RunSschau.
München, 2. Nov. Die Bayerische Meteorologische Zentralstation hat auf dem Observatorium auf der Zugspitze Versuche angestellt, eine drahtlose Telegraphie einzurichten. Dabei wurden außer den Zeichen anderer Stationen auch Telegramme der Station Norddeich und das für die Seefahrt auf dem Atlantischen Ozean von dort ausgegebene Zeitsignal für 12 Uhr Greenwicher Zeit deutlich und klar empfangen. Die endgültige Aufstellung des Apparats erfolgt erst im nächsten Juni, da die Witterung gegenwärtig ungünstig ist.
Aus Baden, 3. Novbr. Nach dem Vorgang von Württemberg, Elsaß-Lothringen und anderen Ländern ist in Rastatt ein christliches Soldatenheim, das erste in unserem Lande, feierlich eingeweiht worden. Das Offizierskorps hatte eine Abordnung zur kirchlichen und der sich daran anschließenden weltlichen Feier entsandt. Das zweistöckige Haus, das in der Nähe des Bahnhofs gelegen ist, verdankt seine Entstehung der Anregung des oberrheinischen Jünglingsbundes, der auch die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt hat.
Vom Rhein, 2. Nov. Aus Kleinlaufenburg wird gemeldet: Die „Rote Fluh", der als Wahrzeichen der Laufenburger Stromschnelle bekannte, wohl 100 Kubikmeter große Gneisblock, an dem sich Jahrtausende lang die Wogen des jungen Rheins brachen, ist jetzt den Arbeiten für das Wasserkraftwerk zum Opfer gefallen. Vier Tage lang, Tag und Nacht, war an dem Koloß mit Druckluft gebohrt worden. Sieben je 4 Meter tiefe Löcher wurden in das Gestein getrieben. Die Arbeiter mußten angegürtet werden. Die glattgewaschene Oberfläche des Felsblocks wurde, damit ein verhängnisvolles Ausgleiten verhütet werde, mit Sand bestreut. Ganz Laufenburg war auf den Beinen, den Untergang des Laufenburger Wahrzeichens mit anzusehen. Die Entzündung der Sprengmasse in den tiefen Bohrlöchern erfolgte gemeinsam auf elektrischem Wege. In lausend Stücke berstend, stob die gewaltige Felsmasse auseinander in die hoch aufspringenden Wild- Wasser.
Innsbruck, 4. Nov. Im Schnellzug zwischen Waidbruck und Bozen sind einer Dame 30000 Kronen gestohlen worden. Der Dieb ist spurlos verschwunden.
London, 4. Novbr. Dr. Crippen legt im Gefängnis dieselbe Gemütsruhe und Zuversicht an den Tag, wie bei seinem Prozeß. Er genießt seine Mahlzeiten mit Appetit, liest und empfängt Besuche. Er machte sein Testament und setzte Miß Leneve zu seiner Universalerbin ein.
New-Dork, 4. Nov. In Brooklyn gerieten durch ein Großfeuer, das in dem fünfstöckigen Gebäude einer Korkenfabrik ausbrach, 300 Mädchen in Lebensgefahr. Sie flohen in wilder Panik. Viele fielen zu Boden und wurden von den anderen getreten. Zahlreiche erlitten schwere Verletzungen.
Newyork, 3. Nov. Der Streik der Expreßbeamten dauert an und auf den einzelnen Stationen liegen Berge von Warensendungen aller Art aufgestapelt. Gestern begaben sich Geschäftsleute um Bürgermeister von Newyork und baten ihn um eine Vermittlung.
Bei dem Streik der Bergarbeiter in Südwales ist eS erneut zu schweren Ausschreitungen gekommen.
Kriegschronik von 1870171.
8./S. November 1870.
Preußische Husaren fangen drei Pariser Ballons auf.
Abbruch der Verhandlungen zwischen Bismarck und Thiers. — Französische Schiffe erscheinen vor Helgoland.
Havre. Die „Francs" schreibt: „Unter dem furchtbaren Eindrücke der Metzer Katastrophe haben sich beklagenswerte Vorfälle in mehreren Städten Frankreichs ereignet. Anstatt nach einem solchen gräßlichen Schlage zu begreifen, daß die Lage mehr als je die Einigkeit und Eintracht unter uns erheischt, haben Aufreizer die verwerflichsten Leidenschaften im Volke wachzurufen verstanden. In St. Etienne begehrte der Haufen die rote Fahne als Banner der Kommune. Betreffs Lyons zirkulieren hier sehr ernste Nachrichten, möglich, daß sie sich noch nicht bestätigen. Aber die Aufregung der Geister in dieser großen Stadt sollte mehr als je die Aufmerksamkeit der Regierung erwecken, zumal man uns schon vom Auslande her avisiert, Prinz Friedrich Karl gedenke daselbst sein Hauptquartier aufzuschlagen. Betreffs
PerpignanS spricht man hier von Schauerszenen, „MassacreS", deren Opfer ein Oberoffizier und mehrere andere Personen geworden. Möchte doch die Vaterlandsliebe einmütig solche Greuel brandmarken."
Auf der Bahn des Verbrechens.
Detektivroman von Max Arendt-Denart.
IS) -(Nachdruck verboten.)
Die Anklageschrift gegen Baumgart war unleugbar ein Meisterwerk. Eingehend war darin dargelegt, weshalb dem Angeklagten die grauenvolle Tat wohl zuzutrauen war. Er war nicht nur ein Spekulant, sondern auch ein Spieler. Dann wurde das Verhältnis Baumgarts zu dem Ermordeten ausführlich besprochen. Baumgart gab zu. daß Klinger ihn wegen seines Lebenswandels am Abend der Tat Vorwürfe gemacht hatte. Was war natürlicher, als daß Baumgart in Erregung geriet, daß Haß sich seiner bemächtigte. Dazu aber kam die Furcht vor der bevorstehenden Revision. War er nicht gebrandt- markt, auch wenn die Geschworenen ihn nicht des Mordes schuldig sprachen?
Der Zuschauerraum des Schwurgerichtssaales bot das bekannte Bild, wie immer, wenn eine Mordsache zur Verhandlung gelangt. Bei der Verlesung der Anklage zeigte sich der Angeklagte ziemlich ruhig, bei der Vernehmung der Zeugen umspielte ein Lächeln der Geringschätzung seine Lippen.
Nur als sein Kind an die Schranken trat, um seine Aussage zu machen, glitt ein schmerzlicher Zug über sein verhärmtes Gesicht.
Als der Vorsitzende ihn aufforderte, seine Schuld zu bekennen, oder sich mit Beweisen gegen die Anklage zu verteidigen, klang es hart von seinen Lippen: „Ich habe nichts mehr zu erklären."
Der Staatsanwalt faßte sich in seinem Plaidoyer kurz. Seine Rede klang scharf und schneidend, wie ein Fallbeil schnitten die Worte durch die Luft.
Und der Verteidiger, auf den Klara und der Bankdirektor so große Hoffnungen gesetzt hatten?
Er hatte angesichts des Belastungsmaterials einen schweren Stand. Man merkte es seiner Rede wphl an, daß er einer übernommenen Pflicht genügte. Alle Anwesenden fühlten, daß auch sein Verteidiger den Angeklagten aufgegeben hatte, und niemand wunderte sich daher, daß die Geschworenen nach kurzer Beratung das „Schuldig mit Stimmenmehrheit" sprachen. Den Ausführungen des Staatsanwalts folgend, hatten sie die Frage auf Totschlag verneint, dagegen die auf Mord lautende bejaht.
Durch den weiten Saal ging ein befreiendes Aufatmen; dem Rechtsgefühl war Genüge geschehen. Nur Klara schluchzte laut auf und verließ, gestützt auf ihren Onkel, den Saal.
Dem Angeklagten aber hatte der auf den Tod lautende Urteilsspruch seine Fassung wieder gegeben. Mit einer Stimme, die man in diesem durch Leid, Qual und Reue gebrochenen Körper nicht vermutet hätte, schrie er: „Ich bin unschuldig!"
Dann wurde er ins Gefängnis zurückgeführt.
Langsam leerte sich der große Saal. Als einer der letzten betrat Hermann den Korridor. Seine Gedanken weilten nicht bei dem Verurteilten, dessen Schicksal er beklagte, er dachte an das brave Mädchen, das er nun und nimmer vergessen konnte.
AIS er die Freitreppe hinabschritt, sah er den Bankdirektor mit Klara. Schnell ging er auf sie zu; aber daS Mädchen wandte ihr Antlitz von ihm ab.
„Kommen Sie nicht zu mir," sagte Klara. „Was würden die Leute sagen, wenn sie den Sohn deS Ermordeten neben der Tochter des Mörders sehen würden!"
„Ich kümmere mich nie um das Urteil der Leute."
„Das hätten Sie heute aber lernen können."
Hermann Klinger sah sie erstaunt an.
„Nun ja," fuhr sie fort, „hatte die Meinung der Leute meinen Vater nicht schon verurteilt, ehe die Geschworenen über ihn zu Gericht saßen?"
Glauben Sie, daß dies Urteil mich überzeugt hat?
„Das sagen Sie aus Mitleid!"
„Nein, Fräulein, das sage ich aus Ueberzeugung.
Ihre Unterredung wurde unterbrochen, als Breitfeld sich ihnen näherte.
„Herr Direktor," sagte dieser verhaltener Erregung, „lassen Sie noch heute Berufung einlegen."
„Haben Sie eine neue Spur gefunden?" fragte Baumgart hastig.
„Legen Sie Berufung ein. Sie werde» hören."
„Darf ich Sie ein Stück Weges begleiten?" fragte alsdann Hermann noch einmal.
„Nein," erwiderte Klara mit einem Blick auf den Onkel, „ich habe Ihnen dies schon vorher erklärt."
„Aber Sie werden mir erlauben, mich ab und zu nach Ihrem Befinden zu erkundigen?"
„Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit," antwortete Klara leise, indem sie ihm die Hand reichte.
Schweigend hielt er ihre Hand in der Seinigen. Er sah ihr voll schmerzlichem Sehnen in die Augen:
„Und wollen Sie sich immer meiner erinnern, wenn Sie eines Freundes bedürfen?"
Während dieser Szene hatte sich der Bankier abgewandt, er dachte an seine eigene Jugend und fühlte noch einmal den Schmerz, den er vor mehr denn zwanzig Jahren empfunden, da sich ein erbarmungsloses Schicksal zwischen ihn und sein Glück gestellt hatte.
Klara aber nickte schweigend, dann wandte sie sich an ihren Onkel und zog ihn schnell in den breitstehenden Wagen.
Hermann schaute lange Zeit dem Wagen nach. Längst war ihm klar geworden, daß er Klara von ganzem Herzen liebte. Aber er hatte sich auch immer wieder gesagt, daß er ihr seine Liebe nicht gestehen dürfe. Ja, er durfte nur in der Ferne ihr Freund sein, denn die hart und herzlos urteilende Welt kannte kein Erbarmen, nahm keine Rücksicht auf ein stürmisch pochendes Jugendherz. Ach und so gern wäre er bei ihr gewesen, um sie zu trösten, denn, wenn er sich auch immer wieder sagte, daß die heutige Verhandlung für ihn die Schuld des Angeklagten nicht erwiesen habe, so konnte er sich doch nicht verschweigen, daß die Aussicht auf Ermittlung neuer Spuren nur eine geringe war. Und tiefes Weh im Herzen langte er daheim an.
Hk Hk
*
„Wer war Samuel Wolff?" Diese Frage beschäftigte Breitfeld den ganzen Abend nach der Verhandlung. Von den wenigen Aussagen, die Baumgart über ihn gemacht hatte, konnte man sich kein Bild von dem Geldverleiher entwerfen. Auf dem Gericht, als er ausgesagt hatte, daß er Baumgart nie gedrängt hätte und daß er auch diesmal noch mit der Bezahlung der Schuld gewartet haben würde, hatte Wolff auf den Detektiv den denkbar schlechtesten Eindruck gemacht. Es war ihm klar geworden, daß dieser Mann mehr von Baumgarts Verhältnissen wußte, als er gesagt hatte. Sicher stand der Geldverleiher auch mit andern Teilnehmern der Spielabende in Geschäftsverbindung.
Samuel Wolff, der nichts so sehr fürchtete, als Gericht und Polizei, stand noch immer unter dem Eindruck der heutigen Verhandlung, als ihm der Detektiv gemeldet wurde.
Leichenblaß empfing er den Eintretenden in seinem Lehnstuhl sitzend; aber er suchte seine Erregung unter einem Wortschwall zu verbergen. Breitfeld unterbrach den Redseligen.
„Herr Wolff, Sie haben heute auf dem Gericht nicht alles gesagt, was Sie wußten." begann er.
„Gewiß Hab' ich gesagt alles! Die Herren haben mich gefragt und ich Hab' geantwortet."
„Das haben Sie allerdings getan," stimmte ihm Breitfeld bei und ein feines Lächeln spielte um seine Lippen. „Aber Sie haben verschwiegen, wer Sie mit Baumgart bekannt gemacht hat."
Samuel Wolff sah den Sprecher mit einem lauernden Blick an, während er unruhig wurde.
„Ist das so wichtig?" fragte er dann.
„Ich halte eS für sehr wichtig."
„Aber man hat mich nicht gefragt."
„So frage ich Sie darnach," sagte Breitfeld und wies dem Gelomakler seine Legitimation.
Samuel starrte den Detektiv erschrocken an. Also die Polizei wollt« bei ihm nachforschen.
„Das ist kein Geheimnis," sagte er: „Eines TageS brachte ihn Herr von Palm; auf dessen Empfehlung und nachdem ich mich über ihn erkundigt hatte, lieh ich ihm Geld."
„Herr von Palm, wer ist das?"
„Ich kenne ihn nicht näher."
Dennoch gaben Sie auf seine Empfehlung Geld?"
„Nicht auf seine Empfehlungen, sondern weil ich mich über Baumgart erkundigt hatte."
„Und Sie wissen nicht, wo Herr v. Palm wohnt?"
„Nein!" — „Für heute weiß ich genug!" sagte Breitfeld. „Aber ich komme in einigen Tagen wieder! Richten Sie sich darauf ein, mir die volle Wahrheit zu sagen."
„Ich werde geben der Behörde jede Auskunft.
* Hk
Als der Detektiv das Zimmer verlassen hatte, rieb sich Wolff mit höhnischem Grinsen die Hände.
„Breitfeld murmelte: „Ich kenne euch allesamt. Morgen gehe ich auf die Suche nach dem zweiten Brillanten. Von dem Tage an, da sich Baumgart mit Herrn von Palm und dem Samuel Wolff einließ, begann sein Weg auf schiefer Bahn."
(Fortsetzung folgt.)
ReLattion, Druck und B«ckag von L. M»«h iu Remnbürg.