Mädchenschule die Volksschülerinnen nicht schlafen ließ. Sie ruhten nicht eher als bis sie auch die Bänder anlegen dürfen und zwar tragen sie sie nun stolz in denselben Farben wie die höheren Töchter. Diese sind drob natürlich entrüstet und man kann auch wirklich darüber im Zweifel sein, ob diese Nachahmung am Platze ist. Infolgedessen ist der Wunsch der höheren Töchter nach einer wirklichen Kouleur reger geworden. Wir sahen kürzlich auf dem hiesigen Bahnhof eine ganze Klasse auswärtiger Schülerinnen mit roten Kappen, die sehr hübsch aussahen. Anderswo tragen die Schülerinnen höherer Lehranstalten schon mehrfach Mützen. Vielleicht kommt man auch hier dazu, sie einzuführen.
Reutlingen, 18. Okt. Vor einer sehr zahlreichen Zuschauerschar gab heute nachmittag die Seiltänzer- truppe Step auf dem Holzmarkt eine Vorstellung. Kurz nach der Eröffnung brach einer der zur Verankerung des hohen Seiles benützten eisernen Haken, so daß das ganze Gerüst plötzlich zusammenstürzte und eine Gruppe hiesiger Knaben, die beim Spiel verwendet wurden, unter sich begrub. Drei der Getroffenen erlitten so schwere Beinbrüche und Verletzungen des Rückenmarks, daß sie sofort ins Bezirkskrankenhaus überführt werden mußten. Einer davon, ein 12jähriger Knabe, wird wahrscheinlich sein junges Leben lassen müssen. Während Eltern und Umstehende die Kleinen aus ihrer Lage befreien wollten, stürzte auch der andere Gabelmast mitten in das Publikum, von dem einige Personen schwer verletzt wurden.
Knittlingen, 17. Oktober. Das neuerbaute städtische Elektrizitätswerk, welches mit einem Gesamtkostenaufwand von 120 000 Mk. unter der Oberleitung von Oberamtsbaumeister Aeckerle-Maul- bronn erstellt wurde, ist diese Woche in Betrieb genommen worden. Die elektrotechnische Installation wurde von der Stuttgarter Firma Wilh. Reißer ausgesührt. Das Maschinenhaus und der Akkumulatorenraum haben eine Länge von 22,30, eine Breite von 9,80 und eine Höhe von 8,50 Meter. '
dann meine Stellung und dann — meine Emmy . . ."
„Und — wann?"
Erler überlegte nicht lange. — „Auch das steht schon fest — in sechs Jahren, denke ich, habe ich alle Lasten beiseite geschafft; alle Sperrungen gelöst—"
Die alte Dame war in ihrem Lehnsessel zurückgesunken und über den Kopf des jungen Studenten hinweg wandelten ihre Gedanken in den Dämmer, der die Straße zu füllen begann. Ein paar Abendtupfen, die die scheidende Sonne noch zurückgelaffen hatte, blümten die alten Gardinen ... In den Dämmer, der in der Ferne Schatten und Schemen zu formen schien, in die Ferne, da die rotbeglänzten Schäfchen über Schwabens Bergen standen —
Wo hatte sie doch schon einmal diesen Ton vernommen? — Wo doch? Und mählich liefen ihre Gedanken zurück — an der Ulrichslinde war es gewesen, droben am alten Schloß, das Tübingen überdräute. An einem Lenzabend war's, die Wasser des Neckars liefen frühlingbehende, und die jungen Vögel rumorten in den Zweigen, die sich über den breiten Mauerrand ins Land streckten — denselben Ton; diese Klangfarbe — Da war sie sechszehn oder siebzehn gewesen und hoffnungsselig wie das Kind ihrer Schwester, ihre Emmy — Und sie hatte dem Ton geglaubt und Daseinsharmonien auf ihm aufgebaut, die wie ein voller Chor reinen Glückes mit den Wassern des Flusses in die Weite gewandert waren; geglaubt, wie jetzt das Kind ihrer Schwester, ihre Emmy, dem Ton lauschte —: erwartungsselig, daseinsglücklich. . . . Und doch war die Saite gesprungen, die den Ton gehalten hatte; doch waren die Harmonien in jähe Dissonanzen verkehrt worden, in Dissonanzen, die ihr ein Leben lang in den Ohren nachgegellt waren und die sich erst abdämpften, als der Schall von den Gassen ihre Ohrennerven abgestumpft und vergröbert hatte — Und genau so würde die Saite springen, die den Ton hielt, der dem Kinde ihrer Schwester, der Emmy, jetzt noch erklang, wie ein Ruf aus anderen Sphären, wie ein Lockruf in ein anderes, ein fernes, fernes Märchenland —
Nein, nein — dem Kinde sollte nicht werden, was ihr geworden war — all' das Herbe und Harte; all' die Enttäuschungen und all' die Versagungen sollten ihm erspart bleiben — lieber jetzt eine charfe Wunde, die die kraftvolle Jugend wieder chließen würde, als ein Laufenlassen, das einem angsamen Hinsiechen gleichkam, und darum richtete ie sich mit einer jähen Bewegung in ihrem Sessel auf und sah scharf zu dem Studenten hinüber:
„Sie sagen mir, daß Sie Emmy lieben — ?"
Die Stromspannung beträgt für hier 120 bezw. zweimal 120 Volt, für das noch nicht angeschlossene Großvillars ist einmal 240 Volt vorgesehen. Die Grundpreise des Lichtstroms wurden mit 50 Pfg., für Kraftstrom auf 25 Pfg. für die Kilowattstunde (entsprechend den Preisen in Neuenbürg) festgesetzt.
Wangen, 16. Okt. Gelegentlich des landwirtschaftlichen Festes hat der Bienenzuchtverein Wangen eine Umfrage gehalten üher die Honigernte, und da ergab sich, daß im Bezirk Wangen 1908 über 250 Zentner Honig geerntet wurden, was einem Wert von etwa 24000 Mk. entsprechen dürfte. Wenn man die diesjährigen Honigausstellungen besuchte, erhielt man so recht den Eindruck, daß die Bienenzucht der Landwirtschaft letztes Kind noch lange nicht ist.
Biberach, 19. Okt. Durch einen seltsamen Unfall, aus den das Wort, daß alles schon dagewesen sei, wohl nicht zutrifft, ist der Pfarrmesner Uhlmann von Mottenberg um seinen linken Arm gekommen. Der Mann hatte sich rasiert und hernach, mit dem Rasiermesser in der rechten Hand, auf einen Stuhl gesetzt, wo er, den Kopf auf die rechte Hand gestützt, einschlief. Während des Schlafens sank ihm die Hand herunter und das Messer traf das Geäder des linken Armes. Der Verletzte wurde dem Verbluten nahe gefunden. Nach mehrwöchigem Krankenlager konnte er nicht anders, als durch die Amputation des linken Armes am Leben erhalten werden.
Aus ^taSt» Bezirk uns U^igedunsp
Seine Maj. der König hat auf die Eisenbahnbauinspektorstelle in Schorndorf den Eisenbahnbauinspektor Ernst in Calw auf Ansuchen versetzt.
):( Neuenbürg, 20. Okt. Am gestrigen Kirchweihmontag fand die Hauptübung der Freiw. Feuerwehr statt, mit welcher der diesjährige Uebungsplan seinen Abschluß fand. Als Brand- ' objekt war das Gasthaus zur „Rose" angenommen,
„Zweifeln Sie daran, Tante Sophie — ?l" „Nein, nein. Sie wollen sie heiraten; und Ihnen ist's ehrlicher Wille, das zu tun — ich glaube es —"
„Ich danke Ihnen", klang es schlicht zurück, und die Knabenhände suchten das Gelenk der Greisin — „Nicht doch, nicht doch — Sie haben mir nichts zu danken — noch nichts! Aber vielleicht werden Sie mir einmal danken — Gut. Ich habe nichts gegen eine Verbindung —"
„Tante Sophie!!"
„Ausreden lassen —: Unter zwei Bedingungen: Emmy ist, wie Sie wissen, eine Waise. Vater und Mutter sind ihr lange schon gestorben, und darum ist meine Liebe zu ihr eine dreifache; darum ist aber auch meine Pflicht ihr gegenüber eine dreifache — Also erstens müssen Sie sich ein anderes Quartier suchen, und das gleich morgen; dann sollen Sie mit dem Ende des Semesters, es steht ja gottlob vor der Tür, die Universität wechseln und damit jeden Verkehr mit dem Kinde drangeben, bis —"
„Nein, nein — das ist menschenunmöglich —I Die Bude lassen —? Ja, ob es mir auch schwerfällt; denn solch eine —"
„Vollenden Sie nur", lachte es leise zurück, „solch eine tilia bospitalis —"
„Die Universität —? Ach nein, Tante Sophie —: das ist zu grausam; das ist — Und dann — alles zugegeben: ihr nicht einmal schreiben dürfen — ? Waren Sie in Ihrer Jugend so folgsam? Sagten Sie so leicht zu allem Ja und Amen?"
„Um mich handelt es sich hier nicht — ich habe mit dem Leben abgeschlossen. Ich erwarte nichts mehr von ihm. Aber ... ich habe einmal etwas von ihm erwartet, und ich bin grausam betrogen worden; ich habe — Und so lange ich lebe und atme, soll mein Kind vor dem Enttäuschtwerden und dem Gebrochenwerden bewahrt bleiben. Also bedingungslose Annahme meiner Vorschläge — und dann soll Emmy einmal die Ihre werden, wenn's in den Sternen so beschlossen ist — oder Sie weigern sich — und dann bin ich Ihr Feind —" Die Greisin war äufgestanden, und ihre Gestalt schien gewachsen. „Ihr Feind, der mit allen Waffen gegen Sie ankämpfen und der Sie — des seien Sie sicher! — schlagen wird!"
Der Abend stand vor den Fenstern und lugte mit seinem blinkenden Lichtschein in die dunkle Stube; nichts hörte man in ihr als den Atemzug der beiden Menschenkinder, die sich in diesem Augenblick feindlich gegenüberstanden, bereit, um ein Drittes, ihr Letztes, einzusetzen . - - ,
Da klang aus einer Seitengasse ein froher
I welches für die Uebung von praktischem Wert war hauptsächlich in Bezug auf die Hindernisse des elektrischen Leitungsstrangs. Die Uebung ging glatt von statten, befriedigte in vollem Maße und legte von der Leistungsfähigkeit des Korps beredtes Zeugnis ab. Anschließend an diese Uebung vereinigte man sich unter den Klängen der Feuerwehrkapelle zu geselliger Unterhaltung im Gasthaus z. „Anker" und nachher noch im Gasthaus zur „Rose", wobei der kameradschaftliche Geist, der sich in dem Korps birgt, so recht zum Ausdruck kam. Erwähnt sei hiebei noch, daß bei der letzten Uebung am 4. Okt. der Hr. Bezirksfeuerlöschinspektor das Korps inspizierte und sich in vollem Maße lobend über die Leistungsfähigkeit aussprach.
Pforzheim, 19. Okt. Auf dem Heimweg von der Brötzinger Kirchweih gingen gestern abend gegen 7 Uhr 2 Mädchen im Alter von 20 Jahren am Büchenbronner Wald vorbei. Da sprang ein Unbekannter auf die Mädchen zu und wollte einer davon das Handtäschchen entreißen. Das Mädchen wehrte sich und rief um Hilfe, worauf andere Leute herbeieilten. Der Räuber ließ das Täschchen fallen und sprang in den Wald. Es war aber so nebeliges Wetter, daß man ihm nicht nachsetzen konnte.
Pforzheim, 20. Okt. Gestern abend 9 Uhr ereignete sich auf der Albtalbahn bei der Station Ellmendingen ein schwerer Unfall. 50 Meter von einer hohen Eisenbahnbrücke entfernt, entgleiste der Nebenbahnzug, wahrscheinlich infolge schadhafter Holzschwellen. Die Lokomotive stürzte den 3 Meter hohen Damm hinunter und blieb auf dem Rücken liegen. Der nächste Personenwagen entgleiste ebenfalls und blieb halb auf dem Damm liegen; die anderen drei Wagen blieben stehen. Das Geleise war zerrissen. Wie durch ein Wunder sind keine Menschen ums Leben gekommen. Dem Maschinenführer und Heizer gelang es abzuspringen, bevor die Maschine umkippte, welche dann einen gewaltigen Feuerregen aussprühte. Die Insassen des ersten Wagens konnten sich, nachdem sie sich vom ersten
Studentenchor herüber, und abgerissen erst, dann immer deutlicher und voller jubelte es in die fallenden Schatten:
Doch mir, mir, dem Philologus,
Gab sie in Züchten einen Kuß,
Und keine ist äqualis Der kilis tiospitslis.
Eine Korporation, die ihre Samstagskneipe schon begonnen und gleich frisch und stimmungsvoll eingesetzt hatte —
Und wärst du mir auch nie beschert,
Zeitlebens bleibst du hochgeehrt,
Weil keine dir äqualis,
Dir kilia tiospitalw . . .
Noch ein kurzes Schweigen, in dem die jauchzenden Töne langsam erstarken — dann griff der Student nach seiner bunten Mütze und reichte der alten Frau seine Rechte:
„Ich kapituliere, Tante Sophie; ich nehme Ihre Bedingungen an — mein Wort darauf —!"
> Da blinkte eine Träne in dem Auge der Greisin, und ihre Stimme bebte, als sie ein „Ich danke Ihnen!" herausbrachte. So hatte sie ihrem Kinde die Jugend gerettet und es vor den Enttäuschungen bewahrt, die der ülia bospitalis meistens wurden und die ihr geworden waren: geliebt, genossen und dann beiseite geschoben, abgetan zu werden; aus einem bergehohen Glück in ein nachtdunkles Tal: das war der Weg, den sie fast alle gingen; in Nöten und Schmerzen endete die Bahn, die in Seligkeit und Sehnsucht begonnen hatte — So hatte sie ihrem Kinde die Jugend gerettet —! Die Jugend gerettet? Hatte sie's? Hatte sie ihm mit dem Studenten, der hinter der Tür verschwunden war, nicht auch die Sonne aus ihren lichthungrigen Tagen genommen? Die Sonne, das Glück?
Da faßten sie jählings zwei Arme um die noch ungebeugten Schultern, und ein Helles Gelock barg sich an ihrem Herzen — und schluchzend und jammernd kam es aus einem gequälten Mädchenherzen: „So ist er fortgegangen, ohne mir Adieu zu sagen?! Tante — er kehrt nie wieder — nie, nie!! O, warum hast du ihn mir nicht gelassen, Tante, und wären es auch nur noch zwei Semester gewesen!? Warum nicht? Ich — ich möchte sterben!"
Das wollten sie alle, hinter denen eine Hoffnung zu verblassen, ein Wunsch zu versinken schien — aber man starb nicht so schnell und — Hatte sie ihrem Kinde die Jugend gerettet? Ja, sagte ihr Inneres; ein frohes, freudiges „Ja". Aber hatte sie ihm nicht auch die Erinnerungen genommen? Und darauf wußte sie keine Antwort zu geben — die Erinnerungen, die das Alter trösten und die Silbersträhne in flüssiges Gold zu tauchen vermögen?