daß der alte Zuchthäusler bei seinen Vergehen niemals Privatpersonen erleichtert hat, sondern stets öffentliche Kassen und schreibt dann:
„Als er anfangs dieses Jahres seine Strafe verbüßt hatte, scheint er den ernstlichen Versuch gemacht zu haben, sich für den Rest seines Lebens in ehrlicher Arbeit durchzuschlagen. Er hatte denn auch in Wismar Arbeit gefunden und sich offenbar durch Fleiß und Anstelligkeit das Zutrauen seines Arbeitgebers erworben. Aber die Polizei machte ihm durch die Ausweisung aus Mecklenburg einen Strich durch alle seine Zukunftsrechnungen. Und noch einmal brachte ihn die Polizei um seine Arbeitsstelle. Voigt hatte als Maschinist in einer Pantoffelfabrik in Berlin von neuem Arbeit gefunden, als er abermals durch die Polizei aus Rixdorf wegen seiner Vorstrafen ausgewiesen wurde. Derartig gehetzt und umhergestoßen, geriet der als vogelfrei Behandelte wiederum auf die Verbrecherlaufbahn. Voigt ist aber nur ein Musterbeispiel für viele andere Verbrecher, denen durch die gleichen unbegreiflichen, aber allgemein geübten polizeilichen Aus- weisungsmaßregeln jede Möglichkeit genommen wird, sich wieder zu rehabilitieren und durch der Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen. Nicht nur unser Militarismus wird durch die Köpenicker Affäre in bengalische Beleuchtung gerückt, sondern auch unsere famose Strafjustiz und unsere wundersame Polizeipraxis!"
In der Stellung von Klageweibern aber möchte der Verlag Mosse hinter dem Verlag Singer nicht zurückstehen, und so ist auch das „Berl. Tageblatt" über das „tragische Geschick" des alten Verbrechers zu Tränen gerührt: „Ueber ihm ruhte das Verhängnis aller aus dem Zuchthaus entlassenen Verbrecher, und so sind denn seine Worte eine Anklage gegen das System, entlassene Sträflinge hin- und her zu Hetzen."
Der Bürgermeister von Köpenick hat sich durch sein Verhalten schon in hohem Maße lächerlich gemacht. Viel mehr aber sollte das allgemeine Gelächter sich jetzt gegen diejenigen richten, die sich als gläubige Hörer dem alten Verbrecher zu Füßen setzen und aus den Redereien des pfiffigen Gesellen Pfeile gegen unsere Strafjustiz und Polizeipraxis schmieden möchten. Aus allen Bekundungen des Gauners spricht das leicht verständliche Bestreben, seine Tat als möglichst harmlos hinzustellen; so lehnte er einzelne Fragen des inquirierenden Beamten als wohl nicht zur Sache gehörig ab, und so möchte er mit gut gespielter Heuchelei den Eindruck wecken, als sei er wie ein gehetztes Wild von der Polizei verfolgt und umhergestoßen worden. Schlimm genug, daß jetzt Blätter, die ernst genommen sein wollen, den durchtriebenen Verbrecher als ein abgehetztes Edelwild behandeln. In Wirklichkeit läßt sich doch die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß Voigt bereits im Zuchthause den Plan ausgeschwatzt hat, er wolle „ein Ding mit dem Militär drehen", und mit dieser übel angebrachten Gesprächigkeit auch die erste Handhabe für seine jetzige Ergreifung bot. Bei seinem Scheiden aus Wismar sprach er von der Regelung einer Erbschaft und deutete damit
wartet draußen — ich kam mit Extrapost von der ^ Station. Zum Ein-Uhr-Zuge soll er mich dort wieder hinführen, damit ich gegen Abend auf Schönau ankomme. Ich muß heut mit dem Grafen Lucian noch manches ordnen — und morgen — I gnädige Frau — darf ich nicht fehlen, wenn wir den Fürsten Gregor zur letzten Ruhe bringen."
Ein tiefer Seufzer zog durch das stille Gemach. Dann trat Angelika auf den Fürsten zu und reichte ihm die Hand: „Ich danke Ihnen, mein Fürst — daß Sie mir Gregors Grüße brachten — diese letzten Grüße eines treuen Herzens, das nie aufgehört hat, meiner zu gedenken und mich zu beklagen
— sie werden die letzte Strecke meines einsamen Lebens erleuchten und vergolden mit dem Glanz ihrer Treue. Ich darf seiner gedenken — das ist der Trost, der mir bleibt —. Ich darf —" Angelika sprach stockend weiter — „ich darf den beraubten Kindern Gregors keine Worte der Teilnahme und der — Liebe sagen lassen, trotzdem mein Herz diese Kinder der Fürstin Mathilde mit — glauben es Durchlaucht mir — mit mütterlicher Liebe umfaßt — mein armer Sohn fühlt ja nicht
— was ihm in dem Vater gestorben. Daß ich — so nahe ihm einst im Leben stehend und im Tode noch unvergessen von ihm — ihm morgen nicht zu Grabe folgen kann — ist ein Gebot der Konvention, dem ich mich beugen muß."
Sie neigte das weiße Haupt ein wenig, dann sah sie bittend zu dem hochgewachsenen Manne auf. „Ich weiß es — Gregor hat es mir oft erzählt —
schon auf einen Plan hin, von dem er sich viel Geld versprach. Und auch die letzte Berliner Arbeitsstelle, auf der er reichlichen Arbeitslohn fand, verließ er ohne jeglichen Anlaß. Wenn er da hört, daß seine Erzählungen einzelne Journalisten zu ernsthaften Anklagen gegen unsere Rechtspflege und Polizeipraxis veranlaßt haben, wird er wohl wieder herzlich lachen müssen. In Wahrheit hat unser geltendes Strafsystem den Verbrecher zwar nicht zu bessern verstanden, aber es hat auch mit seinen neuen Verbrechen nicht das geringste zu tun. Im übrigen soll die Schwierigkeit der Frage, wie entlassene Sträflinge am zweckmäßigsten zu behandeln sind, nicht verkannt werden. Nirgends aber wird sich wohl Widerspruch gegen die Auffassung erheben, daß die Rücksicht aus die Sicherheit der Unbestraften höher steht als jede noch so wohlgemeinte Fürsorge für entlassene Zuchthäusler. Auch das vielverlästerte System unserer heutigen Rechtspflege und Polizeipraxis teilt diese verständige Auffassung.
VermlSLhlLS.
Berlin, 30. Okt. (Respekt vor der Uniform). Seit dem Streich des Räuberhauptmanns von Köpenick ist man der Uniform gegenüber etwas kritischer geworden. Besonders die Frau eines Kriminalschutzmanns aus der Göthestraße in Charlottenburg hat ihre Lehren aus der Affäre gezogen und sie an — ungeeigneter Stelle angewandt. Bei ihr erschien eine kleine Kommission, die z. Zt. die Ofenanlagen in allen Wohnungen revidiert, ein Polizeileutnant, ein Brandmeister und ein Schorn- steinsegermeister. Man klingelt, die Frau öffnet und nun entspinnt sich durch den Spalt der Tür bei vorgelegter Sicherheitskette folgender Disput: „Guten Morgen . . . Wir wünschen die Oefen in Ihrer Wohnung zu sehen!" Die Frau: „Ja, wer sind Sie denn?" Folgt Erklärung. Die Frau: „Haben Sie denn Legitimationen?" Der Leutnant: „Aber Sie sehen doch, ich bin Polizeileutnant, meine Uniform . . ." Die Frau: „Ja, der Köpenicker Räuberhauptmann hat auch eine Uniform angehabt. Bedaure ..." Schwupp. Die Tür ist zu. Die Kommission hält sofort im Stehen eine kleine „Sitzung" ab mit dem Schlußeffekt, daß man die Frau zunächst nicht weiter belästigt.
Vom Oberrhein, 1. 9^ov. Ueber ein badisches Gegenstück zum Fall Köpenick wird berichtet: In den letzten Tagen machte ein Freiburger Feldwebel auf der Urlaubsreise bei seinen früheren Quartierleuten oben am Rhein nahe der Schweizer Grenze einen Besuch. Der Herr trug „natürlich" Zivilkleider, aber sein Urlaubspaß war in bester Ordnung. Der Zufall wollte es, daß die Polizei in den Orten Rh. und B. einen Delinquenten verhaften muß. Dieser behauptete nun bei seiner Vernehmung, er habe einen Mittäter; das sei ein Herr aus Freiburg. Er beschrieb diesen auch näher. Das brachte die Polizei auf den Gedanken, dieser angebliche Mittäter könne kein anderer sein, als der Freiburger Herr, der sich zum Besuch aufhielt. Unser Feldwebel in Zivil wurde festgenommen; er
^ die Steltensteins werden nicht in steinerner Kirchengruft, sondern in die Erde bestattet — o bitte — erweisen mir Durchlaucht den großen Liebesdienst und vertreten mich — mit dem allerletzten Liebes-
I zeichen — wenn der Sarg versenkt ist — mit meinen Gedanken werde ich gegenwärtig sein."
„Leben Sie wohl, gnädige Frau," Fürst Joseph war tief ergriffen, „es war mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen. Ihnen die Grüße des toten Freundes zu bringen —
„Unsere Wege werden sich kaum je wieder im Leben kreuzen, mein Fürst," Angelikas Stimme hatte die alte Festigkeit wiedergewonnen, „aber meine Dankbarkeit für diesen Liebesdienst, den Sie dem Toten und mir leisteten — wird nie verlöschen. Nehmen Sie die Gewißheit mit fort in Ihr Leben, daß eine einsame Frau Sie segnet und des Himmels Segen erfleht für Ihr ganzes Haus. ,Pietät und Tradition/ so lautet, ich weiß es, der stolze Wappenspruch Ihres Geschlechts — möchte unter diesem Zeichen Ihr Haus weiter blühen und gedeihen."
Der Fürst blickte unverwandt in die jetzt so belebten Züge der vor ihm stehenden Frau, dann beugte er sich tief zum Abschied vor ihr und küßte die dargereichte Hand.
Die Tür schloß sich hinter ihm — von fern her kündete das Rollen der Räder die Abfahrt des Gastes.
Der saß zurückgelehnt in die Kissen des Wagens. Gregor hatte ihm nicht zu viel gesagt, wenn er von ihr, der Geliebten und Verlassenen, gesprochen hatte
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legte seinen Urlaubspaß vor, beteuerte und versicherte, daß er mit der Geschichte absolut nichts zu schaffen habe, und gab auch sonst jede Auskunft über seine Person. Es half aber alles nichts, er blieb verhaftet. Der Bürgermeister traute dem Militärpaß nicht. Selbst als der Feldwebel zu seiner Legitimation sich telegraphisch an das Freiburger Infanterieregiment wandte und ein Leutnant in Uniform in B. erschien, um den Feldwebel wieder in Freiheit zu bringen, traute man der Sache nicht recht und gab den Feldwebel unter Zweifeln und Zögern frei. Wie vorsichtig man in Baden und wie leichtgläubig in Berlin!
Eine scheußliche Tierquälerei ist dem Tierschutzverein in Wiesbaden gemeldet worden. Eine Althündlerin hatte ihren Wachthund seit längerer Zeit in einen Stall gesperrt, der von Ratten wimmelte. Trotzdem die Frau darauf aufmerksam gemacht wurde, daß ihr Hund wiederholt angenagt wurde, beließ sie ihn in dem Stalle. Das arme Tier, dem der ganze Unterkiefer und auch die Beine abgefressen waren, wurde verendet im Stalle aufgefunden.
Auflösung des WeiMRätsels in Nr. 171.
Duett — Duell.
Literarisches.
Dr. Hieber, Die wlirtt. Versassungsresorm von 1906.
Der Abg. Dr. Hieber, der bekanntlich Mitglied der Verfassungskommission des Landtags und Mitberichterstatter gewesen ist, hat soeben eine umfassende Darstellung dieses großen Gesetzgebungswerkes im Verlag von K. Ad. Emil Müller in Stuttgart herausgegeben. Er sei, sagt der Verfasser im Vorwort, von verschiedenen Seiten aufgefördert worden, die Reform der Verfassung und des Wahlverfahrens allgemein verständlich zu schildern und wolle das tun, „so objektiv und sachlich, als es die zeitliche Nähe der parlamentarischen und parteipolitischen Erörterungen und Gegen, sätze ermöglicht hat. Weder eine staatsrechtliche noch eine wissenschaftlich historische Studie beansprucht die Schrift zu sein. Sie will nur vor allem dem wiirttembergischen Bürger die neue Verfassung verständlich und die Hergänge bei den Verhandlungen über die einzelnen wesentlichen Aenderungen anschaulich machen " Man wird der Schrift das Zeugnis nicht versagen können, daß dieser Zweck vollauf erreicht ist. In einem einleitenden Abschnitt wird einiges Allgemeinere über die Verfassung von 1819 und die bisherigen Resormversuche mitgeteilt, sodann die Regierungsvorlage von I90S in ihren Grundzügen gezeichnet. Ein zweiter und dritter Abschnitt behandelt die Zusammensetzung der Ersten und der Zweiten Kammer. Dabei werden die einzelnen Hauptpunkte in verschiedenen Stadien, welche die Verhandlung beider Kammern durchlaufen hat, bis zu ihrer jetzigen gesetzlichen Regelung behandelt. Der vierte Abschnitt gibt eine gemeinverständliche Schilderung des Proportionalwahlversahrens. In einem fünften Abschnitt endlich wird das Budgetrecht und die Regelung, die es im neuen Berfassungsgesetz erfahren hat, eingehend und klar dargestellt. Ein Anhang bringt in zwei Beilagen den amtlichen Wortlaut zuerst des Versassungsgesetzes, sodann des Landtagswahlgesetzes vom 16. Juli 1906. Jeder württ. Bürger, der sich über den jetzigen gesetzlichen Zustand und den parlamentarischen Hergang dabei unterrichten will, wird in der Schrift von Dr. Hieber einen inhaltsreichen, zuverlässigen und allgemein verständlichen Leitfaden finden. Bei einem Umfang von 125 Seiten kostet die Schrift nur ^ 1.20. Die Exped. ds. Bl. vermittelt Bestellung und ist in der Lage, das Merkchen zum genannten Preise zu liefern.
— eine Heldin — war sie aus dem bitteren Kampf zwischen Pflicht und Liebe hervorgegangen. — —
„Die gnädige Frau wünscht heut allein zu bleiben," hieß es bald darauf im Schlosse Sommereck, „Fürst Schönau hat die Todesnachricht des Fürsten Gregor gebracht. —
— (Fortsetzung folgt.) —
Rätsel.
Wer nennt sie mir, die zweifelhaften Freunde?
Ein r am Schluß kennzeichnet sie vor andern.
Wer ihre Gunst sich zu erhalten weiß: —
Kann sein, deß Hütte wandeln sie zum Palast, Kann sein, dem bieten sie der Freuden Füllhorn, Jndeß sie andere in den Abgrund stürzen.
Ich mag sie nicht, hart ist ihr Herz, wie Stein,
Ein Heer von Sorgen zieht init ihnen ein, Versäuert uns tückisch den edelsten Wein.
Nein, nein! Nein, nein! Ob noch so klein,
Mein liebes Häuschen, es sei nur mein!
Will lieber doch ohne die Herren sein.
Nun streich das r! — wie anders ist die Welt! Die nun mir Aug und Herz gefesselt hält!
Hier darf ich sorglos, kindlich wieder vertrau'».
Bin ja bei Menschen, die zum Himmel schau'n. Wenn bittres Weh das Herz bedrückt.
Wenn hohes Glück das Herz entzückt.
Blickt auch die Welt auf sie mit Hohn und Spott: Es stört sie nicht, sie leben ja in Gott!