Zweites

Blatt.

Der Enztäler. s

53.

Reuen bürg, Freitag -en 3. April 1914.

72. Jahrgang.

' RunSsehau.

700 Flieger zählt Deutschland zurzeit, soviel Flugführerzeugnisse sind nämlich bisher aus­gestellt worden. Bemerkenswert ist dabei, daß fast die Hälfte dieser Zeugnisse allein im vorigen Jahre ausgestellt worden ist, die deutsche Aviatik hat also einen riesigen Aufschwung genommen.

Wiesbaden, 1. April. Die hiesige Straf­kammer verurteilte nach mehrstündiger Verhandlung den bisherigen Geschäftsführer Dr. Nikolaus Geissen- berger aus Griesheim zu zwei Jahren Gefäng­nis. Geissenberger hatte als Geschäftsführer der gemeinnützigen Baugesellschaft der Chemischen Fabrik Elektron Griesheim in den letzten vier Jahren etwa 450 000 Mark unterschlagen und dies durch Urkundenfälschungen zu verdecken gesucht.

Bad Oeynhausen, 31. März. Der Inhaber der Spar- und Leihbank Oeynhausen, des ältesten, seit 34 Jahren am Platze bestehenden Bank­instituts, Bankier Emil Scheefer, hat sich in einem Hotel zu Hildesheim in seinem Zimmer erhängt. Die Bank wurde geschlossen. Hunderte von Gläubigern und Depoiivhabern stehen weinend vor dem Geschäfislokal umher. Gerüchtweise ver­lautet, daß Scheefer, der sehr bescheiden lebte und das größte Vertrauen genoß, sich kürzlich mit einem Arzt in Hildesheim in Spekulationen eingelassen habe, die fehlgeschlagen sind.

In Obergünzburg wurde am Sonntag früh der 74 Jahre alte Privatier Möst in seiner Wohnung von seiner Nichte erschlagen. Die beiden hatten einen Streit miteinander, in dessen Verlauf das Mädchen eine Axt herbeiholte und dem Onkel damit den Schädel einschlug. Sie legte darauf die Leiche auf das Sofa und erst am Montag machte sie Anzeige bei der Behörde, daß ihr Onkel gestorben sei. Die Mörderin wurde verhaftet, sie wird als geistig nicht normal bezeichnet.

Wie ein Privattelegramm aus Albertville meldet, hat eine Schneelawine große Ver­wüstungen angerichtet. Sieben Gasthöfe wurden vollständig zerstört. Auch die Forsten wurden stark mitgenommen. Mehrere Menschenleben sind der Lawine zum Opfer gefallen.

Ein deutsches Sängerfest wird der Große Pazifische Sängerbund zum ersten Male Ende Juli 1915 in Los Angeles veranstalten. Es soll eines der bedeutsamsten Ereignisse im deutsch-ame­rikanischen Gesangsleben werden.

Jubiläum des Eiffelturms. Am 2. April sind 25 Jahre vergangen, daß auf dem Eiffelturm zum Zeichen seiner Vollendung die französische Trikolore in die Höhe ging. Bei der Festfeier ging es hoch her: Man trank Champagner, hielt Reden, feuerte Kanonenschüsse ab und schickte sich dann an, das Bauwerk zu besichtigen. Ja. wie ein Zeitungs­bericht damals mit Genugtuung feststellte, hatte etwa ein Dutzend der Festteilnehmer sogar den Mut, bis zur dritten Plattform emporzusteigen. Der von dem Ingenieur Eiffel konstruierte Turm stand bald im Mittelpunkt der öffentlichen Meinung. Man klagte, daß er das Stadtbild verschandle, man fand ihn vom ästhetischen Standpunkt geradezu scheußlich und zweifelte überdies, daß er jemals fertig werden würde. Darin hatte man sich allerdings gewaltig getäuscht, denn schon 4 Wochen vor der Eröffnung der Welt­ausstellung von 1889 war der Turm freigelegt, dem Besuch zugänglich, und auf seiner Spitze flatterte stolz eine neue Fahne. Der Eiffelturm wurde, wie nicht anders zu erwarten, derClou" der Ausstellung. Und als am 16. Mai 1889 Präsident Carnöt mit Ministern und Gefolge das Marsfeld besuchte und der trotz seines massigen Aussehens schlanke und graziöse Turm vor seinen Augen auftauchte, war nur eine Stimme unbeschränkter Bewunderung. Alle Besucher der Ausstellung setzten ihren Stolz darein, den Turm zu besteigen und auf seinem Gipfel die ersten Ansichtskarten zu schreiben, die das Bild des Turmes zeigten. Am 6. November, dem Schlußtage der Ausstellung, erstrahlte er in bengalischer Be­leuchtung und auf seiner 3. Etage nahm man die Stimmen von Madame Hading und von Herrn Melchisüdec, sowie den Kanonenschuß, der das Ende

der großen Weltausstellung verkündete, phonogra- phisch auf. Seither ist der Turm eine Sehens­würdigkeit für alle Besucher der französichen Haupt­stadt geblieben. Nur ist er inzwischen zu einer Station für die drahtlose Telegraphie ausgebaut worden. Von hier aus wird den Schiffen auf hoher See 2 mal täglich die Zeit gemeldet. So hat denn der Eiffelturm, der früher nur als sensationelle Sehenswürdigkeit galt, eine praktische Bedeutung erhalten: er ist 25 Jahre nach seinem Entstehen einer der radiotelegraphischen Mittelpunkte der Welt geworden.

Württemberg.

Neuerungen im Reisegepäckverkehr. Von der ständigen Tarifkommission der deutschen Eisenbahnen sind Neuerungen im Reisegepäckoerkehr, wie sie besonders von den Geschäftsreisenden ge­wünscht werden, beschlossen worden. Sie gehen dahin, daß, wenn nach einer Station Fahrpreise über mehrere Wege bestehen, das Gepäck auf Antrag auch über einen Weg abzufertigen ist, über den die Fahrkarte nicht gilt. In gleichem Sinne wurde be­stimmt, daß Reisegepäck nach einer über die Be­stimmungsstation der vorgelegten Fahrkarte hinaus­gelegenen Station auch dann angenommen wird, wenn zwar durchgehende Fahrkarten nach dieser Station, aber nicht über den vom Reisenden be­nützten Weg erhältlich sind.

Stuttgart, 30. März. Ein Riesenlichtspiel­haus soll, demBeobachter" zufolge, an der Ecke Marien- und Sophienstraße gegenüber dem Cafe Bristol errichtet werden. Das Theater, zu dem sich mehrere der hiesigen Kinematographenbesitzer zusammen­schließen wollen, soll 1000 Sitzplätze enthalten.

Stuttgart. 1. April. Der praktische Arzt Dr. Josef Botty, der eine sehr weit ausgedehnte Praxis besaß, ist an den Folgen einer Blutvergiftung gestorben.

Stuttgart, 1. April. Heute nacht wenige Minuten nach 1 Uhr wurde bei der Hauptwache Großfeuer aus der Gaucherstraße gemeldet. Etwa 30 Mann der Hauptwache und der Wache II rückten unter der Leitung des Branddirektors Jacoby mit der Aulofeuerspritze aus. Als die Feuerwehr am Brandplatz, Gaucherstraße 3, ankam, stand die Stuttgarter Malzkaffeefabrik von oben bis unten in Hellen Flammen; das Vordergebäude, wie das hinten angebaute Stroh- und Heumagazin rauchten bereits. Nur dem Eingreifen der Aulo­feuerspritze und der raschen zielbewußten Arbeit der Mannschaften ist die Erhaltung dieser beiden Gebäude zu verdanken. Nach anderthalbstündiger Arbeit war die Gefahr beseitigt und um '/»4 Uhr konnten die Mannschaften unter Zurücklassung einer Sicherheits­wache wieder einrücken. Die Malzkaffeefabrik ist vollständig ausgebrannt. Der Schaden beträgt nach den vorläufigen, noch nicht abgeschlossenen Schätzungen etwa 3040000 Mark. Die Ursache des Feuers ist noch nicht aufgeklärt; man vermutet Selbst­entzündung.

Stuttgart, 1. April. (Zur Verhütung von Wald- und Böschungsbränden.) Im Früh­jahr ist erfahrungsgemäß schon bei kurzer Trockenheit mit dem Auftreten von Wald- und Böschungsbränden infolge von Funkenflug oder Aschenauswurf aus Lokomotiven zu rechnen. Die Lokomotivführer sind zur Vorsicht, insbesondere auf Waldstrecken, ange- halten worden. Blaserohr und Funkenfänger sind in tadellosem Zustande zu erhalten. Aschekasten und Rauchkammer rechtzeitig zu leeren.

Stuttgart, 31. März. An der Staatsstraße Gaisburg-Wangen steht ein Kirschbaum in prächtiger und üppiger Blütenpracht.

Heilbronn, 1. April. Vor der Straf­kammer begann heute ein Prozeß gegen sogenannte Bilderreisende, junge, zungengewandte Leute, zumeist von Norddeutschland, die für das Berliner Versandthaus Arkadia Bestellungen auf Photographie- Vergrößerungen suchten und einen Vertrag unter­schreiben ließen, der auch zur Abnahme eines Rahmens verpflichtete. Während das Bild selbst aber sehr billig war (es kostete nur 1.05 Mk.), wurde der Rahmen mit 13.50 Mk. berechnet, was für die

Besteller, die den Bestellschein nur flüchtig oder gar nicht gelesen hatten oder zu lesen bekamen, eine Ueberraschung, für die Reisenden der Profit war. Etwaige Einwendungen oder Weigerungen der Ueber- tölpelten wurden mit dem Hinweis auf die Unter­schrift und mit Drohungen von Prozeß- und Gerichts­kosten bekämpft. So konnten diese Leute monatelang im Unterland und in Nachbargebieten ihr Gewerbe aurüben. Mit welchem Erfolg beweist die Tatsache, daß annähernd 200 der Betroffenen als Zeugen teils persönlich, teils kommissarisch vernommen werden. Die Heilbronner Staatsanwaltschaft hatte es unter­nommen, diese Geschäftsmanipulationen zu unter­binden. indem sie 5 der Reisenden Ende des letzten Jahres in Haft nahm. Sie haben sich jetzt vor der Strafkammer zu verantworten.

Besigheim, 1. April. Ein schweres Ver­brechen ist heute früh kurz nach 6 Uhr in der Poftagentur Freudental verübt worden. Um diese Zeit saß der Postagent Geißel an seinem Arbeitstisch und war damit beschäftigt, die gestern eingegangenen Gelder zu verpacken, um sie nach dem Postamt Besigheim zu verschicken. Plötzlich traten zwei Männer in das Bureau, zeigten einen Brief vor, den sie befördert haben wollten. Der Postagent nahm den Brief nicht an und erklärte den beiden, die Schalter seien noch nicht geöffnet. Plötzlich wurde ein Tuch über seinen Kopf geworfen und unter der Kehle zusammengebunden. Geißel wehrte sich nach Kräften und es gelang ihm auch, seinen Revolver zu ergreifen und die Sicherung zu ent­fernen. Da riß ihm aber einer der Spitzbuben den Revolver aus der Hand, schoß nach Geißel und durchbohrte die Hand des Agenten, der dadurch völlig wehrlos geworden war. Hilfe herbeirufen konnte Geißel nickt, da er durch das Tuch daran gehindert war. Während dieser Szene hatte der andere Spitzbube den offenstehenden Kassenschrank geleert. Der Schrank enthielt 34000 Mk. Die Täter sind unerkannt entkommen.

Freudental, OA. Besigheim. 1. April. Eine ganz unerwartete Wendung hat die Untersuchung des Raubüberfalls in Freudrntal genommen. War es schon auffallend, daß der Ueberfall morgens um 6.15 Uhr stattgefunden haben sollte, zu einer Zeit, wo es doch schon Heller Tag ist und die Leute be­reits an die Arbeit gehen, so war es um so ver­wunderlicher, daß gar niemand die beiden Einbrecher gesehen hatte außer dem übrigens nur leicht durch einen Streifschuß verwundeten Postagenten Geißel. Diese Verdachtsmomente ließen die Vermutung auf- kommen, daß der ganze Ueberfall nur erfunden war, um auf diese Weise das Fehlen eines Betrags von 5000 in der Postkasse zu erklären. Auf Veranlassung des die Untersuchung führenden Staats- anwalts nun wurde Geißel heute abend, trotzdem er auf seinen Angaben beharrte, verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis nach Besigheim verbracht. Geißel war auch Kassier der Darlehenskasse; ob auch hier Unregelmäßigkeiten vorkamen, ist noch nicht festgestellt.

Kornwest heim, 1. April. Die vor kurzem neu erbaute Mühle von Friedrich Brust in der Nähe des Bahnhofs ist gestern abend mit zahlreichen Mehl- und Getreidevorräten niedergebrannt. Der Schaden beträgt etwa 80 000 Mk. Die Entstehungs­ursache ist noch nicht bekannt.

Brackenheim, 1. April. Der Herausgeber desZabernboten", Buchdruckereibesitzer Kohl, ist in Nordhausen so unglücklich vom Rade gestürzt, daß er blutüberströmt und mit schweren Verletzungen nach Hause gebracht werden mußte.

Geislingen a. St., 1. April. Beim Ausheben eines Fundaments zu einem Neubau im benachbarten Kuchen stießen Arbeiter in der Tiefe von etwa einem Meter auf ein vollständiges, noch ziemlich gut er­haltenes menschliches Skelett. Bei weiteren Nach­forschungen wurden noch 2 andere Menschenschädel sichtbar. Schultheiß Schall hat diese Angelegenheit sofort an der zuständigen Stelle in Stuttgart zur Anzeige gebracht. Die weitere Untersuchung ist ein- geleitet. Es wird vermutet, daß es sich hier um eine Grabstätte aus dem 30 jährigen Krieg handelt. Der Mitteilung über Skelettfunde ist nachzutragen.