bereiten. Die tollsten Jahre waren 1904 und 1905; zweimal wurde Generalstreik versucht; Straßenkämpfe und Plünderungen waren an der Tagesordnung, Blut floß reichlich. Ein kleines Bild: Ein Gendarmerie-Offizier erhält aus der Masse der Streikenden einen Steinwurf an den Leib und einen an den Kopf; in der Nähe steht der Vertreter des Bürgermeisters, Genosse Vibert, und ruft dem Offizier zu: „Ruhe, mein Herr, Ruhe!" Gelegentlich ermannte sich der Marineminister Pelletan zu einem Apell an den Patriotismus des roten Syndikats, indem er flehte, Staatsarbeiter, deren Sorge die Kriegsmarine, die Rüstung des Landes anvertraut sei, dürften doch nicht streiken. Man lachte ihn aus. Die sozialistische Stadtverwaltung unterstützte die revolutionären Gewerkschaften und ihre Streiks reichlich mit Geldmitteln. Der Arbeitsbörse votierte sie 100 000 Franken; doch die Arbeitsbörfe mußte später wohl oder übel als Hort des revolutionären Antimilitarismus von der Regierung aufgehoben werden. Einmal, als ihm das wüste Chaos völlig über den Kops wuchs, requirierte der Bürgermeister Aubert selbst Militär; dafür wurde er von den Genossen moralisch gesteinigt. Die sozialdemokratischen Stadtväter übertrumpften überhaupt einander an Radikalismus und Wahnsinn, gerieten sich auch untereinander fürchterlich in die Haare. Einen Spezialkampf leitete der Beigeordnete Goude mit der städtischen Feuerwehr ein, deren Hauptmann Alimard sein Mißfallen erregt hatte, aber den Platz nicht räumen wollte. Anfänglich standen Alimards Leute in dem Konflikt treu zu ihm; Goude aber vermochte die Hälfte zum Abfall zu verleiten, dann sperrte er dem Feuerwehrhauptmann gewaltsam sein Bureau und gab öffentlich bekannt, daß niemand Herrn Alimard mehr etwas für die Feuerwehr liefern dürfe. Genug, zwei Jahre war die Feuerwehr völlig desorganisiert, leistungsunfähig gemacht, bis endlich auch ihr Hauptmann den Platz räumte.
Nun noch einiges über die wirtschaftlichen und sozialen Leistungen der sozialdemokratischen Stadtverwaltung von Brest. In einer ihrer ersten Sitzungen verbot sie den Priestern das öffentliche Tragen der letzten Wegzehrung zu Sterbenden; man könne sie, sagte der Antragsteller, in einen Sack stecken. Ebenso wurden öffentliche religiöse Amtshandlungen bei Begräbnissen verboten. Bei der Festsetzung des städtischen Oktrois wurden die Schornsteine mit einer Abgabe von 30 Centimes belegt, „weil sie dazu dienen, die Reichen zu wärmen". Parfümierte Seife, deren Geruch bei Offiziers- und Beamtenfrauen auf der Straße einer der Aedilen nicht ertragen zu können erklärte, wurde mit 24 statt 5 Franken Abgabe belegt; ebenso ward eine Erhöhung für Spiegel beantragt usw. Bevor sie ans Ruder kamen, hatten die Macher verkündet, sie würden dem Bürgermeister und den Beigeordneten natürlich nicht die üblichen Gehälter votieren. Dafür erkannten sie sich um so höhere Entschädigungen zu, reisten auf städtische Unkosten, wenn es ihnen beliebte, nach Paris, um Regierung und Parlament ihren Willen kundzugeben u. dergl. Die städtische Kasse, so sagt und beweist Coudurier, war der Plünderung preisgegeben. Die rote Kohorte hatte sie mit einem Aktivbestand von rund einer halben Million übernommen ; nach zwei Jahren war sie leer und Defizit im städtischen Haushalt. Die Hauptsteuer, die Mielssteuer wurde so umgestaltet, daß die Menge gar nichts zahlte und die Leute mit mittleren und besseren Einkommen um 70 bis 200 Prozent gesteigert wurden. Um sich populär zu machen, votierte der Stadtrat u. a. die Verteilung von Milch an Mütter, die nicht säugen können; im städtischen Haushalt für 1907 ist dieser Posten mit 35000 Franken aufgeführt, davon 18000 Fr. für Verwaltung (!) und 17 000 Fr. für verteilte Milch.
Unter den fortwährenden Streiks und Streikdrohungen und der ganzen tollen Mißwirtschaft stockten Handel und Gewerbe und die Arbeiter mußten mit oder am meisten dabei leiden. Die Handelskammer, die Industrie erließen einen Notschrei nach dem andern. In den drei Jahren 1904—6 nahm laut der städtischen Statistik der Verbrauch an Rindfleisch um 80 000 Kilogramm 'ab, der Verbrauch an Pferdefleisch um 100 000 Kilogramm zu. Am markantesten war die Baukrise. 1902 wurden 120 Neubauten unternommen, 1903: 94, 1904: 63, 1905: 47, 1906: 32, 1907: 15. Die schon 1904 von der Militärverwaltung größtenteils für verseucht erklärte Wasserleitung ist nicht verbessert, die alten Festungsmauern, die fallen sollten, stehen noch, das Hospital ist überfüllt usw.
Indes bricht schon seit fast zwei Jahren diese tolle Mißwirtschaft in sich selbst zusammen. Die Bürgerschaft und die Industrie von Brest griffen
zur Selbsthilfe, da sie auch vom Ministerium Cle- menceau keine erhielten. Der „roten" Gewerkschaft wurde eine „gelbe" entgegengestellt, und schon 1906 deren Sekretär Biotry an Stelle des Radikalen Js- nard in die Deputiertenkammer gewählt. Die Marineverwaltung und die Gerichte griffen schärfer zu. Bei Nachwahlen zur Stadtverordnetenversammlung drangen bürgerliche Kandidaten durch. Angesichts des augenscheinlichen Bankerotts der sozialdemokratischen Stadtverwaltung desertierten die Mitglieder allmählich derart, daß im Herbst 1907 von 36 nur noch 14 übrig waren. Einer traktierte den andern als Verräter und Renegaten. Das sind die Ergebnisse der sozialdemokratischen Stadtverwaltung von Brest. Im Mai 1908 haben Neuwahlen zu erfolgen.
Württemberg.
Stuttgart. Ein schweres Brandunglück ereignete sich am Samstag in Heslach. Eine in der Buchenstraße wohnhafte Frau, deren Mann abwesend war, wollte um 11 Uhr zu Bett gehen und warf dabei die auf dem Nachttischchen stehende Petroleumlampe um, so daß der Behälter zersprang und das ausfließende Petroleum Feuer fing. Das Feuer ergriff sofort die Kleider der Frau, die schwere Brandwunden, besonders am Unterleib, davontrug. Während das Feuer von Hausbewohnern gelöscht werden konnte, wurde der Verletzten von der Sanitätsabteilung der alarmierten Heslacher Feuerwehr die erste Hilfe gebracht. Gegen 12 Uhr wurde sie alsdann mittelst Krankenwagens in das Katharinen- Hospital überführt. Die erlittenen Brandwunden waren jedoch so schwere, daß sie dort gestern vormittag ihren Verletzungen erlegen ist.
Herrenberg, 14. März. Ländlich—sittlich? Vor dem hiesigen Schöffengericht kam gestern nachmittag ein Milchfälschungsprozeß zur Aburteilung, der zeigt, wie unverschämt manche Leute ihre Abnehmer über die Ohren hauen. Mußte doch der Vorstand des städtischen Laboratoriums Stuttgart, der als Sachverständiger geladen war, erklären, daß ihm in seiner ganzen Praxis so hohe Wasserzusätze, wie im vorliegenden Fall noch nie vorgekommen seien. Sämtliche Angeklagten sind von Bondorf im Gäu und lieferten durch Vermittlung der dortigen Molkerei, die Milch in die Stuttgarter Milchzentrale. Bestraft wurden: Anna Marie Wid- maier, Wagners Ehefrau, Karoline Kußmaul, Bauers Ehefrau, Anna Maria Mutz, Taglöhners Ehefrau, Katharine Barbara Roll, Unterhändlers Ehefrau, sämtlich mit 15 Mk. Geldstrafe, Christine Katharine Gauß, Straßenwartsehefrau mit 30 Mk. Die letztere schlug den Rekord mit einem Wasserzusatz von 5 1 auf 2 1 Milch. Die nächstfolgende, Kußmaul, die wie festgestellt wurde, über ein freies Vermögen von etwa 30 000 Mk. verfügt, begnügte sich mit einem Zusatz von 1?/s 1 Wasser auf etwa 6 I Milch. Und dabei wollen diese Leute noch geltend machen, sie haben nur den Melkkübel „a Bisle" ausgeschwenkt. Mit Recht wurde ihnen da vom Vorsitzenden entgegengehalten, daß sie dann dieses Schwenkwasser in den Schweinekübel zu schütten haben oder für ihren persönlichen Gebrauch verwenden können. Wie manches Wimmern eines armen Kleinen mag sich an den „Genuß" solcher Milch geknüpft haben bis man der Sache auf die Spur kam? Daß letzteres gelang ist einem sachgemäßen Vorgehen der Stuttgarter Polizeiverwaltung zu verdanken, welche in der Person des Polizeiinspektors Göz als Zeugen in der Verhandlung vertreten war. Bei der Strafausmessung wurde in Betracht gezogen, daß sich die von den Angeklagten zu zahlenden Untersuchungskosten auf etwa 1000 Mk. belaufen. Trotz der Höhe der letzteren wird mit den Fälschern niemand Mitleid haben.
Biberach, 14. März. Vorgestern fand in der städtischen Turnhalle auf Einladung des Bezirksrats eine von ca. 300 Männern aller Stände besuchte Versammlung statt, welche durch Ingenieur Wahlström aus Stuttgart über Errichtung einer elektrischen Ueberlandzentrale für die Bezirke Biberach, Blaubeuren, Ehingen, Laupheim, Leutkirch, Münsingen und Riedlingen sachverständige Belehrung und Aufklärung erhielten. Nach der Stimmung in der Versammlung darf mit Sicherheit auf die baldige Inangriffnahme des großen Werkes gerechnet werden.
Stuttgart. lLandeSproduktenbörse.1 (Bericht vom 16. Mörz.) Sowohl die Witterung wie auch die Temperatur waren in der abgelaufenen Woche veränderlich, im ganzen aber der Jahreszeit entsprechend. Das Wasser ist, nachdem ein erheblicher Rückgang eingetreten war, wieder gewachsen, wodurch sich die Binnenschiffahrt überall voll entfalten kann und der Weiterbeförderung der mit Seeschiffen anlangenden Güter zurzeit keine Hindernisse im Weg stehen. Ueber den Sautenstand liegen neuere Meldungen nicht vor. Geld ist etwas billiger geworden, die Reichsbank hat ihre
Redaktion Vr«<S sad Verlag ss« L. Msrtz t»
Sätze um ein halbes Prozent ermäßigt, ist aber selbst damit noch immer 2°/o höher wie die Bank von England. Was nun die Lage des Weltmarktes betrifft, so hat sich zwar die vorwöcheniliche Zuversicht nicht allenthalben behaupten können, es muß aber festgestellt werden, daß, trotz der fortgesetzt erheblichen Verschiffungen von Argentinien, die Weizenpreise gegen den Wochenschluß wieder angezogen haben. Wenn wir noch einen kurzen Blick auf die inländischen Bestände und Zufuhren Wersen, so ist die ganz erhebliche Abnahme derselben in die Augen springend. Der Verkauf begegnet stets guter Nachfrage. — Mehl preise per 100 Kilogramm inkl. Sack: Mehl Nr. 0: 33 Mk. - Pfg. bis 34 Mk. - Psg., Nr. i : 32 Mk. - Pfg. bis 33 Mk. - Psg., Nr. 2: 31 Mk. - Pfg. bis 32 Mk. — Pfg., Nr. 3: 30 Mt. — Pfg. bis 31 Mk. — Pfg., Nr. 4: 28 Mk. SO Pfg. bis 29 Mk. 50 Psg. Kleie 10 Mk. 75 Pfg. bis 11 Mk. — Pfg. (ohne Sack).
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Wie hoch Könige und Kaiser ihr Leben versichern. Der verstorbene König Carlos von Portugal hatte sein Leben bei zwei Gesellschaften mit Summen von je 800 000 Mk. versichert, so daß der an die portugiesische Königsfamilie auszuzahlende Betrag mehr als 14/s Millionen Mark beträgt. Die Königin soll sich dahin geäußert haben, daß sie den größten Teil dieses Geldes unter die Armen von Portugal will verteilen lassen. Andere Herrscher haben ihr Leben mit nicht geringeren Summen versichert. So kostete der Schuß, mit dem der Anarchist Bresci König Humbert von Italien tötete, einigen englischen Lebensversicherungsgesellschaften sogar 30 Millionen Mark. Freilich müssen solch hohe Persönlichkeiten, die an exponierter Stelle im öffentlichen Leben stehen, auch sehr hohe Prämien zahlen. König Alexander I. von Serbien hatte kurz vor seinem Tode sein Leben in London mit 1600 000 Mk. versichern wollen, aber die geforderte Jahresquote erschien ihm zu hoch und er wollte mit einigen Gesellschaften auf dem Kontinent abschließen, als die Katastrophe seiner Ermordung die Gefährlichkeit seiner Lage enthüllte und die Bedenken der Gesellschaften rechtfertigte. Napoleon III. hatte seinen Sohn in frühester Kindheit bei englischen Gesellschaften mit der Summe von 40 Millionen Mark versichert, die bei der Großjährigkeitserklärung des Prinzen ausbezahlt werden sollten. Die Summe wurde auch ausgezahlt, aber zu dieser Zeit war der entthronte Kaiser schon tot und der Prinz war Zögling der Militärschule von Woolwich. Wenige Jahre später fiel Lulu unter den Assegais der Zulus. Die meisten Lebensversicherungen, die an das Leben eines Herrschers geknüpft sind, beziehen sich wohl auf die Persönlichkeit König Evuards. Nicht nur daß er selbst nach genauen Berechnungen mehr als für 10 Millionen Policen „mit sich trägt", sondern es haben auch viele Leute sein Leben mit großen Summen versichert, weil sie bei irgend einem unglücklichen Zufall, der ihm zustößt, schwere finanzielle Einbußen für sich befürchten. Die Summen, die auf diese Weise zum Tode König Eduards in enge Beziehungen gebracht sind, lassen sich ihrer Höhe nach nicht abschätzen, doch betragen sie nach einer durchschnittlichen Berechnung der jährlich unter dieser Bedingung aufgenommenen Policen mehr als 50 Millionen. Als Königin Viktoria starb, betrugen die Gelder, die allein in London auf Grund solcher Versicherungen ausbezahlt wurden, 5 Millionen Mark. Von dem deutschen Kaiser weiß das englische Blatt, dem wir diese Mitteilungen entnehmen, zu berichten, daß er hauptsächlich im eigenen Lande bei Gesellschaften versichert sei und daß die Policen mehrere Millionen betragen. Die hohen Summen mit denen die Herrscher ihr Leben versichern, werden manchmal von den Beträgen übertroffen, mit denen einige sehr reiche Leute ihr Leben eingeschätzt haben. Einige amerikanische Millionäre stellen darin den Rekord auf. Miß Helen Gould besitzt eine Lebensversicherungspolice für 40 000 000 Mk.; sie wird hierin noch übertroffen von James C. Colgate, der mit 60000 000 Mk. versichert ist. Der am höchsten versicherte Privatmann der Welt ist Rodman Wanamaker in Philadelphia; sein Ableben wird den Versicherungsgesellschaften die beträchtliche Summe von 128 000 000 Mark kosten.
Im scheenen Sachsenlande. In Leipzig kommt ein Fremder an, der nach Vorort Probstheida will und dieserhalb einen Schutzmann fragt, welche Straßenbahnlinie er zu benutzen habe. — „Da missen Se mit der L fahren." — „Schön, danke." — Die L-Linie wird bestiegen und fort geht es bis zum Vorort — Leutzsch. Erstaunen und Entrüstung auf seiten des Fremden, dann eine energische Interpellation an den Kondukteur. — „Ja, mei Kuter, da sin Se selber schuld, Se hätten ähm fragen missen, ob Se mitt der harten oder weechen L-Linie fahren mußten. Nach Probstheida geht die mit'n harten L."