Ealmer Wo^enülialt.
Dienstag Keiirrge;n Ur. 38. 8. Mar; 1904.
Nachdruck verboten.
Krieg im Frieden.
Roman von Hans Hochfeldt.
(Fortsetzung.)
XIII.
Für Ella von Horgcn bedeutete der heutige Ball den Höhepunkt ihrer Qual und ihres Schmerzes. Sie ahnte, daß heute die Entscheidung fallen und die Verlobung von Hans stattfinden würde. Am liebsten wäre sie allein im Hotel zurückgeblieben, aber sie wußte, daß sie dadurch Margot die ganze Freude gestört hätte, und so hatte sie sich überwunden und war blutenden Herzens mitgefahren. Aber Niemand sollte je etwas von dem Zustande ihres Innern ahnen. Sie hatte ein tapferes Herz und starke Willenskraft, und so gelang es ihr, ihre Umgebung zu täuschen und diese an die Aufrichtigkeit ihres Lächelns glauben zu machen. Nur einer sah den verhaltenen Schmerz in ihren Zügen, aber auch dieser Eine ahnte nicht den wahren Grund desselben, er quälte sich vergeblich, denselben herauszufinden. Trotz und Laune konnten es doch nicht sein, darin kannte Hans seine Lusch zu gut, — also was war es denn? War sie vielleicht körperlich leidend und wollte dies vor den Ihrigen verbergen? Aber dann hätte sie doch nicht so viel, — ja übertrieben viel getanzt und hätte doch nicht über die Fadaisen Falkenhayns und die Komplimente des kleinen Dolder so laut und lustig lachen können! — Und sie war wirklich merkwürdig lustig, — übermäßig lustig! Und dann plötzlich wieder so ernst und still, so schroff abweisend, namentlich wenn Hans hinzutrat! Er hatte sie freundlich und besorgt nach dem Grunds ihres auffallenden Benehmens gefragt. Da hatte sie plötzlich scharf aufgelacht und ihn spöttisch gefragt, ob seine Augen heute trübe wären, sie sei dieselbe wie stets. Und dann hatte sie ihn stehen lasten, den Falkenhayn mit der Miene einer Fürstin herangewinkt und war im wilden Galoppwalzer durch den Saal geflogen. — Hans war vor Aerger das Blut in den Kopf geschaffen. Auch gut! Was ging ihn auch schließlich Ellas Wesen an! Er hatte heute eine andere Aufgabe vor sich, als über ihr Benehmen nachzugrübeln und sich von ihr kränken zu lasten. Mit verdoppelter Liebenswürdigkeit wendete er sich Olga zu. —
Die erste Tanzpause war eingetreten, und die junge Welt verteilte sich in die zahlreichen Nebensalons und den Wintergarten. Auf einen Wink ihrer Tante zog Olga ihren Tänzer nach einem kleinen, hinter dem Wintergarten gelegenen Salon, der nur matt durch eine rote Ampel erleuchtet, durck Arrangements von Topfpflanzen in verschiedene kleine lauschige Schmoll- und Plauderecken geteilt war. Der Salon lag so versteckt, daß Olga hoffen durste, dort mit Hans allein zu sein. Um so unangenehmer war sie überrascht, als sie beim Eintritt bereits Ella von Horgen mit dem Leutnant von Folkenhayn dort sitzen sah! Unwillkürlich trat sie zurück und wollte Hans mit sich ziehen!
„Wir stören hier ein kleines tßte-L-tsts," flüsterte sie eilig Hans zu! „Da wäre eS grausam von uns zu bleiben! Kommen Sie, lasten Sie uns ein anderes Plätzchen suchen!" Sie hätte kein schlechteres Mittel ergreifen können, um Hans zurückzuhalten. Ella im rßis-g.-ltzte mit dem Falkenhayn? Das mußte inhibiert werden! Für solchen Mann war doch Lusch wahrlich zu gut! Wie konnte sie nur zu solcher Geschmacksverirrung kommen! —
Ein wilder Blick flog zu den Beiden hinüber. Er hätte Falkenhayn beim Kragen nehmen und mit Gewalt von der Seite seiner Cousine fortreißen können.
— Und gleichzeitig zog ein schneidendes Wehgefühl durch sein Inneres. — Merkwürdig! — Unterlag er auch plötzlich Stimmungen, oder hatte Lusch ihn auch angesteckt?
Er trat trotz Olga's Widerstreben schnell mit ihr in den Salon und wollte an dem Tisch der Beiden Platz nehmen.
Doch Olga zog ihren Arm aus dem seinigen und ließ sich auf der anderen Seite des Zimmers^.nieder. Das völlige Ignorieren ihrer Wünsche von Seiten Rheinbachs hatte!sie verletzt, und hierzu trat noch der Aerger, daß nun die Erklärung wahrscheinlich wieder hinausgeschoben wurde.
Ihr Stolz führte einen kurzen und heftigen Kampf mit ihrem Ehrgeiz und ihren geheimen Wünschen. Warum sollte sie eigentlich die Provozierende sein? Wenn dem Baron von Rheinbach nicht selbst daran lag, sich ihr „Jawort" zu erringen, — nun, so mochte er es lasten. Sie brauchte nur zu winken, und für ihn traten zehn andere ein, von denen jeder Einzelne sich glücklich geschätzt haben würde, sie zu erobern. — Zum Beispiel der Leutnant von Falkenhayn dort. — Aber allerdings, keiner der Anderen konnte sich mit Rheinbach messen! — Und
— sie hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, Baronin Rheinbach zu werden. Sie warf einen heftigen, unwilligen Blick nach Hans hinüber, der noch an dem anderen Tische stand.
„Nun, Herr von Nheinbach, wollen Sie mich hier allein lasten?" rief sie etwas scharf.
Hans zuckte leicht verlegen zusammen. Er benahm sich doch eigentlich recht
unartig gegen seine zukünftige Brant. Daran war aber nur Ella mit ihrem ungehörigen Kokettieren schuld! — Er trat zögernd zu Olga:
„Aber warum wollen wir uns denn so getrennt niederlaffen?" fragte er. „Das sieht ja aus, als ob wir zwei feindliche Parteien wären?"
„Grämen Sie sich doch nur darum nicht," lachte Olga etwas spitz; „ich sitze hier sehr gut und möchte hier bleiben!"
„Ich auch!" rief Ella über die Schulter fort.
„Nun, dann bin ich vollkommen beruhigt," nickte Hans, der schnell seine Laune wiedergefunden und beschlossen hatte, sich nicht weiter über Ella zu ärgern.
Er nahm neben Olga Platz und begann, sich eifrig mit ihr zu unterhalten, während er aber doch unwillkürlich fortwährend seine Blicke nach dem anderen Paar hinüberschweifen ließ.
Dort machte Falkenhayn seiner Tänzerin Elogen über ihr wunderbares Tanzen.
„Sie sind wie eine Elfe, gnä'S Fräulein! Es war geradezu fabelhaft, — ich fühlte Sie gar nicht im Arme!" Er ergriff ihren Fächer. „Gnä's Fräulein sind etwas echauffiert, darf ich!" Er wehte ihr eifrig Luft zu.
HanS griff hastig nach Olgas Fächer und tat dasselbe! Ella sollte schon merken, daß er sich nicht die Stimmung durch sie rauben ließe.
„Ich frage Sie erst gar nicht um Erlaubnis," lachte er und wehte auS Leibeskräften.
„Langes Bitten scheint überhaupt nicht Ihre Leidenschaft zu sein," meinte Olga, ihn kokett anblickend.
„Im Gegenteil, ich bitte schöne Damen sogar sehr gerne — eS ist ein zu köstliches Gefühl, dann Gewährung zu erhalten!"
„Und Sie scheinen in dieser Beziehung sehr verwöhnt?"
Hans zuckte komisch die Achseln.
„Leider nein! Fragen Sie nur meine Cousine! Nicht wahr, Lusch, Du wenigstens hast es Dir stets zur Regel gemacht, meine Bitten rundweg abzuschlagen!"
„Aeh, — sind gnä's Fräulein wirklich von so harter und grausamer Gemütsart?" fragte Falkenhayn.
„Mein guter Vetter beliebt manchmal zu phantasieren!" entgegnete Ella mit gleichgiltigem Achselzucken.
„Aeh, famoS!" lachte Falkenhayn heiter. — „Sehen Sie, Rheinbach, Sie wissen keine Entgegnung, der Schuß hat also gesessen!"
„Ach, das war jetzt bloß mit Platzpatronen geschossen," lachte dieser. „Ich gebe aber zu, daß meine verehrte Kousine auch das scharfe Schießen versteht, — sie steht sogar gewöhnlich mit Gewehr in Anschlag mir gegenüber."
Olga hatte diesem Wortgeplänkel mit sichtlichem Aerger zugehört. Etwas piquiert sagte diese: „Wenn Sie dies wissen, so würde ich mich doch nicht fortwährend unnötig exponieren und mich in ihrer Rolle mehr Ihrer eigenen Dame zuwenden." — Um die Schärfe ihrer Bemerkung etwas zu verwischen, setzte sie mit kokettem Lachen hinzu: „Ich habe kein Gewehr gegen Sie in Bereitschaft."
„Hans fühlte sich durch Olgas Worte getroffen, — er wendete sich ihr daher schnell zu und sagte mit besonderer Betonung:
„Oh, gnädiges Fräulein, jetzt sprechen Sie nicht die Wahrheft! — Ihre Augen sind sogar sehr gefährliche Schußwaffen, vor denen ich mich sehr schützen muß!"
Olgas Augen leuchteten auf. Endlich — zum ersten Male — hörte sie von ihm eine so direkte Schmeichelei. Leise fragte sie, ihn voll anblickend:
„Fürchten Sie denn dieselben so sehr?"
„Sie sind mir jedenfalls sehr gefährlich!" HanS hatte dies halblaut er» wiedert und ergriff gleichzeitig Olgas rechte Hand, um einen langen Kuß auf dieselbe zu drücken!
Er fühlte dabei plötzlich, daß jetzt der Moment gekommen war, der die entscheidende Frage von seiner Seite bringen mußte! Olga neigte sich gegen ihn vor, ihre Augen senkten sich tief in die seinigen, sie atmete schwer, und leicht seine Hand drückend, flüsterte sie mit einem vibrierendem Ton ihrer Stimme:
„Wirklich, Baron?« -
In diesem Augenblicke stand Ella, deren Augen mit qualvoller Angst nach dem anderen Paare hinübergesehen hatten, deren Seele deutlich fühlte, daß dort jetzt die Entscheidung fiel, mit leichenblassen Lippen hastig auf, den Sessel heftig zurückstoßend.
„Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Herr von Falkenhayn, ich will mir von Margot etwas holen!"
Und ehe der verblüffte Referendar etwas erwidern konnte, war sie auS dem Zimmer geeilt.
Hans war erschreckt zusammengefahren, er ließ die Hand Olgas fallen und blickte erregt Ella nach.
(Fortsetzung folgt.)