366
gestand, Unterschlagungen in Höhe von 250,000 Kronen begangen zu haben.
Berlin, 20. Mai. Einer Konstantinopeler Depesche des „Lokalanzeigers" zufolge läßt das Bandenwesen nicht nach. Täglich werden aus dem Innern Gewaltakte solcher Banden gemeldet, die meistens aus 6 bis 12 bewaffneten Leuten bestehen, manchmal aber auch in stärkerer Zahl auftreten. Eine Bande von 40 Mann ist in dem Orte Selenik unweit des Ostrowo-Sees von türkischen Truppen blokiert worden.
Wien, 20. Mai. Die seit einigen Tagen eingetretene niedere Temperatur hält an. Aus verschiedenen Landesteilen werden Schneefälle und Hagelwetter gemeldet, welche an den Kulturen großen Schaden anrichlen.
Brüssel, 21. Mai. Die französischen Karthäuser haben das prachtvolle Schloß des Grafen Val de Beaulieu in Cambron-Casteau nördlich von Monts für den Preis von 3 Millionen Franks erworben.
Paris, 20. Mai. Die Untersuchung in der Humbert-Angelegenheit ist gestern endgiltig abgeschlossen worden. Die Anklageschrift umfaßt nicht weniger als 300 Seiten und schließt mit der Verweisung der Angeklagten vor das Schwurgericht wegen Fälschung und Unterschlagungen. Die Anklage auf betrügerischen Bankerott ist fallen gelassen.
London, 20. Mai. Nach Meldungen aus New - Aork herrscht an der atlantischen Küste eine tropische Hitze. '
London, 20. Mai. Morning Leader meldet aus St. Jean in Neufundland, daß das Städtchen Little Bay durch eine Feuersbrun st vollständig eingeäschert wurde. 500 Häus r, darunter sämmtliche öffentlichen Gebäude wurden ein Raub der Flammen.
Hannover, 20. Mai. Der „Hannoversche Anzeiger" meldet: Die zahlreichen politischen und persönlichen Freunde von Dr. Karl Peters unter Führung des Abgeordneten v. Kardorff haben an den Kaiser ein Schriftstück gerichtet, in welchem sie die gegen Dr. Peters wegen dessen Amtsführung in Südwestafrika erhobenen Anschuldigungen zu entkräften suchen und bitten, daß das gegen Dr. PeterS seiner Zeit gefällte Urteil aufgehoben und die Wiederaufnahme des Verfahrens eingeleitet werde. Das Schriftstück trägt die Unterschrift vieler Kolonialpolitiker und hochgestellter Persönlichkeiten und liegt bereits seit einigen Tagen im Zivilkabinet des Kaisers.
Vermischtes.
sTalsperre-Projekt betr.f Man schreibt dem Pforzh. Gen.-Anz. aus dem Nagoldtal: In die gleichförmige Ruhe unseres Tales ist neuerdings Leben gekommen durch einige weitausschauende Projekte. Unsere idyllischen Städtchen möchten mehr auch ihren Anteil an der anderweitig so rasch erfolgten Steigerung des Verkehrs haben und so stehen wir gegenwärtig im Zeichen der Eisenbahnprojekte. Dabei handelt es sich aber zunächst nicht etwa um einschneidende Aenderungen an der allerdings mangelhaften und unrationellen Anlage der Altensteiger Bahn, sondern um neue Verbindungsbahnen von Herrenberg und dem Gäu nach Nagold oder Wildberg. Daß von diesen zwei Projekten das eine dem anderen im Wege steht, liegt auf der Hand; man mag da sagen, was man will und es scheint fast, als ob infolge dieser Konkurrenz beide ins Wasser fallen sollten. Immerhin wird sich der nächste Landtag mit diesen Fragen beschäftigen. Das Projekt aber ist der Plan einer Talsperre im oberen Nagoldtal. Dieser ist schon vor einiger Zeit auf Anregung der Handelskammer Calw von der norddeutschen Talsperrengesellschaft ausgearbeitet worden und hat sich als ganz wohl durchführbar erwiesen. Umso mehr ist es darum aufgefallen, daß sich im Landtag so wenig Interesse dafür zeigte. Die betreffenden Bezirksabgeordneten schwiegen sich' aus und am Ministertisch wurde gar erklärt, „die norddeutsche Talsperrengesellschaft sei zu dem Ergebnis gelangt, daß im Enz- und Nagoldgebiet kaum mit Aussicht auf Rentabilität eine Talsperre errichtet werden könne und sie habe sich aus Württemberg wieder zurückgezogen". Darin scheint man aber offenbar unrichtig informiert zu sein. Wenigstens spricht sich
die betr. Gesellschaft in ihrem Entwurf sowohl wie in einem Schreiben aus der allerjüngsten Zeit geradezu gegenteilig dahin aus, daß sie das Projekt einer Talsperre bei Altensteig keineswegs für aussichtslos halte und es keinenfalls aufgegeben habe. Bei dieser Sachlage wäre cs doch angezeigt, der Sache näherzutreten. Eine rentable Anlage, die dem Staat den rationelleren Betrieb der Bahn Altensteig-Nagold durch Elektrizität ermöglicht, die der Industrie die billige Wasserkraft oder Elektrizität statt der teuren Kohlen bietet, die dem schiffbar zu machenden Neckar für ihren Teil Sommer wie Winter gleichmäßige Wassermassen liefert, die ganz neuartige Naturschönheiten schafft, und mit dem allem in einen seither stiefmütterlich weggekommenen Landcsteil Blüte und Wohlstand zu bringen vermag, ein solches Projekt verdient gewiß bei Staat, Gemeinde und Privaten olle Beachtung. Die vorbereiteten Arbeiten liegen in einem generellen Entwurf vor, und es wäre kein unglücklicher Griff, wenn der Staat, dem naturgemäß bei solch großen Plänen die Führung zukowmt, sich der Sache energisch annehmen würde. Es wäre das gewiß ein schönes Stück echter Heimatpolitik.
Ueber den Verlauf der Obstblüte berichten in der letzten Nummer des praktischen Ratgebers viele Obstzüchter aus allen Teilen des Reichs. Danach ist der Schaden, den Frost und rauhe Witterung in diesem Frühjahre angerichtet haben, allgemein nicht so schlimm, als man anfangs annahm. Besonders in Aepfeln, die überall prächtig geblüht haben, scheint eine reiche Ernte in Aussicht zu stehen. (Bei uns ist die Apfelblüte übrigens noch lange nicht beendigt. D. Red.)
— Im Böblinger Boten steht folg. Anzeige: Magstadt, 16. Mai. Anläßlich meiner 25jährigen Tätigkeit als Hebamme hier (1065 Geburten) lade ich meine Kolleginnen, sowie alle diejenigen Mütter, welche ich entbunden habe, auf nächsten Montag nachmittag 1'/-Uhr in meine Wohnung ein. Hebamme Wochelen.
— Ueber einen originellen Befähigungsnachweis berichtet der „Korrespondent": Einen unangenehmen Reinfall mußte die Prüfungskommission der Zwangsinnung der Sattler in Göttingen erleben. Das Gesellenstück eines Lehrlings wurde von der Kommission als untauglich zurückgewiesen und der Lehrling verurteilt, bei einem anderen Meister ein Vierteljahr nachzulernen. Der Lehrling schickte die Arbeit zur Lehrlings-Ausstellung nach Hildesheim und erhielt — den ersten Preis!
— Aus Liebe zu ihrem Manne Selbstmord verübt hat die 65 Jahre alte Schlossersfrau Auguste H. in der Herderstraße in Charlottenburg. Frau H. lebte, so schreiben Berliner Blätter, mit ihrem 20 Jahre jüngeren Mann in kinderloser, glücklicher Ehe. Nach und nach aber meinte sie, daß sie für ihn zu alt sei und ihm zur Last falle. Um ihm die Möglichkeit zu verschaffen, eine jüngere Frau zu nehmen, machte sie schon wiederholt Selbstmordversuche. Einmal wollte sie sich mit Kohlendunst, ein anderesmal mit Leuchtgas vergiften. Dann versuchte sie, sich in der Badewanne zu ertränken, einmal auch sich zu erhängen. Jedesmal wurde sie von ihrem Mann überrascht und gerettet. Neuerdings gab sie bei ihrer Nachbarin ihren Korridorschlüssel ab, „für den Fall, daß sie den anderen einmal vergäße". Abends kam ein junger Mann, um ein möbliertes Zimmer zu mieten, fand aber keinen Einlaß. Als nun die Nachbarin mit dem zurückgelassenen Schlüssel öffnete, fand man Frau H. als Leiche an der Küchentür hängen. In einem hinterlassenen Briefe schrieb sie ihrem Manne, daß sie sterben müsse, weil sie ihm nicht länger zur Last fallen wolle, und machte ihm eine Frau namhaft, an die er sich wenden möge, um sich bald wieder zu verheiraten. Auch Nummer und Aufbewahrungsort eines Sparkassenbuchs, das sie heimlich besaß, teilte sie ihm mit. Als H. heimkehrte, hatte die Polizei die Leiche der Frau bereits nach dem Schauhaus abgeholt.
(Anstandsregeln aus dem 16. Jahrhundert.) In einem sogen. „Komplimentierbuche" aus dem Jahre 1540 finden sich u. a., wie ein Mitarbeiter der „Tgl. Rundschau" schreibt, folgende Anstandsregeln für solche, welche an herrschaftlichen Tafeln teilnehmen: „Wenn du zu einer Herrentafel gehst, so sollst du vor allem deine Hände und deine
Nägel rein haben, das sollst du aber nicht bei Tische machen, sondern wenn du allein bist. — Wenn du trinkst, so hebe den Becher mit beiden Händen empor. Du sollst nicht trinken mit einer Hand, wie ein Fuhrmann, wenn er den Wagen schmiert. Ferner sollst du nicht in den Becher husten und nicht trinken, wenn du noch Speise im Munde hast, gleich dem Rind, noch mit Geräusch trinken wie ein Ochs, auch sollst du die Nase und den Mund abwaschen, wenn du getrunken hast. — Du sollst den Knochen nicht abnagen wie ein Hund, noch das Mark aus den Knochen saugen. — Einen Apfel iß nicht allein, sondern schneide ihn durch und gib deinem Nachbarn ein Stück. — Willst du eine Birne schälen, so mußt du beim Stiel anfangcn, beim Apfel beginne bei der Blume. — Tie Lutter streich' nie mit dem Daumen auf das Brot. — Die Suppe trinke nicht vom Teller, sondern iß sie mit dem Löffel, und sollst du dabei nicht laut schlürfen wie ein Kalb."
Eingesandt.
Es war sehr freundlich von dem Einsender der „Gedanken eines Bauern über die nächste Reichstagswahl" an diese zu erinnern und damit knapp 4 Wochen vor der Entscheidung die etwas allzu friedliche politische Ruhe unseres Bezirkes zu unterbrechen. — Unmöglich kann im Rahmen des zur Verfügung stehenden Raumes auf alles eingegangen werden, was der Verfasser in den Bereich seiner Gedanken zieht. Nur kurz seien einige Punkte gestreift. — Also „einen Widerspruch in sich selbst" hat der Bauer und Handwerker entdeckt und dieser Widerspruch drängt ihn, sich zur Abwechselung einmal ins Schlepptau der Agrarier, will sagen des Herrn Schrempf nehmen zu lassen. Gut, das wag er für seine Person tun, die andern Wähler aber möge er mit dieser Zumutung verschonen. „Einen kräftigen Jndustriezoll wollen sie" schreibt der Handwerker. Wer sind denn die „sie"? Etwa die bösen Sozi oder die Demokraten? Wie schlecht der Mann doch unterrichtet ist! Wer in aller Welt will denn hohe Jndustriezölle außer den mit den Großagrariern in naher Verbindung — was Zölle betrifft — stehenden kartellierten Großindustriellen? Und wozu? Doch nur um den inländischen Verbrauchern zu denen auch die Handwerker und Bauern gehören, die notwendigen industriellen Rohstoffe besonders Eisen und Eisenteile unter dem Schutze der Zölle zu verteuern. Aber unsex Handwerker hat dagegen garnichts — er und das Reich haben ja den „Nutzen" davon — wenn nur auf die agrarischen Produkte (auf alle natürlich) höhere Zölle gelegt werden, denn unser Handwerker ist ja auch — Bauer.
Nun ist aber während des Zollkampfes schon bis zum Ueberdruß oft uachgcwiesen worden, daß der Durchschnittsbauer von hohen landw. Zöllen nicht nur keinen oder nur einen verschwindenden Nutzen, sondern z. Teil Schaden hat. Wieviel mehr muß dies auf einen Bauern und Handwerker zutreffen. Ach daß unser Freund doch auch diesen Widerspruch in sich selbst gefühlt hätte!
Es sei eine bewiesene und statistisch nachgewiesene Tatsache, daß Deutschland sich selbst ernährenkönne. Also flugs die Türen zu! Theoretisch mag dieser Beweis ja ganz hübsch gelingen, praktisch nie. Einmal wächst die Bevölkerung stetig, sodann wird eine intensivere Produktion auf einem oder mehreren Zweigen landwirtschaftlicher Tätigkeit nur auf Kosten anderer ebenso wichtiger und notwendiger erfolgen können. — Soviel für heute.
Darum gebe keiner seine Stimme Herrn Schrcmpf, dem nicht einmal der Kardorff'sche überagrarische Tarifentwurf genügt, sondern wähle einen Mann, der für langfristige Handelsverträge auf bewährter caprivischer Grundlage eintritt! -nn.
Gottesdienste
am Sonntag ßrandi, 24. Mai.
Vom Turm: 208. Predigtlied: 202 Geist vom Vater rc. 9 Uhr: Vorm.-Predigt, Herr Dekan Roos. 1 Uhr: Christenlehre mit den Söhnen. 5 Uhr: Bibelstunde im Vereinshaus, Herr Stadtpfarrer Schund. Sonnerotag, 28. Mai.
8 Uhr abends: Bibelstunde im Vereinshaus, Hr. Dekan Roos.
Arettag, 29. Mar.
10 Uhr: Vorbereitungspredigt und Beichte, Herr Stadtpfarrer Schmid.