liberale Führer Kübel gegenüber dem Zentrum unterlegen ist, mag für die Partei schmerzlich sein. Die Tatsache ist aber keine allzugroße Ueberraschung nach den Vorgängen zwischen Nachwahlen und Landesproporzwahlen, wozu noch eine durchaus unzulängliche Agitation im Südkreis kam. Welch nachhaltigen Erfolg das persönliche Auftreten des Stadtpfarrers Lamparter in zahlreichen Bezirken hatte, zeigt das Wahlergebnis, wonach Lamparter fast 2000 Stimmen mehr aufbrachle als Kübel, trotzdem der letztere von Partei wegen zweimal kumuliert war. Dagegen war dem Reichstagsabgeordneten Keinath — sehr zum Nachteil der Partei — leider nicht die Möglichkeit gegeben worden, seine glänzende Rednergabe und seine hervorragenden Eigenschaften als Politiker und Parlamentarier für die Partei nutzbringend zu verwerten. Gerade dieser letztere Umstand, der, wie wir bestimmt wissen, für zahlreiche Parteiangehörige im Lande gänzlich unverständlich war, ist neben den bereits erwähnten Vorgängen zwischen Nachwahlen und Proporzwahlen eine Erklärung für den Verlust des nationalliberalen Sitzes im Südkceis — hoffentlich aber auch eine Lehre für die Zukunft.
Die Fraktionen in der neuen Zweiten Kammer.
Die mit * bezeichneten Mitglieder gehörten schon bisher dem Landtag an.
Nationalliberale (10): "Baumaun, "Böhm, Commerell, Hasel. Hieber, Keck, "Maier-Blaubeuren, "Mülberger, Schmidt-Besigheim. "Wieland. Bish. Abgeordnete 5. neugewählt 5. Ausgeschieden v. Balz, Bantleon, Häffner, Kübel, Röder, Rösler.
Volkspartei (19): "Augst, *Betz, Bräuchle, *Eisele, Fischer, Dr. Hartenstein, "Gaiser, *o. Gauß, Groß, "Haußmann, *Leibfried, "Liesching, "Löchner, Roth, "Reihling, Scheef, "Schock, "Staudenmayer, "Storz. Bisherige Abgeordnete 13, neugewählt 6. Ausgeschieden: Beurlen, ElsaZ, Felger. Hahn, Henning, Küß. Nägele, v. Payer, Schaffer, Schmiö- Besigheim.
Konservative undBund derLandwirte (20): Berroth, Haag, "Hiller, Karges. Karle, "Körner, v. Kraut, Kreh, "Dr. Nübling, "Pergler v. Perglas, *Rolh, "Schaible, "Schmid-Herrenberg, Seifried, Stiefel, "Ströbel. Stroh. Vogt-Mergent- heim, "Vogt-Weinsberg, "Dr. Wolff. Bisherige Abgeordnete 11. neugewählt 9. Ausgeschieden: Barth, Graf-Heidenheim, Schrempf, Beißwanger (ff).
Zentrum (26): "Andre, Betzler, Bolz. "Braun- ger, "Graf, Groß, "Gröber, "Hanser, "Herbster, *v. Kiene, Köhler, "Locher, "Maier-Rottweil, Mohr, "Neßler, Rembold - Aalen, "Rembold - Gmünd, "Schlichte, "Schmid - NereSheim, Schmidberger, Schweizer, "Sommer, "Dr. Späth, "Speth, "Walter, "Weber. Bisherige Abgeordnete 11, neugewählt 7. Ausgeschieden: Dambacher, Keilbach, Keßler, Krug, Schach, Schick. _
Sozialdemokratie (17): "Dietrich, Engelhardt, "Feuerstein, "Heymann, "Hildenbrand. "Hornung. Hoschka, "Keil, "Kenngott, "Kurz, "Dr. Lindemann, "Mattulat, "Reichel, "Schlegel, Sperka,
Gin deutsches Mädchen.
Roman von Karl Meisner.
31s (Nackidruck verboten.)
„O, gnädige Frau, rief Martha, „man hat mich hier eingeschlossen! Fast eine Stunde schon warte ich in qualvoller Ungewißheit und namenloser Angst?"
„Ja. wovor denn eigentlich," fragte erstaunt die Dame.
„Sie versprachen mir doch, einen Wagen holen zu lassen." sagte Martha schüchtern, da sie sich zu schämen begann wegen ihres Mißtrauens.
„Ter ist auch geholt, wie ich der Magd befahl. Ihnen zu melden."
„Warum hält man mich denn eingeschlossen?"
„Das ist ein bedauerliches Versehen meiner alten Magd. Ich lebe ganz allein in diesem Hause, das genug enthält, die Diebe unseres großen London anzulocken. Deshalb werden alle Türen stets fest verschlossen gehalten, und zwar durch einen geheimen Mechanismus. Aber wie konnte Sie trotzdem eine so einfache Vorsichtsmaßregel erschrecken? Nur muß ich um Verzeihung bitten, daß ich Sie so lang habe warten lassen. Bezeichnen Sie mir jetzt bitte Ihre Wohnung näher, damit ich sofort mit Ihnen hinfahren kann."
„Ich wohne im Hause des Bilderhändlers Walser."
«Ach, bei Walser wohnen Sie? Da muß ich es doppelt bedauern. Sie so lange habe warten zu lassen."
- "Tauscher. Westmeyer. Bisherige Abgeordnete 13, -
! neugewählt 4. Ausgeschieden: Fischer, Kinkel, i
, Wasner. ?
Stuttgart, 21. Dez. Der Württ. Schwarz- ' waldverein hat 26 Mitgliedern für ununterbrochene - 25jährige Zugehörigkeit zum Württ. Schwarzwald- f verein mit dem goldenen Vereinszeichen bedacht, i Ein Mitglied gehört dem Bezirksverein Calw, nicht ^ weniger als 25 gehören dem Bezirksverein Stuttgart . an. Es ist dieses langjährige Festhallen am Vereine ^ ein schönes Zeichen der Liebe zur Heimat und zum f ewig jungen Schwarzwald. j
Göppingen, 23. Dez. Dieser Tage ist hier! der Oberamtsdiener Ludwig Re in hold, 44 Jahre - alt. gestorben, der im Herbst 1889 vor der Villa ! Mariawahl in Ludwigsburg Posten stand, als auf ! l den damaligen Prinzen Wilhelm v. Württemberg, ! unseren jetzigen König, ein Attentat verübt wurde, i Reinhold nahm den Täter fest und wurde für sein ! schneidiges Verhalten durch Ueberreichung einer gol- j denen Uhr belohnt. °
Rotten bürg, 22. Dez. Der erst vor einigen Jahren neu errichtete Backofen des Landssgefäng- l niffes ist gestern explodiert. Ein junger Straf- § gefangener, der seinerzeit bei Nürtingen seinen Neben- , lehrling umbcachte, war an dem Ofen als Bäcker ! beschäftigt. Er erlitt durch die Explosion so schwere ! Verletzungen, daß an seinem Auskommen ge- ! zweifelt wird. i
Maulbronn, 23. Dezbr. Das Automobil des s hiesigen Privatiers Schenk war mit diesem, dem s Stadlschuttheißen Wetzel und dessen Assistenten auf ! dem Wege von Großvillars nach Kniulingen, als ein Reifen platzte und das Fahrzeug sich überschlug. Sämtliche Jnsaßen wurden herausgeschleudert. Der Siadtschultheiß erlitt einen Rippenbruch, Schenk und der Assistent kamen mit leichten Quetschungen davon. Der Wagen wurde fast ganz zertrümmert und wäre beinahe noch explodiert. Der Unfall sah sich am An- fang sehr schlimm an, ist aber verhältnismäßig gut z abgelaufen. i
Schwenningen. 22. Dez. Der 25 Jahre ! alte, ledige Valentin Bürk hat mitten in der Nacht! einen Tobsuchtsanfall erlitten. Er ging auf seinen im Bett liegenden Vater los und versetzte ihm ! mehrere Hiebe mit einem Beil. Auf die Hilferufe ! des Vaters eilte ein Bruder des Wahnsinnigen her- ! bei, wurde aber von diesem mit 3 Revoloerschüssen f empfangen, von denen einer den Oberarm traf. - Darauf richtete Valentin die Waffe auch gegen den ^ Vater und brachte ihm je eine gefährliche Schuß- i wunde im Kopf und im Oberschenkel bei. Die Schüsse zündeten außerdem das Bett an, sodaß ein Zimmerbrand entstand, zu dessen Bewältigung die Weckerlinie alarmiert werden mußte. Inzwischen waren Schutzleute von den Nachbarn herbeigeholt worden, die der Wahnsinnige ebenso wie feinen Bruder mit Revolverschüssen begrüßte, diesmal aber ohne zu treffen. Schließlich jagte er sich selbst zwei Kugeln in den Kopf. Der Vater wurde alsbald ins Krankenhaus geschafft, war aber nicht mehr zu
„Ja, Walser ist mein väterlicher Freund und Beschützer und in seiner Schwester fand ich eine zweite Mutter wieder. Ich werde den guten Leuten durch mein langes Ausbleiben große Sorgen bereitet haben."
„Nun, um so besser ist es, daß ich gleich mit Ihnen fahre. Mein Freund Walser wird sich dann schneller beruhigen."
„So, kennen Sie Herrn Walser persönlich," rief Martha erfreut aus. „Das trifft sich ja gut."
„Ich stehe seit langen Jahren mit Walser in Geschäftsverbindung und darf wohl behaupten, daß er einen guten Kunden an mir hat. Alle Gemälde, die Sie hier an den Wänden sehen, hat er mir geliefert. Erst in letzter Woche kaufte ich ein reizendes Bild von ihm — er ist sehr solide in seinen Preisen — sehen Sie dort, die reizende Landschaft ist es — sie kostete nur fünfundzwanzig Pfund."
Die Dame nahm eine Kerze vom Kamin, trat zur bezeichneten Wand und beleuchtete ein kleines Bild, das in kostbarem Goldrahmen dort hing. Unwillkürlich folgte ihr Martha mit den Blicken. Plötzlich fuhr sie zusammen. Täuschten sie ihre Augen? Langsam trat sie näher.
„Mein Gott, welche Überraschung," flüsterte sie in freudiger Rührung.
„Das ist eine Landschaft aus Deutschland, sagte mir Walfer, aus der Pfalz am Rhein. Sie ist nach der Natur gemalt. Nicht wahr, das Bild ist entzückend? Es muß eine liebliche Gegend dort sein. Walfer versprach mir, noch einige Bilder dieser Art
retten. Der in den Arm geschossene Bruder konnte mit einem Verband emlassen werden. Der Mörder konnte wieder aus der Krankenhausbehandlung ent« lassen und ins Ortsgefäagnis eingelrefert werden. Er hat schon feit längerer Zeit Spuren von geistiger Umnachtung gezeigt und es hat sich doch bitter gerächt. daß man ,yn nicht in eine Heilanstalt ein« lieferte. Das Opfer der grausigen Tat. Bäckermeister Joh. Bürk, wird hier sehr bedauert. Unter der Bevölkerung herrscht über diese Vorgänge und verschiedenes, was damit zusammenhängt, große Aufregung.
Saulgau, 22. Dez. (Kartoffelernte auf Weihnachten.) Daß es Heuer im Spätherbst noch blühende Obstbäume gab, ist bereits als eine Seltenheit in der Gegend benchlel worden. Daß aber jemand kurz vor Weihnachten seine Kartoffeln erntet, ist wohl noch nicht dagewesen. Ein Landwirt in Böllkofen hat das, veranlaßt durch den Mangel an Arbeitskräften, fertig gebracht. Im schönsten Sonnen- schem, der mildem Wetter, erntete er feinen Kartoffelacker ab und brachte eine größtenteils gesunde Frucht nach Haufe.
Tübingen, 21. Dezbr. (Weshalb Professor Nägele nicht mehr gewählt wurde). Der bisherige volkspartetltche Landesproporzabgeordnete Professor Nägele ist bekanntlich diesmal bei der Landesproporzwahl durch einen Parteigenossen verdrängt worden. Es mag dabei schon manches mitgewirkt haben; eine der Ursachen wird aus dem Wahlzelle! eines Reutlinger Landespropoizwählers bekannt, der folgenden Vers der Urne anoertraute:
„Ein Eisenbahnwägele Gönnt uns nicht Nägele.
Er verlangt Neckarbahn Von der wir nichs Han.
Deshalb ist's Reutlinger Pflicht:
Wählt Nägele nicht."
Slus Staöt» Bezirk unS Umgebung.
Neuenbürg, 22. Dez. Die gestrige Bürgeraus fchuß wähl, der der 8 Mitglieder zu wählen waren, fand trotz der sich nun doch bemerkbar machenden Wahlmüdigkeu unter ziemlich lebhafter Beteiligung stall. Von 397 Wahlberechtigten haben 327, also 82,3 °/o, abgestimmt. Wenn fönst bei den letzten Wahlen gleich eine ganze Anzahl von Zetteln ausgegeben wurde, so waren es diesmal nur deren 2. Der eine kam in einer am Mittwoch stattgehabten, von sozialoemokralischer Seile einberusenen öffentlichen Versammlung zustande, während der andere von Vertretern der bürgerlichen Vereinigung ausgegeben war. Aus diesem Zettel standen die Namen von 5 bisherigen Mitgliedern, dazu noch 2 Gewerbetreibende und 1 Arbetteroerlreter, nämlich der der- zeillge Vorstand des Eo. Arbeitervereins. Und dieser Zettel gmg glatt durch; er wurde 115 Mal unverändert abgegeben. Gewählt wurden die bisherigen Bürgerausfchußmiiglieder M. Lutz mit 225 Stimmen, Rad. Hagmayer mit 210, Aug. Bleyer mit 209, Rob. Schneps mit 205, Ehr. Hartmann mit 184; ferner neu Hugo Stengele und Emil Schmidt
zu besorgen, sie sind selten und finden rasch Liebhaber. Aber was ist Ihnen denn, Fräulein? Sie weinen ja schon wieder. Wecken diese Bilder Erinnerungen an Ihre ferne Heimat?"
„Gnädige Frau," sagte Martha schluchzend, „für dieses Bild haben Sie fünfundzwanzig Pfund bezahlt?"
„Ja! Der Preis ist noch gering; in kürzester Zeit werden diese Bilder viel mehr kosten."
„Fünfundzwanzig Pfund für ein Bild, von meiner Hand gemalt! O, mein Gott, ich danke Dir" — wie im Gebet faltete sie ihre kleinen Hände — „der gute Walfer findet also doch seine Rechnung und ich lebe nicht von seinen Wohltaten. Gnädige Frau, diese Nachricht macht mich glücklich, ich danke Ihnen von Herzen dafür. Nun bin ich vollkommen für die Angst entschädigt, die ich törichterweise ausgestanden habe."
Martha erzählte kurz ihr Verhältnis zu Walfer und sprach ihr glückliches Empfinden aus für die vielen Guttaten, die sie empfangen, sich durch ihre Arbeiten dankbar erweisen zu können. So gerührt jede andere Frau über diesen schönen Herzenszug der Künstlerin gewesen wäre — Frau Moogh blieb ihrer teuflischen Rolle unerschütterlich treu.
„Ist es möglich. Sie sind die Künstlerin, der wir diese entzückenden Gemälde verdanken?"
„Ja, ich male sie nach den Skizzen meines seligen Vaters, die er mir hinterlassen."
(Fortsetzung folgt.) )