vermischtes.
Noch ein düpierter Bürgermeister. A!s der kecke Streich des „Hauptmanns von Köpenick" bekannt wurde, war jedermann geneigt, zu sagen: Das ist denn doch noch nicht dagewesen! Aber Ben Akiba hat wiederum Recht behalten, die Groteske hat schon früher eine Uraufführung erlebt, und zwar gerade in dem freien England, dessen Presse sich in diesen Tagen nicht genug tun konnte, die preußische Eigenart des Abenteuers hervorzuheben. Es ist schon eine Reihe von Jahren her, als eines Tages plötzlich ein eleganter Herr von militärischem Aussehen im Polizeibureau des friedlichen Städtchens Boston in der Grafschaft Lincoln erschien und den Polizeichef zu sprechen verlangte. Er stellte sich ihm als Hauptmann L. vor, und gab an, er habe für die Einquartierung von 500 Soldaten und Offizieren zu sorgen, die am nächsten Tage in Boston eintrüfen. Der Beamte führte hierauf den vermeintlichen Hauptmann zu dem Bürgermeister, der sofort Vorbereitungen treffen ließ, die Truppen festlich zu empfangen. Inzwischen suchte der Hauptmann, vom Polizeichef begleitet, die vornehmsten Hotels ab, um Zimmer für die Offiziere zu bestellen und traf eine Unzahl von Anordnungen, unter anderem auch die, daß einige gut gemästete Schweine geschlachtet werden sollten. Die Hoteliers zeigten sich denn ebenso diensteifrig, wie der Metzger. Der Bürgermeister hatte sich unterdessen entschlossen, mit den Stadträten und Honoratioren der Stadt, soweit sie reiten konnten, hoch zu Roß den Truppen entgegenzueilen. In aller Frühe Men also Väter der Stadt mit dem Herrn Bürgermeister an der Spitze in feierlichem Aufzuge aus und kamen bis nach Kirton, einem Städtchen südlich von Boston. Dort warteten sie einige Stunden, doch keine Truppen ließen sich sehen. In etwas gedrückter Stimmung ritten sie endlich heim. Als sie nun endlich Verdacht schöpften und genauer zusahen, stellte es sich heraus, daß der Hauptmann zahlreiche Schecks eingelöst hatte, die sämtlich gefälscht waren. Die guten Bostoner waren einem Schwindler auf den Leim gegangen, und die heiterste Seite der Sache war, daß der Polizeichef in eigener Person am meisten zum Gelingen des Streiches beigetragen hatte. Bei dieser Gelegenheit werden in englischen Blättern noch einige andere geniale Gaunerstreiche erzählt. Eine dieser Geschichten hat einen raffinierten Dieb zum Helden, der die Kasse eines Millionärs aufs Korn genommen hatte. Um sich seinem Opfer unauffällig zu nähern, mietete er ein Zimmer in der Nähe der Stadtbahnstation, von der aus der Mann, den er bestehlen wollte, täglich zur Stadt fuhr. Elegant gekleidet nahm er jeden Tag in demselben Koupee Platz und schenkte anscheinend nur seinen Papieren Aufmerksamkeit, die er aus einer stilvollen Handtasche hervorholte. Nachdem so eine Zeit friedlich verflossen war, und sein Fahrtgenosse sich an diesen täglichen Anblick gewöhnt hatte, verriet er eines Tages große Unruhe, machte vergebliche Versuche, seine Handtasche zu öffnen, und fluchte ganz lästerlich, weil er seinen Schlüssel vergessen hätte. Ein Mitreisender Herr bot hierauf höf-
„Jch habe den Brief fertig, er ist mit Bleistift geschrieben, ich möchte nur — daß jemand — die Adresse schriebe —"
„Also gut, Kind, das mache ich."
Inge schloß den auf ihrem Nachttischchen stehenden Schreibkasten auf und entnahm ihm einen verschlossenen Brief, den sie Angelika gab.
„Und die Adresse?"
Inge war der Hals wie zugeschnürt, sie reichte einen Zettel hin.
Nur einen einzigen Blick warf Frau von Sommereck darauf, dann wendete sie sich, jäh erblaßt, um, trat an den Schreibtisch, der an einem der Fenster stand, und schrieb mit ihren energischen, großen Schriftzügen die Adresse. Den Zettel reichte sie Inge wieder hin. Dann ging sie hinüber in ihr Boudoir, wo die Posttasche über ihrem Pulte hing, schloß den Brief ein und kehrte zu Inge zurück.
„Heißen Dank I" flüsterte das Mädchen. „Siehst Du — Tante Angelika — nun fiebere ich kaum noch — nun wird Henrik auch nicht mehr unruhig sein."
„Bist Du mit dem Erbprinzen wirklich verlobt, mein Kind?" fragte Angelika.
„Gewiß, Tante Angelika, aber heimlich — weißt Du — es soll noch niemand wissen, daß wir uns gut sind — es ist deswegen, weil er eben Erbprinz ist."
„Wenn ihr euch gut seid und verlobt seid — euch gegenseitig gebunden fühlt, so wollt ihr euch
lich dem sonderbaren Kauz seinen eigenen Schlüsselbund, ob nicht etwa zufällig ein Schlüssel die Handtasche öffnete. Doch keiner wollte passen. Auf die Aufforderung dieser teilnehmenden Seele hin, die wahrscheinlich einem Komplizen angehörte, zog der Millionär seinen Schlüsselbund aus der Tasche, der u. a. den Kassenschlüssel enthielt. Einige Sekunden genügten, um den Schlüssel in Wachs abzudrücken, und einige Wochen später war die Kasse des Millionärs ausgeraubt. Noch bevor der Raub entdeckt war, hatten sich die Diebe über den Kanal aus dem Staube gemacht. Aehnlich genial wurde eine Bankfirma der City von einem „Erfinder" bestohlen, der vorgab, ein Verfahren herausgebracht zu haben, mit dem er das Gewicht des Goldes verdoppeln könnte. Um eine Probe seiner Kunst zu erhalten, wurden ihm in einem Laboratorium unter strenger Bewachung 20 000 Pfund Sterling zur Verfügung gestellt. Der „Erfinder" erbat sich zur Wahrung seines Geheimnisses, daß niemand bei seinen Hantierungen zugegen sei, doch ließ er sich jedesmal, wenn er das Laboratorium verließ, daraufhin untersuchen, ob er auch kein Geld weggetragen habe. Eines Morgens aber wartete man vergebens auf ihn, und als nach einigen Stunden das Laboratorium geöffnet wurde, fand man von den 20 000 Pfund Sterling (400 000 .^) keine Spur. Wie sie verschwunden waren, schien rätselhaft, und erst ein eigenhändiges Schreiben des Gauners brachte Licht in das Dunkel. Der Dieb hatte die Goldstücke im Innern seines eleganten Spazierstockes weggetragen, der innen ausgehöhlt war.
(Neckerei.f Sie (vor ihrem neuen Bilde): „Der Maler hat seine Sache schlecht gemacht — zuviel grelle Lichter und Schatten — das wirkt zu unruhig!" — Er: „Ich fände es unnatürlich, wenn ein Bild von dir ruhig wirkte."
Silbenrätsel.
Wie stolz sind oft die Ersten auf die Letzte Wie rufen sie so übermütig: „Sehet!
Dies Denkmal für die Ewigkeit ich setzte!"
Es ist doch nur — das Ganze und vergehet.
Auflösung des Logogriph in Nr. 167.
Ehe — Ehre.
Der Gesangbuchenlwurf für die evangelische Kirche Württembergs in mufikkritischer Beleuchtung.
Von M. Koch, Kgl. Musikdirektor, Stuttgart.
Ich werde wiederholt um meine Meinung über den Gesangbuchentwulf angegangen. Man wundert sich allgemein über die extreme Haltung desselben. 90 unter l»5 veränderten Melodien unseres Choralbuches verfallen einem förmlichen Schleifenmassakre, der Rest erscheint in einer andern rhythmischen Fassung. Kaum 15°/« von ca. 200 Melodien — der Anhang ist nicht mit inbegriffen — wären in Kirchen und Schulen noch geläufig. Zum Glück handelt es sich nur um ein Privatunternehmen ter Führer des württembergischen Landeskirchengcsangvereins.
Was wollte unser Choralbuch? Was will der Entwurf? Niemand wird bestreiten wollen, daß die meisten alten Melodien, die vor oder unter oder nach Luther, etwa in dem Zeitraum bis Bach, entstanden sind, in ihrer Originalgestalt unser Empfinden fremdartig berühren. Selbst
doch auch einmal angehören, nicht wahr, mein Herzenskind?" fragte Angelika milde.
„Ja, Tante Angelika — wir wissen nur noch nicht, wie das alles wird; Henrik sagte mal, er wollte auf seinen Rang verzichten, sein Bruder Karl Gregor solle Erbprinz werden, aber das liegt ' alles noch in weiter Ferne."
Inge hatte lebhaft gesprochen, sonst wäre ihr wohl ausgefallen, daß Angelika bei dem Namen Gregor schmerzvoll zusammengezuckt war. Da sie nicht antwortete, fragte Inge weiter: „Weißt Du vielleicht einen Rat, Tante Angelika?"
„Vielleicht ja — Inge — das heißt, meinen Rat würde ich Dir nicht aufdringen, und für das, was ich Dir erzählen möchte, ist auch die jetzige Stunde nicht glücklich gewählt. Aus meiner Erzählung nimmst Du Dir vielleicht einen Rat. Hier, trinke jetzt gehorsam, wie ein artiges, krankes Kind, Deine Limonade und schlafe. Wenn das Fieber morgen verschwunden ist — denn der Brief nach Schönau ist ja dann längst dort, will ich Dir einmal etwas aus meinem Leben erzählen."
„Aus Deinem Leben, Tante Angelika — ach ja — ich habe schon manchmal darüber nachgedacht, was Du wohl schon erlebt hast."
„Ich denke gar nichts mehr, Inge, sondern schlafe nur, morgen erzähle ich Dir."
Der leise Regen rauschte auch am nächsten Tage hernieder, trüb und grau hing die Wolkenschicht am Himmel, und ein angenehmes Dämmerlicht stahl sich durch die Zweige der regenschweren Bäume in '
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der musikalische Feinschmecker vermag sich nur mit innerem Widerstreben öfters und länger bei ihnen auszuhalten. Denn wer einmal von der Wärme neuzeitlicher Töne auf- getaul ist, den fröstelt, sobald er eine gewisse Grenze der älteren Mnsikliteratur überschreitet. Bei dem Raritäten- fammlcr Pflegt in der Regel der umgekehrte Fall einzutreten: er wird um so Würmer, je älter und verblaßter feine Schätze sind. Was kümmert sich aber der Durchschnittsmensch um das historische Interesse und den Sammeleifer eines Antiquilätenfreundes? Das Volk sucht in der Kirche Wärme, und darum sind auch die Choralbuchmacher der vierziger Jahre dem Verlangen des Voltes entgegengekommen, haben mit dem noch übrigen starren Formalismus vergangener Jahrhunderte gebrochen und zwischen Kirche und Volk ein lebendiges Band geknüpft. Sie gestalteten den Choral nicht nur freundlicher und flüssiger, sondern stimmten ihn zugleich auf den schwäbischen Herzton. Wir vernehmen diesen Ton schon in dem von Störl im Jahr 1710 herausgegedenen Choralbuch, noch mehr aber in den Chorälen Knechts. Den Knecht'fchen Geist ließen Kocker, Silchec und Frech auch in die älteren Choräle einfließen. Dadurch erhielt unser Choralbuch ein einheitliches Gepräge, wie ein solches kein zweites Choralbuch im deutschen Reich besitzt, und das nun zu zeistören sich der Ausschuß des Landeskirchengesangvereins anschickt. Derselbe ist nämlich der Ansicht, daß wir Schwaben endlich unsere Sonderstellung, die die Gefahr der Rückständigkeit unseres Kirchengesangs verschulde, ausgeben müssen und hat den musikalischen Teil des Entwurfs dementsprechend bearbeiten lassen.
Wer ist nun aber rückständig, wir oder die andern? Alle Welt weiß, daß der schwäbische Volkston der Grundton des deutschen Volksliedes geworden ist. Und dieser Ton klingt noch so jung und fusch, so weich und warm wie vor 60 Jahren. Warum ihn also auf das Altenteil setzen, ihn aus ein reduziertes Sondergut verweisen wollen? Ich bin der Meinung, daß die Kirche nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, den Empfindungsausdruck ihrer Gesänge der besonderen Gemütsbefchassenheit eines Nationalstammes anzupassen. Wenn darum volkstümliche Tonpoeten mit Friedrich Silcher an der Spitze unter freierer und reichlicherer Verwendung vor allem der Schleifen und des Hauptseptimenakkords einen Choraltypus geschaffen haben, der uns Schwaben besonders zusagt und der sich von der ursprünglichen Form nicht allzuweit entfernt, so sürchie ich, daß der gewaltsame Eingriff des Entwurfs in ein bewährtes Gut und Erbe um einer bureaukratischen Idee lNnstrebung einer einheitlichen musikalischen Uniformierung der evangel. Kirchen Deutschlandsi und um mnsikhistorischer Interessen willen für unsere Landeskirche schlimme Folgen hätte.
Der Entwurf legt eine besondere Vorliebe für rhythmische Altertümeleien und metrische Härten und Unebenheiten an den Tag. Er geht auf veraltete Fassungen der Originale in den Texten sowohl wie in den Melodien zurück, und je größer und zahlreicher die Zöpfe sind, um so größer scheint sein Gefallen an den mittelalterlichen Blüten zu fein. Würde ein derartiger Geschmack auch unter dem Volke geteilt? Und soll denn ein Gesangbuch nicht ausschließlich ein Volksbuch sein?
Für solche Interessenten, die in musikästhetischen und musikgeschichtlichen Fragen nicht genügend unterrichtet sind, die sich aber in der gegenwärtigen Choralreformbewegung als Geistliche, Lehrer, Kirchengemeinderüte, Synodalen usw. z» einer Stellungnahme verpflichtet fühlen, habe ich in einer besonderen Schrift (Der Gesangbnchentwurf in musikalischer Beleuchtung, Verlag von I. B. Metzler, Preis 85 -s) so ziemlich alles dargestellt, was jeder zur Bildung eines eigenen Urteils zu wissen nötig hat. Der Inhalt der Broschüre sei in folgendem kurz angedeutet. — Einleitung: Studie über den Tonartencharakter. Was wollte unser Choralbuch? Was will der Entwurs? Etwas über die Entstehung des Chorals. Die Grenzen der Choralresorm. Die verschiedenen Formen des im Entwurf verwendeten Rhythmus. Rhythmische Altertümeleien. Der Polyihythmus. Weitere Gedanken über den Rhythmus. Psychologische Begründung der harmonischen und melodischen Umgestaltung der alten Choräle. Der Hauptseptimenakkord. Die Schleife. Das einheitlich, spezifisch schwäbische Gepräge unseres Choralbuchs. Unsere kirchenmusikalische Kunst in Gefahr. Streiflichter.
- Inges Krankenzimmer. Angelika hatte ihren Platz am Lager des jungen Mädchens eingenommen und ! festgestellt, daß mit dem abgeschickten Briefe jede ! Spur des Fiebers geschwunden war.
„Wenn nur der dumme Fuß nicht so geschont werden müßte," klagte Inge, „dann könnte ich mir nichts besseres wünschen, als hier zu sein bei Dir, Tante Angelika. Und auf Deine Geschichte freue ich mich schon."
„Sie ist sehr traurig, mein Liebling, aber sie ' kann Dir vielleicht einen Fingerzeig geben. Meine Geschichte kann erst da beginnen, wo der Mann in meinen Lebenskreis trat, dem sich mein Herz sofort zuwandte, wie das seine sich mir. Ich war erst einen einzigen Winter mit den Eltern (mein Vater stand damals als Oberst in Berlin) ansgegangen, als ich ihn kennen lernte, auf einem Privatball bei einem bekannten General. Da mein Vater Offizier war, wir meist in Offizierskreisen verkehrten, tanzte ich natürlich auch fast ausschließlich mit solchen. Sie waren mir auch in gewisser Art sehr interessant, interessanter als der heutigen Jugend in so langer Friedenszeit. Denn die Glorie des Sieges umstrahlte unsere Helden, von denen unzählige recht jugendliche der ernste, schöne Orden des Eisernen Kreuzes schmückte. Und so sahen mich meine Eltern, sah vielleicht ich selbst mich natürlich auch als zukünftige Gemahlin eines Offiziers. Das Heiraten war damals selbstverständlicher als heutzutage, wo ! so viele Damen ihren Berufsweg selbständig gehen > und ihn der Ehe vorziehen. (Forts, folgt.)