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Reuenbürg, Samstag den 4. Zannar M3.

71. Jahrgang.

Run-schau.

Die Neujahrsfeier am Berliner Hof hat sich wiederum innerhalb des gewohnten Rahmens abgespielt. Eingeleitet wurde sie am Morgen des Neujahrstages gegen 8 Uhr durch Choralblasen von der Galerie der Schloßkuppel und großes militärisches Wecken. Die Majestäten nahmen zunächst die Glück wünsche des Königlichen Hauses und der Hofstaaten entgegen, woran sich Festgottes dienst in der Schloß- kopelle anschloß. Hierauf fand im historischen Weißen Saale die große Defiliercour vor dem Kaiserpaare statt; dann folgten die Empfänge der Botschafter, der Mitglieder des preußischen Staatsministeriums sowie der kommandierenden Generäle und der Ad­miräle seitens des Kaisers, der Fürstinnen seitens der Kaiserin, nach. Um 12ffs Uhr ging im Zeug­hause die übliche Paroleausgabe in Gegenwart des Kaisers und seiner sechs Söhne vor sick>; die Parole lautete wie immer zu Neujahr;Königsberg Berlin". Die Vorstellung von GlücksIphigenie auf Tauris" im Königlichen Opernhause, welcher das Kaiserpaar und die in Berlin anwesenden Mitglieder des König!. Hauses beiwohnten, beschloß den festlichen Tag. Von irgendwelchen politischen Aeußerungen des Kaisers gelegentlich des Neujahrsempfangs ist nichts bekannt geworden.

Zum neuen General-Inspekteur der 2. Armee-Inspektion an Stelle des von diesem militärischen Posten zurückgetretenen Erbprinzen Bern­hard von Sachsen-Meiningen ist sicherem Vernehmen nach Herzog Albrecht von Württemberg, kom­mandierender General des 13. (württ.) Armeekorps, in Aussicht genommen.

Berlin. 3. Januar. Die Finanzminister von Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden und Hessen, die zu den morgen beginnenden Beratungen über die Gestaltung eines Besitzsteuergesetzes kierher ge­kommen sind, haben bereits eine Vorbesprechung abgehalten.

Bei der Ersatzwahl im Reichstagswahlkreise Sch wetz ist der bisherige Vertreter des Wahlkreises, Landrat v. Halem (Reichsp.) mit rund 100 Stimmen Mehrheit gegenüber dem polnischen Kandidaten und dem sozialdemokratischen Zählkandidaten wieder­gewählt worden. Der Reichstag batte seinerzeit das Mandat des Abq. v. Halem auf Antrag der Wahl­prüfungskommission für ungültig erklärt.

Berlin, 31. Dez. Der Londoner Botschafter, Fürst Lichnowski, der während der Weihnachtsfeier­tage auf seiner schlesischen Besitzung geweilt hat, ist heute früh auf der Rückreise in Berlin eingetroffen. Er hatte alsbald eine Unterredung mit dem Reichs­kanzler und war Mittags zum Frühstück zum Kaiser geladen.

London, 2. Jan. Die Reunion der Botschafter hat heute nachmittag im Auswärtigen Amt unter dem Vorsitz von Sir Edward Grey ihre Sitzungen wieder ausgenommen.

Paris, 3. Jan. In hiesigen politischen Kreisen ist man heute sehr zuversichtlich über die gegenwärtige Lage gestimmt. Man meint, daß die Verhandlungen noch eine Zeit lang dauern werden, daß aber der Frieden als gesichert anzusehen ist. Der Matin bringt unter der UeberschriftMan verhandelt, aber der Friede ist gesichert", lange Ausführungen über die Fortschritte der Friedensverhandlungen und gibt der Ueberzeugung Ausdruck, daß ein Scheitern der Verhandlungen als ausgeschlossen anzusehen ist.

Rußland hat dem Wiener Kabinett auf diplomatischem Wege nahelegen lassen, die wegen der Kriegsgefahr eingezogenen Reserven des öster­reichisch-ungarischen Heers nunmehr wieder zu ent­lassen; russischerseits soll hierbei erklärt worden sein, eher könne Rußland seine ringezogenen Reservisten nicht nach Haus schicken. Es wäre da aber wohl angebracht, daß Rußland mit dieser friedlichen Maß­nahme voranginge, denn die russischenProbe­

mobilisierungen" haben ja erst die Einberufung der Reservisten in Oesterreich-Ungarn zur Folge gehabt.

Paris, 3. Januar. Das von Rußland an die österreichisch-ungarische Regierung gestellte Ersuchen, beiderseits die Demobilisation vorzunehmen, hat nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Wie mehrere Blätter zu berichten wissen, soll seitens der Wiener Regierung erklärt worden sein, daß man an eine Demobilisation nicht eher herantreten könne, bis die Frage der albanischen Grenzregulierung erledigt sei. Rußland werde daher die augenblicklich zurückgehaltenen Reserven noch weiter unter den Fahnen belassen.

Prag, 2. Jan. Die Rückzahlungen bei den deutschen Sparkassen in Böhmen, die im November infolge der Kriegsfurcht einen größeren Umfang an­genommen hatten, sind im Dezember auf ein geringes Maß zurückgegangen und sind nur noch bei wenigen Instituten erfolgt.

Köln, 3. Jan. Während der Zeit der poli­tischen Spannung hatten mehrere Eisenbahndirektionen Westdeutschlands den Befehl erteilt, die wichtigeren Eisenbahnübergänge, Brücken und Tunnels durch doppelte Wachen in der Nacht zu überwachen. Diese Verfügung ist jetzt zurückgezogen worden.

Karlsruhe, 31. Dezbr. Hier und in Pforz­heim tagten zwei vom Verband der Brauerei- und Mühlenarbeiter einberufene stark besuchte Brauerei­arbeiterversammlungen. die beschlossen, am 1. Januar 1913 den mit den 12 Ringbrauereien, in Karlsruhe (10), Durlach (1), und Pforzheim (3) bestehenden Tarifvertrag auf 1. April 1913 zu kündigen.

Karlsruhe, 1. Jan. Mit dem 1. Jan. 1913 traten in Kraft die Gesetze über die Vereinigung der Gemeinde Dill-Weißenstein mit Pforzheim, Bestenheid mit Werlheim, Sandhofen und Rheinau mit Mannheim, ferner die Gesetze über die Abänder­ung des Landwirtschaflskammer- und Gebäudever- sicherungsgesetzes und die Errichtung einer Kamin- fegerunt erstützun gs kaffe.

Württemberg.

Die Beerdigung des Staatssekretärs v. Kiderle«»Wächter.

Stuttgart, 2. Januar. Nach seiner Ankunft auf dem Hauptbahnhos hatte sich der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg in das Sterbehaus be­geben und im Aufträge des Kaisers und der Kaiserin der Schwester des ff Frhrn. y. Kiderlen- Wächter, Freifrauv.Gemmingen-Guttenberg, unddenMitgliedern der Familie herzlichstes Beileid ausgedrückt. Bald nach 2 Uhr fanden sich die hohen Trauergäste mit dem abermals erscheinenden Reichskanzler an der Spitze im Trauerhause ein. Der Reichskanzler legte im Aufträge der Majestäten ein kostbares Blumenarrangement am Sarge nieder. Der Prälat v. v. Kolb hielt eine kurze Andacht. Darauf wurde der Sarg auf die Straße getragen und im Leichenwagen geborgen. Alsbald setzte sich der Zug von der Friedrichstraße durch die Bahnhosstraße zum Pragfriedhof in Bewegung. Die untere Fried­richstraße und der fernere Weg zum Friedhof waren > von dichten Menschenmassen umlagert, die gekommen > waren, den schwäbischen Landsmann, der im Reichs- ! dienste zu so hoher Stufe emporgeftiegen war und ! dessen Name in Württemberg mit besonderem Stolze ! genannt wurde, zu grüßen. Mit ernstem Schweigen ^ ließ das Publikum den imposanten Zug passieren, ! das Musikkorps des 7. württ. Infanterie-Regiments ^ Kaiser Friedrich, König von Preußen, Nr. 125, in j dem der Verstorbene den Feldzug von 1870/71 i mitgemacht und dem er Jahrzehntelang als Reserve- ! osfizier angehört hatte, spielte auf dem Wege s Trauermärsche. Die Studentenschaft der Stuttgarter - Technischen Hochschule und Vertreter der Tübinger Akademischen VerbindungNormannia", bei der ^ Herr v. Kiderlen in seiner Studentenzeit aktiv war, schritten dem Leichenwagen voraus, der mit kostbaren

Blumengewinden und Palmen und von prächtigen Schleifen mit Widmungen fast bedeckt war. Un­mittelbar hinter dem Leichenwagen, zu dessen Seiten je 4 Unteroffiziere des Infanterie-Regiments 125 schritten, folgte der Reichskanzler v. Bethmann- Hollweg als Vertreter des Kaiserpaares und der Reichsiegierung in Gardedragoneruniform mit Gencralabzeichen, neben ihm ging der Vertreter der Familie, Freiherr v. Palm, es folgten der bayerische Ministerpräsident Freiherr v. Hertling, als Vertreter des Prinzregenten, der sächsische Gesandte Freiherr v. Friesen als Vertreter des Königs von Sachsen, Baron Reck als Vertreter des Großherzogs von Baden, die Vertreter fremder Regierungen, u. a. Botschaftsrat Funakoschi von der japanischen Bot­schaft in Berlin, der italienische Botschafter Pansa, Vertreter der österreichischen, englischen, französischen und spanischen Regierungen, ferner die Statssekretäre Krätke und Dr. Sols, die Beamten des Auswärti­gen Amts mit Unterstaatsskkretär Zimmermann an der Spitze und die Vertreter der Stadt Stuttgart, zahlreiche württembergische Beamte mit den Ministern an der Spitze und viele aktive und Reserveoffiziere sowie eine Abordnung des Stuttgarter Liederkranzes. Den Schluß des Zuges bildeten 4 mit Blumen und Kranzspenden gefüllte Wagen. Am Portal des Pragfriedhofes erwarteten der König mit den Her­zogen Philipp-Albrecht, Robert und Ulrich von - Württemberg, sowie dem Herzog von Urach den s Zug. In der Kapelle fand sodann eine Trauerfeier ! statt, der Oberhofprediger Prälat von Kolb das ! Psalmwort:Herr, du bist unsere Zuflucht für und ^ für" zu Grunde legte. In seiner ergreifenden Rede wies der Geistliche u. a. auch darauf hin, daß es ! nicht zum geringsten Teil das Verdienst des Ver­storbenen gewesen sei, wenn das deutsche Volk das alte Jahr in Frieden habe beschließen können und wenn es habe hoffen dürfen, in das neue Jahr mit der Zuversicht einzutreten, daß es gelingen werde, das Schiff unseres Staates im ruhigen und richtigen Fahrwasser zu erhalten, dann gründete sich diese Hoffnung nicht zum wenigsten auch darauf, daß der Kaiser die Steuerung in die starken Hände eines so erfahrenen und scharfsichtigen Steuermannes gelegt habe, wie es der Verstorbene in hervorragen­dem Maße gewesen ist. Unter den Klängen des LiedesGott ist getreu" wurde der Sarg aus der Kapelle zur Familiengruft der sreiherrlichen Familie von Gemmingen getragen, wo der Geistliche nach kurzem Gebet die Einsegnung vollzog. Der König, die Herzöge, der Reichskanzler und die übrigen Leidtragenden nahmen mit einem Tannenreis Ab­schied von dem Verewigten. Mit einem von der Musikkapelle gespielten ChoralAufersteh'n ja Auferstehn" fand die Trauerfeier um ^3 Uhr ihren Abschluß.

Stuttgart, 2. Jan. Alsbald nach der Be­erdigung begab sich der Reichskanzler von Beth­mann-Hollweg zu Ministerpräsident v. Weiz­säcker und hatte mit diesem eine längere Unter­redung. Um 7 Uhr abends nahm der Reichskanzler auf Einladung der Majestäten an der K. Abend­tafel teil. Ferner hatten Einladungen erhalten Ministerpräsident Dr. v. Weizsäcker, der bayerische Ministerpräsident Frhr. von Hertling. die beiden Staatssekretäre Krätke und Dr. Sols, der italienische Botschafter Pansa, der preußische Gesandte von Below-Rutzau, der bayerische Gesandte und der sächsische Gesandte am hiesigen Hofe und der württembergische Gesandte in Berlin. Freiherr von Varnbühler. Abends um 9.17 Uhr erfolgte die Abreise des Reichskanzlers v. Bethmann-Hollweg in Begleitung des italienischen Botschafters in Berlin. Pansa. Zur Verabschiedung hatten sich Minister­präsident Dr. v. Weizsäcker, der preußische Gesandte v. Below Rutzau, Legationsrat Frhr. von Neurath und andere Herren eingefunden. Die Staatssekretäre Krätke und Dr. Sols, sowie Unterstaatssekretär