durch die Konservativen, war der Regierung uner­träglich geworden, sie appellierte an das Volk. Die Schläge, die dem Zentrum auch zugedacht waren, erhielt die Sozialdemokratie fast allein. Mit Hilfe der Sozialdemokratie gelang es dem Zentrum, fast ganz seinen alten Besitzstand zu erhallen, während die Sozialdemokratie die Hälfte verlor; sie war diesmal von der großen Partei der Nichtwähler ge­schlagen worden. Nun kam die Blockzeit, die Zeit derBülow'schen Paarung". Sie war ein Versuch, das Zentrum auszuschalten. Bülow war es gelungen, die Widerstände in der konservativen Partei zu über­winden zu einem Zusammenarbeiten mit den Liberalen. Die Volkspartei gab sich schweren Herzens zu diesem Experiment her, aber es ist nicht ihre Schuld, daß das Zusammenarbeiten in die Brüche ging. Das Vereinsgesetz, das trotz mancher Mängel im allge­meinen liberal ausgefallen ist, ist die beste Frucht dieserBülow'schen Paarung". Was ist nicht schon von dem Zentrum und der Sozialdemokratie über dieses Vereinsgesetz geschimpft und gespottet worden I Dabei befindet sich aber gerade die Sozialdemokratie bei diesem Gesetz sehr wohl, erst auf Grund dieses kann sie ihre Agitation ungehindert entfalten; sie ist auch jetzt damit wohl zufrieden. Aber nun kam der Stein des Anstoßes, die Reichsfinanzreform, an dem der Block in Stücke ging. Hr. Schweickhardt konnte über diese 6monatlichen Kämpfe eingehend referieren, da er selbst Mitglied der Etatskommission war und sich die höchste Mühe gegeben hat, etwas Brauchbares zustande zu bringen. Die Volkspartei war bereit, die notwendigen Steuern zu bewilligen; sie stellte sich nicht auf den bequemen Standpunkt der Sozialdemokratie, die sagte: die, welche die Schulden gemacht haben und das Finanzelend des deutschen Reiches verschuldet haben, sollen die Steuern allein machen. Es macht sich nachher sehr schön, wenn man dann vor seine Wähler hinstehen kann und sagen, ich habe keinen Pfennig Steuern bewil­ligt. Aber die Steuern kommen doch, denn es gab keinen Ausweg. Also die Volkspartei unterzog sich der undankbaren Aufgabe, mit anderen Parteien, dem Reiche neue Steuerquellen zu erschließen. Ohne Kompromisse konnte es nicht abgehen, wenn Volks­partei mit Konservativen zusammenarbeiten müssen. Doch mit beiderseitigem gutem Willen kam man über manche Klippen hinweg. Die Konservativen waren sogar bereit, auf 45 Millionen Mark Branntwein- liebesgaben nach und nach zu verzichten. Die Liebes­gabe, die fast ganz in ihre Taschen fließt, sollte zu­nächst von 20 ^ pro bl auf 15 und nach 10 Jahren auf 10 pro bl herabgesetzt werden. Damit wären dem deutschen Reiche viele Millionen gewonnen worden. So kam die Tabaksteuer, Bier­steuer und Branntweinsteuer wenigstens in der Kom­mission unter Dach. Es schien, ob Bülow dieses große Werk gelingen würde. Bisher war das Zen­trum auf der Seite gestanden und hatte mit der Sozialdemokratie gegen alles gestimmt, war aber in der Minderheit geblieben, den Blockparteien war es diesmal ernst, etwas Brauchbares zum Wohl des Vaterlandes zu leisten. Aber nun änderte sich auf einmal das Bild. Nun kam die Nachlaßsteuer, die einzige direkte Steuer auf den Besitz, die aber von den 500 Millionen Steuern nur 50 Millionen Mark ergeben hätte. Man hoffte trotz Widerstands der Konservativen auch dieses Gesetz durchzubringen. Aber nun erkannte das Zentrum die Gefahr. Wäre die Reichsfinanzresorm ohne Zentrum gemacht wor­den, so wäre es auf lange Zeit kalt gestellt gewesen. Es benutzte, klug und schlau, wie es ist, die Schwie­rigkeiten, um die Konservativen zu gewinnen und in seine alte Stellung einzurücken. Das Zentrum machte nun mit den Konservativen die Finanzreform. Die Konservativen durften die Branntweinliebesgaben be­halten; sie zogen ihren eigenen Antrag auf Herab­setzung derselben zurück. Die Erbschaftssteuer fiel gegen Zentrum, Konservative und Polen. Diese war für die Konservativen schwer annehmbar, da sonst ihre Steuermogeleien aufgedeckt worden wären. Es gibt eine Menge von Material und Beweisen, die sogar von der preußischen Regierung stammen, die die geheimsten Gründe der Ablehnung, die gefürchtete Aufdeckung der Steuerhinterziehungen, klarstellen. Die Konservativen ließen sich vom Zentrum kaufen. So wurde das deutsche Volk um seine Hoffnungen, die in der Blockreichstagswahl die Stimmung er­zeugten, daß auch wieder der Nichtwähler zur Wahl­urne ging, betrogen. Wie tief die Mißstimmung gehr, zeigen alle Nachwahlen zum Reichstag; alle führten zu einem glatten Sieg der Sozialdemokratie. Ein mündiges Volk läßt sich nicht mehr zum Narren halten. Bedauerlich ist diese Entwicklung, da die Sozialdemokratie mit ihrer unfruchtbaren Politik, die sich in der Kritik, die keine Kunst ist, erschöpft, mit

Phrasen vom Klassenkampf, Eroberung der politi­schen Macht durch das Proletariat um sich wirft, die in ihren eigenen Reihen jede freie selbständige Denkungsweise niederdrückt, was jeder Parteitag zeigt, keine gesunde praktische Politik leisten kann, so lange die radikalen Schreier und halb überge­schnappte Weiber das große Wort in der Partei führen. Es regt sich aber schon in der Sozialdema- kratie dei vernünftige Sinn, und die naturgemäße Entwicklung wird bälder oder später dahin führen, daß die Revisionisten die Führung bekommen. Viel­leicht kommt dann eine deutsche Linke zustande. Bis dahin müssen noch manche politisch umdenken lernen. Nicht die Liebe, die Notwendigkeit führt zusammen. Dann hat der schwarz-blaue Block ein Ende; dann wird das deutsche Bürgertum die Führung haben und nickt mehr, wie bisher, Adel und Kirche. Hr. Schweickhardt gab ein dramatisches Bild der letzten Sitzungen der Etatskommission; er selbst hielt die letzte Rede vor dem Auszug der linken Parteien aus der Kommission. Es wurde von rechts gar nichts gesprochen, bloß noch abgestimmt; die andern konnten reden, so viel sie wollten. In einigen Tagen wur­den für die Erbschaftssteuer, die nur die großen Erbschaften von 20 000 aufwärts betroffen hätte, eine ganze Anzahl neuer Steuern gemacht: Erhöh­ung des Tee- und Kaffeezolls, Talonsteuer, Zünd­holzsteuer, Erhöhung des Effektenstempels, ohne sie zu beraten. Die Regierung warnte und bat und flehte; aber umsonst. Endlich nahm sie das Geld, unbesehen, woher es kam,es riecht nicht". Bülow zog die Konsequenz; er sicherte sich einen guten Abgang, er ging. Was seither geschehen ist, ist bekannt; der neue Kanzler Bethmann-Hollweg ist ganz im Schlepptau von Zentrum und Konservativen. Es sind in diesem Jahr 40 Jahre vergangen seit der Gründung des Reiches. Die älteren wissen noch von den Kämpfen nach der Reichsgründung gegen Papst­tum und katholische Kirche, die das verhaßte prote­stantische deutsche Kaisertum bekämpfte mit allen Waffen. Wir wissen noch etwas von dem großen Kulturkampf. Heute nach 40 Jahren ist Zentrum Trumpf in Deutschland. Konservative und Regier­ung tanzen nach seiner Pfeife. Das ist eine der großen Ironien der Weltgeschichte. Der jetzige Zu­stand ist des deutschen Volkes unwürdig. Diese Er­kenntnis dringt nach und nach allgemein durch. Durch die zwecklose Bekämpfung der liberalen Par- teien unter sich ist es den beiden schwarzen Block­brüdern gelungen, sich diese Position zu erwerben. Das kann und darf nicht so fortgehen. Aus dieser Erkenntnis heraus haben die beiden einander am nächsten stehenden Parteien, Nationalliberale und Volkspartei, sich für die nächste Reichstagswahl ge­einigt. In unserem Bezirk wird Hr. Schweickhardt von beiden Parteien unterstützt. Hoffen wir, daß es den beiden gelingt, gegen den Ansturm von rechts und links sich siegreich zu behaupten. Hr. Schweick­hardt hat durch seine Tätigkeit im Reichstag be­wiesen, daß er der richtige Vertreter unseres Bezirkes ist. Durch seine maßvolle Haltung hat er sich überall Sympathien erworben.

/V Herrenalb, 14. Nov. Der Reichstags- abgeordnete des 7. württ. Wahlkreises referierte am letzten Samstag abend in der Halle der Bahn­hofrestauration über seine Tätigkeit im Reichs­tag. Der Besuch wies zwar manche Lücken auf; aber die Erschienenen folgten mit gespanntem In­teresse den klaren Darlegungen des Redners, der auch über so manche schwebende Fragen der Reichs­politik erschöpfende Auskunft gab. Er begann mit einem Rückblick auf die Lage seit der Auflösung des Reichstags, legte dar, wie der Kampf gegen Zentrum und Sozialdemokratie notwendig sei und behandelte besonders eingehend die leidige Reichsfinanzreform. Wehr-, Tabak-, Branntwein-, Talon- und Börsen­steuer wurden auf Wirkung und Erfolg geprüft; die Erbschaftssteuer sei an dem Widerspruch der Agrarier gescheitert, welche befürchteten, die Einführung dieser Steuer würde ihre Vermögensverhältnisse zu scharf beleuchten. Auch die Frage der Veteranenfürsorge und des Kaligesetzes wurde in wahrhaft liberalem Geiste besprochen. Dankenswert waren die Auf­klärungen des Abgeordneten über seine Tätigkeit in den Kommissionen, für die er durch eine ausgedehnte und tiefgehende Sachkenntnis hervorragend befähigt ist. Der einmütige Beifall bewies, daß die Sache der fortschrittlichen Volkspartei in guten Händen ist.

Neuenbürg, 15. Nov. Der Evang. Jüng­lingsverein wird statt der sonst üblichen Weih­nachtsfeier am nächsten Sonntag im Ankersaal einen Familienabend veranstalten, zu dem alle Freunde des Vereins herzlich eingeladen sind. Stadtvikar Stübler wird an der Hanv von Lichtbildern über

seine Reise durch Aegypten, Palästina, Konstant!- nopel und Griechenland berichten. (Vergl. den Anzeigenteil.)

Neuenbürg, 14. Nov. (Schöffengericht.) Wir berichten im allgemeinen über die Verhandlungen vor dem Schöffengericht nicht, möchten aber im Interesse des besonderen Falles folgende Korrespon­denz desSchwarzw. Boten" wiedergeben:Eine für die Wirte wichtige Entscheidung von prinzipieller Bedeutung traf das Amtsgericht Nagold in der letzten Schöffengerichtssitzung. Die dortige Ortspolizei übte schon lange das von den Betroffenen oft beklagte Verfahren, in Fällen der Polizeistundenübertretung außer den schuldigen Gästen den Wirt auch dann zu bestrafen, wenn er seiner Pflicht Genüge geleistet und abgebolen hatte. Endlich hat nun ein Wirt den Mut gefunden, gegen dieses Verfahren gerichtliche Entscheidung zu beantragen, und das Schöffengericht sprach ihn auch, wie nicht anders zu erwarten war, frei."

ö.-L. Neuenbürg, 11. Nov. (Obstbäume.) Die meisten ertragsfähigen Obstbäume (Apfel-, Birnen-, Kirschen-, Zwetschgen- und Pflaumen-Bäume) weisen in Württemberg nach der soeben erschienenen Gemeindestatistik die Bezirke Kirchheim (308 000), Eßlingen (292000) und Waiblingen (241000) auf. Von den einzelnen Gemeinden haben hingegen die meisten Obstbäume: Groß-Sluttgart 202100. Reut­lingen 179100, Eßlingen 154600 und Kirchheim U.T. 83000. Im Bezirk Neuenbürg wurden 110800 Obstbäume gezählt und zwar wiesen die meisten Bäume auf: Ottenhausen 9800, Feldrennach 8500,. Birkenfeld. Loffenau und Wildbad je 7800; am we­nigsten Bäume wurden gezählt in Schwarzenberg 900.

Neuenbürg. In der Nacht vom 16. zum 17. November erleben wir bekanntlich eine totale Mondfinsternis, die in fast ganz Asien, Europa, Afrika und Amerika gesehen werden kann. Sie beginnt abends 11 Uhr 44 Minuten und endigt 2 Uhr 58 Minuten morgens. Von 12 Uhr 55 Min. bis 1 Uhr 47 Min. ist der Mond total verfinstert. Für den Anblick mit bloßem Auge oder in einem Opernglase wird der Schatten der Erde von links nach rechts in die Mondscheibe eindringen, so daß man den Eindruck erhält, der Schatten überhole in seinem Lauf den Mond. Tatsächlich ist aber das Umgekehrte der Fall: der Erdschatten flieht gewisser­maßen vor dem Mond, letzterer überholt ihn und taucht mehr in ihn ein bis zum völligen Verschwinden. Der Erdschatten ist am Rande nicht scharf begrenzt, sondern verwaschen, bisweilen wie rauchartig. Die Zustände der irdischen Atmosphäre, Heiterkeit oder Trübung in der ganzen Auf- und Untergangszone der Sonne zur Zeit der Mondfinsternis, spiegeln sich in dem Aussehen des Schattens auf dem Mond ab. Solange dieser Schatten nur einen Teil der Mond­scheibe bedeckt, ist er dunkelgrau, während der totalen Finsternis zeigt er dagegen einen rötlichen Schimmer. Am besten beobachtet man eine Mondfinsternis mit einem guten Opernglase. Ist die Totalität vorüber, so sieht man gewöhnlich am Ostrande des Mondes, wo sich sehr hohe Berggipfel befinden, ein blaues Licht und einige Minuten später erst den vollen Sonnenschein.

Tein ach O/A. Calw, 15. Nov. Einige Ita­liener machten nächtlichen Lärm und widersetzten sich dem ruhegebietenden Schutzmann. Dabei zog einer der Burschen unbemerkt den Revolver und schoß nach dem Schutzmann, dem die Kugel an der Brust vorbeiging. Schließlich wurde der Täler mit Hilfe von Zivilpersonen verhaftet.

8 Nagold, 14. Nov. Zur Erinnerung an den 50. Todestag Fr. Silchers gab Hr. Seminarmusik­oberlehrer Schäffer gestern ein Konzert in der kiesigen Turnhalle. Welche Anziehungskraft der Name Silcher ausübt, das bewies der ganz außer­gewöhnlich starke Besuch des Konzerts. Und gewiß ist jedermann befriedigt nach Hause gegangen. 24 Lieder, sämtliche in Melodie oder Satz von Silcher, wurden den aufmerksam lauschenden Hörern in Solo­gesängen, gemischten und Männerchören vorgeführt. Aufs neue zeigte es sich wieder, welchen Schatz wir an unfern schwäbischen Volksliedern haben. Jede Nummer eine Perle, wirkten diese Melodien in ihrer ungekünstelten Einfachheit mächtig auf den Hörer. Diese Wirkung kann nicht ausbleiben, wenn die Silcherle" in die Hände geschulter Sänger gelegt werden. Möchten doch alle Vereine, die über die nötigen Kräfte verfügen, immer wieder auf diese Fundgrube zurückgreifen. Zwischen die einzelnen Liedernummern brachte Instrumentalmusik eine an­genehme Abwechslung, wobei sich die HH. Schäffer (Violine), Sauter - Oberjettingen (Cello) und Roos (Klavier) ihrer Aufgabe in meisterhafter Weise ent­ledigten.