88 . Amts- und Anzeigeölatt für den HLezirk Kalw. 78. Jahrgang.
LischeinungStage: Dicn«1ag, Donnerstag, TamS- tag, Sonntag. JnsertionSpreis 10 Psg. pro Zeile silr Stadt und Sezirliorte; außer Bezirk 12 Pfg.
Sonntag, den 7. Zum 1903,
AbormementSpr. in d. Stadt pr. Viertelj. Mk. 1.10 incl. Lrägerl. Dierteljährl. Postbezugspreis ohne BefteNg. f. d. Orts- u. Nachbar- ortsverkehr 1 Mk., f. d. sonst. Verkehr Mk. 1.10, Bestellgeld 20 Pfg.
Amtliche Nekanrrtmachrmgen.
Bekanntmachung des Keiegsministeriums, detreffend den Ankauf von Remonten für das Rsmontedepot Breithülen.
Für das Königliche Remontedepot Breilhülen wird wie im Vorjahr eine Anzahl Remonten auf Märkten im Lande angekauft und zwar: am 18. Juni in Münsingen,
„ 19. „ „ Waldsee,
„ 20. „ „ Saulgau,
„ 22. „ „ Horb,
„ 23. „ „ Bietigheim,
je vormittags von 8 Uhr ab unter folgenden Bedingungen :
1) Die Pferde müssen im Alter von drei Jahren stehen, gesund, fehlerfrei, von gutem Körper- und Fußbau und auf den Knochen unverbraucht sein, auch derben Huf haben.
Ausnahmsweise dürfen auch Pferde, die im Jahre 1899 geboren sind, vorgestellt werden.
2) Hengste, Spitzhengste, trächtige Stuten, Schimmel, Falben, Pferde mit häßlichen Abzeichen sind ausgeschlossen.
3) Der Ankauf erfolgt in erster Linie von Züchtern und Pferdebesitzern Württembergs. Die Dcck- scheine bezw. die Füllenscheine sind beizubringen.
4) Der Verkäufer haftet für die gesetzlichen Gewährsfehler (Reichsgesetzblatt 1899 S. 219).
ö) Die angekauften Pferde werden sofort gegen bare Bezahlung abgenommen.
6) Jedem Pferd ist eine neue starke rindlederne Trense mit starkem Gebiß und eine starke Kopfhalfter von Leder oder Hanf mit zwei
mindestens zwei Meter langen Stricken ohne besondere Vergütung mitzugeben.
Stuttgart, den 30. Mai 1903.
gez. von Schnürten.
Tagesneuigkeiten.
Calw. Das allgemeine Kinderfest soll Heuer am Mittwoch, den 17. Juni, statt- findcn. Der Ausschuß ist bereits in voller Tätigkeit um den Kleinen einen recht vergnügten und unterhaltenden Tag zu bereiten. Nächster Tage wird die übliche Sammlung freiwilliger Beiträge, ohne welche die Abhaltung des Festes unmöglich wäre, von Haus zu Haus vorgenommen und es darf bei der Beliebtheit, dessen sich das allgem. Kinderfest trotz seines kurzen Bestehens hier bei Alt und Jung zu erfreuen hat, ohne Zweifel wieder ein günstiges Ergebnis dieser Sammlung erhofft werden.
C a'lw. Infolge nachträglicher Aenderung des Reiseplans der K. Oberersatzkommission hat die Vorstellung der Militärpflichtigen zur Aushebung in Calw am 1. und 2. Juli zu erfolgen.
fAmtliches aus dem Staatsanzeiger.f Bei der Ende April d. I. vorgenommenen ersten mittleren Eisenbahndienstprüfung wurden unter and. Kandidaten für befähigt erkannt: Karl Mau ch und August Schuh von Calw. Dieselben sind in das Verhältnis von Eisenbahnpraktikanten I. Klasse eingetreten.
Vom unteren Remstal, 5. Juni. Erfreuliche Aussichten bietet der gegenwärtige Stand der Weinberge in dem diesseitigen Gelände. Das
für die übrigen Pflanzengattnngen weniger förderliche trockene Wetter hat das Wachstum der Traubenschößlinge überraschend gefördert. Die -Fruchttriebe sind zahlreich vorhanden und lassen, wenn nicht Schadengewitter und andere mißliche Einflüsse einfallen, den Weingärtner gute Hoffnungen in Aussicht nehmen. — Gefördert durch das warme, sonnige Wetter gehen die Frühkirschen der Reife entgegen und werden solche schon zu Verkauf gebracht. Leider haben die Maifrosttage die Aussichten auf eine gute Ernte sehr herabgemindert; die Spätkirschcn bieten noch etwas bessere Erträge. — An den Ob st bäumen sind viele Blüten- bezw. Fruchtknospen abgefallen und wird wohl der Obstertrag durchschnittlich ein karger werden. — Tie lange Trockenheit mindert die Erwartungen auf einen reichlichen Ertrag an Klee- und Heufutter und haben auch die Mäuse in manchen Feldern viel geschadet.
Gmünd, 3. Juni. Gestern nachmittag zwischen 1 und 3 Uhr zogen einige schwere Gewitter, während deren cs wiederholt h agelte, über Stadt und Gegend hin. Die Gartengewächse wurden hier stark, die Feldfrüchte dagegen wenig beschädigt. In Straßdorf ist der Schaden erheblicher. Von andern Bezirksortcn sind befürchtete schlimme Nachrichten bis jetzt nicht eingetroffen.
Wiesbaden, 5. Juni. Gestern Abend fand die erste F- e st v o r st e l l un g des Oberon statt. Als das Kaiserpaar und seine Gäste die Hofloge betraten, wurde es von schmetternden
Nachdruck verboten.
Areiwillig arm.
Original.Roman v. Jda John-Arnstadt.
(Fortsetzung.)
„Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er/ flüsterte die Zurückbleibende im Lehnstuhl vor sich hin und dabei perlte Träne um Träne auf ihre gefalteten Hände nieder. Wenn er sie aufgab, ihre stolze Lori, um der vermeintlichen Armut willen! — Ach, sie kannte die Männer! Ihr Liebster war ja auch fortgewandert in die weite Welt ohne Lebewohl und hatte eine Reiche genommen, nachdem sie gestürzt und ein Krüppel war. Bei Lori lagen die Verhältnisse anders, ganz anders. Aber ihr unbändiger Stolz. Nie und nimmer würde sie ihm verzeihen und wenn sie darüber sterb.n müßte, das wußte Jungfer Holdermann ganz genau.
Wenn die Kleine nur nicht aufwachte! Jede Minute Schlaf länger ist ein köstlicher Schatz, wenn das Unglück auf einen lauert, deshalb auch hielt sie dem plötzlich unter ihrem Stuhl auffahrenden Spitz die Schnauze zu und winkte einem auf das Haus hrrantrabenden Jungen mit einem Briefe in der Hand, schnell unter ihr Fenster zu kommen, wo sie ihm das Schreiben abnahm.
Gott sei Dank! es war von ihm, von Baron von Brunmck; einen solchen dreieckig gefaltenen Umschlag mit der gleichen Handschrift, adressiert an „Fräulein Lconore Ho'dermann," hatte er schon einmal geschickt, irgend ein Buch betreffend.
In ihrer freudigen Aufregung dachte die treue Alte nicht daran, daß sie dem pfiffig lachenden, sich entfernenden Jungen statt des üblichen Groschens einen Fünfziger gegeben hatte und nun hält sie den Brief in ihren zitternden Händen und überlegte, ob und wie sie Lcri wohl wecken könne, so rasch als möglich; hinausgehen konnte sie ja doch nicht. Eben ergriff sie die alte Elle, um damit gegen die niedrige Zimmerdecke zu stoßen, als Lori einirat. Das Festkleid hatte sie abgelegt und mit einen einfachen dunklen Hausgerand vertauscht; unheimlich groß
leuchteten ihre Augen in dem erblaßten Gestchtchcn. Noch ehe Tantchen ein Wert der B grüßung herausbrachte, hatte sie den Brief an sich genommen und las ihn.
Mit einem Schrei, so herzzerreißend, wie ihn nur die höchste Verzweiflung ausstößt, reichte sie Tante den Zettel hinüber und warf sich auf den nächsten Stuhl, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend.
Vergebens mühte sich das alte Fräulein, die Botschaft zu lesen; das Papier flog auf nieder in ihren zitternden Händen und trotz der Brille tanzten die Buchstaben unleserlich vor ihren Augen.
„Was ist mit dem Baron, Kind?" fragte sie daher.
Lori nahm die Hände vom Gesicht und stand auf, ganz ruhig. „Er ist fort," sagte sie, als spräche sie von einem Fremden. „Höre, Tante Adel! Ich will Dir sein Schreiben vorlesen, und dann sage Du mir, was ich tun soll:
Mein süßes Lieb! Mein Lorchen!
Zum letztcnmale, schon fern von der Heimat, rede ich zu Dir, denn ich kann und will Dein junges Herz nicht an mich ketten, da ich Dich doch nicht glücklich machen kann, nie mein nennen darf. Ich habe der Liebe entsagt, ohne sie je aus meiner Brust reißen zu können. Einsam, unglücklich auf immerdar, gehe ich dahin, wo ni-mand mich kennt, um bei harter Arbeit den ausschrcienden Schmerz zu betäuben. Ich sage Dir nicht, was mir geschehen, ich kann es nicht; daß es unabänderlich ist, mein schweres Entsagen, mußt Du mir glauben, auch wenn ich Dir die traurigen Tatsachen, die es reranlaßten, verschweige muß. Vergiß den Unseligen, der Dich so innig liebst und werde glücklich an der Seite eines Bevorzugteren. Meine unvergängliche Liebe zu Dir bleibt der Stern meines elenden Lebens bis zum letzten Atemzuge. Gott schütze Dich!
Ewig Dein Arnold.
Das Blatt flatterte zu Boden, wortlos und fest hielten sich die beiden Frauen umschlungen — lange, bis die Abenddämmerung hereinbrach und das Hausgetier nach Fu'.ter lernte.
(Fortsetzung folgt.)