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L. Simmozheim, 24. Mai. Heute fand hier der Bezirkskriegertag für das Oberamt Calw bei prächtigem Wetter statt, eingeleitet mit Böllerfchießen und Tagwachtblasen. Schon während des Vormittags und noch mehr während der Nach­mittagsstunden eilten die Kriegervereine und Neu­gierige von allen Seiten dem Festorte zu, so daß die Gasthäuser die vielen Besucher fast nicht mehr zu fassen vermochten. An daS Mittagessen, welches im Gasthaus zum Adler stattfand, schloß sich um 1'/» Uhr der Festzug durch den Ort an. Als der­selbe beendet war. nahmen die Kriegervereine an der vor dem Rathause errichteten Tribüne Aufstellung, wo der Hauptteil des Programms für den Festtag sich abwickelte. Mit dem packenden Lied:Wir grüßen dich, du Land der Kraft und Treue", wurde dieser eingeleitet. Hierauf betrat Herr Schultheiß Hilligardt die Tribüne, um die Vereine namens der Gemeinde willkommen zu heißen, schließend mit einem kräftigen dreimaligen Hoch auf seine Majestät den König von Württemberg, an welchen schon mittags ein Huldigungstelegramm abgesendet worden war. Nachdem der Kriegerverein Gechingen noch das Lied: Wer seine Hände falten kann", vorgetragen hatte, ergriff Hr. Prof. H aug-Calw, Vorstand der Krieger­vereine des Bezirks Calw, das Wort zu den ge­schäftlichen Mitteilungen. Der Redner dankte ein­gangs allen denen, welche zum Gelingen deS Tages beitrugen in herzlichen Worten und ging über zu dem Stand der Sterbekasse, der aber erst bei der nächsten Generalversammlung im Herbst oder Winter publiziert wird. Eingetreten ist im Lauf des vorigen Jahres der Militärverein Gechingen. Der Beitritt des Militärvereins Neuwciler, welcher sich erst vor einigen Wochen konstituiert hat, wird binnen kurzem erfolgen. Interessant war die Vergleichung des Milizshstems mit dem stehenden Heer, zu welchem der Burenkrieg die besten Belege abgiebt. Mit einem Hurrah auf das Heer schloß der Vorstand seinen von glühender Begeisterung und glühender Vaterlands­liebe durchwehten Bericht, in das alle Anwesenden begeistert einstimmten. Nach dem offiziellen Teil war es den meisten nicht mehr lange vergönnt, am Festorte zu weilen; aber alle schieden mit dem freu­digen Bewußtsein: Heute haben wir einen herrlichen Tag miteinander verleben dürfen.

Nagold, 25. Mai. Vor einer Wählermenge, die der Rößlessaal bei weitem nicht fassen konnte, entwickelte unter dem Vorsitz von Sägwerkbesitzer C. Reichert der von Präs. Payer begleitete Kandidat der Volkspartei, Kfm. und Mühlebefitzer Schweik- hardt aus Tübingen, sein Programm. Er ist für langfristige Handelsverträge, will sich in Militär- und Marinefragen genaue Prüfung etwa weiter an­gesonnener Ausgaben Vorbehalten, aber die Schlag­fertigkeit deS Heers und der Marine garantiert wissen. Im übrigen beruft er sich auf das volks­parteiliche Programm. Hierauf ergriff, stürmisch begrüßt, Kammerpräsident Payer das Wort und führte aus, welche nachteiligen Wirkungen der Zolltarif und besonders derjenige für Getreide ausüben würden, wenn keine Handelsverträge zustande kämen. Er geißelt in satyrischer Weise die einseitigen Bestreb­ungen der meist aus norddeutschen Junkern zu­sammengesetzten konservativen Partei und ihres Ab­legers, des Bunds der Landwirte. Der Müllerver­band richtete eine Anfrage an den Kandidaten, wie

er sich zu einer Umsatzsteuer für die Großmühlen stelle, worauf dieser antwortete, daß er, solange als nicht alle Großbetriebe zu einer Umsatzsteuer her­angezogen werden, sich nicht für eine solche für die Großmühlen erwärmen könnte. Stadtgartenverwalter Hiller aus Stuttgart, der Sekretär des Müllerver­bands, übte hierauf eingehend Kritik sowohl an des Kandidaten als an Payers Ausführungen, worauf Payer erwiderte. Ein konservativer Nagolder Gerber beklagte sich darüber, daß sich die Beamten ihre Stiefelwaren von auswärts kommen lassen. Die Stimmung hier dürfte hälftig für die Volkspartei und hälftig für den Bauernbund sein. (Sch. M.)

Wildbad, 25. Mai. Durch die naßkalte Witterung ist die Vegetation ziemlich lange zurück­geblieben und jetzt erst sind Kirschen- und Birnbäume in voller Bliue und Buchen und Birken entwickeln ihr junges Laub. Aber nun bietet auch das Enztal einen wundervollen Anblick und wird von Scharen von Touristen durchwandert. Wildbad ist durch die neuen Höhenwegbezeichnungen der Hauptausgangs­punkt für Touristen im nördlichen Schwarzwald ge­worden. Die Stadt selbst wird immer hübscher, mehr und mehr haben die kleinen unansehnlichen Häuschen in den Hauptstraßen stattlichen Gebäuden Platz gemacht. Den Vemühungen der Kgl. Badver­waltung ist es gelungen, daß diesen Sommer neben den direkten Wagen Stuttgart und Frankfurt-Wildbad auch solche von München und Berlin-Wildbad in einzelne Züge eingestellt werden. Eine große An­nehmlichkeit bildet die ausschließlich für Kurgäste reservierte Anlage mit prächtiger Sonnen- und Lese­halle. Gegenwärtig weilen 600 Fremde hier und die Bäder werden schon sehr stark benützt.

Lauffen a. N., 24. Mai. Die Kriegs­festspiele, der Feldzug 1870/71 (patriotische Dar­stellung in 29 lebenden Bildern mit verbindender Dichtung und Musik), wobei ca. 100 Personen, mei­stens Mitglieder des Krieger- und des Militärvereins mitwirkten, kamen heute nachmittag im geräumigen Schjvanensaale erstmals zur Aufführung. Auch heute abend fand eine Vorstellung derselben statt. Beide Aufführungen erfreuten sich eines außerordentlich zahlreichen Besuches.

Ludwigsburg, 23. Mai. Der Dragoner H ahl der 1. Eskadron des hies. Drag.-Reg. wollte gestern vormittag zwischen 10 und 11 Uhr in der Kaserne zu einem Gangfenster in den Hof hinaus­sehen, ob die Eskadron eingerückt sei, bekam aber das Uebergewicht und stürzte hinab, wobei er einen Fuß brach und sich sonstige Verletzungen zuzog. Hohl wurde sofort ins Lazarett verbracht.

Ulm, 26. Mai. In der Anklagesache gegen den Schafhalter Jakob Ra ach und gegen die Wstwe Schenzle von Münsingen, die beide wegen Mords zum Tode verurteilt worden sind, hat der König von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch ge­macht. Die Doppelhinrichtnng findet am Donnerstag früh 5 Uhr in Ulm statt.

Ravensburg, 23. Mai. Am 12. ds. wurde hier eine Ausgrabung vorgenommen, um dasFür und Wider" den Holzsarg zur Anschauung zu bringen. Die ausgegrabenen beiden Leichname lagen 6 Jahre 4 Monate in der Erde, unmittelbar neben einander, beide waren beinahe gleichen Alters, beide an Tuberkulose gestorben. Entstieg schon bei

den Ausgrabungsarbeiten dem Holzsarg ein wider­licher, ekelerregender Fäulnisgeruch, so war der An­blick, nach Oeffnen des Sargs, von welchem der Deckel mit Pickel abgelöst werden mußte, ein noch viel mehr abstoßender. Im Hartgußsarg (Tachyphag) dagegen war der Körper außer einigen sogenannten Holzrippen beinahe vollständig zerfallen, vom Leich­nam bloß noch Schädel, die groben Fuß- und Arm­knochen zu sehen, das Ganze trocken, ohne jede Spur eines Fäulnisgeruchs. Durch diese Ausgrabung ist der vollste Beweis geliefert, daß der Tachyphag den Holzsarg verdrängen muß.

Ntannheim, 26. Mai. Das hiesige Kriegs­gericht verhandelte heute gegen den Grenadier Walz aus Mannheim wegen Körperverletzung mit nachge­folgtem Tode. Walz soll in der Nacht von Oster­sonntag auf Montag dem Kaufmann Max Borger aus Mannheim außer verschiedenen Verletzungen am Kopf auch einen Stich mit seinem Seitengewehr in den Unterleib versetzt haben, an dessen Folgen er starb. Den Stich bestritt Walz, gab indessen zu, infolge wiederholter Angriffe Bergers mit dem Seitengewehr geschlagen zu haben. Der Vertreter der Anklage ließ selbst wegen des tödlichen Stiches die Anklage fallen, weil Berger selbst in das Seiten­gewehr gerannt sein könne und beantragte nur Strafe wegen Mißbrauch der Dienstwaffe. Der Vertreter des Angeklagten plaidierte für Frei­sprechung, weil Notwehr vorliege. Das Gericht urteilte in diesem Sinne.

Berlin, 26. Mai. Nach einer Wiener Depesche meldet die Neue Freie Presse aus Ueskueb, daß am Sonntag im Walde bei Smerdosch-Balkan ein Zusammenstoß türkischer Truppen mit bulgarischen Banden stattgefunden habe, wobei 17 Bulgaren ge­tötet wurden. Die übrigen flüchteten und wurden verfolgt. Im Kampfe der türkischen Kavallerie mit den Albanesen am 13. Mai wurden 13 Türken dar­unter 2 Offiziere getötet und 7 verwundet.

Paris, 25. Mai. Die furchtbaren Un­glücksfälle, die sich auf der ersten Strecke der Automobilwettfahrt Paris-Madrid ereigneten, haben hier große Bestürzung hervorgerufen. Bisher haben sieben Personen ihr Leben eingebüßt, nämlich 3 Maschinisten, der Wettfahrer Porter, welcher mit seinem Wagen verbrannte, ein Soldat namens Dupuy, ein Zuschauer Gaillin, der von dem Wagen des Wettfahrers Turand überfahren wurde, und schließlich eine Frau, die in Ablis beim Ueberschreiten der Straße getötet wurde. 4 Personen, die Wett­fahrer Martin Renault, Turand, Stead Lorraine Barow, sowie ein Zuschauer wurden tödlich, 8 Per­sonen schwer verletzt. Doch geht das Gerücht, daß die Zahl der Opfer noch eine größere sei und die Nachricht, daß der Ministerpräsident Combes die Fortsetzung der Wettfahrt auf französischem Boden untersagt hat, hat deshalb niemand überrascht. Die vom Automobilklub in Bordeaux veranstaltete Illu­mination wurde gestern abend zum Zeichen der Trauer abgebrochen. Um Mitternacht sind in Bordeaux 107 Wettfahrer eingetroffen. Es heißt, eine Anzahl von ihnen werde sich mit einer kleineren Geschwin­digkeit an die spanische Grenze begeben, um dort mit entsprechenden Verbindlichkeiten an der Wettfahrt weiter teilzunehmen. Man hält es für zweifellos, daß die Regierung in Zukunft überhaupt keine Straßen­wettfahrten mehr gestatten wird.

schob sie den Fahrstuhl mit der wehmütig dreinschauenden Kranken vor sich her, leicht, als hätte sie das schon lange geübt, und auf Waldwegen, welche die Halb­gelähmte seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte.

Noch einmal leuchteten ihre alten, müden Augen in fast jugendlichem Schim­mer auf, als jener unvergleichlich romantische Ausblick über den See und das Forsthaus in das Gebirge hinaus sich aufiat, heute noch wie einst: dieselben Tannen und Buchen und Wasser im Frühlingsschimmer, dasselbe nicht durchfurcht und verblichen gleich dem Menschenangesicht und die Zweige mit jungem Grün geschmückt. Ach Einer schritt nicht daher wie sonst, mit Büchse und Jagdtasche, den Jägerhut lustig schwingend, ihren Namen, das jauchzend gerufeneAdel" auf den jungen, blondbärtigen Lippen, denn lang, lang ist's her und er war fort­gewandert, der Falscke, just an dem Abend, an welchem sie den schweren Fall getan.

Allmächtiger!" schrie sie plötzlich auf, der Fahrstuhl hielt mit einem jähen Ruck und dort dort! Kam er nicht daher, jung, frisch, strahlend schön wie vor fünfzig Jahren, von seinem treuen Hunde begleitet?Karo!" wollte sie rufen, doch die Stimme gehorchte ihr nicht, sich besinnend auf die Wirklichkeit blickte sie verlegen lächelnd zu Lori auf, die sich erschrocken über sie neigte.

Wie wunderbar! Ein anderes Mädchen ihres Namens, eine Holdermann, und ein anderer Jäger und doch auf demselben Wege dieselbe Erscheinung: hier seliges Erröten, dort jauchzend grüßende Liebe, und die hundert Vogelstimmchen ringsum in den Zweigen sangen die gleichen Lieder wie einst im Mai. Aber der braun- und weißgefleckte Hund, welcher jetzt in lustigen Sprüngen auf Lori zulief, hieß nichtKaro," sondernHeld" und sein Herr eben den Jägerhut mit der Linken freudig schwingend war Baron Arnold von Brunneck.

Guten Morgen, meine Damen" undHeld, hierher!" erscholl es mächtig.

dann trat er heran, alles vergessend, was hinter ihm lag, Eltern, Geschwister und Kameraden, die ehrwürdige Ahnentafel und das heimatliche Bergschloß, sowie alles Ringen und Kämpfen mit Kopf und Herz in dieser schlaflos im Walde durch­wanderten Nacht, und bat in jenem bebenden, melancholisch weichen Stimmlaut, der das junge Mädchen schon gestern berückt hat,weisen Sie mich nicht von sich, Fräulein Lori; ich bin der Ihre, heute wie morgen und immerdar."

Ehe die Frauen es hindern konnten, hielt er mit einem kraftvollen Drucke seiner gesunden Hand den Fahrstuhl allein und lenkte in den Seeweg ein, und Lori ließ eS geschehen, wie selbstverständlich ging sie neben ihm her, seiner Unter­haltung mit Tante Adel lauschend, als wäre es Musik, wortlos, überwältigt von einem nie gekannten Hochgefühl.

O diese Stunde im Walde an seiner Seite. Und ihr folgte manche andere, daheim in Tantchens engem Stübchen und draußen im Schirme der Tannen und Buchen. Täglich kam er herüber von der Brunneckhöhe und täglich auch ward er milder und liebenswürdiger und erschloß den beiden einsam Lebenden sein ganzes reiches Denken und Wollen. Wie verschwanden alle anderen Männer, die gefei­ertsten. vor ihm, dem Einzigen! Von Liebe ward nicht einmal gesprochen. Ob sie es wußten, daß sie zu einander gehörten? Sie fragten sich nicht:was soll daraus werden?"

Auch Tante Adel sagte nichts dazu, nicht ein Wort, nur als er eines Abends nun völlig genesen zum letztenmale nach vier Wochen Abschied nehmend vor ihr stand, blickte sie ihn seltsam fragend an und sagte mit Betonung:Ver­gessen Sie das Lorchen nicht in Berlin."

(Fortsetzung folgt.)