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in solchen bis zu 50 000 Einw. von 150000 ^ an, in Stuttgart von 200000 an. Geschäfte, welche am gleichen Ort Filialen haben, werden mit diesen zusammen als Ganzes behandelt. Die Steuer besteht in einem Zuschlag zur Gewerbesteuer (mindestens 20, höchstens 50"/°); die genaueren Bestimmungen sind in einer besonderen Steuerordnung festzulegen. — Nach den neuen oder abgeänderten Steuergesetzen hätte nun z. B. ein Gewerbetreibender, der zugleich Grund- und Hausbesitzer und (wenn auch nur ein kleiner) Kapitalist ist, von 1905 an auf mindestens 5 Jahre zu zahlen: Grund-, Gebäude-, Gewerbe- und Kapitalsteuer an den Staat, und zwar zweimal: als Einkommen- und als Ertragssteuer, ferner dieselben Steuern (wenn auch nicht in der gleichen Höhe) wahrscheinlich auch an die Gemeinde, und an diese außerdem Wohn- und vielleicht noch etliche andere (z. B. Bauplatz-) Steuern. — Auf die letzte Frage: ob die neuen Gesetze weniger oder mehr fordern, ist zu antworten, daß eher das zweite als das erste zutreffe (wenigstens für die Steuerzahler, die nicht zu den allergeringsten gehören). Das erhelle schon aus den beiden Hauptgrundsätzen der modernen Steuergesetzgebung, die da lauten: 1. Gerechtigkeit, 2. möglichste Ausnutzung der Steuerkraft! — Aus dem Kreise der Zuhörer sprach Hr. Handelslehrer Kliemann zur Sache. Er knüpfte an die Bestimmungen über das Recht der Steuererklärung und das Beschwerderecht an; da als Unterlagen für die Ausübung beider Rechte die Geschäftsbücher dinen, müsse jeder Geschäftsmann in jenen Bestimmungen eine weitere Nötigung zur Pflege der Buchführung sehen; sie zu erlernen, biete der Gewerbeverein jetzt wieder, auch für Auswärtige, günstige Gelegenheit. — Auf Wunsch ging dann Sekretär Dietrich auf das Submissionswesen ein; er sprach über die neuen beträchtlich verbesserten Bestimmungen für die Vergebung staatlicher Arbeiten und Lieferungen, über die Möglichkeit, die Gemeinden und Amtskörperschaften zur Annahme derselben Bestimmungen zu bewegen und über die Bereitwilligkeit der Handwerkskammer, begründete Beschwerden weiter zu verfolgen. (Ein von der Kammer veranstaltete Sonderdruck der staatlichen Bestimmungen lag vor; er ist bereits in großer Zahl versandt worden und wird auch weiterhin jedem Handwerker auf Verlangen unentgeltlich zugestellt.) — Darauf folgte schließlich ein dritter Vortrag des Kammersekretärs über das Lehrlings- und Prüfungswesen im Handwerk (Lehrvertrag, Dauer der Lehrzeit, Anmeldepflicht, Gesellen- und Meisterprüfungen). Die wichtigsten Bestimmungen würden, mit den nötigen Erläuterungen, einen eigenen Artikel beanspruchen; sie find übrigens schon oft bekannt gegeben und auch in einem besonderen Schriftchen zusammengestellt worden, das von der Kammer im einzelnen für 9 --Z portofrei zu beziehen ist (Absatz seit Herbst 1902 rund 3000 Stück). So ist es jedem Handwerker sehr leicht gemacht, sich selbst zu unterrichten und das etwa Vergessene wieder aufzufrischen. — Hr. Schultheiß Scholl dankte für die mannigfachen Ausführungen von denen er tiefgehende und nachhaltige Wirkungen erwartet. Auch dankte er im
Namen der Unterreichenbacher den Calwer Herren für ihren Besuch. — Der Vereinsvorstand, Hr. Gust. Schlatterer, berichtete über Zwecke und Leistungen des Gewerbevereins und forderte zum Beitritt auf, was erfreulicherweise nicht erfolglos blieb.
Stuttgart, 13. Jan. Nach dem Bericht des Städt. Arbeitsamts Stuttgart hielt der günstige Geschäftsgang auch im Dezember an. Die Zahl der Stellenangebote betrug in der männlichen Abteilung insgesamt 1073 (einschl. der Restanten vom Vormonat) gegen 950 im Dez. 1902 und 550 im Dez. 1901. Die Zahl der Arbeitsuchenden betrug 2314. In Stellung gebracht wurden 859. In der weiblichen Abteilung waren 737 Stellen angemeldet, gegen 617 im Dez. 1902 und 367 im Dez. 1901. Arbeit- und Stellensuchende meldeten sich 554, vermittelt wurden 337 Stellen. Wie alle vorhergehenden Monate schloß also auch der Dezember für das Städt. Arbeitsamt Stuttgart günstig ab.
Stuttgart, 13. Jan. Am 21. Januar tritt die volkswirtschaftliche Kommission der zweiten Kammer zur Beratung von Eisenbahnpetitionen und von Anträgen (Antrag Hang betr. eine Landeskasse für Rentenanlehen auf Gebäude an die Landbevölkerung; Antrag Tauscher betr. die Akkordarbeit bei den Staatswerkstätten u. s. w.) zusammen.
Stuttgart, 13. Jan. (Strafkammer.) Angeklagt zweier im Rückfall verübter schwerer Diebstähle war der oftbcstrafte 27jährige ledige Gipser Christian Friedrich Schräg von hier, welcher vom Schwurgericht Tübingen im vorigen Herbst wegen im Oberamt Calw verübter räuberischer Diebstähle zu 6 Jahren 6 Monaten Zuchthaus verurteilt worden ist. Es waren ihm 2 Einbruchsdiebstähle zur Last gelegt, welche zu Mönsheim OA. Leonberg am 20. Mai v. I. in zwei Bauernhäusern verübt wurden und wobei je 4 und ferner 4 Paar Socken gestohlen wurden. Die 4 Paar Socken wurden bei einer Geliebten des Angeklagten zu Weilderstadt gefunden. Der Angeklagte war erst am 3. April v. I. nach Verbüßung einer 3jährigen Freiheitsstrafe aus dem Zuchthause entlassen worden. Er leugnete die Diebstähle ab und wollte die Socken von einem ihm befreundeten früheren Zuchthausgefangenen um den Preis von 2 Mark in Pforzheim gekauft haben. Von mehreren Zeugen wurde der Angeklagte mit Bestimmtheit als derjenige erkannt, welcher an dem erwähnten Tage sich in verdächtiger Weise zu Mönsheim und auf abgelegenen Fußpfaden außerhalb des Orts umhertrieb und aus einem Revolver mehrmals Schüsse abfeuerte zu dem ersichtlichen Zwecke, andere Leute von der Annäherung an ihn abzuhalten, um unerkannt zu bleiben. Trotz vorliegender dringender Verdachtsgründe fand das Gericht einen hinreichenden Schuldbeweis nicht erbracht und erkannte auf Freisprechung.
Stuttgart, 14. Jan. In Gablenberg spielten gestern nachmittag mehrere Kinder neben einer abgegrabenen Stelle an der Pflasteräckerstraße und rüttelten dabei mehreremal an einem auf der Grenze stehenden Zaun. Hiedurch löste sich ein
Teil der gefrorenen Erdmaffe los uud einige der Kinder wurden teilweise verschüttet. Zwei Mädchen im Alter von 5 und 6 Jahren erlitten Schenkelbrüche und wurde das eine in die elterliche Wohnung, das andere ins Karl-Olga-Krankenhaus verbracht.
Stuttgart, 15. Jan. Gestern Abend 7 Uhr kam ein junger Mann, anscheinend dem Arbeiterstand angehörend, auf dem Leonhardsplatz unter einen Straßenbahnwagen. Das Schutzbrett von den Rädern schob ihn noch glücklicherweise auf die Seite; doch scheint er nicht unbedeutende Verletzungen erlitten zu haben. Ein Schutzmann bemühte sich um den Verunglückten und besorgte seine Heimbeförderung.
Degerloch, 13. Jan. Heute nachmittag fand auf dem hiesigen Friedhofe die Beerdigung des früheren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Agster unter außerordentlich starker Beteiligung seiner Parteigenossen statt. Der Gesangsvortrag eines Stuttgarter Arbeitervereins eröffnet« die Trauerfeier; hierauf gab Herr Wasner, der Vorstand des Landeskomitees, eine Schilderung des arbeitsreichen Lebens Agsters, seiner Verdienste um die Partei, seiner angestrengten Tätigkeit namentlich für das Arbeitersekretariat, einer Tätigkeit, welcher er, wie seinen übrigen Arbeiten, durch sein Nervenleiden allmählich entzogen wurde. Der Redner legte namens des Landeskomitees einen Kranz auf das Grab nieder. Weitere Nachrufe und Kranzspenden widmeten badische Parteigenossen, da Agster den Pforzheimer Wahlkreis im Reichstag vertreten hatte, zahlreiche Parteifreunde aus dem Lande rc.
Weil im Dorf, 13. Jan. Die Verwaltung der Domänen Berkheimerhof und Solimde ist nun auf den Neffen des so früh verstorbenen Herrn Lempp übertragen worden. Die Ernennung des Herrn Schund zum Nachfolger hat in der Gegend allgemein befriedigt. Derselbe ist als tüchtiger Geschäftsmann schon von früher her dadurch bekannt, daß er seinen verstorbenen Onkel in Krankheitsfällen des öfteren geschäftlich vertreten hat. Die Familie Lempp bewirtschaftete den Berkheimerhof über 50 Jahre.
Oberndorf, 14. Jan. Gestern wurde hier auf den Wiesen im Neckartal eine Feuerlös ch p r o b e der Minimax-Apparatbaugesellschaft mit deren Handfeuerlöschapparat Minimax vorgenommen, die zur äußersten Zufriedenheit ausgefallen ist. In wenigen Sekunden wurde das stärkste Feuer vollständig gelöscht.
Ob ertürkh eim, 14. Jan. Im benachbarten Rüdern schoß sich gestern Abend der 19 Jahre alte Hermann Jahn mittelst eines Terzerols in die linke Brust. Glücklicherweise sind die Verletzungen unbedeutend.
Waiblingen, 14. Jan. Gestern Nachmittag fiel beim sogenannten „Eisschemelfahren" der 9jähr. Knabe nam. Maier in das Wasser und ertrank.
Bietigheim, 13. Jan. Den Germania- Linoleum-Werken in Bietigheim, die seit mehreren Jahren regelmäßig Lieferungen für die kaiserliche
Kraft sein Leben sich aufgebaut hat und es mit fester Hand zum Ziele führte — wenn ein Mann wie dieser um ein Mädchen weint?"
Schon lange hatte die Sprecherin aufgehört, diejenige anzusehen, zu der sie redete. Die großen, dunklen Augen hatten starr über das geneigte, blonde Haupt der anderen hinweg geschaut — hinaus auf jenen Streifen blaugrauen Meeres, der zwischen den Baumgruppen am Abhange hindurch schimmerte. Dort, am Horizonte, wo Meer und Himmel sich begegnen, schob sich die große dunkle Wolke immer höher. Sie warf ihren Schatten über die Wasserfläche und verwandelte das leuchtende Tiefblau in dumpfe Bleifarbe. Die Gräfin schwieg. — Nun tönte leises Schluchzen an ihr Ohr — das dunkle, glühende Auge senkte sich auf das Mädchen am Fenster nieder — Käthe hatte das Antlitz in beide Hände vergraben und weinte bitterlich.
„Sehen Sie's nun ein, wie grenzenlos töricht Sie waren? fragte die Gräfin mit einem Anfluge von Rührung. „Und glauben Sie jetzt, daß es ihm
— ernst ist?"
Käthe hob wieder bittend die Hände.
„Oh, sagen Sie nichts mehr, Gräfin!" bat sie unter stärker rinnenden Tränen. „Ich kann nie wieder gut machen, was ich im Trotze verschuldet habe
— ich bin nicht wert, daß er mich so liebt —"
„Darüber erlaube ich mir kein Urteil," sagte die Gräfin kalt. Aber ein ganz leises Lächeln flog doch um ihren strengen Mund dabei. „Was Sie jedoch da von „nicht wieder gut machen können" faseln, ist ganz hirnverbrannter Unsinn,
Sie Kindskopf Sie! Hier — kommen Sie einmal her — hier jst Papier und Schreibzeug auf dem Tische. Schreiben Sie ihm einige Zeilen —"
Käthe, die sich gehorsam erhoben hatte, fuhr angstvoll zurück.
„Ich — ihm schreiben! Wie kann ich —!" rief sie entsetzt.
„Man kann alles, was man will!" sagte die Gräfin energisch. „Wollen Sie ihn und sich noch länger unnütz quälen? Was Sie sich eingebrockt haben, müssen Sie nun auch ausefsen — also hier — die Feder — nehmen Sie!"
„Aber, mein Gott, ich kann doch nicht — was soll ich ihm denn schreiben?" rief Käthe verzweiflungsvoll.
Die Gräfin zuckte ungeduldig die Achseln.
„Ja, wenn Sie das nicht wissen!" sagte sie ärgerlich, „das ist doch äußerst einfach: Sie sähen ein, daß Sie ein unvernünftiger Dickkopf gewesen wären — das täte Ihnen leid — Sie wollten's nicht wieder tun — er möchte Ihnen nicht mehr böse sein usw., usw. Kurz was Sie wollen. Fällt es Ihnen denn so schrecklich schwer, sich ein bischen zu demütigen?"
Käthe hatte sich am Tische niedergelassen und mechanisch die Feder zur Hand genommen. Nachdenklich sah sie in das strenge Antlitz der unerbittlichen Tadlerin.
„Sie haben Recht!" sagte sie endlich entschlossen, mit einem tiefen Atemzuge. Und, glühende Röte im Gesicht, mit klopfendem Herzen, schrieb sie auf die einfache weiße Karte, die die Gräfin ungeniert aus ihrer Schreibmappe gezogen und wortlos vor sie hingelegt hatte: „Verzeihen Sie mir! Käthe."