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Freudenstadt, 5.Okt. Wiedem„Schr.Anz." durch einen Beteiligten bekannt wird, drohte gestern vormittag dem Schnellzug Stuttgart-Zürick ein schweres Unglück. Zwischen Station Bondorf und Eutingen (Ergenzingen) blieb noch einem schrillen Notsignal der Lokomotive plötzlich mit scharfem Ruck der Zug halten und die Schaffner riefen den Reisenden zu: „Rette sich, wer kann!" Ein Zug (Personenzug 288) kam auf gleichem Gleise entgegen, konnte aber auf wenige Meter vor dem Schnellzug zum Stehen gebracht werden. Der befürchtete Zusammenstoß wurde vermieden! Ein Teil der Schnellzugsinsassen hatte übrigens die Wagen schon geräumt.
Tübingen, 5. Okt. (Schwurgericht.) Die beiden Raubmörder, die den Privatmann Krauß hier ermordet. Rapple und Hespeler, standen heute vor den Geschworenen. Unter zahlreichem Andrange des Publikums eröffnete der Vorsitzende, Landgerichtsrat vr. Kapff, vorm. 9 Uhr die Sitzung. Die Angekl. sind unter strenger Bewachung in den Saal eingeführt. Die Staatsbehörde ist durch Oberstaatsanwalt Fetzer vertreten. Als Offizialverteidiger waren berufen Rechtsanwalt Vr. Hayum für Hespeler und Rechtsanwalt Sailer für Rapple. Als Vertreter des Justizministeriums wohnte Landgerichtsrats Röcker-Stuttgart der Verhandlung an. Es waren 12 Zeugen und als S achverständige Med.-Rat Prof. 1'r. Oesterlen und Sanitätsrat vr. Länderer hier geladen. Ter Angekl. Räpple ist 20 Jahre alt, ledig, Taglöhner, geb. in Ohmden OA. Kirchheim; Hespeler ist 24 Jahre alt, lediger Taglöhner, geb. zu Horlachen OA. Gaildorf. Beide haben ein getrübtes Vorleben hinter sich; Räpple ist ein dem Bettel ergebener, arbeitsscheuer Mensch und Hespeler ein Vagabund schlimmster Sorte; beide sind erheblich vorbestraft. Die Verhandlung des Falls ergab folgendes: Dem Ermordeten, Krauß, brachte der Weingärtner Dietrich täglich Milch. Am 28. Juli, erschien Dietrich auf der Polizei und meldete, daß dos Haus des Krauß schon seit Sonntag verschlossen sei. Tie Polizei begab sich an Ort und Stelle, und fand den Krauß in seinem Wohnzimmer tot ausgestrcckt am Boden liegend. Die gerichtliche Untersuchung ergab, daß der Tod durch Strangulation erfolgt war. Die Untersuchungen führten zur Ermittlung des Räpple als Mörder. Räpple gab an: Am 17. Juli sei er auf der Wanderschaft in Tübingen angekommen. Geld habe er keines gehabt, er sei deshalb auf die Polizei gegangen, die ihn dann in einer Zelle untergebracht habe. Bald darauf habe man auch den Krauß, betrunken, in jene Zelle verbracht. Am andern morgen seien sie beide wieder entlassen worden. Krauß habe ein Knie verfallen gehabt, so daß er habe nicht gehen können. Auf seine Bitte habe er ihn auf einen Karren geladen und in seine Behausung verbracht. Dort habe Krauß ihn ersucht, bei ihm zu bleiben, bis er wieder laufen könne. Er sei dann bis 22. Juli bei Krauß geblieben, habe ihn verpflegt, die Ausgänge gemacht und die Haushaltung besorgt. Krauß sei sparsam gewesen, aber doch habe er bald bemerkt, daß Krauß Geld haben müsse, denn dieser habe erzählt, daß er in Amerika gewesen sei und dort viel Geld verdient habe. Schon am zweiten Tage habe ihm Krauß ein großes amerikanisches Goldstück gezeigt; er, Räpple habe dabei gedacht, er wolle schon zu seiner
Sach kommen, wenn ihm Krauß auch nichts gebe. Tags darauf habe er dem Krauß gleich 30 gestohlen und habe sich am 22. Juli von ihm getrennt und sei noch Göpvingen zu seiner Bekanntschaft gefahren. Wegen Bedrohung seiner Bekanntschaft habe er an dem folgenden Tag zu einer Gerichtsverhandlung nach Ulm müssen. In Ulm sei er freigesprochen worden und sofort wieder nach Göppingen zurückgegangen. Dort sei er im badischen Hof mit Hespeler, den er von früher her kenne, zusammengetroffen. Er habe diesem erzählt, daß er in letzter Zeit in Tübingen gewesen sei und den Krauß verpflegt und ihn bestohlen habe. Auf die Frage des Hespeler, ob Krauß noch mehr Geld habe, habe er erwidert, gewiß. Beide seien sogleich einig geworden, nach Tübingen zu gehen und bei Krauß das Geld zu holen. Ueber die Art und Weise, wie sie den Krauß, falls er zu Hause wäre, unschädlich machen können, haben sie auf der Reise beraten. Der Mordplan sei dahin gegangen, zunächst den Krauß zu erschießen und die Sache so zu richten, als hätte Krauß sich selbst erschossen. Hievon seien sie jedoch wieder abgekommen. Sie beschlossen, ihn zu erwürgen, und dann aufzuhängen. Nach 10 Uhr nachts seien sie der Wohnung des Krauß zugegangen, um alsbald ihren Plan auszuführen. Räpple, der vorausgegangen sei, habe um 11 Uhr dem Krauß am Laden geklopft. Krauß habe aber nicht ausgemacht und nur gerufen, Räpple solle bis zum andern Morgen in die Hütte hineinliegen. So haben sie von Weiterem abgesehen und seien in die Hütte gegangen. Schon um 5 Uhr sei dann Räpple am Sonntag Morgen aufgestanden und habe den Hespeler zur Arbeit geweckt. Räpple sei sogleich zu Krauß in die Wohnung gegangen und habe ihm dort arbeiten helfen. Dann habe Räpple mit Krauß zu streiten angefangen. Räpple sei dann zu Hespeler in die Hütte gekommen und habe gesagt, so jetzt, wenn ich hinein komme, packe ich ihn und wenn du hörst, daß ich ihn auf dem Boden habe, dann kommst du schnell herein. Kaum sei Räpple zurückgegangen gewesen, habe man schreien hören. Er, Hespeler, sei dann hineingegangen und habe gesehen, daß Räpple den Krauß in der Küche schon auf dem Boden habe und am Halse festhalte. Hespeler sei nun eilends darauf losgegangen, habe Krauß fest an der Gurgel gepackt, während Räpple ihm den Mund zugehalten habe. Bis Räpple die Läden geschloffen gehabt habe, habe Hespeler den Krauß allein am Boden festgehalten und sei auf ihn gekniet. Hierauf haben sie mit vereinten Kräften den Krauß, der sich furchtbar gewehrt habe, zu Tode gewürgt. Nachdem Krauß tot gewesen, habe Räpple aus Weinbergschnüren einen Strick geflochten, diesen dem Krauß fest um den Hals gezogen und den Leichnam von der Küche in die Wohnstube getragen; Räpple setzte dem Krauß eine Mütze auf, während Hespeler ihm Schuhe anzog. Alsdann zogen sie einen Vorhangnagel über die Leiche heraus und legten diesen neben Krauß auf den Boden, um so glauben zu machen, Krauß habe selbst Hand an sich gelegt und der Strick sei gebrochen. Räpple durchsuchte hierauf die Wohnung und nahm alles Geld an sich; auch aus der Hosentasche des Ermordeten nahm er noch 14 Ihre Beute waren vier 10 Markstücke, zwei 10 Dollars- und zwei 2'/, DollarSstücke. Diesen Raub teilten die Mörder gleich unter sich, während Hespeler die Taschenuhr
und einige Kleidungsstücke sich aneignete. Daraufhin schloffen die Mordbuben das Haus ab und warfen den Schlüssel weg. Nach der Tat, um ft-9 Uhr, begaben sie sich nach Bebenhausen, wo ihnen ein Landjäger begegnete, der sie fragte, ob sie den Mörder Fink nicht gesehen haben. Um 10 Uhr abends waren die Mörder schon wieder in Göppingen. Bei ihrer Verhaftung hatten sie den ganzen Raub bis auf 2 »A. vertrunken. Spuren von Reue zeigten die entsetzlichen Mörder nicht. Nachdem die Geschworenen die an sie gestellten Fragen nach Raubmord bejaht hatten, wurden beide Angeklagten, neben Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zum Tode verurteilt. — Nachträglich wird noch aus der Verhandlung bekannt: Als der Wachtmeister Distelmaier-Göppingen den Hespeler als einen widerspenstigen, jähzornigen und gefährlichen Menschen schilderte, entgcgnete dieser: „Wachtmeister, Sie sind ein Lügner: Wenn nur die Leute nicht da wären, dann wollte ich Ihnen etwas anders sagen und ihm machen wie dem Krauß!" Dabei drohte er ihm mit der Faust. — Die Mörder nahmen das Urteil gelassen auf.
Cannstatt, 6. Okt. Bei der gestrigen Fell- und Häuteauktion im Schlachthaus wurden folgende Preise per Pfund erzielt: für Ochsenhäute 46 A, für Stierhäute 42—44 A, für Rindshäute 46—47 A für Farrenhäute 36 A, für Kalbsfelle 5.40 8.65 per Stück. Verkauf lebhaft.
Ludwigsburg, 6. Okt. Wie aus einem an hies. Geschäftstreibende versandten Rundschreiben hervorgeht, ist infolge des bevorstehenden Ablaufs des bisherigen GesellschafiSvertrags die Firma Friedrich Vetter, Metall- und Lackierwarenfabrik hier, mit dem 1. Oktober in Liquidation getreten, deren Durchführung der seitherige Teilhaber Arthur Vetter übernommen hat.
Hausen a. Z, 6. Okt. Laut „Neckarztg." fordert die S ch a r l a ch e p i d e m i e immer noch ihre Opfer. Bis jetzt sind 13 Kinder gestorben und im ganzen ca. 60 erkrankt. Unter diesen Umständen kann noch nicht an die Wiedereröffnung der Schule gedacht werden.
Balingen, 6. Okt. Der bei Schreinermeister Rehfuß hier in Arbeit gestandene Schreinergeselle Gustav Mößner ist vor einigen Wochen nach Entwendung mehrerer Gegenstände, darunter einer wertvollen Kravattennadel mit Brillant flüchtig gegangen. Er wurde in Cannstatt verhaftet und per Schub hierher zurückgebracht, um seiner Aburteilung entgegen zu sehen.
Von der Baar, 6. Okt. Tie Kartoffelernte ist nun so ziemlich beendet. Der Ertrag ist durchweg ein guter zu nennen. Die Preise bewegen sich im Ln-^ros Verkauf von 4.80—5.20Pr. Zlr.
Ravensburg, 5. Okt. Das Dunkel, das über dem Knabenmord im Furthmühler- weiher bei Roßberg OA. Waldsee lag, ist nun gelichtet. Die unnatürliche Mutter, die den Knaben ertränkte, ist ermittelt und beim Amtsgericht Ehingen verhaftet. Es ist die 31 Jahre alte Walpurga Keller geb. Eppler, geschiedene Ehefrau des Fabrikarbeiters Karl Keller, gebürtig von Weitprechts Gem. Einthürnen OA. Waldsee, welche seither in Oberdischingen bei Gutspächter Sorg im Dienst stand; sie beseitigte das Kind, wie sie gesteht, weil
„Verzeihung," sprach Konrad lächelnd, „wenn ich als Störenfried in diese Idylle eindringe. Ihr Lied lockte mich hierher. Ich glaubte wahrhaftig, Prinzessin Dornröschen hier zu finden."
„Mein Herr, —" entgegnete Fräulein Martin verwirrt, indem eine dunkle Glut ihre Wangen überflutete.
„Ich ziehe mich sofort zurück, mein Fräulein, wenn Sie befehlen! Aber ich bitte Sie, mir einen Augenblick Gehör zu schenken."
„Ich weiß wirklich nicht, was Sie mir zu sogen haben könnten, mein Herr?"
„Etwas sehr Wichtiges, mein Fräulein. Sollten Sie die Namen von Brunken und von Holtensen so ganz und gar vergessen haben?"
Die junge Dame erschrak.
„Ich bitte Sie, mein Herr," sprach sie mit einem ängstlichen Blick auf Madeleine.
„Wollen Sie einen alten Freund Ihrer Kindheit verleugnen, Fräulein Margarethe? Ich bin Konrad von Holtensen, mit dem Sie im Hause meines Onkels von Brunken zusammen erzogen wurden."
„Sie irren sich in mir, Herr Leutnant!"
„Ich irre mich nicht. Wenn auch schon zwanzig Jahre verflossen sind, ich erkenne Sie doch wieder, Fräulein Margarethe."
Erstaunt lauschte Madeleine dem Gespräch. Fräulein Martin beugte sich zu dem Kinde nieder, küßte es und flüsterte ihm zu: „Geh mit den Blumen in das Zimmer, mein Kind. Ich folge Dir in einigen Minuten, ich habe nur noch ein paar Worte mit dem Herrn zu sprechen. Geh, mein Kind."
Madeleine entfernte sich mit einem halb verwunderten, halb ängstlichen Blick auf den fremden Offizier.
„Weshalb soll das Kind nicht hören, daß wir uns kennen, Fräulein Margarethe?" fragte Konrad überrascht.
„Lasten Sie uns in jene Laube treten," entgegnete Fräulein Martin, sich scheu umsehend. „Dort sind wir unbelauscht und unbeobachtet — ich werde Ihnen alles erklären."
Kopfschüttelnd folgte Konrad dem jungen Mädchen, das mit gesenktem Haupte rasch der Laube zuschritt.
VII.
In der dichten Hollunderlaube angekommen, sank Fräulein Martin auf eine Bank nieder, preßte die Hände auf die Augen, als wollte sie mit Gewalt die hervorbrechenden Tränen zurückzuhalten. Erstaunt blickte Konrad auf die Weinende.
„Sie fühlen sich unglücklich, Fräulein Margarethe — kann ich Ihnen helfen?"
Sie schüttelte das Haupt. Dann reichte sie ihm unter Tränen lächelnd beide Hände und sprach: „Wie töricht bin ich, mich von den Erinnerungen überwältigen zu lasten! Ich freue mich so unendlich, einen alten, lieben Jugendfreund in Ihnen begrüßen zu können. O, wie habe ich mich nach jener Zeit zurückgesehnt, als ich mit Ihnen zusammen im Hause Ihres Onkels lebte! Wo ist Ihr Onkel jetzt? Er lebt doch noch?"
„Gewiß, Fräulein Margarethe. Er lebt und ist sogar ganz in Ihrer Nähe. Er steht als Brigadekommandeur in Metz; augenblicklich liegt er in Meziöres in Quartier, noch heute werde ich ihn benachrichtigen, wen ich hier gefunden habe."
Margarethe erschrak. „Nein, nein, das werden Sie nicht tun!" bat sie, „Es darf niemand erfahren, daß wir uns kennen, wir dürfen uns auch nicht sehen — niemals, hören Sie, Konrad?" (Fortsetzung folgt.)