880
Tübingen, 10. Dez. In einer der letzten Nächte wurde in dem Schuppen des Fabrikanten Wendler hier eingebrochen und von dem ohne Zweifel mit den Lokalitäten vertraut gewesenen Einbrecher zwei elektrische Lampen im Werte von 20 total ruiniert. Derselbe ist, nachdem er eine Scheibe eingedrückt hatte, eingestiegen; ermittelt wurde der Täter bis jetzt noch nicht. Man nimmt an, daß es sich nur um einen Racheakt handelt, da nichts gestohlen wurde, was in dem reichhaltigen Magazin ein leichtes gewesen wäre.
Nürtingen, 9.Dez. Auf wirklich beklagenswerte Weise wurde vergangene Nacht Oberamtstierarzt Mayer seiner Familie entrissen. Bei einer Operation an einer milzbrandkranken Kuh in Neckar- thailfingen zog er sich eine Blutvergiftung zu, der er nach 1'/» Tagen erlag. Der noch nicht 40jährige, geachtete Mann hinterläßt eine Witwe mit 3 kleinen Kindern.
Eßlingen, 9. Dez. Schon seit einiger Zeit werden hier häufig Diebstähle ausgeführt; u. a. wurde gestohlen Gänse, Hühner, Handwägelchen, Uhrketten, Treibriemen u. s. w., und zwar vornehmlich in Häusern außerhalb der Stadt und umliegenden Ortschaften. Nach den Tätern wird eifrig gefahndet.
Oehringen, 9. Dez. Vorgestern Nacht wurde ein Bauer von Brettach, OA. Neckarsulm, auf der Straße Langenbeutingen —Brettach von einem jungen Burschen tätlich angegriffen und unter Drohungen seines Portemonnaies mit 7 Inhalt beraubt. Der Landjägermannschaft von hier ist es nun gestern abend gelungen, den Straßenräuber in Ohrnberg in der Person des 19 Jahre alten Hausierers I. Daut von Neidthardt bei Bruchsal zu ermitteln. Daut wurde gestern abend noch geschlossen in das Kgl. Amtsgericht hierher eingeliesert.
Von der Jagst, 10. Dez. Von einer Zigeunertruppe wurde anfangs dieser Woche einem Bauern im Dorfe B., der vor einer Wirtschaft hielt, sein wertvolles Pferd gestohlen. Alle Nachforschungen, die noch in der Nacht angestellt wurden, blieben resultatlos. In der Nähe eines Wäldchens zwischen Schrozberg und Zell konnten nun gestern die braunen Gesellen ermittelt werden, hatten aber bereits das gesuchte Pferd gegen ein Minderwertiges mit gutem Aufgelds in einem Weiler an der bayer. Grenze vertauscht. Die Täter sind verhaftet.
Ulm, 10. Dez. (Strafkammer.) Der Maurer Konrad Usenbenz von Amstetten stahl am 17. September dem Knecht Reichard der beim Gemeinde- rat Usenbenz in Amstetten bcdtenstet war, aus dem Koffer den Betrag von 38 und gab an, dieses Geld in der Viehstreu gefunden zu haben. Um dies Vorbringen glaubhafter zu machen, brachte er auf zwei Dreimarkstücken Schnitte an, so daß es den Anschein hatte, als sei das Geld von der Futterschneidmaschine beschädigt worden. Dies Vorbringen wurde j doch widerlegt und Usenbenz wegen Diebstahls zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. 15 Tage sind durch die Untersuchungshaft verbüßt.
Beuron, 10. LZez. Auf Schlößle (Ensis- heim) wurde von einem Fürst!. Sigmaringischen Jäger ein Hirsch erlegt im Gewicht von 317 Pfd.
Vom Bodensiee, 10. Dez. Nicht ganz 2 Lm mehr und der Simplontunnel, das größte derartige Unternehmen unserer Zeit, ist durchschlagen. Ende November waren von den 19 730 m Länge 17 755 w durchbohrt, es verbleiben somit nur noch 1975 w. Auf der Nordseite mußten die Arbeiten 216 Stunden unterbrochen werden, da man auf eine heiße Quelle stieß.
München,?. Dez. Eine Strafverhandlung vor dem Landgerichte ergab, daß in einem Dorfe bei Holzkirchen an dem Kopfe eines der Beteiligten sieben steinerne Maßkrüge und mehrere Biergläser mit aller Wucht zerschlagen worden waren, während er selbst festgehalten wurde. Es wurde ihm dabei eine Arterie zerschnitten, und schwere Schädelverletzungen zugefügt. Und der Mann konnte 14 Tage nach der Rauferei als geheilt aus dem Krankenhause entlassen werden. Das nennt man einen Schädel.
Bayreuth, 9. Dez. Der Lehrer und Kantor Hohenberger in Mittelbach erschoß sich gestern während der Schul-Inspektor seine Schulklasse inspizierte. Die Ursache des Selbstmordes ist noch unbekannt.
Berlin, 9. Dez. Im Reichstage haben die Nationalliberalen weitere Initiativanträge eingebracht. Ein Antrag verlangt die Vorlegung eines Gesetzentwurfes zur Errichtung eines Arbeitsamtes. Ein anderer Antrag fordert, die Regierung solle das Gesetz betreffend die Gründung und Verwaltung des Reichs-Jnvalidenfonds einer Revision unterziehen. Außerdem soll sie baldigst dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorlegen, nach welchem die für die Gewährung von Beihilfen an die Kriegsteilnehmer erforderlichen Beträge auS allgemeinen Reichsmitteln entnommen werden.
Berlin, 9. Dez. Deutscher Reichstag. Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung des Etats. Am Bundcsratstische sind Graf Bülow, von Stengel, von Tiipitz, Graf Posadowsky, von Einem, von Rheinbaben und Möller. Das Wort nimmt alsbald und zwar von der Rednertribüne aus Schatzsekretär v. Stengel. Er bedauert lebhaft, mit einem Etat zu debütieren, der keinen freundlichen Einblick biete. Redner wirft zunächst einen Blick auf die Ergebnisse des Reichshaushalls 1902 dabei konstatierend, daß dessen ungünstige Ergebnisse weniger verschuldet worden seien durch Mehrausgaben als durch das Zurückbleiben der Einnahmen hinter dem Voranschläge so besonders bei der Zuckersteuer. Im Gegensatz dazu hätten die Ueberweisungsstellen den Voranschlag überschritten. Was das laufende Jahr 1903 anbelangt, so schätze er mit allem Vorbehalt den Fehlbetrag für dieses Jahr auf etwas über 20 Millionen Gegen 1902 sei das zwar ein etwas besseres Ergebnis, immerhin aber sei ein solcher Fehlbetrag noch groß genug. Auch in diesem Jahre seien es namentlich
wieder die großen Ausfälle, bei der Zuckersteuer allein über 14 Millionen welche den Fehlbetrag verschulden. Die Zunahme des Verbrauches von Zucker sei jedenfalls stark überschätzt worden. Dagegen rechne man bet den Zöllen auf ein Mehr von 34 Millionen. Die laufenden Ausgaben könnten aber nicht bestritten werden ohne einen angeblichen Betrag durch Ueberweisungen ungedeckter Matrikular- beiträge und ohne eine namhafte Anleihe. Ein Mehr an ungedeckten Matrikularbeiträgen über den Betrag des laufenden Jahres hinaus könne den Einzelstaaten nicht zugemutet werden ohne deren finanzielle Leistungsfähigkeit in Frage zu stellen. Der Schatzsekretär legt dann dar, wie ungünstig namentlich die Verhältnisse des JnvilidenfondS bereits geworden seien. Eine im Laufe dieses Sommers aufgemachte Rechnung habe ergeben, daß der Bestand des Fonds bereits um 312'/» Millionen hinter den zur Deckung seiner Ausgaben erforderlichen Betrags zurückbleibe. Deßhalb müßten fortan die 11'/- Millionen ^ Erfordernisse für Veteranen auf laufende Einnahmen übernommen werden. Die Zölle könnten um 12 Millionen höher veranschlagt werden, doch werde dieses Mehr an Ueberweisungen durch den höheren Ansatz an Matrikularbeiträgen ausgeglichen. Bei der Zuckersteuer habe der Voranschlag um 6 bis 7 Millionen herabgesetzt werden müssen. Abgesehen von der Deckung von 59'/- Millionen laufenden Ausgaben durch Anleihe sei es unmöglich, auch den Fehlbetrag des Jahres 1902 in Höhe auf 30'/- Millionen -/A. auf Anleihe zu verweisen. Endlich geht der Schatzsekretär ein auf die Finanzreform-Vorlage. Eine ausgiebige Reform müsse eine Sorge der Zukunft bleiben. Die Vorlage solle nur ein erster Schritt sein. Die Matrikularbeiträge seien eine mangelhafte Versuchs- Einrichtung und sollten auch nach der ursprünglichen Auffassung nur als Notbehelf dienen, nur in Ausnahmsfällen herangezogen werden. Der Schwerpunkt der Vorlage liege in der Einschränkung der Fran- kenstein'schen Klausel und sodann in der Aenderung des Artikels 70 der Verfassung. Die Vorlage wolle gar nicht die Frankenstein'sche Klausel beseitigen, sondern nur einschränken. Wenn die Regierungen sie Vorschlägen wollten unter Wahrnehmung der Rechte des Reichstages, so sehe er nicht ein, weshalb der Reichstag da nicht zustimmen sollte. Er glaube, es gebe keine bessere Lösung als diese. Weiter empfiehlt der Redner den Gedanken, die Fehlbeträge künftig aus Anleihen zu decken und andererseits jährliche Ueberschüsse nicht mehr dem zweitfolgenden Jahre als laufende Einnahmen einzustellen, sondern zur Schuldendeckung zu verwenden. Man werde die Matrikularbeiträge in ihrer rohen Form fortbcstehen lassen, sie aber nach Möglichkeit künftighin nur noch in Ausnahmefällen anwenden. Gelinge es, eine Verständigung zu erreichen, so werde man damit, davon sei er überzeugt, zu einem Werke gelangen, das dem Reiche und seinen Gliedern dauernden Segen schaffe. (Bravo rechts). Abg. Schädler (Zentrum) streift kurz die auswärtige Politik. Die Verhältnisse seien gegenwärtig
Schuldschein, und wenn sie's den letzten Heller gekostet hätte — sie haben das nicht getan, und gleich ihnen leugne ich die nie erwiesene Schuld!"
Er verbeugte sich kurz und wandte sich zum Gehen. Die Gräfin sah ihm mit sprühenden Augen und zuckenden Lippen nach.
„Also Krieg!" sagte sie halblaut, während sie ihre Füchse erneut zu raschem Laufe antrieb. »Nun, wenn Sie's so haben wollen, Herr Klaus Behrendt — mir soll's recht sein!"
»Dieser Herr hat etwas furchtbar Bestimmtes iu seinem Wesen!" bemerkte der Inspektor Bärlacke nach einer kleinen Pause schüchtern. Er stieß leicht mit der Zunge an, wenn er sprach und pflegte ängstlich an seinem rötlichen Vollbart zu zausen, sobald er ins Gespräch gezogen wurde.
»Es ist ein grenzenloser Dickschädel, gerade wie sein Onkel gewesen ist!" rief die Gräfin erbittert. »Aber er soll nicht denken, daß ich mich einschüchtern lasse. Pah! Als ob mir an den paar Tausend Talern mit Zins und ZinseS- zins gelegen wäre! Mein Recht will ich haben, weiter nichts — und das will ich haben!"
»Aber ich glaube — ich fürchte — Herr Behrendt — er wird sich auch nicht zurückschrecken lassen — mit dem ist nicht — nicht gut Kirschen essen!" meinte der Inspektor bedenklich. Die Furcht vor dem drohenden Konflikte riß ihn aus seiner ängstlichen Zurückhaltung der Herrin gegenüber.
»Bärlacke, Sie find ein Jammerkerl!" sagte die Gräfin ärgerlich. »Sie kröchen wahrscheinlich am liebsten vor Angst gleich in ein Mauseloch, weil sich dieser junge Herr Maler da erlaubt hat, uns ein paar herausfordernde Redensarten an den Kopf zu werfen! Bekümmern Sie sich gefälligst um Ihren Kram
und überlassen Sie mir das Uedrige — es ist ein Glück, daß ich Rechtsanwalt Murrbach schon vor ein paar Tagen aufgefordet habe, hierher zu kommen!"
Bärlacke seufzte, aber er wagte keine Einwendung mehr. Die Gräfin saß sehr gerade und aufrecht da, wie das ihre Gewohnheit war. Sie hatte die volle Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt und ihre dunklen Augen sahen finster unter den ungewöhnlich dichten, buschigen Brauen hervor, deren breiter, schwarzer Bogen dem scharfgeschnittcnen Antlitz etwas zugleich Düsteres und Fesselndes verlieh. Nun bog der Wagen in einen Seitenweg ein, erreichte in scharfer Kurve das gewölbte Tor eines langgestreckten Gutsgebäudes und raffelte geräuschvoll durch die gepflasterte Durchfahrt in den Wirtschaftshof.
Das kleine gräfliche Gut Rammin bildete eigentlich nur ein Vorwerk, die Hauptbesitzungen lagen in anderen Teilen der Insel. Die Gräfin hatte aber von jeher eine besondere Vorliebe gerade für dies Gut gehabt, obgleich die anderen Besitzungen größere und schönere Herrenhäuser aufzuweisen hatten. Sie liebt« die Jagd leidenschaftlich und das Gebiet war besonders ergiebiges Gelände — das Wild wechselte mit Vorliebe aus den herrlichen Stubbenitzwäldern in ihre Markung herüber und manch stolzes Geweih in den niedrigen, schmucklosen Wohnlärmen des Ramminer Herrenhauses zeugte von dem Waldglück und der Treffsicherheit der kühnen Jägerin.
Gräfin Lisa Ritland war das einzige Kind ihrer Eltern und hatte die Mutter schon in zartester Jugend verloren. Ihr Vater hatte sich innig einen Sohn erhofft, und als dieser Wunsch ihm nicht in Erfüllung ging, nahm er sich vor, die Tochter und Erbin wenigstens wie einen Knaben zu erziehen und so dem Schicksale gewissermaßen ein Schnippchen zu schlagen: Er nahm das halbwüchsige