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Neuenbürg, Samstag den 19. September 1908

86. Jahrgang.

Der Kaiser ist wieder in Berlin bezw. Pots­dam. Er wollte sich am Mittwoch das lenkbare Militärluftschiff des Majors Groß und den Parseval­ballon, die beide 12stündige Dauerfahrten glänzend bestanden hatten, vorführen lassen, da passierte es kurz vor der Besichtigung, daß ein Sturm aufsprang, den Militärballon zur schleunigen Flucht in seine Halle zwang und dem Parseval'schen Luftschiff das Genick brach. Es hat sich dabei deutlich gezeigt, daß Luftschiffe, wenn sie überhaupt einen Sturm bestehen können, nach dem starren System des Grafen Zeppelin gebaut sein müssen und selbst dieses hat bekanntlich die Sturmprobe noch zu bestehen. Men­schenwerke und Naturgewalten!

Der Reichskanzler Fürst Bülow hat seine Norderneyer Sommerfrische unterbrochen und ist nach Berlin zu einem etwa einwöchigen Aufenthalte zu­rückgekehrt. Derselbe gilt neben der Begrüßung der interparlamentarischen Friedenskonferenz und des internationalen Preffekongresfes hauptsächlich der Er­ledigung verschiedener dringlicher Amtsgeschäfte, unter denen vor allem der Vorsitz bei den entschei­denden Bundesratssitzungen in Sachen der Finanzreform hervorragt. Zweifellos wird der Bundesrat den auf die Reform bezüglichen Vorlagen des Reichsschatzsekretärs Sydow im Prinzip zu­stimmen und sie dann in der vorparlamentarischen Behandlung derart fördern, daß sie der Reichstag bei seinem Wiederzusammentritte zu Anfang No­vember vermutlich schon vorfindet.

Die 15. interparlamentarische Friedens­konferenz ist am Donnerstag in Berlin vom Reichskanzler Fürsten Bülow mittels einer Ansprache eröffnet worden. Am Mittwoch hatte im Reichs­tagsgebäude als Einleitung zu dieser internationalen Veranstaltung ein Empfangs abend für die Kon­ferenzteilnehmer stattgefunden; von Mitgliedern der Reichsregierung, resp. der preußischen Regierung, waren hiebei anwesend die Staatssekretäre v. Beth- mann-Hollweg, Dernburg, Nieberding und Sydow, sowie Kultusminister Holle, Eisenbahnminister Breiten­bach und Justizminister Beseler. Die Eröffnung und Begrüßung der Friedenskonferenz durch den Fürsten Bülow verleiht der Veranstaltung zweifellos eine bemerkenswerte politische Nuance, obwohl sonst von dieser Zusammenkunft von Parlamentariern aus fast aller Herren Länder keine für die Weltlage ge­wichtigen Beschlüsse zu erwarten stehen. Als eine Demonstration für eine fortschreitende Verständigung zwischen den Völkern kann aber die in Berlin ver­sammelte interparlamentarische Vereinigung doch auf die Sympathien aller Friedensfreunde der Welt zählen und darf man ihren Verhandlungen immerhin mit Interesse folgen. Als Hauptpunkte der Kon­ferenzberatungen sind folgende zu nennen: Die 2. Haager Konferenz und das obligatorische Schieds­gericht. Prüfung der Errichtung eines permanenten internationalen Tribunals. Unverletzlichkeit des Privateigentums zur See. Errichtung eines inter­nationalen Prisengerichtes. In der deutschen Presse werden Deutschlands Gäste, unter denen sich so viele hervorragende Männer fremder Nationen befinden, herzlich willkommen geheißen. Es wird die Hoff­nung ausgedrückt, daß ihre Beratungen für die Werke des Friedens erfolgreich sein mögen. Die Union wurde am 31. Oktober 1888 in Paris durch Sir Randal Cremer und Frodoric Passy gegründet, sieht also in diesem Jahre auf eine zwanzigjährige Tätigkeit zurück. Es haben seitdem 14 Kongresse stattgefunden, und die Mitgliederzahl, die sich an­fänglich auf 10 englische und 30 französische Par­lamentarier beschränkte, ist außerordentlich gewachsen. Die deutsche Gruppe zählt 134 Mitglieder.

Paris, 18. Geptbr. Die Rede des Fürsten Bülow bei der Eröffnung der interparlamentarischen Konferenz wird in allen Pariser Zeitungen ausführ­

lich wieder gegeben. Journal des Debats fügt hinzu, daß die Rede einen starken Eindruck gemacht.

Berlin, 17. Sept. Im LondonerStandard" berichtet der Schriftsteller Sidney Whitman über Unterredungen, die er mit Fürst Bülow auf Nor­derney gehabt habe. Bülow erklärte, daß niemand von einigen! Verstand oder Einfluß in Deutschland daran denke. Händel mit England anzufangen und noch viel weniger einem so unsinnigen Gedanken nachhinge wie einer Invasion in England. Für Deutschland bestehe ein weit handgreiflicherer Grund zur Besorgnis wegen seiner exponierten geographischen Lage. Bülow besprach den in der Julinummer der Quarterly Review" erschienenen Artikel:Die deutsche Gefahr" und widerlegte ihn. Was die Flottenorganisation betreffe, so wies der Reichs­kanzler an der Hand von amtlichen Aufstellungen über die relative Stärke der Flotten Englands, Frankreichs, Amerikas und Deutschlands nach, daß Deutschland am Ende der Liste stehe. In Deutsch­land bestünde keine feindselige Gesinnung gegen Frankreich und England. Bei einem provozierten Angriff Englands auf die deutsche Flotte könnte jedoch ein rachsüchtiger Groll ausbrechen, wie zur Zeit der Invasion Napoleons. Whitman erklärte, er habe die Ueberzeugung erlangt, daß Deutschland einem Gottesurteil nicht ausweichen werde, wenn es auch der Gewißheit gegenüberstehen sollte, daß seine Flotte vernichtet werde. Anderseits hegt aber die deutjche Regierung keine kriegerischen Absichten, am wenigsten gegen England. Der Reichskanzler sprach dann noch über Marokko und die Türkei. Was Marokko betreffe, so wünsche Deutschland allein seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen, würde sich aber eine nationale Demütigung nie gefallen lassen. Eine Gefahr würde nur in der verabredeten Absicht liegen, Deutschland in den Schranken zu halten und zu schädigen.

Rom, 17. Sept.Corriere della Sera" ver­öffentlicht einen längeren Artikel, in dem darauf hingwiesen wird, daß Italien bis 1913 an den Dreibund gebunden sei und daß es sich im Falle eines Krieges an demselben beteiligen müßte. Nach 1913 sei die Zeit gekommen, zu überlegen, ob in einem Bündnis zu Frankreich und England eine größere Sicherheit bestehen würde. Das Blatt schließt mit der Bemerkung, daß Italien wahr­scheinlich mit einer solchen Äenderung ein schlechtes Geschäft machen würde.

Der russische Minister des Aeußern v. Jswolski ist auf einer Rundreise begriffen. Er besuchte den Minister von Aehrental in Wien, wird von da nach Rom, Paris und London reisen und über Berlin heimkehren. Den Gegenstand der Aussprache bildet angeblich der völlige Umschwung in der Türkei.

Die Verhandlungen des in Nürnberg ver­sammelten sozialdemokratischen Parteitages erreichten am Mittwoch ihren Höhepunkt. An diesem Tage begann die Debatte über die Frage der Budget­bewilligung. August Bebel leitete die Diskussion durch ein längeres Referat ein, in welchem er sich entschieden gegen die Genehmigung der Staatsbudgets seitens der sozialistischen Fraktionen der Landtage Bayerns, Württembergs und Badens wandte und die Resolution des Parteivorstandes gegen die Budgetbewilligung zur Annahme empfahl. Den Standpunkt der genannten Landtagsfraktionen ver­traten ebenso energisch der Bayer Timm, der Badenser Frank und der Württemberger Hilden­brand. Letzterer Redner bezeichnete die ganze Hetze gegen die süddeutschen Budgetbewilliger hauptsächlich als ein Werk desVorwärts" und derLeipziger Volkszeitung, die den Süddeutschen Kretinismus, Hochverrat und anderes vorgeworfen habe. Er ver­urteilte scharf das Gebaren derLeipziger Volksztg." Er habe es verlernt, sie noch emst zu nehmen. Man müsse eben die Kampfesweise dieser Zeitung ertragen, so lange es die Leipziger Genossen noch dulden, oaß

Tag für Tag von dieser Zeitung jeder anständige Ton in der Arbeiterbewegung angespuckt wird. In der Resolution des Parteivorstandes erblickt auch er eine Vergewaltigung. Man lasse sich unter keinen Umständen von Leuten dirigieren, die nicht im Kampfe stehen und nicht arbeiten, sondern immer nur diktieren wollen. Während der Ausführungen der drei süddeutschen Sprecher kam es wiederholt zu stürmischen Lärmszenen zwischen den Anhängern und den Gegnern der Budgetbewilligung. Diese Debatte wurde auch am Donnerstag in lebhafter Weise fortgesetzt.,

Nürnberg, 18. Septbr. Auf dem sozial­demokratischen Parteitag wurde heute vormittag die Budgetbewilligungsdebatte fortgesetzt. Chefredakteur Keil-Stuttgart (Schwab. Tagwacht) führte aus: Unsere Gegner werden sich über den Parteitag die Hände reiben, denn wir haben uns in den letzten zwei Tagen die ungeheuerlichsten Blößen gegeben. Schon seit langer Zeit stehen sich in der Partei zwei Gruppen gegenüber, die bei jeder Ge­legenheit Nebenzwecke verfolgen. Man ist geradezu bemüht, sich Wunden zu schlagen, als wenn zwei verschiedene Parteien, nicht Angehörige derselben Partei einander bekämpfen. Fehler sind auf beiden Seiten gemacht worden. Wir dürfen selbstverständ­lich dem Klassenstaat, den wir beseitigen wollen, nicht die Mittel zur Fortexistenz bewilligen, anderer- seiis darf man aber auch nicht verfügen, das Budget ein für allemal zu verweigern. Es können doch Fälle eintretsn, in denen eine mildere Kampfesweise geboten ist. Ich bitte, den Antrag Frohme zum Beschluß zu erheben. Frau Zietz-Hamburg spricht für den Antrag des Parteivorstands. Parteisekretär Ebert erklärt in seinem zweistündigen Schlußwort, der Vorstand halte seinen Antrag in vollem Umfang aufrecht. Alsdann wurde in die Ab­stimmung eingetreten und der Antrag Frohme mit 217 gegen 116 Stimmen abgelehnt. Der Antrag des Parteivorstands und der Kontrollkommission wurde alsdann in namentlicher Abstimmung mit 258 gegen 119 Stimmen angenommen. Darauf verlaß Abg. Segitz folgende Erklärung: Im Auf­trag von 66 Delegierten aus Bayern, Baden, Württemberg und Hessen habe ich folgende, von jedem einzelnen Delegierten Unterzeichnete Erklärung abzugeben: Die Unterzeichneten Parteimitglieder er­klären: Wir erkennen dem Parteivorstand als der legitimen Vertretung der Gesamtpartei die oberste Entscheidung zu in allen prinzipiellen und in den taktischen Angelegenheiten, die das ganze Reich berühren. Wir sind aber auch der Ansicht, daß in allen speziellen Angelegenheiten der Landtage die Landesorganisation die geeignete und zuständige Instanz ist, die auf dem Boden des gemeinsamen Programms den Gang der Landespolitik nach den besonderen Verhältnissen selbständig zu bestimmen hat und daß die jeweilige Entscheidung über die Budget-Abstimmung dem pflichtgemäßen Ermessen der ihrer Landesorganisation verantwortlichen Land­tagsfraktionen Vorbehalten bleiben muß." Prä­sident Singer erklärte darauf, der Parteitag nehme Kenntnis von dieser Erklärung, die zu Protokoll genommen wurde. Darauf wurde die Sitzung auf nachmittags 3 Uhr vertagt.

Württemberg.

Stuttgart, 16. Sept. In dem Viereck unseres Landes zwischen Ulm, Heidenheim, Ellwangen und Bopfingen herrschte in der laufenden Woche ein äußerst reges militärisches Leben: Die Brigade- und Divisionsmanöver bevölkerten die Gegend und boten, zeitweilig von herrlichem Wetter begünstigt, tau­senden von Schlachtenbummlern ein prächtiges Schau­spiel. Die Manöver werden anfangs nächster Woche ihren Abschluß unter den Augen des Königs finden, der sich von der kriegsmäßigen Ausbildung seines Armeekorps bei der Lösung einer von ihm selbst