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1.

Der EnztälLr

Anzeiger für das Lnztal und Umgebung.

Amtsblatt kür Sen Vberamtsbezirk Neuen

Neuenbürg, Samstag den 1. Januar.

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68. Jahrgang.

Politische Jahresrrm-schait.

i.

Gedenken wir der bedeutsamsten Ereignisse und Vorgänge, welches das Jahr 1909 für unser deut­sches Vaterland gezeitigt hat, so geziemt es sich vor allemauf den 27. Januar, als den 50. Ge­burtstag Kaiser Wilhelms, hinzuweisen. Seine Feier am kaiserlichen Hofe selbst gestaltete sich zu einem bedeutsamen nationalen Moment, denn alle deutschen Bundesfürsten hatten sich hierbei um den erlauchten Schirmherrn des Reiches geschart, um ihm persönlich ihre Glückwünsche darzubringen. Bald darauf, im Februar, empfing der Kaiser in Berlin den Besuch des englischen Königspaares, ein Vor­gang, welcher die Wiederherstellung besserer Bezieh­ungen zwischen den Höfen von Berlin und London und den beiderseitigen Ländern nach einer Periode unleugbarer Verstimmungen erfreulich illustrierte. Im Juni hatte der Kaiser eine Zusammenkunft mit iem Zaren Nikolaus in den finnischen Gewässern, vorauf die gewohnte allsommerliche Nordlandreise tes Kaisers nachfolgte, auf welcher er mit dem Wnig Haakon von Norwegen zusammentraf. Bei dir Rückkehr von seiner Nordlandsfahrt traf dann dir Kaiser in Kiel nochmals mit dem russischen Hrrscher zusammen. Wie bereits im Frühling des Ärjahres, so unternahm der Kaiser auch im Früh­jahre 1909 eine Mittelmeerreise, begleitet von der Käserin und vom Prinzen Oskar. Die kaiserlichen Herrschaften verweilten mehrere Wochen auf Korfu, wo sie vom König Georg von Griechenland und fester Familie besucht wurden. Auf der Heimreise stäiiete Kaiser Wilhelm seinem treuen Freund und Verbündeten, dem Kaiser Franz Josef, einen Besuch in Wien ab, dessen Gast dann Kaiser Wilhelm noch­malz bei den österreichischen Kaisermanövern in Mähren war. Ein freudiges Familienereignis, an welchem das deutsche Volk herzlichen Anteil nahm, zeitige das ablaufende Jahr durch die Geburt des dritter Sohnes des deutschen kronprinzlichen Paares. Ais der Reihe der regierenden deutschen Bundes­fürstei wurde durch den Tod abberufen der greise Fürst Larl Günther von Schwarzburg-Sondershausen. Er hstterließ keinen direkten Thronerben, so daß nunmehr dieses Fürstentum durch Personalunion mit dem Urstentume Schwarzburg-Rudolstadt unter dem Fürsteil Günther Viktor verbunden ist. Es verschied ferner der berühmte Augenarzt Karl Theodor in Bayern, er hat sich durch sein humanitäres Wirken eine bleibende Stätte im Herzen des bayerischen und d«Äschen Volkes gesichert.

Als das hervorragendste politische Ereignis des Jahres 1909 ist der Wechsel im Reichskanzler­amte zu nennen. Der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident Fürst Bülow trat infolge des Ausganges der heftigen parlamentarischen Kämpfe im Reichstage um die Reichsfinanzreform zurück, woran sich einschneidende weitere Personalveränder­ungen in den höheren Reichsämtern und in den preußischen Ministerposten knüpften.

Die i» den letzten Jahren die Hauptfrage der inneren deutschen Politik bildende Angelegenheit der Reform des Reichsfinanzwesens erfuhr im Ausgange der ersten Session des im Jahre 1907 neugewählkn Reichstages endlich ihre Regelung. Die mehrfach abgeänderte Vorlage über die Reichs- finanzrefom wurde vom Reichstage nach lang­wierigen und leidenschaftlichen Verhandlungen im Juli definitiv genehmigt. Hiermit waren die 500 Millionen Mark neuer Steuern, welche das Reich nach den Erklärungen der Regierungsvertreter braucht, bewilligt, doch hatte dieser Ausgang der Reichs­finanzreformsrage den Zerfall der erst vom Fürsten Bülow mühsam geschaffenen konservativ-liberalen Reichstagsmehrheit und, wie schon erwähnt, den Rücktritt des Reichskanzlers selbst zur Folge. Es bleibt abzuwarten, wie sich die infolgedessen gänzlich veränderte innere politische Lage im Reiche schließ­

lich gestalten wird. Am 30. Nov. 1909 trat der ! jetzige Reichstag zu seiner zweiten Session zusammen, i sie hat bis jetzt einen im allgemeinen recht ruhigen - Verlauf genommen. Die neuen Reichs st euer- gesetze traten vom 1. August 1909 ab in Kraft. Am 1. April war die neue Güterwagengemein- schafl der deutschen Staatsbahnverwaltungen in Kraft getreten.

In der auswärtigen Politik Deutschlands konnte die am 5. Februar in Berlin erfolgte Unter­zeichnung des deutsch-französischen Marokko- Abkommens als ein bemerkenswerter Vorgang registriert werden. Eine kräftige Betonung erfuhr außerdem die Allianz und Waffenbrüderschaft zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn, indem sich Deutschland in der schweren Orientkrisis mit aller Bestimmtheit und Entschlossenheit auf die Seite seines Bundesgenossen stellte und ihm dadurch die erfolg­reiche Wahrung seiner Interessen in den Balkan- wirren ermöglichte.

Beinahe zu einem nationalen Ereignisse für Deutschland gestalteten fick die großen Fern­fahrten, welche Graf Zeppelin mit seinem lenk­baren Luftballon nach Leipzig und nach Berlin, dann auch nach Köln usw. von Friedrichshafen aus unter­nahm; sie riefen allerwärts begeisterte Kundgebungen für den genialen Erfinder und sein großes Werk hervor.

Zum neuen Jahre.

Müde und verbraucht neigt sich das alte Jahr seinem Ende zu und versinkt, nachdem es seinen Kreislauf vollendet, in dem Meer der Vergangenheit. Frisch und freundlich, auf lachender Miene, Hoff­nung gebend und neuen Mut erweckend, steigt das neue Jahr aus der unermeßlichen Ewigkeit empor, freudig und hoffnungsvoll begrüßt, wie die meisten seiner Vorgänger, da und dort aber auch mit Sorgen betrachtet, nach dem Worte:Denn etwas fürchten, hoffen und sorgen, muß der Mensch für den kom­menden Morgen!" Was das Jahr 1910 bringen wird, wir wissen es nicht. Wir hoffen von ihm vor allem den Frieden und Segen für die Arbeit des Bürger- und Bauernstandes. Das hat unter den Hoffnungen, die vor Jahresfrist laut wurden, ja auch das Jahr 1909 getreulich gehalten. Zwar stand die Kriegsfackel mehrmals dem Brennen nahe am östlichen Horizont und der bosnische Funke drohte eine zeitlang ernstlich einen Weltbrand zu entfachen, aber unsere und unseres Bundesgenossen gute Rüst­ung erwiesen sich als eine zuverlässige Wehr und so ging denn das Jahr dahin im Frieden für Deutsch­land, wie seine 38 Vorgänger.

Es ist ein alter Brauch, daß sich zum Jahres­wechsel Menschen und Völker die Zukunftsfrage stellen, und dieser Brauch ist sicher löblich. Freilich darf diese Fragestellung nicht den Versuch enthalten, Orakel zu lösen und Prophezeihungen machen zu wollen, denn ein solches Tun hat selten zu einem guten Ende geführt. Die ewige Vorsehung und All­macht läßt sich vom menschlichen Geiste nicht im voraus in ihren letzten Entscheidungen ergründen, und wenn sich der Mensch die Zukunstsfrage stellt, so muß er sich ein bescheidenes Ziel stecken, und er muß in Erkenntnis seiner Fehler und Schwächen darnach streben, nach besserer Einsicht und Erfahrung und mit Tatkraft und Geduld Einfluß auf sein Lebensschicksal zu erhalten, damit der alte Weis­heitsspruch für ihn zur Wahrheit werde:Ein jeder ist seines Glückes Schmied". Wie hat doch auch der große Dichter Schiller, dessen 150 jähriger Ge­burtstag vor kurzem von der ganzen deutschen Nation gefeiert wurde, so herrlich vom Menschenwerke und dem Segen gesprochen:Von der Stirne heiß, rinnen muß der Schweiß, soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt von obenl" Eine große und gute Kraft ist also von Gott dem Menschen

! gegeben Gutes schaffen zu können, aber ob das gute Streben und die vorzügliche Leistung zum wirklichen Segen für den Betreffenden wird, das steht noch bei einer höheren Macht. Doch diese Erkenntnis darf keine Verzagtheit erwecken, da jeder Mensch in seinem Leben schon erfahren hat, daß er seit seiner Geburt schon viel mehr Gutes empfangen hat, als er nach seiner Tugend verdiente. Eine hohe göttliche Macht wallet also über den Schicksalen aller Menschen und sie wallet mit Güte. Dies beweist nicht nur das Leben der einzelnen Menschen, sondern auch das Schicksal und die Entwickelung der ganzen Mensch­heit, welche trotz mancher Verirrungen doch immer wieder zu neuen Stufen der größeren und schöneren Entwickelungen emporsteigt. Auch kann man zu diesem Jahreswechsel wohl sagen, daß die Menschen und Völker trotz manches Haders dennoch friedlicher geworden sind, daß sie blutigen Streit und Krieg möglichst meiden und sich die Existenzberechtigung nach der humanen Christenpflicht und Weltanschau­ung gönnen. Der Jahreswechsel enthält daher eine neue Mahnung zu ernstem Tun, aber er schließt auch in sich eine frohe Hoffnung und ein edles Vertrauen. In der Ewigkeit gilt ein bürgerliches Jahr der Menschheit ja nur wie ein Tropfen im Weltmeere, aber für das menschliche Leben ist ein Jahr immer­hin ein wichtiger und oft auch großer Abschnitt, in welchem viel vollbracht werden kann. Ein Jahr kann aber auch im menschlichen Leben nutzlos ver­streichen, deshalb gilt zum Jahreswechsel auch die Mahnung des Dichters:

Nimm wahr die Zeit, sie eilet sich.

Und kehrt nicht wieder ewiglich.

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Berlin, 30. Dez. DerReichsanzeiger" meldet die Verleihung der Rettungsmedaille am Bande an den Prinzen Heinrich der Niederlande, sowie die Verleihung des Kronenordens 1. Klaffe an den Reichsbankpräsidenten Wirkl. Geh. Rat Havenstein.

Die neuen Steuern waren auf 500 Millionen Jahresertrag geschätzt worden und scheinen nicht zu enttäuschen. Im November hatte das Reich 40 Millionen mehr Einnahmen als im gleichen Monate des Vorjahres.

Der LondonerStandart" bringt aus Grund einer Berliner Meldung sensationelle Mitteil­ungen über angebliche Verhandlungen zwischen den Kabinetten von Berlin und London wegen eines deutsch-englischen Abkommens. Dasselbe würde sich, nach den Informationen des genannten Blattes, auf ein gemeinsames Vorgehen in kolonialen Dingen namentlich in Afrika, auf eine Verständigung über den nahen Orient vom Bosporus bis zum Persischen Golf und auf eine Vereinbarung zur Einschränkung der beiderseitigen Marineausgaben beziehen. Der Berliner Korrespondent desStandart" behauptet, seine Informationen seien authentisch, Kaiser Wilhelm und der Reichskanzler von Bethmann- Hollweg seien miteinander einig in der Förderung der neuen Verständigungspolitik gegenüber England. Vorerst bleibt es allerdings noch abzuwarten, ob wirklich etwas Wahres an diesen Mitteilungen desStandart" ist.

Beim Berliner Bankhause Mendelssohn u. Co. sind von einem deutschen Gericht russische Staatsdepots in Höhe von 4 Millionen Rubel beschlagnahmt worden, als Deckung für eine an­gebliche Schadenersatzforderuug des deutschen Schiffs­eigentümers Hellseld an die russische Regierung. Von Berliner offiziöser Seite erklärt man hierzu, daß es sich bei dieser Beschlagnahme nicht um einen Rechtsstreit zwischen Deutschland und Rußland, son­dern um einen Rechtshandel vollständig privater Natur handle. Als das deutsche Gericht, welches die Beschlagnahme verfügte, wird das Gericht in Kiautschau genannt.