücklicherweise rollten jedoch die Gesteinsmasfen an den Häusern vorbei.

London, 18. April. Die Brandstiftungen nehmen einen außergewöhnlichen, fast epidemischen Umfang an. Gestern sind 13, heute 6 Brände aus­gebrochen, davon 3 in London selbst. Es wird ver­mutet, daß bei einigen davon Anhängerinnen des Frauenstimmrechts als Täterinnen in Frage kommen.

Ueber die Verhaftung mehrerer Juwelen­diebe in Paris liegen jetzt mehrere Mitteilungen vor. Der Stadtvertreter eines bedeutenden Pariser Bijouterie-Warenhauses, der seine Kundschaft in Begleitung eines Angestellten mit einem Handwagen zu besuchen pflegte, in dem sich zuweilen Juwelen im Werte von einer Million Franken be­fanden, bemerkte in letzter Zeit, daß ihm verdächtige Personen folgten, und benachrichtigte die Polizei. Als am Freitag auf dem Vendomeplatz der An­gestellte, der den Wagen schob, ihn zum Schein einen Augenblick außer Acht ließ, sprengte eine der verdächtigen Personen das Schloß auf und er­griff eine Tasche, die Juwelen im Wert von 400000 Franken enthielt. Der Mann wurde sofort ver­haftet, ebenso fünf seiner Mitschuldigen, die seine Bewegungen zu decken gesucht hatten. Unter den Verhafteten befinden sich der 1869 in Berlin geborene Graf v. Montgelas und sein 1882 in Berlin geborener angeblicher Sekretär Breuer. Die Frau des Grafen Montgelas. eine geborene Berta Brügge­mann, wurde kurz darauf verhaftet. Graf Mont­gelas ist wegen im Ausland begangener Diebstähle schon Gegenstand zahlreicher polizeilicher Ermittlungs­verfahren gewesen. (Das Gräfliche Taschenbuch nennt einen Maximilian Grafen Montgelas, der 1869 in Lichtenraad geboren ist und sich 1911 in London mit Berta Sonja Meyer-Brüggemann verheiratete.)

Zwischen den Bewohnern der Dörfer Umito und Vallecchia in der Nähe von Mailand ist dieser Tage wegen eines alten Streites um Weide­rechte eine wahre Schlacht geschlagen worden. Die Bewohner von Umito überfielen 200 Mann stark auf der strittigen Weide die Hirten von Vallecchia, griffen sie mit Flinten, Serben und Knüppeln an und vertrieben sie. Als nach einiger Zeit Militär auf Kraftwagen erschien, war die Stätte mit Ver­wundeten bedeckt. Einem jungen Manne war von einem Sensenhieb der Kopf abgeschlagen worden, und neben ihm lag sein Vater im Sterben. Die Männer des Dorfes Umito sind in die Berge ge­flüchtet und kein einziger konnte von der Polizei er-

kam, ein Junker von Habenichts, ein Milchgesicht mit blitzenden Augen und flottem Schnurrbart. in den wurde sie dann sterblich verliebt, dem wurde

dann alles gewährt, alles geopfert und nachher-

ja, nachher sind sie eben käuflich-alle!

Wer war Ninetta?

Niemand wußte um ihr Herkommen.

Sie war ein armes, einsames, elternloses Kind, von fremder, rauher Hand aufs strengste erzogen.

Ihr Pflegevater war Kunstreiter, ein jähzorniger, roher Mensch, dem die bescheidene, stille Menschen­knospe gar oft ein Aergernis war.

Früh schon zeigte sich Ninettas eigenartige Be­gabung; so wurde sie denn bald aufs Pferd gesetzt. Ihr Pflegevater war ihr Lehrer, teils aus Sparsam­keit, teils auch, weil er niemanden den Ruhm gönnte, sie herangebildet zu haben.

Daß er dabei oft unerhört grausam mit ihr ver­fuhr, wurde er gar nicht gewahr. Er war eine kerngesunde, robuste Natur, die kein Schwächegefühl, keine Ermattung kannte. So kam es, daß er Ninetta bei den Uebungen immer noch weiter und weiter hetzte, obgleich sie vor übergroßer Erschöpfung schon nahe daran war, zusammenzubrechen. Das arme Kind mußte vorwärts, lernen lernen, er wollte Kapital aus ihr schlagen, je eher, je lieber!

Und Ninetta, das schwächliche, hilsiose Geschöpf, war eine willenlose Sklavin in seiner Hand, nur in einem nicht, in ihrer Kunst! Da überflügelte sie ihn gar bald. Und es war ihre eigene Idee, ihr eigenster, hartnäckiger Wille -- ihr Ziel, dem alle

Uinetta.

Skizze von G. Wahl.

- (Nachdruck verboten.)

In der Reitbahn herrschte reges Leben ein Lachen, Schwatzen, Drängen und Schieben.

Menschen mit geschminkten Gesichtern, in wunder­lichen Kostümen wie das große Ausstattungsstück es gerade verlangte standen in Gruppen beisammen, zwischen ihnen Herren in Uniform oder Frack.

Und diese ganze große Menschenmenge war ani­miert und aufs höchste interessiert.

Die Probe war beendet und glänzend aus­gefallen ; man war überrascht, gefesselt und hingerissen worden. Und alle hatten sie etwas Neues, Unge­wöhnliches erlebt. Man sah's an den Gesichtern, in denen lebhafte Teilnahme, fiebernde Unruhe, neu­gieriges Forschen lag.

Und all diese Neugier, dies Helle Wundern, es galt einer einzigen, einer Neuen, Fremden, bisher gänzlich Ungenannten. Aller staunendes Entzücken gipfelte in-Ninetta!

Einer der Vergnügtesten war der Direktor, ein großer, hagerer Mann mit glattrasiertem, verlebtem Gesicht, der gar wohl zu rechnen und zu berechnen verstand; er rieb sich die Hände, und seine lüsternen Aeuglein funkelten. Sah er doch schon im Geiste Berge von Gold vor sich erstehen, die ihm diese neueste Kunstjüngerin einbringen würde.

Er hatte einen famosen Griff getan, als er Ninetta engagierte. Ihre Leistungen werden Erfolg

haben phänomenalen Erfolg! Er konnte sich ! gratulieren, denn er hatte eine Zugkraft allerersten ^ Ranges erhascht, und es waren ihm ausverkaufte Häuser während der ganzen Saison sicher.

Er sah sich nach der jungen Künstlerin um.

Dort stand sie gegen einen Stuhl gelehnt ein kleines, zierliches, äußerst zart gebautes Figür- chen mit einem stillen, blassen Gesicht, in dem nichts zu leben schien, als ein Paar große, dunkle, schwer­mütige Augen.

Der Direktor lächelte, als seine Blicke über diese unscheinbare Gestalt hinschweiften, die völlig teil- nahmlos in einem Kreise junger Kavaliere stand.

Eine wundervolle Errungenschaft für ihn!

Gerade dieses apathische Wesen außerhalb der Manege, diese steinerne Ruhe, wie die reizte ganz besonders reizte, ja, rasend machen konnte, wenn man Ninetta zuvor bei ihren Vorführungen auf un- gesatteltem Pferde gesehen. Wie sie da Leben zeigte! Wie sie da sprühte! Da sah man, daß sie lachen und weinen konnte, daß Leidenschaften in ihr wohnten, Gluten in ihr schlummerten, die den Himmel auf Erden zu schaffen vermochten, die Höllen­qualen erleiden lassen konnten.

Freilich sein Geschmack war sie nicht -noch nicht.

Er liebte sie nicht, diese spröde Prüdde. Mochten andere sich an dieser Tugendmauer die Köpfe ein­rennen.

Er wußte es ja so genau, das sperrte und zierte sich, bis so ein junger, dummer Laffe dahergelaufen