— In der folgenden Sitzung am Mittwoch hat die Kammer die Beratung der Bauordnung um ein gutes Stück gefördert, obgleich sich mehrmals die Debatte sehr in die Breite verloren und einmal sogar die Gestalt einer Kommissionsberatung angenommen hat, so daß der Präsident sich zum Eingreifen hiegegen veranlaßt sah. Die Artikel 16—28, von denen einige wichtige Materien regeln, werden erledigt. — Die Pfingstpause soll nach der Sitzung am Freitag eintreten. Am Mittwoch nach Pfingsten wird dann die Arbeit wieder ausgenommen werden. Man möchte, was bei der herrschenden Hitze ganz verständlich ist, schon Ende Juni die Sitzung schließen. Die Eisenbahnpetitionen, die die Kommisfionsberatung schon passiert haben, sollen in dieser Tagung nicht mehr erledigt werden, da die Regierung die Erklärung abgeben wolle, daß für das nächste Jahr finanzielle Mittel zum Bau neuer Bahnen nicht zur Verfügung ständen.
Stuttgart, 4. Juni. Heute vormittag ging die feierliche Eröffnung der Bauausstellung programmäßig vor sich. Der prächtige Stadtgarten mit seinem frischen Grün, aus dem sich die freundlichen Bauten der Ausstellung erheben, lag in festlichem Sonnenglanz. Nach der eigentlichen Festrede des Präsidenten v. Mosthaf erklärte der König die Ausstellung für eröffnet. Es folgte nun ein Rundgang, bei dem der König von Minister v. Pischek und Direktor Schmohl, die Königin von Ministerialrat Köbler und Präsident v. Mosthaf geführt wurden. Die Ausstellung soll zunächst die wertvolle Tätigkeit der erst vor 2*/- Jahren errichteten Beratungsstelle ergänzen und sie in den weitesten Kreisen der Beteiligten einzuführen. Ihr Zweck ist, den gegenwärtigen Stand der bürgerlichen Baukunst und der heimischen Bauweise nicht nur den Fachleuten, sondern auch dem großen Publikum vor Augen zu führen und damit befruchtend auf die bürgerliche Baukunst des Landes einzuwirken. Entsprechend der Aufgabe der Beratungsstelle, den Bauleuten, namentlich auf dem Lande, die Fortschritte der Baukunst nach der künstlerischen und technischen Seite zu vermitteln, will die Ausstellung keine vollständig neuen Werte schaffen, sie beschränkt sich vielmehr im wesentlichen darauf, abgeklärte, gesunde, in der Praxis bewährte Formen und Konstruktionen vorzuführen. Mit der Ausstellung wurde eine Ausstellung künstlerischer Wohnräume, eingerichteter Küchen und Bäder, insgesamt 80 Räume, verbunden. Jedes Sondergebäude hat eine vollständige Innenausstattung erhalten. Ein großes Ausstellungsgebäude zeigt die Leistungsfähigkeit der Stuttgarter Möbelsabrikanten.
Stuttgart, 3. Juni. Da sich bei der Eisenbahnbeförderung der Militärurlauber zur Zeit der großen Feste (Weihnachten, Ostern und Pfingsten) Unzuträglichkeiten und Schwierigkeiten ergeben haben, sind durch eine Verfügung der Generaldirektion der Staatseisenbahnen zu deren Abstellung besondere Maßnahmen getroffen worden.
Das Geheimnisses Geizhalses.
Sie war ein liebevolles, aufopferndes Kind, dessen ganzes Streben darauf ging, den Lebensabend ihres Vaters so friedlich und leicht zu gestalten, wie nur möglich. Von seinem wahren Charakter hatte sie keine Ahnung, wußte nicht, daß der Vater, für den sie alles hingab, sie belog und betrog, daß er unter einem doppelten Namen lebte, und daß er, für den sie sich jeden Pfennig am Munde absparte, des Nachts stundenlang wachend auf seinem Lager lag und in den Gedanken an seine Reichtümer schwelgte. —
Olga hatte frühzeitig ihre Mutter verloren, als ein Kind von wenig Jahren hatte sie der Vater in ein Waisenhaus gebracht, wo sie bis zu ihrem 15. Lebensjahr verblieb. Sie wußte es nicht anders, als daß ihr Vater der Goldarbeiter Benno Bahl war, während er in Wahrheit Homer hieß.
Die erste Zeit nach ihrer Rückkehr aus dem Waisenhause hatte er selbst für den Unterhalt gesorgt, aber als er erst merkte, daß seine Tochter tüchtig arbeiten konnte, verschaffte er ihr eine lohnende Stelle in einem Geschäft und lebte mehr und mehr von ihrem Gelds.
Das Haus, in dem sie wohnten, gehörte ihm zu eigen, er hielt indessen streng darauf, daß Olga, die auch hiervon keine Ahnung hatte, das Geld zur Miete auf Heller und Pfennig bereit hatte; er pflegte es mit dem Bedeuten zu sich zu nehmen, er wolle es noch am selben Tage dem Hausbesitzer bringen. —
„Hast Du den Hauszins bereit, Olga?" fragte Homer auch eines Morgens, nicht lange nach der oben geschilderten abendlichen Unterhaltung.
Der Stuttgarter Straßenbahngesellschaft ist durch eine K. Verordnung nunmehr die Konzession zum Bau und Betrieb der Vorortsbahnen übertragen worden. Es handelt sich zunächst um die Linien von Stuttgart nach Feuerbach und Zuffenhausen, Feuerbach—Cannstatt, Cannstatt— Münster, Stuttgart—Hedelfingen und Wangen— Untertürkheim. Für den Bau der weiteren Strecken von Zuffenhausen nach Ludwigsburg und von Hedelfingen nach Eßlingen ist die Erteilung der Konzession von der Erfüllung gewisser Bedingungen seitens der Straßenbahngesellschaft vorläufig noch abhängig gemacht. Wie es heißt, wird die Straßenbahngesellschaft die Einzelpläne nunmehr in Bälde vorlegen.
Stuttgart, 3. Juni. Vor etwa 3 Wochen haben die bürgerlichen Kollegien in nichtöffentlicher Sitzung über den Rathauskeller beraten, worüber im städtischen Amtsblatt nur ein Bericht veröffentlicht wird. Was den Voranschlag für den Rathauskellerbetrieb anbelangt, so wird mit einer Einnahme von 104200 Mk. und einer Ausgabe von 101200 Mark gerechnet, so daß sich ein Ueberschuß von 3000 Mk. ergibt. Als Erlös aus verkauftem Wein sind 70000 Mk. (250 Eimer durchschnittlich L 280 Mark) in Aussicht genommen. Die Debatte über diesen Etat zeigte wieder, daß der Rathauskeller ein rechtes Schmerzenskind für die Stadtverwaltung ist. Der Mangel an Frequenz des Kellers wurde darauf zurückgeführt, daß die Speisen zu teuer, dann aber auch, daß die Lokalitäten weder eine Sehenswürdigkeit noch einen gemütlichen Aufenthaltsort darstellen; er wurde sogar mit einem luxuriös ausgestatteten Korridor verglichen. Auch der Vorschlag, einige fremde Biere zu verschenken, wurde gemacht, der aber keine Gegenliebe fand, da dadurch die Qualität des Ratskellers herabgedrückt werden könnte. Der Etat wurde schließlich genehmigt, ebenso eine Rate von 5000 Mk. zur Ausschmückung des Rathauskellers.
Stuttgart, 1. Juni. Herr Schmid-Platzhof, Gutspächter und Oekonomierat, veröffentlicht zu dem auch von uns übernommenen Heilbronner Gerichtsbericht eine Berichtigung, der wir folgendes entnehmen: Die fragliche Jagd wurde nicht von Schmid-Platzhof, sondern von dem fürstlichen Domänendirektor Stephan und nicht im vorigen Winter, sondern schon vor fünf Jahren abgehalten. Es wurde nicht ein Treiber, sondern ein 16jähriger Bauernsohn angeschossen, der hinter einem Baum der Jagd zusah und ein abgepralltes Schrotkorn ins Auge erhielt. Das Auge wurde operativ entfernt, um das andere zu retten. Der junge Mann starb einige Jahre später an einer Krankheit, die mit der Verletzung keinen Zusammenhang hatte. Da der Schuß von Schmid-Platzhof herrührte, das Unglück in der Nähe des Ortes vorgekommen und der Schütze deshalb von einer gewissen Unvorsichtigkeit nicht freizufprechen war, hat die Versicherung den Fall zur Entschädigung übernommen.
Stuttgart, 4. Juni. Dem heutigen Wochenmarkt waren etwa 30 Körbe Frühkirschen aus Hes-
„Ja, Vater, und Du könntest dem Eigentümer mal sagen, wenn er das Haus nicht bald vorrichten ließe, würden wir's ihm am Mietzins abziehen."
„Unsinn, Olga, die Miete ist nicht zu hoch."
„Mir scheint es Geld genug zu sein."
„Das verstehst Du nicht."
„Kann sein", antwortete sie gutmütig, „übrigens, Vater, werde ich mir bald eine andere Wohnung mieten."
„Du willst ausziehen? Das geht nicht, da wird nichts draus", rief der Alte ganz aufgeregt. „Ich bin an das Haus gewöhnt und bin zu alt, „um mich noch wo anders einzurichten, nein, eher gebe ich da ein paar Mark Miete mehr." (Ein sehr großmütiger Vorschlag, wenn man bedenkt, daß Olga es war, die das Geld dazu beschaffte.)
„Nun wir wollen vor der Hand nicht mehr davon sprechen. Vater, aber Du kannst glauben, ich habe einen herrlichen Plan, und wenn der zur Ausführung kommt, wird sich vielleicht manches ändern."
„Du hast gar keine Pläne zu machen", versetzte der Alte wieder unfreundlich.
„Es ist nur zu Deinem eignen Besten, ich habe Gelegenheit, mehr zu verdienen, das soll dann Dir zu Gute kommen, lieber Vater."
„Da wird wohl noch was Anderes dahinter stecken", gab der Alte mißtrauisch zurück, „ich vermute, Du denkst mehr an Deinen Bräutigam und die Hochzeit, Olga, ich wünschte. Du gäbest ihn ganz auf."
Da ihre Reden den Vater nur immer reizbarer machten, schwieg Olga und rüstete sich zum Fortgehen.
sigheim, Besigheim und Untertürkheim zugeführt. Preis im Großen 30—40 per Pfund.
Wangen OA. Cannstatt, 4. Juni. Das warme Wetter bringt den Weinstock rasch vorwärts. Bei Gottlieb Gohl, Weingärtner in der Tiergartenstraße 9 hier, sind an dessen Kammerz bereits eine Menge sehr schön blühender Trauben zu sehen.
Zuffenhausen, 3. Juni. In Münchingen wurde gestern ein Goldarbeiter aus Pforzheim festgenommen, der im Besitze von 800 in Gold war, über deren Erwerb er sich nicht auszuweisen vermochte. Es sind Ermittlungen darüber im Gange, ob der Verhaftete etwa mit dem Manne identisch ist, der am vergangenen Freitag nachmittag einer Milchhändlerin in der Langenstraße hier die Summe von 300 aus einer Schublade gestohlen hat.
Reutlingen, 3. Juni. Die Handwerkskammer Reutlingen hielt am 30. Mai in Ebingen eine Vorstandssitzung, in der u. a. die versuchsweise Abhaltung von Gesellenprüfungen im Herbst ds. Js. beschlossen wurde. Die Anmeldungen, zu denen noch besondere Aufforderung ergehen wird, sind zu diesen Prüfungen — entgegen den Bestimmungen für die Frühjahrsprüfung — direkt an das Bureau der Handwerkskammer einzureichen. An die K. Zentralstelle für Gewerbe und Handel soll ein Gesuch um Veranstaltung von Unterrichtskursen für Hafner im Setzen von Kachelöfen gerichtet werden. Einen großen Teil der Verhandlungen nahm sodann ein die wiederholte Stellungnahme zur Schaffung einer gesetzlichen Vertretung der Arbeitnehmerschaft, die der Vorstand der Kammer dahin präzisierte, daß er zur Zeit die Frage der Errichtung von paritätischen Arbeitskammern oder von reinen Arbeiterkammern noch nicht für hinreichend geklärt halte und deshalb die Schaffung von Arbeitsräten in Angliederung an ein Reichsarbeitsamt empfehle. Unter den zahlreichen Verwaltungsangelegenheiten befanden sich u. a. Gesuche um Verkürzung der Lehrzeit und um Verwilligung eines Beitrags zu den Kosten des Besuches einer Fachschule. Den Geschäftsbericht erstattete der Sekretär der Kammer.
Gmünd, 3. Juni. Wie in Pforzheim zeigt auch die hiesige Edelmetallindustrie seit einigen Monaten ziemlich flauen Geschäftsgang, der in verschiedenen Fabriken zu wesentlichen Einschränkungen der Arbeitszeit führten. Zum Teil wurde die Arbeitszeit von 54 auf 32 Stunden in der Woche herabgesetzt. In der letzten Zeit ist jedoch wieder eine leichte Besserung der Konjunktur zu verzeichnen.
Schram berg, 3. Juni. Bei der heute stattgehabten Stadtschultheißenwahl haben von 1476 Wahlberechtigten 1420 abgestimmt. Davon erhielt der seitherige Stadtschultheiß Harrer 777 Stimmen, Amtmann Doll-Biberach 630 Stimmen; 13 Stimmen waren zersplittert. Harrer ist somit gewählt.
Ehingen, 2. Juni. Infolge Genusses von Sauerampfern von einer Wiese mit Kunstdünger erkrankten 4 Kinder schwer; eines ist gestorben.
„Warum antwortest Du mir denn nicht?" fragte der Vater ungeduldig.
„Vater, wenn Du nur Dein Vorurteil gegen Ralph aufgeben könntest. Du tust ihm Unrecht."
„Er ist kein Mann für Dich, seine Herkunft paßt mir nicht."
„Kennst Du seine Verwandten?"
„Was zu denen ist, weiß jedes Kind. Aber nun gib den Hauszins her." -
„Brauchst Du sonst noch Geld von Deinem kleinen Kassierer?" fragte Olga scherzend, während sie ihm die Hand zum Abschied reichte.
„Nein heute nicht, aber hier, Olga, daß ichs nicht vergesse, hier ist der bewußte Brief."
Mit diesen Worten gab er seiner Tochter einen großen, mit einer Menge Siegel bedeckten Brief.
„Es ist eigentlich eine große Versuchung für mich, Vater", meinte Olga, als sie ihn einsteckte, „daß Du mir immer den Brief übergibst, den ich doch nicht öffnen darf; weißt Du, wenn ich so neugierig wäre, wie man es den Frauen immer nachsagt, hätte ich ihn gewiß schon längst gelesen."
„Ich bin froh, daß Du das Drucken gelernt hast, Olga", war des Alten rätselhafte Erwiderung, die Olga in höchstes Staunen versetzte.
„Was hat denn das mit dem Brief zu tun, Vater?" sagte sie befremdet.
„Die Kenntnis der Druckerei wird Dir später, wenn ich einmal tot bin, noch gute Dienste tun", war alles, was er zur Antwort gab.
' „Ich möchte nun gehen, Vater, leb wohl", sagte > Olga und ging zur Treppe hinunter.
— Fortsetzung folgt. —