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^ 28.
Neuenbürg, Mittwoch de» 18. Februar 1914.
72. Jahrgang.
RunSlchau.
Berlin, W. Febr. (Reichstag.) Am Bundesratstisch Staatssekretär Dr. Liseo. Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 15 Min, Auf der Tagesordnung steht die zweite Beratung des Justiertals. Abg. Dr. Cohn-Nordhause« (Soz): Die Ausbeute beim Justizetat nach Erfreulichem iff sehr gering. Die Beratung des Jugendgerichts gesetzes hat sich beim Bundesrat in einer schlechthin unerfreulichen Weise verzögert, ebenso steht es mit unserer Strafprozeßordnung. Eine Reformierung der Polizeigesetzgebung ist notwendig. Eine Aenderung dieser Zustände ist nur möglich bei einer grundlegenden Aenderung der öffentlichen, politischen und wirtschaftlichen Zustände. Abg. Dr. Beizer (Ztr.): Der Krupp-Prozeß hat gezeigt, daß unsere Rechtsprechung auch vor großen angesehenen Firmen nicht zmückschreckt. Das Auftreten des «Ersten Staatsanwalts, der vielfach schwer angegriffen worden ist, findet unsere volle Anerkennung. Die Rechtsprechung läßt bei uns hinsichtlich der Dauer viel zu wünschen übrig. Die Verhältnisse der Rechtsanwaltsgehilsen sollten neu geregelt werden. Wie steht es mit dem Gesetzentwurf über den Zwangsvergleich außerhalb des Konkurses? Es muß darauf gesehen werden, daß die Prozeßkosten des kleinen Mannes nicht vermehrt werden, so daß ibm das Prozessieren nicht unmöglich gemacht wird. Eine Vorlage zur Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild ist möglichst in dieser Session vorzulegen. Die Frage nach den Vorstrafen ist tunlichst einzuschränken. Es gibt kaum noch einen schweren Verbrecher, der nicht als geisteskrank oder unzurechnungsfähig erklärt wird. Diese Art der Rechtsprechung ist «sehr bedenklich. (Sehr richtig? auf allen Seiten.) Tatsächlich gemeingefährliche Geisteskranke sollte man nach einer gewissen Zeit nicht wieder auf die Menschheit loslassen, sondern wie den Lehrer Wagner lebenslänglich in einer Irrenanstalt unterbringen. Besser wäre es allerdings gewesen im Falle Wagner, die ganze Strenge des Gesetzes anzuwenden. Das Volk versteht diese Erledigung nicht. Gerade der Fall Wagner sollte Anlaß zur Revision der Jrrenfürsorge geben. Mißstände müssen rücksichtslos bekämpft werden. Abg. Schiffer (natl.): Gewiß kommen Mißstände vor, aber nirgends sind sie so selten wie bei uns. Auch bei den Sozialdemokraten ist das Vertrauen zur Rechtsprechung noch keineswegs erschüttert. Nach meinen Erfahrungen ist das Streben der Richter nach Unparteilichkeit so groß, daß sie vielfach in den entgegengesetzten Fehler verfallen und den Arbeiter gegenüber dem Arbeitgeber bevorzugen. (Sehr richtig rechts.) Gegen böswillige Schuldner muß der Gläubiger besser geschützt werden. Wir verlangen, daß in gewissen Fällen die Rechtspflege beschleunigt und vereinheitlicht wird. Darauf wird die Weiterberatung auf Dienstag 1 Uhr vertagt. Vorher kurze Anfragen, Abstimmung zum Etat des Reichsamts des Innern. Schluß 7 Uhr.
Berlin, 17. Febr. (Reichstag.) Am Bundes- ratstisch ist Staatssekretär Liseo erschienen. Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 1.05 Uhr. Es wird die beim Etat des Reichsamts des Innern zurückgestellte Abstimmung über den Titel „Olympische Spiele", sowie über die noch unerledigten Resolutionen vorgenommen. Angenommen wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der Polen, der Elsässer, des Dänen und etwa der Hälfte des Zentrums der von der Budgetkommission gestrichene Reichszuschuß zu den Olympischen Spielen in Berlin im Jahr 1916. (Beifall.) Ferner wird eine Resolution der Nationalliberalen auf Erhebungen betreffend den Gesundheitszustand der Arbeiter in der Großeisenindustrie angenommen. Abgelehnt wird ^ eine sozialdemokratische Resolution betr. Erweiterung j des Schutzes der Jugendlichen und der Arbeiterinnen.
Ferner wird abgelehnt eine Resolution der Freisinnigen betr. Grundsätze für die in Reichs- und Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter und Angestellten. Das Ergebnis muß durch Hammelsprung feftgestellt werden, wobei 139 Stimmen dagegen und 127 Stimmen dafür gezählt werden. Drei Resolutionen der Sozialdemokraten betr. Koalitionsrechl. Arbeitszeit für Angestellte und Arbeitsverhältnis im Binnenschiffahrtsgewerbe werden abgelehnt. Eine Kommissionsresolution betreffend die Zentralberatungsstelle für die Verbindungsstellen der Handwerkskammern und Bewilligung von 30000 Mark für diese Beratungsstelle wird angenommen. — Darauf wird die zweite Beratung des Etats für die Reichsjustizverwaltung fortgesetzt. Staatssekretär Dr. Lisco: Ich bitte die von der Kommission gestrichene Stelle eines 6. Reichsanwalts zu bewilligen. Hinsichtlich der Verhältnisse der Rechtsanwaltsgehilfen muß zunächst die Stellungnahme des Anwaltstags abgewartet werden. Auch hinsichtlich der Erhöhungen der Rechtsanwaltsgebühren find statistische Erhebungen abzuwarten. Die Einführung einer neuen Wechselordnung unterliegt der Prüfung im Bundesrat. Ein Gesetzesentwurf über Neuregelung des Zwangsversteigerungswesens hinsichtlich der Verfügung über den Miet- und Pachtzins den Hypothekengläubigern gegenüber steht bevor, ebenso ein Gesetz zum Schutz der Gläubiger. Die Haftpflicht der Eisenbahnen dürfte zum Herbst geregelt werden. Die Verhältnisse im Jrrenwesen werden vom Reichsjustizamt ständig verfolgt. Eine Beschleunigung des Verfahrens bei Zivil- und Strafprozessen ist in gewissem Umfang schon herbeigeführt worden. Um alle Mißftände aus der Welt zu schaffen, bedarf es einer eingreifenden Aenderung des gellenden Rechts. Hinsichtlich der Prozeßoerschleppung läßt sich auch schon an der Hand der jetzigen Zivilprozeßordnung manches bessern. Bei den einzelnen Oberlandesgerichtsbezirken ergeben «sich gewaltige Unterschiede. Auf der einen Seite wird mit außerordentlicher Schnelligkeit gearbeitet, die ein anderer Bezirk vermissen läßt. Am besten arbeitete in dieser Beziehung der Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart und am schlechtesten der von Zweibrücken. Die kleine Strafrechtsnooelle funktioniert gut. Das gleiche wird mit den kleinen Gesetzen, die ich angedeutet habe, der Fall sein. Ich bitte, diese Möglichst schleunig zu verabschieden. (Bravo.)
Karlsruhe, 16. Febr. Prinzessin Wilhelm von Baden ist heute früh kurz vor fünf Uhr verschieden. An ihrem Sterbelager weilten ihre Kinder Prinz Max von Baden und Herzogin Marie von Anhalt. — Prinzessin Wilhelm von Baden war am 17. Oktober 1841 in Petersburg als Tochter des Herzogs Maximilian von Leuchtenberg und der Großfürstin Mane von Rußland zur Welt gekommen. In der Taufe erhielt sie den Vornamen ihrer Mutter, der Lieblingstochter Zar Nikolaus I. Ihre ganze Kindheit und Jugend verlebte Prinzessin Wilhelm von Baden am Zarenhof, an dem die jugendliche Prinzessin, als der erklärte Liebling ihrer Großmutter, der Kaiserin Charlotte, einer Schwester des alten Kaisers Wilhelm, eine ganz besondere Stellung rinnahm, deren kein Geringerer als Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen" Erwähnung tut. Bis zu Bismarcks Tode war die Prinzessin dem Fürsten in aufrichtiger Bewunderung seiner Großtaten zugetan gewesen und noch kurz vor seinem Hinscheiden, als die offizielle Welt den Alten im Sachsenwald mied, erschien dort ihr Sohn Prinz Max von Baden, um Fürst Bismarck die Grüße seiner Mutter und seine eigene Verehrung darzubringen. Im Februar 1863 fand in Petersburg die Vermählung der Prinzessin Marie von Leuchtenberg mit dem jüngeren Bruder des verstorbenen Großherzogs Friedrich, dem Prinzen Wilhelm von Baden statt. Im April 1897 starb der Prinz und seitdem lebte Prinzessin Wilhelm in stiller Zurückgezogenheit, im Frühjahr und Herbst in Baden-
Baden und im Sommer mit Vorliebe im Schlosse zu Salem oder in dem prächtig am See gelegenen Schloß Kirchberg. Ihre reichen Mittel hat die Prinzessin in großem Maße zum Wohltun verwandt. — Am Donnerstag den 19. Februar findet in der Kapelle des Palais des Prinzen Wilhelm in Karlsruhe eine Trauerfeier für die verstorbene Prinzessin statt.
Baden-Baden, 16. Febr. Die verstorbene i Prinzessin Wilhelm weilte besonders gerne in ! Baden-Baden, wo sie alljährlich mehrere Monate zu z verbringen pflegte. Die dortige, auf einer Anhöhe
- stehende «nd durch ihre vergoldete Kuppel weithin ! sichtbare, dem griechisch-katholischen Kult gewidmete ! Kirche, die viele Jahre in ihrem Besitz gestanden ; hatte, schenkte di« Prinzessin dem heiligen Synod in , St. Petersburg, um den in Baden-Baoen weilenden s Russen die Abhaltung des orthodoxen Gottesdienstes
- dauernd zu gewährleisten. In dieser Kapelle wird ! nun die verstorbene Prinzessin am Freitag nachm.
zur letzten Ruhe beigesetzt werden.
° Berlin, 17. Febr. Der Kaiser gedenkt sich ! morgen abend nach Karlsruhe zu begeben, um an ! den Beisetzungsfeierlichkeiten der Prinzessin Wilhelm i von Baden teilzunehmen.
« Berlin, 17. Febr. Der Reichskanzler gab
! gestern ein Diner, an dem auch der Kaiser und die ! Kaiserin teilnahmen. Nach dem Mahl fand ein ^ Bortrag statt, der etwa 2 Stunden in Anspruch ^ nahm. Nachdem der Staatssekretär des Reichs- > kolonialamts Dr. Sols einiges über seine Reise I durch Togo berichtet halte, wobei Lichtbilder gezeigt ! wurden, nahm der Afrikareisende Robert Schumann das Wort zu seinem Vortrag: „Was mir die Wildnis gab und was ich ihr abgenrngen habe." An den interessanten Vortrag schloß sich eine längere zwanglose Debatte, wobei der Kaiser mit Dr. Sols und Robert Schumann sprach.
Berlin. 17. Febr. Reichskanzler v. Bethmann- Hollweg empfing gestern nachmittag den Prinzen Wilhelm zu Wied. Heute vormittag empfing der Reichskanzler den Gesandten in Belgrad. Frhrn. Dr. v. Griesinger. — Der Prinz zu Wied ist heute mittag nach London abgereist. Er wird seinen Rückweg über Paris nehmen.
Berlin, 17. Febr. Nach der Neuen politischen Korrespondenz gilt es als sicher, daß Freiherr von Schorlemer-Lieser Statthalter in Straßburg wird.
Berlin, 17. Febr. Um die letzten Probefahrten des für die Militärverwaltung bestimmten „Z. 7" persönlich zu leiten, traf gestern Graf Zeppelin in Potsdam ein. Gegen Vr4 Uhr bestieg der Graf die Führergondel des „Z. 7", flog in 17 Minuten nach Berlin; hier führte das Luftschiff große Schleifen über der Stadt in der Höhe von 12—1500 Meter aus. Auf der Rückfahrt nach Potsdam bewegte sich das Luftschiff in einer Höhe von 2000 Meter über dem Wannsee.
Die in Berlin geführten deutsch-französischen Verhandlungen über türkische Eisenbahn- und Finanzfragen haben jetzt ein vorläufiges Ab- kommen gezeitigt, welches am Sonntag im Entwürfe im Auswärtigen Amte zu Berlin paraphiert wurde. Einstweilen handelt es sich um eine Abmachung zwischen der Deutschen Bank, welche gleichzeitig die Analolische und die Bagdadbahngesellschaft vertritt, und der Kaiserlich Ottomanischen Bank, die ihrerseits gleichzeitig die Syrische Eisenbahngesellschaft und die allerdings erst noch zu gründende Eisenbahngesellschaft für das Schwarze Meer-Becken vertritt. Voraussetzung für das Inkrafttreten des Abkommens ist die Einigung der beiden Parteien mit der türkischen Regierung über die zurzeit noch schwebenden Fragen.
Das deutsche Auslands-Geschwader, bestehend aus den Linienschiffen „Kaiser" und „König Albert", sowie aus dem Kreuzer „Straßburg", ist am Montag in die Bai von Rio de Janeiro ein-